Nach § 86 Abs. 1 FGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden und Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet, soweit nicht durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) geschützte Verhältnisse Dritter unbefugt offenbart werden. Nach § 86 Abs. 3 FGO stellt der Bundesfinanzhof auf Antrag eines Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung rechtmäßig ist.

Die Regelung in § 86 Abs. 3 FGO setzt voraus, dass das Finanzgericht im finanzgerichtlichen Verfahren die Vorlage der betreffenden Unterlagen oder die Erteilung von Auskünften anordnet und die ersuchte Behörde sich daraufhin weigert, dieser Aufforderung nachzukommen. Dies ist vorliegend durch die Aufforderung des Finanzgericht mit Beschluss vom 01.08.2011 und dem Festhalten der Familienkasse an ihrer Weigerung zur Vorlage der Kindergeldakte der E geschehen. Durch die Weitergabe des beim Finanzgericht als Gericht der Hauptsache gestellten Antrags der Familienkasse auf Durchführung des Verfahrens nach § 86 Abs. 3 FGO hat das Finanzgericht zudem deutlich gemacht, dass es an seinem Vorlageverlangen festhält, die Akte somit weiterhin für entscheidungserheblich erachtet.
Aus § 71 Abs. 2 FGO ergibt sich für die beklagte Behörde die Verpflichtung, dem Gericht die den Rechtsstreit betreffenden Akten vorzulegen. Hierzu gehört jedes Aktenstück, das für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage erheblich und für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sein kann1. Die Verpflichtung zur Vorlage von Akten und zur Erteilung von Auskünften ist nach § 86 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO durch das Steuergeheimnis nach § 30 AO eingeschränkt.
Als Verwaltungsverfahren in Steuersachen i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO unterliegt ein Kindergeldverfahren dem Schutz des Steuergeheimnisses2. Die Familienkasse ist deshalb gehalten, die Verhältnisse „eines anderen“ zu wahren, diese mithin nicht ohne einen der in § 30 Abs. 4 AO abschließend aufgeführten Rechtfertigungsgründe zu offenbaren.
Nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist die Behörde zur Offenbarung befugt, wenn dies der Durchführung eines Verfahrens in Steuersachen dient. Dies setzt voraus, dass die Daten eine Prüfung der in einem solchen Verfahren relevanten Tatbestandsmerkmale ermöglichen, erleichtern oder auf eine festere Grundlage stellen können3, also ein unmittelbarer funktionaler Zusammenhang zwischen der Offenbarung und der Verfahrensdurchführung besteht4. § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO erlaubt eine Offenbarung zudem dann, wenn sie durch ein Gesetz ausdrücklich zugelassen ist.
Nach diesen Maßstäben würden die Vorlage der Kindergeldakte der E deren Verhältnisse unbefugt offenbart.
Nach diesen Maßstäben ist die Familienkasse zu Recht davon ausgegangen, dass durch die Vorlage der Kindergeldakte der E deren Verhältnisse unbefugt offenbart würden. Die Weigerung, dem Finanzgericht die angeforderte Akte vorzulegen, ist deshalb nicht zu beanstanden.
Entgegen der Auffassung des Finanzgericht „dient“ die Kindergeldakte der E nicht i.S. von § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO der Klärung des anhängigen Klageverfahrens. Das Finanzgericht ist –wie aus seinem Beschluss vom 01.08.2011 ersichtlich– zum derzeitigen Verfahrensstand der Ansicht, der Kläger habe grundsätzlich einen Anspruch auf die begehrte Bescheinigung nach § 68 Abs. 3 EStG, da es hierfür nur darauf ankomme, dass er Kindergeldberechtigter i.S. des § 62 i.V.m. § 63 EStG sei. Es ist weiter der Auffassung, die Kindergeldakte der E sei erforderlich, um feststellen zu können, ob die Familienkasse für das Jahr 2009 für T Kindergeld gezahlt habe. Denn nur in diesem Fall wäre sie zur Erteilung der Bescheinigung verpflichtet.
Hat das Gericht der Hauptsache –wie vorliegend das Finanzgericht– die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Akte geprüft und bejaht, ist das im In-camera-Verfahren entscheidende Gericht –wie im Streitfall der Bundesfinanzhof– grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden5. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist. Dieser vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung6 schließt sich der Bundesfinanzhof an.
Ein solcher Fall liegt im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall vor.
In der Hauptsache streiten die Beteiligten um die Rechtsfrage, ob der Kläger –wie er geltend macht– Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 68 Abs. 3 EStG durch die Familienkasse über das für die gemeinsame Tochter für das Jahr 2009 ggf. an E ausgezahlte Kindergeld hat. Insoweit ist es nicht Aufgabe des Bundesfinanzhofs, diese Frage im vorliegenden Zwischenverfahren zu klären, vielmehr ist dies Aufgabe des Finanzgericht als Gericht der Hauptsache. Demzufolge ist der Bundesfinanzhof grundsätzlich an die vom Finanzgericht geäußerte Rechtsauffassung gebunden, nach der der Kläger als Kindergeldberechtigter i.S. des § 62 i.V.m. § 63 EStG grundsätzlich Anspruch auf die Erteilung einer Bescheinigung nach § 68 Abs. 3 EStG auch über das ggf. an einen anderen Berechtigten –wie vorliegend E– ausgezahlte Kindergeld habe.
Dem Finanzgericht kann jedoch nicht darin gefolgt werden, dass die Vorlage der angeforderten Kindergeldakte der E für die Entscheidung über das Klagebegehren erforderlich ist. Dies ist vielmehr offensichtlich nicht der Fall.
Ob der Kläger gegenüber einer für ihn als Kindergeldberechtigten nicht zuständigen Familienkasse (hier der Beklagten) einen Anspruch auf Bescheinigung über das von dieser ggf. an einen anderen Kindergeldberechtigten (hier an die geschiedene Ehefrau) ausgezahlte Kindergeld hat, hängt allein von der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „des Berechtigten“ in § 68 Abs. 3 EStG ab. Streitentscheidend ist demnach, ob –wie der Kläger und derzeit das Finanzgericht meinen– bei mehreren Kindergeldberechtigten jeder dieser dem Grunde nach Berechtigten eine solche Bescheinigung auch über Verhältnisse eines anderen Kindergeldberechtigten verlangen kann, oder ob nicht bei mehreren Kindergeldberechtigten jedem dieser Berechtigten allenfalls eine Bescheinigung über seine eigenen Verhältnisse bzw. –wie die Familienkasse und das BMF letztlich geltend machen– nur dem i.S. des § 64 EStG vorrangig Berechtigten eine Bescheinigung zusteht.
Für die Beantwortung dieser reinen Rechtsfrage gibt die Kindergeldakte der E nichts her, wovon auch das Finanzgericht ausgeht.
Offensichtlich kann der Anspruch auf Erteilung der Bescheinigung nach § 68 Abs. 3 EStG aber nicht weiter davon abhängen, ob überhaupt für das im Streit stehende Jahr Kindergeld ausgezahlt wurde. Die in § 68 Abs. 3 EStG normierte Bescheinigungspflicht der das Kindergeld auszahlenden Stelle dient vor allem dem Interesse des Kindergeldberechtigten, der die Höhe des ausgezahlten Kindergeldes –z.B. bei Streitigkeiten über zivilrechtliche Unterhaltsansprüche– nachweisen können muss7. Der Nutzen einer solchen Bescheinigung kann deshalb auch gerade darin liegen, nachzuweisen, dass Kindergeld in Höhe von 0 EUR gezahlt wurde (Bescheinigung der Nichtzahlung von Kindergeld8).
Von dem Finanzgericht zu prüfendes Tatbestandsmerkmal ist somit einzig, ob der Kläger „Berechtigter“ i.S. des § 68 Abs. 3 EStG ist und deshalb einen Anspruch auf die Bescheinigung hat. Die Frage, welchen Inhalt die Bescheinigung hat, hat das Finanzgericht nicht zu prüfen. Entsprechend kann das Finanzgericht –wenn es die Anspruchsberechtigung des Klägers bejaht– die Familienkasse lediglich zur Erteilung (Ausstellung und Aushändigung) einer Bescheinigung nach § 68 Abs. 3 EStG verurteilen9. Dass die Bescheinigung vollständig und wahrheitsge-mäß zu erteilen ist, wird von § 68 Abs. 3 EStG, wie bei anderen gesetzlichen Bescheinigungspflichten10 vorausgesetzt. Wie über eine auf inhaltliche Berichtigung der erteilten Bescheinigung gerichtete Klage zu entscheiden wäre, ist vom Finanzgericht im Streitfall nicht zu klären.
Ob –ausgehend vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Finanzgericht, wonach Berechtigter i.S. des § 68 Abs. 3 EStG jeder ist, der einen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 i.V.m. § 63 EStG hat– die Familienkasse befugt ist, die steuerlichen Verhältnisse der E zu offenbaren (vgl. § 30 Abs. 4 AO), hat der Bundesfinanzhof im Zwischenverfahren gemäß § 86 Abs. 3 FGO nicht zu prüfen. Diese Prüfung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Vorliegend geht es ausschließlich um die Weigerung der Familienkasse, die gesamte Kindergeldakte der E vorzulegen.
Bei dem Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO handelt es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren, so dass es keiner eigenständigen Kostenentscheidung bedarf11.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16. Januar 2013 – III S 38/11
- z.B. BFH, Beschluss vom 09.09.2011 – VII B 73/11, BFH/NV 2012, 56[↩]
- vgl. Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 30 Rz 52[↩]
- BFH, Beschluss vom 29.08.2012 – X S 5/12 (PKH), BFH/NV 2013, 2[↩]
- BFH, Urteil vom 10.02.1987 – VII R 77/84, BFHE 149, 387, BStBl II 1987, 545; BFH, Beschluss vom 07.07.2008 – II B 9/07, BFH/NV 2008, 1811[↩]
- vgl. nur Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 86 FGO Rz 20; Stiepel in Beermann/Gosch, FGO § 86 Rz 76; Nöcker, AO-Steuerberater, 2009, 214; BVerwG (in ständiger Rechtsprechung zu § 99 Abs. 2 VwGO), Beschluss vom 18.04.2012 – 20 F 7/11, NVwZ 2012, 1488; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 18. Aufl., § 99 Rz 21[↩]
- BVerwG, Beschlüsse vom 08.02.2011 – 20 F 13/10, DVBl. 2011, 501; vom 03.07.2012 – 20 F 12/11, m.w.N.[↩]
- Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 68 Rz A 38[↩]
- vgl. Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 68 Rz 43[↩]
- zum vergleichbaren Fall der Klage auf Erteilung und Aushändigung einer Arbeitsbescheinigung gemäß § 133 AFG –jetzt § 312 SGB III– BAG, Urteil vom 15.01.1992 – 5 AZR 15/91, BAGE 69, 204[↩]
- vgl. zu § 312 SGB – III z.B. Stolzenberg, in Haufe Lexikon Sozialversicherungsrecht, Arbeitsbescheinigung[↩]
- so BVerwG, Beschlüsse vom 01.02.2011 – 20 F 17/10; vom 16.12.2010 – 20 F 15/10, NVwZ-RR 2011, 261; BFH, Beschluss vom 14.11.2006 – IX B 156/06, BFH/NV 2007, 473; Kopp/Schenke, a.a.O., § 99 Rz 21; a.A. BFH-Beschlüsse vom 15.10.2009 – X S 9/09, BFH/NV 2010, 54; vom 17.09.2007 – I B 93/07, BFH/NV 2008, 387; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 86 Rz 15b[↩]