Kindergeld und die Fahrtaufwendungen des Kindes als Werbungskosten

Leistet ein Student den praktischen Teil seiner Hochschulausbildung in einem Betrieb außerhalb der Hochschule ab, ist der Betrieb nicht seine regelmäßige Arbeitsstätte. Die Kosten für die Wege dorthin sind uneingeschränkt als Werbungskosten abziehbar.

Kindergeld und die Fahrtaufwendungen des Kindes als Werbungskosten

Für ein über 18 Jahre altes Kind, das –wie J im Streitjahr 2007– das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge den für den Streitzeitraum maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.680 € nicht übersteigen.

Der Begriff der Einkünfte i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen1.

Darüber hinaus sind nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 20052 im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte –ebenso wie die Bezüge– nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Teile der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen3.

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Nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG bleiben bei der Ermittlung der schädlichen Grenze von 7.680 € Bezüge außer Ansatz, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, bzw. Einkünfte, die für solche Zwecke verwendet werden. Solche besonderen Ausbildungskosten sind alle über die Lebensführung hinausgehenden ausbildungsbedingten Mehraufwendungen. Ausbildungsbedingte Mehraufwendungen, die nicht bereits als Werbungskosten (§ 9 EStG) im Rahmen einer Einkunftsart des Kindes berücksichtigt werden, sind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG von der Summe der Einkünfte und Bezüge abzuziehen. Dabei erfolgt die Abgrenzung zwischen Kosten der Lebensführung und dem ausbildungsbedingten Mehrbedarf in der Weise, wie dies im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses zwischen den Kosten der Lebensführung und den durch den Beruf veranlassten Kosten (Werbungskosten) geschieht. Es sind die den Abzug der jeweiligen Aufwendung betreffenden steuerlichen Vorschriften dem Grunde und der Höhe nach zu beachten4.

Vond en Einnahmen des Kindes aus nichtselbständiger Arbeit sind Beiträge zur Sozialversicherung und –als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen– Studiengebühren abzuziehen. Darüber hinaus sind die Kosten für die Wege zur GmbH als Werbungskosten bei den Einkünften des J aus nichtselbständiger Arbeit in tatsächlicher Höhe gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen. Die Abzugsbeschränkung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kommt nicht zur Anwendung.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind als Werbungskosten sämtliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit einer beruflichen Bildungsmaßnahme stehen, abziehbar. Hierzu gehören auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten. Sie sind grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen. Die Begrenzung der Steuererheblichkeit von Wegekosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist im Rahmen beruflicher Bildungsmaßnahmen grundsätzlich nicht zu beachten. Denn eine Bildungsmaßnahme ist regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt. Wie bei einer Auswärtstätigkeit hat in einem solchen Fall der Steuerpflichtige typischerweise nicht die Möglichkeiten, sich auf die immer gleichen Wege einzustellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinzuwirken5.

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Nach diesen Grundsätzen sind die Kosten für die Wege zur GmbH in tatsächlicher Höhe abzugsmindernd zu berücksichtigen. Die Tätigkeit des J in der GmbH als eine Art Praktikant war nämlich Teil einer Bildungsmaßnahme und im Übrigen nicht auf Dauer angelegt. Wie sich aus der im Ausbildungsvertrag erwähnten „Verordnung über die praktischen Studiensemester an Fachhochschulen“ (Praxissemesterverordnung –PrSV–) des Bayrischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 16.10.20026 ergibt, ist das praktische Studiensemester einschließlich etwaiger Zusatzpraktika (s. dazu § 7 PrSV) ein in das Studium integriertes, von der Fachhochschule geregeltes, inhaltlich bestimmtes, betreutes und mit Lehrveranstaltungen begleitetes Studiensemester, das i.d.R. in einem Betrieb oder in einer anderen Einrichtung der Berufspraxis außerhalb der Hochschule abgeleistet wird (§ 1 Abs. 1 PrSV). Während der praktischen Studiensemester bleiben die Studenten Mitglieder der Hochschule mit den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten (§ 1 Abs. 4 PrSV). Damit ist die Universität trotz der praktischen Ausbildung Mittelpunkt der Tätigkeit. Insoweit unterscheidet sich das hier streitgegenständliche Hochschulstudium von einem herkömmlichen Ausbildungsverhältnis, in dessen Rahmen der Steuerpflichtige bereits Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt.

Da danach die erwähnte praktische Tätigkeit Teil der Hochschulausbildung ist, kommt –wie regelmäßig in den Fällen der Hochschulausbildung– § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nicht zur Anwendung. Der Betrieb, in dem der Student den praktischen Teil seiner Hochschulausbildung ableistet, ist keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.

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Dem Abzug der Wegekosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG steht § 9 Abs. 6 EStG7 nicht entgegen.

§ 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG bestimmt, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden.

Gemäß § 52 Abs. 23d Satz 5 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG ist § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG für Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwenden. § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG schließt jedoch den Werbungskostenabzug nicht aus, weil sich J während seiner Tätigkeit in der GmbH „im Rahmen eines Dienstverhältnisses“ befand. Bei dem Dienstverhältnis i.S. des § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG handelt es sich um ein Dienstverhältnis besonderer Art, das durch den Ausbildungszweck geprägt ist (sog. Ausbildungsdienstverhältnis)8. „Im Rahmen“ eines Dienstverhältnisses findet die Erstausbildung bzw. das Erststudium statt, wenn, wie hier, die Teilnahme an der Ausbildung oder am Studium verpflichtender Gegenstand des Arbeitsvertrags ist9.

Ob und in welchem Umfang die Kosten für die Wege zur Fachhochschule als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen zu berücksichtigen sind, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben. Zwar sind diese Kosten als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen zu qualifizieren. Allerdings orientiert sich, wie dargestellt, nach der bisherigen Rechtsprechung der ausbildungsbedingte Mehrbedarf sowohl dem Grund als auch der Höhe nach an den entsprechend anwendbaren Vorschriften über den Werbungskostenabzug10. Ob dies auch für § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG gilt, ist zwar nach Auffassung des Bundesfinanzhofs im Hinblick auf die Bedeutung des § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG fraglich, muss jedoch hier nicht entschieden werden. Denn auch ohne Berücksichtigung der Kosten für die Wege zur Fachhochschule wird der Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7.680 € nicht überschritten:

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Januar 2013 – VI R 14/12

  1. ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. BFH, Urteil vom 17.06.2010 – III R 59/09, BFHE 230, 142, BStBl II 2011, 121[]
  2. BVerfG, Beschluss vom 11.01.2005 – 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164[]
  3. BFH, Urteile vom 09.02.2012 – III R 73/09, BFHE 236, 407, BStBl II 2012, 463; vom 05.07.2012 – VI R 99/10, BFHE 238, 93[]
  4. ständige Rechtsprechung, s. etwa BFH, Urteile vom 22.09.2011 – III R 38/08, BFHE 235, 331, BStBl II 2012, 338; vom 15.07.2010 – III R 70/08, BFH/NV 2010, 2253; vom 27.10.2011 – III R 92/10, BFH/NV 2012, 412[]
  5. s. im Einzelnen BFH, Entscheidungen vom 09.02.2012 – VI R 44/10, BFHE 236, 431; – VI R 42/11, BFHE 236, 439; vom 19.09.2012 – VI R 78/10, BFHE 239, 80, BFH/NV 2013, 123; vom 18.09.2012 – VI R 65/11[]
  6. GVBl 2002, 589[]
  7. i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (BeitrRLUmsG) vom 07.12.2011, BGBl I 2011, 2592[]
  8. BFH, Urteile vom 07.08.1987 – VI R 60/84, BFHE 150, 435, BStBl II 1987, 780; vom 19.04.1985 – VI R 131/81, BFHE 143, 572, BStBl II 1985, 465[]
  9. Fissenewert in Herrmann/Heuer/Raupach, § 12 EStG Rz 177[]
  10. BFH, Urteil in BFHE 235, 331, BStBl II 2012, 338, m.w.N., zu § 9 Abs. 2 EStG[]
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