Für die Zeit der einjährigen Untersuchungshaft des Kindes besteht nach einem Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg kein Anspruch auf Kindergeld.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, beim Vorliegen der weiteren Voraussetzungen beim Kindergeldberechtigten berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.
Dabei wird nicht auf das formale Weiterbestehen des Ausbildungsverhältnisses abgestellt, sondern darauf, dass auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden1. Grundsätzlich tritt eine Unterbrechung der Ausbildung ein, sobald es an Maßnahmen fehlt, die geeignet sind, dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen im Hinblick auf die Ausübung eines angestrebten Berufs zu dienen.
Die Straßenbau-GmbH hat wegen der Untersuchungshaft des Kindes den Ausbildungsvertrag fristlos gekündigt. Damit war die Berufsausbildung zunächst abgebrochen, d.h. rechtlich und tatsächlich beendet. Das hatte zur Folge, dass B beim Kindergeld grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen war.
Nach der Rechtsprechung gibt es von diesem Grundsatz jedoch Ausnahmen2. Eine Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung oder Mutterschaft ist grundsätzlich unschädlich3. Denn in solchen Fällen hat das Kind den Willen, sich der Ausbildung zu unterziehen, ist aber aus objektiven Gründen – Erkrankung oder Mutterschaft – daran gehindert, weil ihm die Ausbildung nicht möglich oder zumutbar ist. Hat ein Kind einen Ausbildungsplatz und ist ausbildungswillig, aus objektiven Gründen aber zeitweise nicht in der Lage, die Ausbildung fortzusetzen, ist es ebenso zu behandeln wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet und deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c zu berücksichtigen ist.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist der vorliegende Fall des Abbruchs der Berufsausbildung infolge Inhaftierung auf Grund schwerer Straftaten nicht mit einer bloßen Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung oder Mutterschaft vergleichbar. Dem vom Kläger angeführten Urteil des Bundesfinanzhofs4, das in der Rechtsprechung der Finanzgerichte Widerspruch erfahren hat, lag ein abweichender Sachverhalt zugrunde, der die rechtliche Beurteilung durch das Gericht zu rechtfertigen vermag. Denn in jenem Fall wurde das Ausbildungsverhältnis nicht gekündigt und das Kind freigesprochen, so dass es nach seiner Haftentlassung die nur unterbrochene Ausbildung fortsetzen konnte.
Der Bundesfinanzhof hat seine Wertung ausweislich des Leitsatzes 3 seines amtlich nicht veröffentlichten Urteils für die „vorübergehende, nicht auf dem Willen des Kindes beruhende Unterbrechung der Ausbildung“ getroffen. Ein solcher Fall liegt hier, wie ausgeführt, nicht vor. Denn der Sohn des Klägers ist wegen vorsätzlich begangenen schweren Straftaten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Begehung der schweren Straftaten war für den Abbruch der Berufsausbildung ursächlich. In einem solchen Fall nimmt es das Kind (billigend) in Kauf, dass es nach seiner Ergreifung seine Berufsausbildung nicht fortsetzen kann. Denn es kann regelmäßig nicht darauf vertrauen, während der Haft seine Ausbildung fortsetzen oder eine neue Ausbildung beginnen zu können5.
Auch die Voraussetzungen von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c EStG sind im Streitfall nicht erfüllt, da der Sohn des Klägers eine Berufsausbildung nicht mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte. Voraussetzung hierfür wäre, dass das Kind sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemühte. Hieran fehlt es im Streitfall bereits deshalb, weil der Sohn keine Eigenbemühungen um einen Ausbildungsplatz unternommen hat und nach Aktenlage auch nicht bei einer Agentur für Arbeit als ausbildungsplatzsuchend gemeldet war. Im Übrigen hätte das Kind, selbst wenn es ausbildungsplatzsuchend gewesen wäre, auf Grund seiner Inhaftierung einer Vermittlung in eine Berufsausbildung während des Streitzeitraums nicht zur Verfügung gestanden. Ein ausbildungsplatzsuchendes Kind darf nicht an der Aufnahme der Ausbildung durch Untersuchungshaft gehindert sein6. Der Kläger kann sich hiergegen nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es seinem Sohn nicht angelastet werden könne, dass während der Untersuchungshaft keine Ausbildung möglich gewesen sei. Denn dessen Sohn konnte nicht berechtigterweise darauf vertrauen, während der Untersuchungshaft seine Berufsausbildung fortsetzen zu können.
Nach § 70 Abs. 2 EStG war die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung bei Änderung der für den Bezug von Kindergeld erheblichen Verhältnissen zwingend vorzunehmen. Im Streitfall liegt eine solche Änderung der Verhältnisse in dem Umstand, dass der Sohn des Klägers jedenfalls nach fristloser Kündigung des Ausbildungsverhältnisses sich ab 01.04.2008 nicht mehr in Berufsausbildung befand. Bei dieser gebundenen Entscheidung kommt es nicht auf ein etwaiges Verschulden der Familienkasse oder des Berechtigten an7.
Da auf Grund der rechtmäßigen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergelds weggefallen war, konnte und musste die Familienkasse gem. § 37 Abs. 2 AO das zuviel gezahlte Kindergeld zurückfordern.
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 30. März 2011 – 2 K 5243/09
- BFH, Urteil vom 15.07.2003 – VIII R 47/02, BStBl II 2003, 848[↩]
- BFH, Urteil vom 15.07.2003 – VIII R 42/02, a.a.O.[↩]
- so auch Abschnitt 63.03.02.7 Abs. 1, 3 DA-FamEStG[↩]
- BFH, Urteil vom 20.07.2006 – III R 69/04, a.a.O.[↩]
- so auch FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.07.2010 – 10 K 10288/08, a.a.O.; FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12.02.2008 – 4 K 435/06, EFG 2008, 1393[↩]
- BFH, Beschluss vom 20.12.2001 – VI B 123/99, BFH/NV 2002, 492[↩]
- allgemeine Meinung, z.B. Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und Körperschaftsteuergesetz, § 70 EStG, Anmerkung 13; Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, § 70 EStG, Randnummer 14[↩]