Ein Kind, das innerhalb eines bestehenden Arbeits- oder Dienstverhältnisses an von seinem Arbeitgeber oder Dienstherrn angebotenen, verwendungsbezogenen Lehrgängen teilnimmt, wird nur dann i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet, wenn die Erlangung beruflicher Qualifikationen, d.h. der Ausbildungscharakter, und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund des Arbeits- oder Dienstverhältnisses steht.

Dabei sind sowohl die durchgeführten Lehrgänge als auch die übrigen Teile des Arbeits- oder Dienstverhältnisses auf ihren Ausbildungscharakter hin zu würdigen. Ergibt die Gesamtwürdigung, dass der Erwerbscharakter des Arbeits- oder Dienstverhältnisses überwiegt, können die einzelnen Lehrgänge auch unter Berücksichtigung des Monatsprinzips des § 66 Abs. 2 EStG nicht isoliert betrachtet als Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG qualifiziert werden.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld u.a. für Kinder, die das 18. aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist unter Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungsordnung oder Studienordnung vorgeschrieben sind. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen1.
Voraussetzung für eine innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses stattfindende Ausbildung ist jedoch, dass die Erlangung beruflicher Qualifikationen, d.h. der Ausbildungscharakter, und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund steht2. Dabei sind -wie der Bundesfinanzhof im Urteil in BFHE 251, 31, BStBl II 2016, 281, Rz 12 ausgeführt hat- Arbeits- oder Dienstverhältnisse, die Ausbildungsmaßnahmen beinhalten, als Einheit zu betrachten und daraufhin zu untersuchen, ob der Ausbildungscharakter und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund steht.
Kriterien, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände für einen im Vordergrund stehenden Ausbildungscharakter sprechen können, sind etwa das
- Vorhandensein eines Ausbildungsplanes,
- die Unterweisung in Tätigkeiten, welche qualifizierte Kenntnisse und/oder Fertigkeiten erfordern,
- die Erlangung eines die angestrebte Berufstätigkeit ermöglichenden Abschlusses und
- ein gegenüber einem normalen Arbeitsverhältnis geringeres Entgelt3.
Der Ausbildungscharakter steht auch stets dann im Vordergrund, wenn die Voraussetzungen eines Ausbildungsdienstverhältnisses vorliegen.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Monatsprinzip des § 66 Abs. 2 EStG. Danach wird das Kindergeld monatlich vom Beginn des Monats gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Aufgrund dieses Prinzips ist ein Kindergeldanspruch für einen bestimmten Monat zwar auch dann gegeben, wenn der anspruchsauslösende Tatbestand, wie etwa eine Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, nur an einem Tag des betreffenden Monats erfüllt ist (z.B. die Ausbildung endete am ersten Tag oder begann am letzten Tag des betreffenden Monats). Ob die Voraussetzungen des anspruchsauslösenden Tatbestands vorliegen, bestimmt sich jedoch allein nach den Voraussetzungen der §§ 63, 64 EStG. Diese werden durch das Monatsprinzip nicht beeinflusst.
§ 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verlangen bei innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses stattfindenden Lehrgängen eine Gesamtwürdigung des Arbeits- oder Dienstverhältnisses (Überwiegen des Ausbildungs- oder des Erwerbscharakters). Es ist daher nicht möglich, einen einzelnen Lehrgang isoliert auf seinen Ausbildungscharakter zu untersuchen und nur für den betreffenden Monat, in dem der Lehrgang stattgefunden hat, die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu bejahen.
Das entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Denn bei diesen Entscheidungen wurde ebenfalls die Gesamttätigkeit und nicht nur einzelne Ausbildungsmaßnahmen auf das Vorliegen eines (im Vordergrund stehenden) Ausbildungscharakters gewürdigt4.
Nach Maßgabe dieser vorgenannten Rechtsgrundsätze befand sich das Kind im vorliegenden Fall im Streitzeitraum durch seine Verwendung bei der Bundeswehr nicht in einer Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.
Auch im Streitfall ist bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG das Dienstverhältnis in seiner Gesamtheit auf das Vorliegen eines überwiegenden Ausbildungscharakters würdigen; der Ausbildungscharakter darf nicht allein aus den besuchten Lehrgangsmodulen und der durchgeführten Abschlussprüfung abgeleitet werden. Die zur praktischen Tätigkeit getroffenen Feststellungen tragen nicht die Würdigung, dass die Tätigkeit im Nachschubbataillon in ihrer Gesamtheit eine Ausbildung darstellte.
Für die übrige, nicht von den Lehrgangsmodulen umfasste Zeit ist das Kind darüber hinaus einer praktischen Berufstätigkeit im Nachschubbataillon mit Aufgaben im logistischen Bereich nachgegangen, wobei diese Tätigkeit inen inhaltlichen Bezug zum angestrebten späteren Einsatz als Nachschubunteroffizierin aufwies. Diese praktische Tätigkeit basiert weder auf einem detaillierten Ausbildungsplan noch wies sie eine auf die theoretischen Module abgestimmte inhaltliche Verknüpfung auf. Damit stand die Verrichtung des Dienstes in der Kaserne und mithin der Erwerbscharakter im Vordergrund der Tätigkeit.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. Februar 2017 – III R 20/15
- z.B. BFH, Urteile vom 24.06.2004 – III R 3/03, BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294, zum freiwilligen sozialen Jahr; vom 02.04.2009 – III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, zur Vorbereitung auf eine bestandene Wiederholungsprüfung; vom 30.07.2009 – III R 77/06, BFH/NV 2010, 28, zum freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst; BFH, Urteil vom 10.05.2012 – VI R 72/11, BFHE 237, 499, BStBl II 2012, 895, zur Ausbildung eines Soldaten auf Zeit zum Kraftfahrer der Fahrerlaubnisklasse CE, jeweils m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile vom 09.06.1999 – VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706, unter 2.; in BFHE 237, 499, BStBl II 2012, 895, Rz 13; BFH, Urteile vom 22.12 2011 – III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, Rz 17 f.; vom 26.08.2010 – III R 88/08, BFH/NV 2011, 26, Rz 13; in BFH/NV 2010, 28, unter 4.; und vom 16.09.2015 – III R 6/15, BFHE 251, 31, BStBl II 2016, 281, Rz 12[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706, unter 2. und 3., und BFH, Urteil in BFHE 251, 31, BStBl II 2016, 281, Rz 12; s.a. Kapitel A 15.2 Satz 2 der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz, Stand 2016, BStBl I 2016, 827, zur Berücksichtigung eines Anlernverhältnisses als Ausbildung[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706, zu einer Volontärtätigkeit gegen geringe Entlohnung; vom 15.07.2003 – VIII R 19/02, BFHE 203, 417, BStBl II 2007, 247, zu einem Unteroffiziersanwärter mit Ausbildung zum Telekommunikationselektroniker; vom 09.06.1999 – VI R 16/99, BFHE 189, 113, BStBl II 1999, 713, zum Anwaltspraktikum eines Jurastudenten; vom 22.11.2012 – V R 60/10, BFH/NV 2013, 531, zu einem Berufspraktikum; ausdrücklich auch im BFH, Urteil in BFH/NV 2010, 28, unter 4., zur Ausbildung zum Unteroffizier[↩]