Kindergeldanspruch bis zum Abschluss eines dualen Studiums

Eltern können für ein Kind, das während eines dualen Studiums einen Abschluss in einer studienintegrierten praktischen Ausbildung erlangt, einen Kindergeldanspruch auch noch bis zum nachfolgenden Bachelorabschluss im gewählten Studiengang geltend machen. Da es sich insoweit um eine einheitliche Erstausbildung handelt, ist es für den Kindergeldanspruch unschädlich, dass das Kind nach Abschluss seiner Lehre neben dem Studium mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet hat.

Kindergeldanspruch bis zum Abschluss eines dualen Studiums

Setzt ein Kind im Rahmen eines dualen Studiums nach erfolgreichem Abschluss seines studienintegrierten Ausbildungsgangs sein parallel zur Ausbildung betriebenes Bachelorstudium fort, kann auch das Bachelorstudium als Teil einer einheitlichen Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der ab 2012 geltenden Fassung zu werten sein. Für die Frage, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Erstausbildung darstellen, kommt es darauf an, ob sie in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall nahm der Sohn der Klägerin nach dem Abitur ein duales Hochschulstudium zum Bachelor im Studiengang Steuerrecht auf. Parallel dazu absolvierte er eine studienintegrierte praktische Ausbildung zum Steuerfachangestellten, die er im Juni 2011 mit der Prüfung zum Steuerfachangestellten erfolgreich beendete. Sein Bachelorstudium schloss er knappe zwei Jahre später ab. Nach Beendigung der Ausbildung zum Steuerfachangestellten hatte der Sohn während des noch laufenden Studiums mehr als 20 Stunden pro Woche in einer Steuerberatungskanzlei gearbeitet. Die Familienkasse hob die zugunsten der Klägerin erfolgte Kindergeldfestsetzung ab dem Erreichen des Abschlusses zum Steuerfachangestellten auf. Sie ging dabei davon aus, dass die Erstausbildung des Sohnes mit dem erreichten Abschluss beendet sei. Eine grundsätzlich mögliche Weitergewährung bis zum Abschluss des Bachelorstudiums scheitere daran, dass der Sohn mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet habe.

Wie bereits zuvor das Finanzgericht folgte der Bundesfinanzhof der Auffassung der Familienkasse nicht. Der Bundesfinanzhof hatte sich hierbei mit der ab 2012 geltenden Neufassung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auseinanderzusetzen. Danach ist eine Kindergeldgewährung für ein in Ausbildung befindliches Kind zwar weiterhin möglich, solange das Kind nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat. Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, ob es sich dabei um eine Erst, Zweit- oder Drittausbildung handelt. Allerdings entfällt der Kindergeldanspruch, wenn das Kind nach seiner Erstausbildung neben einer weiteren Ausbildung regelmäßig mehr als 20 Stunden pro Woche arbeitet. Der Bundesfinanzhof entschied jedoch, dass im Streitfall auch das nach Abschluss des studienintegrierten Ausbildungsgangs zum Steuerfachangestellten fortgesetzte Bachelorstudium noch als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu werten ist. Er stellte insoweit darauf ab, dass die einzelnen Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang durchgeführt wurden und sich daher als integrative Teile einer einheitlichen Erstausbildung darstellten. Da die Erstausbildung im Streitfall mit der Erlangung des Abschlusses zum Steuerfachangestellten noch nicht beendet war, kam es nicht darauf an, dass der Sohn der Klägerin bis zur Erlangung des Bachelorabschlusses mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet hatte. Allerdings betonte der Bundesfinanzhof auch, dass dies nicht gilt, wenn sich das Kind in einem solchen Fall nicht ernsthaft und nachhaltig auf die Erlangung des Studienabschlusses vorbereitet. Eltern von nur „pro forma“ eingeschriebenen Scheinstudenten sollen von dieser Rechtsprechung nicht profitieren.

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Die durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 01.11.20111 bewirkte Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 2 ff. EStG berührt den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendeten Begriff der Berufsausbildung nicht2. Das von S durchgeführte Studium bildet daher einen Berücksichtigungstatbestand, unabhängig davon, ob es sich um eine Erst- oder Zweitausbildung handelte3. Anhaltspunkte dafür, dass der Sohn sich im Streitzeitraum nicht ernsthaft und nachhaltig auf sein Berufsziel vorbereitet hatte4, wurden vorliegend nicht festgestellt.

Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG kann eine Erwerbstätigkeit nicht nur dann schädlich sein, wenn das zu berücksichtigende Kind neben einer erstmaligen Berufsausbildung zusätzlich (kumulativ) ein Erststudium abgeschlossen hat.

Das erstinstanzliche Finanzgericht legte insoweit noch den im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 zugrunde, wonach ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt wird, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Das Finanzgericht hat den Begriff „und“ implizit so interpretiert, dass es sich hierbei um alternative und nicht um kumulative Voraussetzungen handelt. Anderenfalls hätte sich die vom Finanzgericht behandelte Abgrenzungsfrage, ob mit dem Abschluss der Ausbildung zum Steuerfachangestellten eine neben dem Studium ausgeübte Erwerbstätigkeit kindergeldschädlich ist, nicht gestellt.

Der Bundesfinanzhof hat indes die mittlerweile eingetretene Rechtsänderung zu berücksichtigen5 und bereits § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des Art. 2 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26.06.20136 anzuwenden. Danach wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Die Regelung trat rückwirkend zum 1.01.2012 in Kraft (Art. 31 Abs. 2 AmtshilfeRLUmsG).

Offen bleiben kann, ob die durch das AmtshilfeRLUmsG bewirkte Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eine unzulässige Rückwirkung im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts7 enthält. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, müsste der dann geltende § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 in dem Sinne ausgelegt werden.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in diesen Fällen allein über die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung, nicht über die verbindliche Auslegung des einfachen Rechts, das der Gesetzgeber rückwirkend ändern wollte. Hält das Bundesverfassungsgericht die Rückwirkung für verfassungswidrig, ist es weiterhin der Fachgerichtsbarkeit aufgegeben, den Inhalt der alten Rechtslage durch Auslegung zu klären. Dabei kann sich auch ergeben, dass die Norm gerade so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich festgestellt wissen wollte8.

Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs ist auch die ursprüngliche Formulierung („und“ statt „oder“) nicht als eine Aufzählung verschiedener Tatbestandsvoraussetzungen zu verstehen. Zwar sollte bei der sprachlichen Fassung von Gesetzestexten das Wort „und“ immer dann verwendet werden, wenn in einer Rechtsvorschrift verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen oder Rechtsfolgen kumulativ festgelegt werden sollen9. Die Gesetzeshistorie spricht jedoch dafür, dass dies im vorliegenden Fall nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Steuervereinfachungsgesetz 201110 verwendete noch den Ausdruck „oder“. Auch in der Gesetzesbegründung wurde ausgeführt, dass zukünftig eine Erwerbstätigkeit nur noch bis zum Abschluss der ersten Berufsausbildung oder eines Erststudiums eines Kindes außer Betracht bleiben soll11. Der Finanzausschuss des Bundestags empfahl hingegen, den Ausdruck „oder“ durch das Wort „und“ zu ersetzen12, um die Formulierung an § 12 Nr. 5 EStG anzupassen13. Dem folgte der Bundestag14. In der Folge wies der Finanzausschuss des Bundesrates darauf hin, dass der verwendeten Formulierung im Rahmen des § 12 Nr. 5 EStG eine andere Bedeutung zukomme als im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Er führte zudem aus, dass eine kumulative Voraussetzung (Berufsausbildung und Erststudium) weder gewollt noch sinnvoll sei und deshalb zum ursprünglichen Wortlaut zurückzukehren sei15. Dieser Anregung ist der Gesetzgeber zwar im weiteren Gesetzgebungsverfahren nach Durchführung des Vermittlungsverfahrens nicht gefolgt. Da jedoch nicht ersichtlich ist, dass mit dem Änderungsbegehren des Finanzausschusses des Bundestages eine über die bloße redaktionelle Anpassung an § 12 Nr. 5 EStG hinausgehende inhaltliche Änderung des Gesetzentwurfs bezweckt wurde, und sich ein derartiges Anliegen auch aus dem Vermittlungsverfahren16 nicht ergibt, geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass die Rückkehr zum ursprünglichen Wortlaut entweder nur wegen eines redaktionellen Versehens im Vermittlungsverfahren unterblieben ist oder der Begriff „und“ nur zur Kennzeichnung eines Fallbeispiels (Erststudium als Unterfall der Erstausbildung) Verwendung finden sollte. Entsprechend wäre auch die ursprüngliche Gesetzesfassung trotz der Verwendung des Wortes „und“ nicht im Sinne von kumulativen, sondern von alternativen Voraussetzungen zu lesen gewesen17.

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Ein Kind, das ein duales Studium durchführt, hat seine Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG noch nicht mit der erfolgreichen Absolvierung der studienintegrierten praktischen Ausbildung im Lehrberuf (hier zum Steuerfachangestellten) beendet. Vielmehr dauert die Erstausbildung bis zum Abschluss des parallel zum Studium durchgeführten Bachelorstudiums fort. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist dahin auszulegen, dass der Begriff des Erststudiums nur einen Unterfall des Oberbegriffes der erstmaligen Berufsausbildung darstellt.

Der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG lässt zwar sowohl die Interpretation zu, dass durch den Begriff der erstmaligen Berufsausbildung nur Ausbildungsgänge erfasst werden, die kein Studium an einer Hochschule beinhalten, als auch die Interpretation, dass die erstmalige Berufsausbildung den Oberbegriff bildet und das Erststudium nur einen Unterfall der erstmaligen Berufsausbildung darstellt. Der normale Sprachgebrauch spricht jedoch eher für die zweite Auslegungsvariante, da danach üblicherweise -wie im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG- auch ein Studium als Berufsausbildung anzusehen ist.

Diese Auslegung wird auch durch die Gesetzesmaterialien gestützt. So führte der Gesetzgeber aus, nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums bestehe die widerlegbare Vermutung, dass das Kind in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten, und dass diese Vermutung durch den Nachweis als widerlegt gelte, dass das Kind sich in „einer weiteren Berufsausbildung“ befinde und tatsächlich keiner weiteren (schädlichen) Erwerbstätigkeit nachgehe11. Insoweit verwendet der Gesetzgeber den Begriff der weiteren Berufsausbildung als Oberbegriff für ein weiteres Studium und eine weitere andere Art der Berufsausbildung. Entsprechendes gilt, soweit der Gesetzgeber ausführt, dass ein Studium dann ein erstmaliges Studium darstelle, wenn es sich um eine „Erstausbildung“ handele11.

Der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendete Berufsausbildungsbegriff ist enger auszulegen als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal „Kind, das … für einen Beruf ausgebildet wird“.

Der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gibt auf die Frage, ob der Begriff der Berufsausbildung -wie im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG- dahin auszulegen ist, dass darunter jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme zu fassen ist, oder ein engeres Verständnis erfordert, allenfalls insoweit eine Antwort, als der Begriff „erstmaligen“ darauf hindeutet, dass die Berufsausbildung auf einen Abschluss ausgerichtet sein muss.

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Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass der Gesetzgeber für den in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Begriff der Berufsausbildung einen eingeschränkteren Anwendungsbereich vorsehen wollte als für den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG geregelten Berücksichtigungstatbestand. Danach soll der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendete Begriff der Berufsausbildung enger gefasst sein und sicherstellen, dass nicht bereits jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme zum Verbrauch der Erstausbildung führt11. Voraussetzung soll danach zum einen sein, dass das Kind durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwirbt, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, weshalb insbesondere der Besuch einer allgemein bildendenden Schule keine erstmalige Berufsausbildung vermitteln soll. Zum anderen muss der Beruf nach der Gesetzesbegründung durch eine Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgangs erlernt werden und der Ausbildungsgang durch eine Prüfung abgeschlossen werden, weshalb beispielsweise ein bloßer Computerkurs nicht für eine Erstausbildung ausreichen soll11. Ziel dieser beiden Einschränkungen ist es, die berücksichtigungsschädliche Wirkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu begrenzen.

Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt.

Wortlaut und Gesetzesmaterialien lassen nicht erkennen, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll. So kann die Formulierung „Eine Berufsausbildung liegt demnach vor, wenn der Steuerpflichtige durch eine berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwirbt, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen“11 sowohl dahin interpretiert werden, dass das Kind befähigt sein müsse, irgendeinen Beruf aufzunehmen, als auch dahin, dass es befähigt sein müsse, einen von ihm angestrebten Beruf aufzunehmen.

Die systematische Stellung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Sinn und Zweck der Norm sprechen indes dafür, mehraktige Ausbildungsmaßnahmen dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann18.

Die Funktion des steuerlichen Familienleistungsausgleichs besteht primär darin, einen Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung eines Kindes steuerlich freizustellen (§ 31 Satz 1 EStG). Bei Kindern in Ausbildung dient der Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung der Abdeckung des allgemeinen Ausbildungsbedarfs19, zu dem nach der Rechtsprechung des BFH auch der Ausbildungsunterhalt i.S. von § 1610 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zählt20. Die steuerliche Berücksichtigung solcher Belastungen ist dabei nicht vollständig in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt. Denn die Eltern können sich ihnen nicht beliebig entziehen, sondern sind im Gegenteil schon nach dem Unterhaltsrecht des BGB weitgehend dazu verpflichtet, ihren Kindern zumindest „eine“ Berufsausbildung zu finanzieren21.

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Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Funktion des steuerlichen Familienleistungsausgleichs hat die Rechtsprechung bereits bei der Auslegung des Berufsausbildungsbegriffes des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG auch das durch die Eltern und das Kind definierte Berufsziel miteinbezogen. So ist in ständiger Rechtsprechung des BFH anerkannt, dass sich in Berufsausbildung befindet, wer „sein Berufsziel“ noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet22. Unter Berufsausbildung wird deshalb die Erlangung der für die Ausübung des „angestrebten“ Berufs geeigneten Grundlagen verstanden23. Der BFH erkennt damit zum einen an, dass den Eltern und dem Kind von Verfassungs wegen ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung zukommt24. Zum anderen verweist er hinsichtlich dieses Auslegungsergebnisses auf den Sinn und Zweck des seit dem 1.01.1996 geltenden steuerrechtlichen Kindergelds, wonach das Existenzminimum eines Kindes von der Besteuerung auszunehmen ist, weil durch den kindbedingten Aufwand die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern gemindert wird25.

Dieser systematische Zusammenhang spricht dafür, dass auch im Rahmen der durch § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erfolgten Abgrenzung -zwischen der steuerlich zu berücksichtigenden Unterhaltsverantwortung der Eltern für „eine“ Ausbildung des Kindes und der Verantwortung des Kindes für die eigene Unterhaltssicherung- bei mehraktigen Ausbildungen das von den Eltern und dem Kind bestimmte Berufsziel nicht außer Betracht gelassen werden darf. Ist daher aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist dabei darauf, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang26 zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

Nichts anderes ergibt sich aus der in § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG vorgesehenen Einschränkung der Vermutungsregel des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Danach ist eine nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ausgeübte Erwerbstätigkeit anspruchsunschädlich, wenn sie im Rahmen einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit mit bis zu 20 Stunden, einem Ausbildungsdienstverhältnis oder einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ausgeübt wird.

Hintergrund dieser Regelung ist die Überlegung, dass eine Erwerbstätigkeit dann schädlich sein soll, wenn sie Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nimmt11. Auch in der Literatur27 wird argumentiert, dass das Kind seiner Berufsausbildung nicht mehr ernsthaft und hinreichend nachgehen könne, wenn es regelmäßig in Vollzeit arbeite; ebenso sollten Fälle der „Pro-forma-Immatrikulation“ eines Vollzeitbeschäftigten aus dem steuerlichen Berücksichtigungstatbestand ausgeschlossen werden. Jedoch erfordert auch der insoweit zum Ausdruck kommende Aspekt der Missbrauchsverhinderung nicht, dass die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale der erstmaligen Berufsausbildung und des Erststudiums immer bereits dann als erfüllt angesehen werden müssen, wenn das Kind -unabhängig vom angestrebten Berufsziel- irgendeinen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hat. Denn die Vermeidung eines solchen Missbrauchs findet bei konsequenter Anwendung der BFH-Rechtsprechung bereits auf der vorgelagerten Ebene des Berufsausbildungsbegriffes des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG statt. Wie bereits ausgeführt wurde, befindet sich ein Kind nur dann in Berufsausbildung, wenn es sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, „sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet“22. Eine strenge Prüfung der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Ausbildungsbemühungen auf der Ebene des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG trägt zudem dazu bei, dass Missbrauch nicht nur im Falle des Abschlusses einer objektiv berufsqualifizierenden Erstausbildung, sondern in jedem von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfassten Fall verhindert werden kann. Im Übrigen geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Kinder, die im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung einen ersten Abschluss erlangt haben, häufig nur vorübergehend -insbesondere während weniger lernintensiver Zeiträume wie den Semesterferien- ihren Erwerbstätigkeitsumfang erhöhen und deshalb ihre gesamte Ausbildung gleichwohl in üblichem Zeitrahmen beenden werden können. Daher dürften in solchen Fällen bereits im Rahmen der Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG keine Missbrauchsanzeichen erkennbar werden.

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Für eine Beschränkung des Erstausbildungsbegriffes auf den ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss spricht schließlich auch nicht, dass bei Kindern, die nach einem solchen Abschluss einer den Umfang des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG überschreitenden Erwerbstätigkeit nachgehen, die Freistellung des Existenzminimums des Kindes im Rahmen der Besteuerung der Einkünfte des Kindes stattfindet. Denn selbst bei Annahme einer ganzjährigen Tätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 21 Stunden ergäben sich unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 7, 50 EUR oder 8, 50 EUR -wie er für typische Aushilfstätigkeiten von in Ausbildung befindlichen Kindern nicht unüblich ist- nach Berücksichtigung üblicher Abzugsbeträge (insbesondere für Werbungskosten) häufig unter dem Existenzminimum liegende Einkünfte des Kindes28. Dies hätte zur Folge, dass bei Anwendung der Verwaltungsauffassung eine effektive steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes sowohl auf der Ebene der Besteuerung der Eltern als auch auf der Ebene der Besteuerung des Kindes fehlschlagen könnte.

Schließlich sieht sich der Bundesfinanzhof bei der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Begriffe der erstmaligen beruflichen Ausbildung und des Erststudiums auch nicht an eine ggf. hiervon abweichende Auslegung dieser Begriffe im Rahmen des § 12 Nr. 5 EStG gebunden. Die beiden Regelungen unterscheiden sich bereits insoweit, als sie die steuerliche Anerkennung unterschiedlicher Gegenstände betreffen. Während es im Rahmen des Familienleistungsausgleichs primär um die steuerliche Berücksichtigung des Existenzminimums des in Ausbildung befindlichen Kindes einschließlich des Ausbildungsbedarfs geht, regelt § 12 Nr. 5 EStG die steuerliche Anerkennung von Aufwendungen für die Ausbildung. Entsprechend muss die Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG den Anforderungen des subjektiven Nettoprinzips genügen, während die Rechtsprechung bei der Anwendung des § 12 Nr. 5 EStG die folgerichtige Umsetzung des objektiven Nettoprinzips in den Blick nimmt29. Entsprechend hat der BFH auch in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits die Unabhängigkeit der beiden Regelungskomplexe betont30.

Überträgt man diese Rechtsgrundsätze auf den Streitfall, so ist die Erstausbildung des Sohnes mit der bestandenen Prüfung zum Steuerfachangestellten noch nicht beendet.

Die Ausbildung zum Steuerfachangestellten bildete einen integrativen Bestandteil einer von Sohn angestrebten mehraktigen Ausbildung, die auch den im Rahmen des Hochschulstudiums zu erlangenden weitergehenden Abschluss zum Bachelor im Studiengang Steuerrecht mitumfasste. Dass die beiden Abschlüsse in einem engen sachlichen Zusammenhang standen, ergibt sich dabei bereits daraus, dass sie sich inhaltlich schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich, den Themenbereich Steuerrecht, bezogen und damit -wenn auch ggf. auf unterschiedlichen Qualifikationsstufen- auf dasselbe Berufsfeld vorbereiteten. Die Ausbildungsgänge standen auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang. Sie wurden zunächst parallel zueinander verfolgt. Nach Beendigung der Ausbildung zum Steuerfachangestellten wurde die Ausbildung zum Bachelor ohne beachtliche Unterbrechung fortgeführt und beendet. Da somit auch der weitergehende Bachelorabschluss noch als Teil der Erstausbildung des Sohnes zu qualifizieren ist, ist nicht darauf abzustellen, ob der Sohn im Streitzeitraum einer schädlichen Erwerbstätigkeit i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG nachgegangen ist.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. Juli 2014 – III R 52/13

  1. BGBl I 2011, 2131, BStBl I 2011, 986[]
  2. s. hierzu auch die Gesetzesbegründung in BR-Drs. 54/11, S. 56, wonach eine Einschränkung dieses Berufsausbildungsbegriffs nicht erfolgen sollte[]
  3. BFH, Urteil vom 27.01.2011 – III R 57/10, BFH/NV 2011, 1316[]
  4. s. zu dieser Anforderung z.B. BFH, Urteile vom 26.10.2012 – VI R 102/10, BFH/NV 2013, 366; vom 22.11.2012 – V R 60/10, BFH/NV 2013, 531; BFH, Urteil vom 22.12 2011 – III R 67/10, BFH/NV 2012, 930[]
  5. s. hierzu Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 118 FGO Rz 78, m.w.N.[]
  6. BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 802, Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz -AmtshilfeRLUmsG-[]
  7. BVerfG, Beschluss vom 17.12 2013 – 1 BvL 5/08, BGBl I 2014, 255[]
  8. s. im Einzelnen BVerfG, Beschluss in BGBl I 2014, 255[]
  9. s. Rz 90 des Handbuchs der Rechtsförmlichkeiten, Bundesanzeiger Nr. 160a vom 22.10.2008[]
  10. BR-Drs. 54/11, S. 6[]
  11. BR-Drs. 54/11, S. 55 f.[][][][][][][]
  12. BT-Drs. 17/6105, S. 12[]
  13. BT-Drs. 17/6146, S. 14[]
  14. BR-Drs. 360/11, S. 5[]
  15. BR-Drs. 360/1/11, S. 5[]
  16. BT-Drs. 17/7025, BR-Drs. 568/11[]
  17. ebenso Bering/Friedenberger NWB 2012, 278, 282, die die Formulierung im Sinne von „sowohl … als auch“ interpretieren; Felix, NJW 2012, 22, 24 f., wonach eine andere Auslegung ihrerseits verfassungsrechtliche Probleme aufwürfe[]
  18. in diesem Sinne auch Seiler in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 32 Rz 17[]
  19. Jachmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32 Rz A 91[]
  20. Urteil vom 17.12 2009 – VI R 63/08, BFHE 227, 487, BStBl II 2010, 341[]
  21. s. hierzu BFH, Urteil in BFHE 227, 487, BStBl II 2010, 341[]
  22. z.B. BFH, Urteile in BFH/NV 2013, 366, und in BFH/NV 2013, 531; BFH, Urteil in BFH/NV 2012, 930[][]
  23. z.B. BFH, Urteile vom 16.04.2002 – VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, Ausbildung eines Soldaten auf Zeit zum Offizier; vom 26.08.2010 – III R 88/08, BFH/NV 2011, 26, betr. Traineetätigkeit[]
  24. BFH, Urteil vom 09.06.1999 – VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701[]
  25. BFH, Urteil in BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701, unter Verweis auf den BVerfG, Beschluss vom 29.05.1990 – 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653[]
  26. z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich[]
  27. Bering/Friedenberger NWB 2012, 278, 281[]
  28. s. hierzu auch Felix, NJW 2012, 22, 27, zum Fall einer studentischen Hilfskraft[]
  29. z.B. BFH, Urteil in BFHE 227, 487, BStBl II 2010, 341[]
  30. BFH, Urteil vom 27.05.2003 – VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884[]