Kindergeldanspruch eines polnischen Arbeitnehmers

Einem polnischer Staatsangehöriger, der zusammen mit seiner Ehefrau und den beiden Töchtern in Polen wohnt und von seinem polnischen Arbeitgeber in Deutschland im Rahmen einer Entsendung aus Polen tätig wird, steht für seine Kinder nach einem aktuellen Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf kein deutsches Kindergeld zu. Er hat vielmehr aufgrund der Regelungen der VO (EWG) 1408/71 nur nach polnischem Recht und nicht nach deutschem Recht Anspruch auf Kindergeld für seine Kinder.

Kindergeldanspruch eines polnischen Arbeitnehmers

Die VO (EWG) 1408/71 ist nach Ansicht des FG Düsseldorf auf diesen Fall anwendbar. Beim Kläger handelt es sich um einen Arbeitnehmer i. S. von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, der den polnischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterliegt, weil er dort sozialversichert ist. Er ging auch während des Streitzeitraums in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich Deutschland, einer nicht selbständigen Tätigkeit nach. Damit handelt es sich aus Sicht der VO (EWG) 1408/71 um einen innerhalb der Gemeinschaft zugewanderten Arbeitnehmer. Ein sog. reiner Inlandssachverhalt, d. h. ein Sachverhalt ohne jegliches grenzüberschreitendes Merkmal1, ist folglich nicht gegeben.

Das FG geht weiter davon aus, dass mit der Regelung in Anhang I Teil I E (bzw. im Streitzeitraum: Anhang I Teil I D) keine Einschränkung des allgemeinen persönlichen Anwendungsbereichs der VO (EWG) 1408/71 verbunden ist, sondern lediglich eine Einschränkung ihres persönlichen Anwendungsbereichs hinsichtlich der Familienleistungen. Zwar „verdrängt“ die Definition in Anhang I Teil I E die Definition in Art. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, jedoch nicht mit Wirkung für die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften (vgl. die Überschrift des Titels II), sondern nur für die Bestimmung des Personenkreises, der Anspruch auf Familienleistungen hat2. Auch nach dem Einleitungssatz des Anhangs I Teil I E gilt die Definition ausdrücklich nur „für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung“. Die Regelung in Anhang I Teil I E soll folglich nicht über die Anwendbarkeit eines gesamten Sozialversicherungssystems eines Mitgliedstaats, d. h. über den gesamten sachlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 i. S. ihres Art. 4 entscheiden, sondern nur über den persönlichen Anwendungsbereich hinsichtlich der Leistungsart „Familienleistung“ i. S. von Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71. Damit ist die Frage, welche Rechtsvorschriften nach den Art. 13 ff. VO (EWG) 1408/71 anzuwenden sind, d. h. in die Zuständigkeit welches Mitgliedstaats der Sachverhalt fällt, vorrangig zu prüfen.

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Er unterliegt desweiteren gemäß Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 den Rechtsvorschriften Polens über soziale Sicherheit und damit nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71 auch den polnischen Vorschriften über Familienleistungen, zu denen das Kindergeld bzw. eine vergleichbare ausländische Leistung gehört3.

Nach Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, der eine von Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 abweichende Regelung trifft, unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitzeitraum vor.

Der Kläger ist im Streitzeitraum von seinem polnischen Arbeitgeber „C“ für deren Rechnung zur Arbeitsleistung nach Deutschland entsandt worden. Dass es sich im vorliegenden Fall um eine Entsendung des Klägers von Polen nach Deutschland handelte, folgt aus der Bescheinigung der „C“ vom 26.10.2007 und dem eigenen Vorbringen des Klägers im Klageverfahren (Schriftsatz vom 2.8.2008), in denen übereinstimmend von einer Entsendung des Klägers die Rede ist. In der mündlichen Verhandlung vom 17.02.2009 hat der Prozessbevollmächtigte die Entsendung des Klägers von Polen nach Deutschland bestätigt.

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Es bestand auch keine arbeitsrechtliche Bindung des Klägers an inländische Auftraggeber der „C“ . Es ist nämlich weder eine Übertragung des der „C“ zustehenden Direktionsrechts feststellbar noch hat der inländische Auftraggeber durch Zahlung des Arbeitslohns und Einbehaltung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen Arbeitgeberpflichten erfüllt. Gegen eine arbeitsrechtliche Bindung des Klägers an den Auftraggeber der „C“ sprechen auch deren Bescheinigung vom 26.10.2007, wonach der Kläger während des Streitzeitraums aufgrund einer in Polen bestehenden Sozialversicherungspflicht im Inland nicht sozialversicherungspflichtig war, und die von der „C“ praktizierte Lohnauszahlung, bei der keine Sozialversicherungsbeiträge einbehalten wurden. Die Dauer der vom Kläger erbrachten Arbeitsleistung überschritt nicht den Zeitraum von zwölf Monaten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass er eine andere Person abgelöst hat, deren Entsendungszeit abgelaufen war. Damit unterlag der Kläger nach Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 den Rechtsvorschriften Polens.

Das Gericht geht davon aus, dass die Regelungen der VO (EWG) 1408/71 abschließend sind, d. h. dass deutsches Kindergeldrecht auch nicht subsidiär anwendbar ist, wenn nach der VO (EWG) 1408/71 das Recht eines anderen Mitgliedstaats anwendbar ist.

Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO (EWG) 1408/71 unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Die Bestimmungen des Titels II der VO (EWG) 1408/71 bezwecken nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die Betroffenen dem System der sozialen Sicherheit nur eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, so dass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden4. Davon ist auch das Bundesverfassungsgericht im5 ausgegangen.

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Der EuGH hat zwar im Bosmann-Urteil6 entschieden, dass dem Wohnsitzstaat, auch wenn der Kindergeldprätendent nach der VO (EWG) 1408/71 nicht dessen Rechtsvorschriften unterliegt, „nicht die Befugnis abgesprochen werden kann, den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienbeihilfen zu gewähren“. Der Wohnsitzstaat solle durch die VO (EWG) 1408/71 nicht daran gehindert werden, dieser Person nach seinem Recht Familienbeihilfen zu gewähren. Ob nach deutschem Recht für diesen Fall ein Anspruch besteht, hatte der EuGH nicht zu entscheiden. Diese Prüfung ist nach seiner Ansicht Sache der nationalen Gerichte.

Den §§ 62 ff. EStG ist nicht zu entnehmen, dass deutsches Kindergeldrecht auch dann anwendbar ist, wenn nach dem Wortlaut der VO (EWG) 1408/71 die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats Anwendung finden. Ein Anwendungsbefehl zugunsten des nationalen Rechts wäre aber zu erwarten, weil die VO (EWG) 1408/71 als überstaatliches Recht den nationalen Rechtsvorschriften vorgeht und deren Anwendungsbereich begrenzt. Dass der Gesetzgeber von einem Anwendungsvorrang des überstaatlichen Rechts ausgeht, zeigt § 1 Abs. 7 des Bundeserziehungsgeldgesetzes i. d. F. des Gesetzes vom 12. Oktober 2000. Durch diese Vorschrift wurde die Anspruchsberechtigung von Ehegatten von EU-Bürgern mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland hinsichtlich des Erziehungsgeldes für den Fall neu geregelt, dass nur der EU-Bürger in Deutschland erwerbstätig ist, nicht aber sein im Wohnsitzstaat lebender Ehegatte. Der Gesetzgeber wollte damit als Reaktion auf das EuGH-Urteil vom 10. Oktober 19967 das nationale Recht der Regelung der VO (EWG) 1408/71 anpassen8. Dieses bestimmt aus seiner Sicht darüber, ob und in welchem Umfang nationales Recht in Zu- und Abwanderungsfällen anwendbar ist.

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Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 17. Februar 2009 – 10 K 1398/08 Kg

  1. Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach D, I. Kommentierung Europarecht, Art. 73 Rz. 5[]
  2. vgl. EuGH, Urteil vom 5. März 1998 in der Rechtssache C-194/96, Kulzer, Slg. I 1998, 895[]
  3. BFH, Urteile vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BFH/NV 2002, 1581; VIII R 61/00, BFH/NV 2002, 1584, und VIII R 97/01, BFH/NV 2002, 1588[]
  4. EuGH, Urteil vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache C-60/85, Luijten, Slg. 1986, 2365[]
  5. BVerfGE 110, 412[]
  6. EuGH, Urteil vom 20. Mai 2008 – C-352/06 (Bosmann), HFR 2008, 877[]
  7. EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1996 – C-245/94 und C-312/94 (Hoever und Zachow), Slg. I 1996, 4895[]
  8. BT-Drucks. 14/3118, 10[]