Die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 3 EStG ist auch bei Krankheitskosten verfassungsgemäß. Das sozialhilferechtliche Leistungsniveau umfasst keine zuzahlungsfreie Krankenversorgung1.

Auf den Ansatz einer zumutbaren Belastung kann nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes auch bei Krankheitskosten nicht verzichtet werden. Denn das Gesetz differenziert in § 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG bei Ansatz und Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Krankheitskosten und anderen als außergewöhnliche Belastungen abziehbaren Aufwendungen2.
Die so ermittelte zumutbare Belastung ist nach ständiger Rechtsprechung verfassungsgemäß3. Daran hält der Bundesfinanzhof auch in Ansehung des Vortrags der Kläger und der an dieser Rechtsprechung teilweise geäußerten Kritik4 nach nochmaliger Überprüfung weiterhin fest. Dies gilt insbesondere für die Berücksichtigung der zumutbaren Belastung bei Krankheitskosten.
Nach dem Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt5. Dem Grundgedanken der Subsidiarität der staatlichen Fürsorge entspricht es, dass sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums zumindest nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Solange der Empfänger entsprechender Sozialleistungen aus den allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert wird, ist auch der entsprechende Aufwand im Einkommensteuerrecht steuerfrei zu stellen6. Zu diesem einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimum gehören grundsätzlich auch Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und Pflegeversorgung7. Für die Bemessung des freizustellenden existenznotwendigen Aufwands der Höhe nach ist auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen7. Da auch Empfänger von Sozialleistungen Zuzahlungen aus den ihnen zur Verfügung gestellten Sozialleistungen bis zur Belastungsgrenze selbst zu erbringen haben, gehören Zuzahlungen i.S. des § 61 SGB V nicht zum einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum8.
Hiergegen kann insbesondere nicht eingewandt werden, dass das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum für alle Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz in voller Höhe von der Einkommensteuer freizustellen ist. Dies gilt nämlich nur für Aufwendungen, die tatsächlich von Verfassungs wegen auch dem einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum zuzuordnen sind, weil die Aufwendungen dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau entsprechen. Das sozialhilferechtliche Versorgungsniveau umfasst aber gerade keine zuzahlungsfreie Krankenversorgung8. Aus diesem Grund bildet die sozialrechtliche Belastungsgrenze (§ 62 SGB V) auch von Verfassungs wegen keine betragsmäßige Grenze für den Ansatz der zumutbaren Belastung. Diese ist vielmehr nach den in § 33 Abs. 3 EStG geregelten steuerlichen Grundsätzen zu ermitteln, die ihrerseits -nach ständiger Rechtsprechung- verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.
Eine Zuzahlung mag allenfalls dann nicht mehr zumutbar sein, falls dadurch in das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum eingegriffen werden sollte9. Solange allerdings der tatsächliche Umfang der von dem Steuerpflichtigen erbrachten Aufwendungen für die Zuzahlungen -wie im Streitfall- der Höhe nach nicht geeignet ist, dieses Existenzminimum zu tangieren, hält der Bundesfinanzhof eine Einschränkung der zumutbaren Belastung von Verfassungs wegen nicht für geboten.
So auch in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall: Nachdem die Krankenkasse im Jahr 2013 die zuvor nur teilweise übernommenen Behandlungskosten der E in der K-Klinik aus dem Streitjahr vollständig erstattet hatte, betreffen die verbleibenden; vom Finanzamt als außergewöhnliche Belastungen anerkannten Krankheitskosten von der Krankenkasse nicht erstattete Aufwendungen für ärztliche Behandlungen auf (private) Rechnung, Zuzahlungen zu einer Kur und zu einem Krankenhausaufenthalt, Praxisgebühren, Aufwendungen für „präventive Krankengymnastik“ und für verschiedene durch Privatrezept verordnete Medikamente, Zuzahlungen zu Medikamenten und Rezepten sowie Fahrtkosten zu Kliniken und Krankenfahrten mit dem Taxi.
Diese Aufwendungen gehören nicht zum sozialhilferechtlich gewährleisteten Leistungsniveau. Ein Sozialhilfeempfänger hätte die Aufwendungen für die ärztliche Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung auf (private) Rechnung, für „präventive Krankengymnastik“, für die durch Privatrezept verordneten Medikamente und den … nicht aus allgemeinen Haushaltsmitteln (erstattet) erhalten. Hinsichtlich der Fahrtkosten zu den Kliniken und der Aufwendungen für die Krankenfahrten mit dem Taxi kann der Bundesfinanzhof offen lassen, ob entsprechende Fahrtkosten einem Sozialhilfeempfänger aus Haushaltsmitteln erstattet worden wären. Die Kläger haben für die Fahrtkosten von der Krankenversicherung jedenfalls keine Leistungen (Erstattungen) erhalten. Dies mag darauf beruhen, dass entsprechende Versicherungsleistungen nicht geltend gemacht wurden oder von der Krankenversicherung nicht zu erbringen waren. Weder in der einen noch in der anderen Konstellation ist es von Verfassungs wegen geboten; vom Ansatz der zumutbaren Belastung abzusehen. Gleiches gilt in Bezug auf die Zuzahlungen zu der Kur, zu dem Krankenhausaufenthalt, zu den Medikamenten und Rezepten sowie für die Praxisgebühren. Denn solche Zahlungen hätte auch ein Sozialhilfeempfänger dem Grunde nach aus seinen Sozialleistungen aufbringen müssen.
Die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gebieten es ebenfalls nicht, im Streitfall keine zumutbare Belastung anzusetzen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21. Februar 2018 – VI R 11/16
- Bestätigung des BFH, Urteils vom 02.09.2015 – VI R 32/13, BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 166, 159, BStBl II 1992, 179; vom 24.06.2004 – III R 141/95, BFH/NV 2004, 1635, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG, Beschluss vom 02.10.2009 2 BvR 1849/04; in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG, Beschluss vom 23.11.2016 2 BvR 180/16; in BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684, und in BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949; BFH, Beschlüsse vom 29.09.2016 – III R 62/13, BFHE 255, 252, BStBl II 2017, 259; vom 10.01.2003 – III B 26/02, BFH/NV 2003, 616; BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 1 BvR 672/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 152[↩]
- z.B. Karrenbrock/Petrak, DStR 2016, 47[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151, und in BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949; BFH, Beschluss in BFHE 255, 252, BStBl II 2017, 259[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 13.02.2008 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, unter D.II. 4.b[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151[↩][↩]
- BFH, Beschluss in BFHE 255, 252, BStBl II 2017, 259[↩][↩]
- BSG, Urteil vom 22.04.2008 – B 1 KR 10/07 R, BSGE 100, 221, Rz 16[↩]