§ 20 Abs. 6 Satz 1 EStG steht der Verrechnung von Altverlusten i.S. des § 23 EStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (EStG a.F.) mit positiven Kapitaleinkünften i.S. des § 20 Abs. 2 EStG bei der (Antrags-)Veranlagung gemäß § 32d Abs. 4 EStG nicht entgegen, da die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 EStG zwar zeitlich vorrangig, aber nicht endgültig ist1.

Zwar spricht der Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG für die Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf2, dass nur die nach der Verrechnung i.S. des § 43a Abs. 3 EStG „verbleibenden“ Einkünfte aus Kapitalvermögen mit Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. verrechnet werden können. Wie der Bundesfinanzhof jedoch bereits in seinem Urteil vom 29.08.20173 entschieden hat, ist die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 EStG vorrangig, aber nicht endgültig. Denn es muss gewährleistet sein, dass die in § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG angeordnete vorrangige und zeitlich befristete Verrechnung der Altverluste nicht durch das Steuerabzugsverfahren der Kapitalertragsteuer unterlaufen wird.
Danach sind im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall aufgrund des Antrags der Anleger auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG die Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG a.F. im Veranlagungsverfahren vorrangig mit den von den Anlegern im jeweiligen Streitjahr erzielten positiven Einkünften i.S. des § 20 Abs. 2 EStG zu verrechnen.
Den Anlegern wird dadurch ermöglicht, die Altverluste, die gemäß § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG lediglich bis zum Veranlagungszeitraum 2013 vorgetragen werden können, vorrangig vor anderen Verlusten aus Kapitalvermögen steuerlich geltend zu machen. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG macht somit eine Ausnahme vom Grundsatz, dass zunächst die positiven und negativen Ergebnisse innerhalb der einzelnen Einkunftsart miteinander zu verrechnen sind (horizontaler Verlustausgleich), bevor verbleibende positive und negative Ergebnisse verschiedener Einkünfte ausgeglichen werden (vertikaler Verlustausgleich)4 und ggf. ein Verlustrück- oder Verlustvortrag gemäß § 10d EStG abgezogen wird.
Bei der Verlustverrechnung ist § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zu beachten. Danach dürfen Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden, wenn eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt. Diese Regelung dient der Vermeidung eines doppelten Verlustabzugs5. Eine solche Gefahr ist nur dann nicht gegeben, wenn ausgeschlossen werden kann, dass ein nicht ausgeglichener Verlust i.S. des § 20 Abs. 2 EStG von der auszahlenden Stelle gemäß § 43a Abs. 3 Satz 3 EStG auf das nächste Kalenderjahr übertragen wird. Dies können die Anleger durch geeignete Unterlagen, insbesondere durch Erträgnisaufstellungen der Depotbank, nachweisen6.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. Dezember 2019 – VIII R 8/16
- Anschluss an BFH, Urteil vom 29.08.2017 – VIII R 23/15, BFHE 259, 336, BStBl II 2019, 54, Rz 11 ff.[↩]
- FG Düsseldorf, Urteil vom 06.05.2015 – 7 K 3885/14 E[↩]
- BFH, Urteil vom 29.08.2017 – VIII R 23/15, BFHE 259, 336, BStBl II 2019, 54[↩]
- vgl. Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, § 2 EStG Rz 572, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 20.10.2016 – VIII R 55/13, BFHE 256, 56, BStBl II 2017, 264[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 259, 336, BStBl II 2019, 54, Rz 20[↩]
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