§ 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S. von § 42 Abs. 1 Satz 2 AO; damit ist die Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO für den Fall der Veräußerung nach unentgeltlicher Übertragung grundsätzlich ausgeschlossen.

Hat der Steuerpflichtige die Veräußerung eines Grundstücks angebahnt, liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht vor, wenn er das Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder überträgt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern; der Veräußerungsgewinn ist dann bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen zu erfassen.
Die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks an einen Dritten, der das Grundstück sodann innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG veräußert, unterfällt dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG und stellt daher ungeachtet der zeitlichen Nähe zwischen Übertragung und Weiterveräußerung grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO dar.
Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand der Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Anderenfalls entsteht nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs i.S. des § 42 Abs. 2 AO so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
Unterfällt ein Sachverhalt einer Regelung i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO, bestimmen sich die Rechtsfolgen allein nach dieser Vorschrift. Daneben kommt die Annahme eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nach § 42 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 AO und die daran anknüpfende Rechtsfolge in § 42 Abs. 1 Satz 3 AO grundsätzlich nicht in Betracht1.
Bei § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG handelt es sich um eine Regelung, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient und damit um eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO.
Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist für den Fall des unentgeltlichen Erwerbs dem Einzelrechtsnachfolger für die Zwecke des § 23 EStG die Anschaffung oder die Überführung des Wirtschaftsguts in das Privatvermögen durch den Rechtsvorgänger zuzurechnen. Die Vorschrift regelt die Entstehung des Veräußerungsgewinns bei vorangegangenem unentgeltlichen Erwerb. Vom Rechtsvorgänger verwirklichte Besteuerungsmerkmale werden dem unentgeltlichen Rechtsnachfolger aufgrund Gesetzes persönlich zugerechnet2. Dies bewirkt, dass das private Veräußerungsgeschäft bei demjenigen besteuert wird, der die Veräußerung vorgenommen und den Veräußerungserlös tatsächlich erhalten hat.
§ 23 Abs. 1 Satz 3 EStG dient nach seinem Sinn und Zweck der Verhinderung von Missbräuchen. Mit der Vorschrift soll verhindert werden, dass ein nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG steuerverstricktes Wirtschaftsgut durch unentgeltliche Übertragung mangels Veräußerung aus der Steuerverhaftung ausscheidet und beim Rechtsnachfolger mangels Anschaffung nicht steuerverstrickt wird bzw. im Fall der Entnahme mangels Anschaffung nicht in die Steuerverhaftung eintritt. Denn § 23 Abs. 1 EStG setzt sowohl die Anschaffung als auch die Veräußerung des betroffenen Wirtschaftsguts voraus. Anschaffung ist indes (nur) der entgeltliche Erwerb eines Wirtschaftsguts, Veräußerung die entgeltliche Übertragung des zuvor angeschafften Wirtschaftsguts auf einen Dritten3. Durch die unentgeltliche Übertragung auf einen Dritten könnte ohne die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG die Besteuerung als privates Veräußerungsgeschäft umgangen werden.
Auch aus der Gesetzgebungsgeschichte ergibt sich, dass es sich um eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift handelt.
Nach früherer Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs war der unentgeltliche Erwerb keine Anschaffung i.S. des § 23 EStG. Folglich war die spätere Veräußerung kein Spekulationsgeschäft im Sinne der Vorschrift. Die Rechtsprechung hatte jedoch in Fällen, in denen ein Grundstück nach der Anschaffung unentgeltlich im Wege der Schenkung auf einen Dritten übertragen wird und dieser das Grundstück innerhalb der Spekulationsfrist veräußert, die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs für möglich erachtet4. Diese Rechtsprechung ist mit der Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG hinfällig geworden5.
Mit § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG hat der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die die von der früheren Rechtsprechung des BFH als rechtsmissbräuchliche Gestaltung erfassten Sachverhalte regelt. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei der Vorschrift um eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift. Der Gesetzgeber hat zu erkennen gegeben, dass durch die unentgeltliche Übertragung die Besteuerung als privates Veräußerungsgeschäft nicht umgangen werden soll, indem vor einer Veräußerung das betroffene Wirtschaftsgut z.B. auf eine nahestehende Person übertragen wird, die dann den Veräußerungsvorgang verwirklicht6. Daher wird in der Gesetzesbegründung auch ausdrücklich auf die Vermeidung möglicher Missbrauchsfälle und die mit der Anwendung des § 42 AO verbundenen Schwierigkeiten hingewiesen. Diese Schwierigkeiten sollen mit der Einfügung der Vorschrift vermieden werden, indem im Fall der Schenkung stets auf die Anschaffung durch den Rechtsvorgänger abgestellt wird7.
Im Streitfall ist auch der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt. Die Mutter und ihre Kinder haben mit der unentgeltlichen Übertragung des Grundstücks und der anschließenden Veräußerung genau die Voraussetzungen erfüllt, die mittels Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG zur Entstehung jeweils eines hälftigen Veräußerungsgewinns bei den Kindern führen.
Der Bundesfinanzhof kann dahinstehen lassen, ob außergewöhnliche Umstände im Zuge der Vertragsanbahnung oder unübliche Elemente der Vertragsgestaltung im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung eines Grundstücks auf nahestehende Personen und eine damit im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommene, von vornherein geplante Grundstücksveräußerung im Einzelfall dazu führen können, dass der Veräußerungsvorgang -unabhängig von der Erfassung dieses Sachverhalts unter § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG- ausnahmsweise mit Blick auf § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO -oder ggf. nach Maßgabe anderer Rechtsvorschriften und -grundsätze- nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden kann. Denn derartige Sachverhaltsumstände hat das Finanzgericht nicht festgestellt; insbesondere liegt im Streitfall -entgegen der Auffassung des in der Vorinstanz tätigen Finanzgerichts Nürnberg8- kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts vor.
Gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 AO liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nach Absatz 2 Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse erheblich sind.
Den Feststellungen des Finanzgerichts Nürnberg lässt sich nicht entnehmen, dass die vertraglichen Regelungen zur Schenkung des Grundstücks an die Kinder sowie die Veräußerung des Grundstücks an Z unangemessene Vereinbarungen enthielten. Die Kinder konnten nach den Feststellungen des Finanzgerichts Nürnberg über das geschenkte Grundstück nach der Übertragung frei verfügen. Sie waren insbesondere nicht vertraglich gebunden, an die Erwerber zu veräußern, mit denen ausschließlich die Mutter zuvor Verkaufsverhandlungen geführt hatte. Die Kinder waren auch nicht verpflichtet, den Veräußerungserlös an die Mutter abzuführen. Zudem ist in der Folge der Übertragung an die Kinder das Entstehen eines steuerbaren Veräußerungsgewinns nicht vermieden und ein gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil nicht erzielt worden. Vielmehr ist der Veräußerungsgewinn nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bei den Kindern entstanden und auch dort zu erfassen.
Auch der Umstand, dass der Veräußerungsgewinn bei den Kindern niedriger besteuert wird als bei der Mutter, führt nicht zur Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Einem Steuerpflichtigen ist es nicht verwehrt, die rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine geringere steuerliche Belastung ergibt. Das Bestreben, Steuern zu sparen, macht für sich allein eine Gestaltung noch nicht unangemessen9. Vorliegend ergibt sich ein „Steuervorteil“ allein daraus, dass die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks von Gesetzes wegen akzeptiert wird mit der Folge, dass ein Veräußerungsgewinn nicht vom Schenker, sondern vom Beschenkten nach dessen persönlichen Verhältnissen versteuert werden muss.
Im vorliegen Verfahren hat daher weder die Mutter den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts verwirklicht noch ist ihr die von den Kindern verwirklichte Veräußerung persönlich zurechenbar. Vielmehr haben die Kinder den Veräußerungsgewinn erzielt, sodass er auch bei diesen jeweils hälftig steuerlich zu erfassen ist.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. April 2021 – IX R 8/20
- so auch Anwendungserlass zur Abgabenordnung -AEAO- zu § 42 Nr. 1; Drüen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz 10 ff.; ders. in Der AO-Steuer-Berater 2009, 209; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 42 AO Rz 25, 292; Klein/Ratschow, AO, 15. Aufl., § 42 Rz 90; Stöber in Gosch, AO § 42 Rz 53, 56; Hey, DStR, Beihefter zu Heft 3/2014, S. 8, 9; Mosler/Münzner/Schulze, DStR 2021, 193, 196[↩]
- vgl. KKB/Bäuml, § 23 EStG, 6. Aufl., Rz 292; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 40. Aufl., § 23 Rz 40; Blümich/Ratschow, § 23 EStG Rz 112; BeckOK EStG/Trossen, 9. Ed. [01.01.2021], EStG § 23 Rn. 231; Wernsmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff -KSM-, EStG, § 23 Rz B 84[↩]
- vgl. Kube in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 23 Rz 11, 14; Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, § 23 EStG Rz 86, 91; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 23 Rz 31, 50; Blümich/Ratschow, § 23 EStG Rz 90, 120; BeckOK EStG/Trossen, a.a.O., EStG § 23 Rz 208, 248; KKB/Bäuml, § 23 EStG, a.a.O., Rn 221, 246; Günther, Finanz-Rundschau 2020, 895, 901 f.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 12.07.1988 – IX R 149/83, BFHE 154, 93, BStBl II 1988, 942, unter II. 3.a, und BFH, Urteil vom 04.10.1990 – X R 153/88, BFH/NV 1991, 239[↩]
- so Kube in Kirchhof/Seer, a.a.O., § 23 Rz 13; Carlé in Korn, § 23 EStG Rz 63; Risthaus, Der Betrieb 1999, 1032, 1035; Wendt, Der Ertrag-Steuer-Berater -EStB- 1999, 57, 60[↩]
- vgl. BeckOK EStG/Trossen, a.a.O., EStG § 23 Rz 232; Wernsmann in KSM, EStG, § 23 Rz B 83[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/23, S. 180; Wendt, EStB 1999, 57, 60[↩]
- FG Nürnberg, Urteil vom 21.03.2019 – 6 K 551/17[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss des Großen Bundesfinanzhofs des BFH vom 29.11.1982 – GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272, unter C.III.; BFH, Urteile vom 17.12.2003 – IX R 56/03, BFHE 205, 70, BStBl II 2004, 648, unter II. 1.a; und vom 07.12.2010 – IX R 40/09, BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427, Rz 10; s.a. AEAO zu § 42 Nr. 2.2 Satz 2[↩]