Religionszugehörigkeit per Meldeschein

Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft kann nur dann im staatlichen Recht anerkannt werden, wenn sie vom Willen des Betroffenen getragen ist. Die Angabe zur Religionszugehörigkeit im Anmeldeschein kann jedoch nur dann als Beleg für die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft herangezogen werden, wenn diese Religionsgemeinschaft eindeutig bezeichnet ist. Dies entschied jetzt das Bundesverwaltungsgericht in dem Rechtsstreit zwischen der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt und aus Frankreich zugezogenen Klägern, die bei ihrer Anmeldung beim Meldeamt der Stadt in dem Formularfeld zur Religionszugehörigkeit „mosaisch“ eingetragen hatte.

Religionszugehörigkeit per Meldeschein

Knüpft die staatliche Rechtsordnung – wie hier etwa § 16 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Lande Hessen – Kirchensteuergesetz – an die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft Rechtsfolgen, so richtet sich die Frage der Mitgliedschaft nach dem innerkirchlichen (religionsgemeinschaftlichen) Recht. Das gebietet das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV; deren eigene Angelegenheiten erstrecken sich auch auf das Mitgliedschaftsrecht1. Im Interesse der Religionsgemeinschaft soll damit zum einen verhindert werden, dass ihr jemand aufgedrängt wird, den sie selbst nicht als ihr zugehörig erachtet; zum anderen soll sich kein Mitglied den aus der Mitgliedschaft folgenden Pflichten entziehen können. Das Selbstbestimmungsrecht findet allerdings seine Grenzen in den allgemeinen Gesetzen, so dass insoweit die religionsgemeinschaftlichen Regelungen nicht vorbehaltlos angewendet werden können. Vielmehr fordern die grundrechtlichen Gewährleistungen der negativen Bekenntnisfreiheit und der negativen Vereinigungsfreiheit im religiösen Bereich sowie das objektive Prinzip der staatlichen Neutralität die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft; eine Vereinnahmung ohne oder gegen den Willen des Betroffenen kann durch das staatliche Recht nicht anerkannt werden2.

Nach den Feststellungen des in der Berufungsintanz mit dem aktuellen Rechtsstreit befassten Hessischen Verwaltungsgerichtshofs3 ist die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft durch die satzungsrechtlichen Bestimmungen der beklagten Jüdischen Gemeinde in Frankfurt nicht gewahrt. Mit der „Zugehörigkeit zur jüdischen Religion“ nimmt die Satzung nach den in Übereinstimmung mit den Einlassungen der beklagten Gemeinde getroffenen Feststellungen – entsprechend der jüdischen Tradition – auf die Abstammung von einer jüdischen Mutter Bezug4; eine – willensgetragene – Konversion steht hier nicht in Rede.

Dieses Verständnis der Satzung ist mit Bundesrecht vereinbar. Es steht mit den genannten verfassungsrechtlichen Maßstäben in Einklang. Das Selbstbestimmungsrecht der Beklagten wird nur im erforderlichen Maß beschränkt; denn die Anforderungen an die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft werden nicht verkannt.

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Die Begründung der Mitgliedschaft durch Abstammung findet in der Zurechnung des Elternwillens bei der Kindstaufe5 keine Parallele6. Der Hinweis, dass die Zuordnung zum Judentum voraussetze, dass die Mutter sich – willentlich – gerade nicht vom Judentum gelöst habe, führt nicht weiter. Denn das bloße Unterlassen einer auf die eigene Person bezogenen Abkehr vom Glauben ist mit der ausdrücklich für den Täufling als einem Dritten abgegebenen Taufbitte nicht gleichzusetzen.

Die Satzungsregelung, wonach die Mitgliedschaft durch eine Erklärung binnen drei Monaten ausgeschlagen werden kann, macht diese ebenso wenig zu einer vom Willen des Betroffenen getragenen. Zwar ist das „votum negativum“ nicht als eine besondere Art des Austritts einzuordnen, der an einer gegebenenfalls zuvor begründeten (Zwangs-)Mitgliedschaft für die Vergangenheit nichts zu ändern vermag und deshalb den Anforderungen an die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft nicht genügt7. Vielmehr ist die Mitgliedschaft auflösend bedingt. Aber auch ungeachtet des Umstands, dass einem Schweigen nur ein Erklärungswert zugemessen werden könnte, wenn der Betreffende sich des möglichen Erklärungsgehalts bewusst ist, fehlt es jedenfalls im vorliegenden Fall an der unabdingbaren positiven Erklärung. Denn die Satzungsbestimmung knüpft die Drei-Monats-Frist nicht an die Bekanntgabe gegenüber dem Zuziehenden an.

Entspricht die religionsgemeinschaftliche Regelung über die Begründung der Mitgliedschaft den Anforderungen an die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft nicht, so kann sie als solche die Inanspruchnahme des Betroffenen als eines Angehörigen der Religionsgemeinschaft mit Wirkung für das staatliche Recht nicht rechtfertigen. Daraus folgt aber nicht, dass das an die insoweit unzulängliche Norm anknüpfende staatliche Recht von vornherein nicht angewendet werden kann.

Der insbesondere grundrechtlich begründete Vorbehalt für die Beachtlichkeit des religionsgemeinschaftlichen Rechts ist – jedenfalls auch – eine Ausprägung des grundrechtlichen Schutzpflichtgedankens. Es geht hier zwar nicht um die unmittelbare Einwirkung der Religionsgemeinschaft als eines außerhalb der staatlichen Organisation stehenden Dritten auf grundrechtliche Schutzgüter, der die staatlichen Organe entgegentreten8. Aber auch dann, wenn der Staat die Belange der Religionsgemeinschaft mittels hoheitlicher Befugnisse stärkt, ist er in gleicher Weise gehalten, entgegenstehenden Rechtspositionen Rechnung zu tragen. Seinen Schutzpflichten kann der Staat dabei durch den Erlass genereller Regelungen nachkommen. Zur Wahrung der negativen Religionsfreiheit hat er das etwa durch den Erlass von Gesetzen über den Kirchenaustritt getan9.

Die Handlungsmöglichkeiten beschränken sich aber nicht auf die abstrakt-generelle Ebene durch die Ausgestaltung der gesetzlichen Bestimmungen bzw. deren Nichtanwendung, falls sie in ihrer allgemeinen Fassung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen. Vielmehr kann der Schutz je nach der spezifischen Art der abzuwehrenden Grundrechtsverletzung auch im Rahmen einer einzelfallbezogenen Betrachtungsweise gewährt werden. Denn alle staatlichen Organe sind – in den ihnen von der Rechtsordnung und insbesondere vom Gesetzesvorbehalt gesetzten Grenzen – gehalten, den grundgesetzlich geforderten Schutz zu gewährleisten. Ein solches einzelfallbezogenes Vorgehen ist hier geboten. Denn das Vorliegen eines Eingriffs in die negative Bekenntnisfreiheit richtet sich danach, ob der Betroffene in dem für die Rechtmäßigkeit der nach staatlichem Recht zu beurteilenden Maßnahme entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf freiwilliger Basis Mitglied der Religionsgemeinschaft war.

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Das vermag die Mitgliedschaftsregelung der beklagten Jüdischen Gemeinde aber bereits deswegen nicht abschließend zu beantworten, weil sie neben der Wohnsitzbegründung nur die Abstammung in den Blick nimmt, nachfolgende Ereignisse demgegenüber aber ausblendet. Allein die Orientierung an der normativen Ausgestaltung der religionsgemeinschaftlichen Mitgliedschaftsregelung geht jedoch über den Schutzzweck hinaus und verfehlt demnach die Zielrichtung der staatlichen Schutzpflicht, wenn ungeachtet der Norm im konkreten Einzelfall eine freiwillige Mitgliedschaft bejaht werden kann10. Vor diesem Hintergrund ist die Prüfung geboten, ob eine Willensbekundung festgestellt werden kann, die den Schluss auf eine solche vom Willen des Betroffenen getragenen Zuordnung erlaubt11.

Diese Willensbekundung muss sich auf die Mitgliedschaft in der konkreten rechtlich verfassten Religionsgemeinschaft beziehen. Allein die Zuordnung zu einem bestimmten religiösen Bekenntnis im Sinne von Glaubenslehren und Glaubensinhalten als solches kann es demgegenüber nicht ankommen. Das Bekenntnis bestimmt zwar die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft12; der Übergang vom vor- bzw. außerrechtlichen Bekenntnis zur rechtlich relevanten Eingliederung in die Religionsgemeinschaft muss aber wegen des Rechts auf negative Vereinigungsfreiheit im religiösen Bereich vom Willen getragen sein. Diese grundsätzliche Unterscheidung schließt aber nicht aus, dass nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes Verhalten zugleich mit dem Bekenntnis auf die Mitgliedschaft in der durch dieses geprägten Religionsgemeinschaft gerichtet ist.

Den Charakter einer Beitrittserklärung muss die Willensbekundung nicht haben13. Zum einen drängte dies den Religionsgemeinschaften, die sich gerade nicht vereinsrechtlich organisiert haben, eine ihrem Selbstverständnis unangemessene Rechtsform auf. Zum anderen läge einem solchen Erfordernis die verfehlte Vorstellung zugrunde, dass die Willensbekundung die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft erst begründet. Um zwei getrennte Mitgliedschaften – eine im kirchenrechtlichen und eine im staatskirchenrechtlichen Sinn – geht es aber nicht, sondern nur darum, ob die einheitliche, nach Maßgabe des religionsgemeinschaftlichen Rechts begründete Mitgliedschaft anerkannt werden kann14. Die erforderliche Willensbekundung kann sich demnach aus den verschiedensten Äußerungen und Handlungen ergeben, sofern diese nur dem Erfordernis nach eindeutigen und nachprüfbaren Tatbeständen als Grundlage der Rechts- und Pflichtenstellung des Betroffenen genügt15.

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Das angefochtene Urteil erweist sich nicht wegen der Angabe der Kläger gegenüber der Meldebehörde im Ergebnis als richtig. Auch bei der Klägerin bildet dies den einzigen möglichen Ansatzpunkt für eine willensgetragene Mitgliedschaft in der Beklagten. Denn eine frühere Mitgliedschaft ist jedenfalls mit ihrem ehebedingten Umzug nach Frankreich beendet worden (§ 3 Buchst. a der Satzung der Beklagten). Eine Willensbekundung, der Beklagten anzugehören, kann aus der Angabe im Anmeldeschein nicht entnommen werden.

Auf der Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 11 MRRG, § 3 Abs. 1 Nr. 11 des Hessischen Meldegesetzes – HMG – wird bei der Anmeldung einer neuen Wohnung nach der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft gefragt. Die geforderte Angabe hat demnach vor diesem rechtlichen Hintergrund den für die Willensbekundung gebotenen Bezugspunkt. Ob sie entsprechend ihrer gesetzlichen Zielrichtung verwertbar ist, hängt indessen wesentlich davon ab, ob die vom Gesetz beabsichtigte Fragestellung dem Betroffenen gegenüber hinreichend verdeutlicht wird und wie angesichts dessen die Antwort ausfällt.

So ist für den Verständnishorizont des Zuziehenden und nachfolgend den Erklärungswert seiner Angabe von Bedeutung, ob im Anmeldeformular – sowie gegebenenfalls in weiteren Erläuterungen und Ausfüllhinweisen – nach der „Religion“, nach der „Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft“ oder nach der „öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft“ gefragt wird und ob alle oder jedenfalls die zahlenmäßig bedeutsamen korporierten – und insbesondere kirchensteuerberechtigten – Religionsgemeinschaften aufgeführt werden und der Zuziehende bei seinen Angaben eine diesen jeweils eindeutig zuzuordnende Bezeichnung verwendet.

Hiernach lässt sich allein dem Eintrag der Kläger im Anmeldeschein der Wille, der Beklagten zuzugehören, nicht entnehmen.

Die Kläger haben im Anmeldeschein in der Rubrik „Religion“ „mosaisch“ angegeben. Daraus lässt sich nicht mit der rechtlich gebotenen Eindeutigkeit und Klarheit entnehmen, dass die Kläger gerade der Beklagten angehören wollen. Dabei kann dahinstehen, ob die Kläger in zusätzlichen Erläuterungen darauf hingewiesen worden sind, dass ungeachtet der Verwendung des weiten Begriffs „Religion“ nicht eine allgemeine Auskunft zu Glaubensüberzeugungen verlangt war, sondern die am neuen Wohnort gegebene Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen – und folglich kirchensteuerberechtigten – Religionsgemeinschaft erklärt werden sollte16. Denn jedenfalls fehlt der Angabe „mosaisch“ der eindeutige Bezug auf die beklagte Jüdische Gemeinde. Die Kläger haben sich damit nicht der in der hessischen Verwaltungspraxis üblichen Kürzel bedient, mit denen die in Hessen als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten jüdischen Gemeinden bezeichnet werden und zweifelsfrei zu identifizieren sind17. Nach ihrer Auffassung wird die Beklagte von der von ihr verwendeten Bezeichnung schon deshalb nicht erfasst, weil der Begriff „mosaisch“ jedenfalls im Französischen eine bestimmte, nämlich die liberale, Richtung des Judentums umschreibe, der die beklagte Jüdische Gemeinde nicht zuzurechnen sei. Ob diese begriffliche Unterscheidung zutrifft, bedarf keiner Klärung. Denn auch wenn „mosaisch“ als Synonym für „jüdisch“ zu verstehen sein sollte, lässt der Hinweis auf eine „mosaische“ Religionszugehörigkeit angesichts der allgemeinkundigen und dem Bundesverwaltungsgericht aus anderen Verfahren bekannten18 Tendenz zur Pluralisierung und Rekonfessionalisierung des Judentums19 die Zuordnung zur konkreten jüdischen Gemeinde nicht zu. Der jüdische Glaube kann in verschiedenen Strömungen und in unterschiedlichen Organisationen gelebt werden; bei deren Auswahl ist der Gläubige frei. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass die Beklagte sich nach ihrem Selbstverständnis als sogenannte Einheitsgemeinde begreift und alle Strömungen des Judentums unter einem Dach vereinigen will. Denn der Gläubige muss sich diesem Alleinvertretungsanspruch angesichts der ihm zukommenden negativen Bekenntnisfreiheit nicht unterordnen.

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Eine vom Willen getragene Mitgliedschaft kann sich im Falle des Umzugs aus der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft am bisherigen Wohnort ergeben. Die Voraussetzungen für eine solche Fortsetzung der Mitgliedschaft liegen hier aber nicht vor. Hat sich der Betroffene bereits vor seinem Zuzug an seinem bisherigen Wohnort einer Religionsgemeinschaft angeschlossen, so kann sich nach einem Umzug die Mitgliedschaft nur dann in der nunmehr örtlich zuständigen Gemeinschaft fortsetzen, wenn auch diese Mitgliedschaft auf einer freiwilligen Grundlage beruhte.

Dieser Grundsatz der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in einer rechtlich verfassten Religionsgemeinschaft wird bei korporierten Religionsgemeinschaften durch das Parochialrecht nicht überlagert. Nach dem Parochialrecht, das als ungeschriebene Befugnis nach dem Herkommen mit dem Körperschaftsstatus verbunden ist20, kann eine Religionsgemeinschaft bestimmen, dass alle Angehörigen des jeweiligen Bekenntnisses ipso iure als Mitglieder der örtlich zuständigen Gemeinde in Anspruch genommen werden. Das Parochialrecht als Ausdruck des überkommenen religionsrechtlichen Territorialprinzips ist zwar als öffentlich-rechtliche Befugnis ausgestaltet. Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, in welchem Umfang und insbesondere gegenüber welchen Personen hoheitliche Befugnisse verliehen werden21. Beim Parochialrecht betrifft dies angesichts der negativen Bekenntnisfreiheit allein die Mitglieder der korporierten Religionsgemeinschaft22, die sich so in Ausübung ihrer Organisationsgewalt in bestimmter Weise örtlich strukturiert und rechtlich selbstständige Untergliederungen bildet23. Unmittelbar hat das Parochialrecht demnach (nur dann) seine Bedeutung, wenn die als öffentlich-rechtliche Körperschaft konstituierte Religionsgemeinschaft, der der Betroffene kraft einer Willensentscheidung angehört, in rechtlich selbstständige Einheiten untergliedert ist. Dies ist etwa der Fall bei den Diözesen der römisch-katholischen Kirche und den einzelnen Pfarrgemeinden oder den evangelischen Landeskirchen und den einzelnen Kirchengemeinden.

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Soweit es dagegen um die (Neu-)Begründung der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft geht, zu der der Betroffene bislang nach Maßgabe des staatlichen Rechts in keiner mitgliedschaftlichen Beziehung stand, ist ein auf dem Parochialrecht basierendes Organisationsprinzip zwar nicht völlig unbeachtlich. Es ist aber nicht als Hoheitsrecht der Religionsgemeinschaft des Zuzugsortes von Bedeutung, sondern kann nur mittelbar – nämlich als Teil der am früheren Wohnort auf freiwilliger Basis eingegangenen Rechtspflichten – herangezogen werden. Hat der Betroffene willentlich die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft begründet, die nach ihrem Selbstverständnis und religionsgemeinschaftlichen Recht Teil eines umfassenderen Verbands ist, der nach den Grundsätzen des Parochialrechts gegliedert ist, so nimmt er auch den automatischen Wechsel der Mitgliedschaft bereits vorweg in seinen Willen auf. Dies gilt etwa für die römisch-katholische Kirche, die sich als einheitliche Weltkirche unter päpstlicher Oberhoheit begreift24, sowie für die unter dem Dach der EKD zusammengeschlossenen evangelischen Landeskirchen (§ 8 des Kirchengesetzes über die Kirchenmitgliedschaft). Auch ohne eine solche Einordnung in einen höherstufigen Verband kann sich eine Rechtspflicht zur Eingliederung in eine andere Religionsgemeinschaft aus Vereinbarungen der Religionsgemeinschaften ergeben, die auf der Ebene der Gleichordnung abgeschlossen werden; denn auch diese bestimmen den Rechtsstatus des betroffenen Mitglieds. Fehlen solche vertraglichen Vereinbarungen, ist entsprechendes Gewohnheitsrecht nicht ausgeschlossen.

Hiernach sind die Voraussetzungen für eine allein an die Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde in Frankreich anknüpfende Mitgliedschaft der Kläger in der beklagten Jüdischen Gemeinde in Frankfurt nicht gegeben. Die Jüdische Gemeinde hat erklärt, dass entsprechende „Übernahmevereinbarungen“ zwischen ihr und anderen jüdischen Gemeinden nicht geschlossen worden seien. Sie hat betont, dass es einen Automatismus im Übergang der Mitgliedschaft nach dem Selbstverständnis der jüdischen Gemeinden nicht gebe und nicht geben könne; denn die Gemeinden seien jeweils eigenständig.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. September 2010 – 7 C 22.09

  1. vgl. etwa Kästner, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 140 Rn. 299, 310 f., m.w.N.[]
  2. vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.03.1971 – 1 BvR 744/67, BVerfGE 30, 415, 423; Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvR 413, 416/60, BVerfGE 19, 206, 216; BFH, Urteil vom 03.08.2005 – IR 85/03, BFHE 210, 573, 574[]
  3. Hess. VGH, Urteil vom 19.05.2009 – 10 A 2079/07[]
  4. vgl. hierzu auch BFH, Urteil vom 06.10.1993 – IR 28/93, BFHE 172, 570, 572[]
  5. BVerfG, Beschluss vom 31.03.1971 – 1 BvR 744/67, BVerfGE 30, 415, 424[]
  6. so aber etwa Kapischke, ZevKR 50, 112, 113 f.[]
  7. a.A. noch BVerwG, Urteil vom 09.07.1965 – 7 C 16.62, BVerwGE 21, 330, 333 f.[]
  8. vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1, 16[]
  9. vgl. Mückl, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 4 Rn. 134; Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, 2004, S. 113[]
  10. vgl. auch Magen, a.a.O. S. 114[]
  11. so im Ergebnis auch BFH, Urteil vom 24.03.1999 -IR 124/97, BFHE 188, 245, 249[]
  12. vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.03.1971 – 1 BvR 744/67, BVerfGE 30, 415, 423[]
  13. so auch BFH, Urteile vom 06.10.1993 – IR 28/93, BFHE 172, 570, 573; und vom 28.01.2004 – IR 63/02, KirchE 45, 76, 78[]
  14. vgl. etwa Muckel, JZ 2009, 174, 177 f.[]
  15. siehe BVerfG, Beschluss vom 31.03.1971 – 1 BvR 744/67, 30, 415, 426[]
  16. siehe etwa die derzeit geltenden Ausfüllhinweise, Erlass des Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport vom 21. Februar 2006, abgedruckt bei Lüttmann, Melderecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Teil II: Hessen, E 1[]
  17. IS: Jüdische Gemeinde Frankfurt a.M.; IL: Kultussteuerberechtigte jüdische Gemeinden im Landesverband Hessen; vgl. Lüttmann, a.a.O., F 4[]
  18. vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2002 – 7 C 7.01, BVerwGE 116, 86, 90[]
  19. vgl. Weber, LKV 2006, 9, 10[]
  20. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.1997 – 7 C 11.96, BVerwGE 105, 117, 119[]
  21. vgl. auch BVerfG, Urteil vom 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370, 388[]
  22. vgl. Magen, a.a.O., S. 94; BVerfG, Urteil vom 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370, 371[]
  23. vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 08.01.2009 – 7 B 42.08, Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 77[]
  24. siehe etwa v. Campenhausen, HdbStKirchR, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, § 26, S. 773 f.[]
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