Rentenanpassung und Einkommensteuerpflicht

Regelmäßige Rentenanpassungen in der gesetzlichen Sozialversicherung sind zu 100% einkommensteuerpflichtig;

Rentenanpassung und Einkommensteuerpflicht

Im hier vom Finanzgericht Baden-Württemberg zu entscheidenden Fall klagte eine Rentnerin, das Finanzamt habe nicht beachtet, dass es sich bei ihr um ein einheitliches Rentenstammrecht handele, das grundsätzlich auf der Basis 2005 zu versteuern sei, weil die Rente vor 2005 begonnen habe. Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) führten regelmäßige Anpassungen des Jahresbetrages der Rente nicht zu einer Neuberechnung und blieben bei der Neuberechnung außer Betracht.

Das Finanzgericht ist gegenteiliger Auffassung und hält die Klage für unbegründet. Das Finanzamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 4 EStG den steuerfreien Teil der Rente als Unterschiedsbetrag definiert. Von dem her kommt es auf die Frage, ob sich die Formulierung „dieser“ in Satz 5 auf den „Unterschiedsbetrag zwischen …“ oder den „steuerfreien Teil der Rente“ bezieht, nicht an; denn diese bedeuten das Gleiche.

Der Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente ist der steuerfreie Teil der Rente. Dieser gilt ab dem Jahr, das dem Jahr des Rentenbeginns folgt, für die gesamte Laufzeit des Rentenbezugs. Abweichend hiervon ist der steuerfreie Teil der Rente bei einer Veränderung des Jahresbetrags der Rente in dem Verhältnis anzupassen, in dem der veränderte Jahresbetrag der Rente zum Jahresbetrag der Rente steht, der der Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente zugrunde liegt. Regelmäßige Anpassungen des Jahresbetrags der Rente führen nicht zu einer Neuberechnung und bleiben bei einer Neuberechnung außer Betracht. …

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Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs1 ist § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG wie folgt auszulegen: Satz 4 und 5 EStG sehen nach Auffassung des Bundesfinanzhofs vor, dass der steuerfreie Teil der Rente in einem lebenslang geltenden, grundsätzlich gleichbleibenden Freibetrag festgeschrieben wird. Regelmäßige Rentenanpassungen führen nicht zu einer Erhöhung des steuerfreien Teils der Rente (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 7 EStG)2, so dass spätere reguläre Rentenerhöhungen uneingeschränkt der Besteuerung unterworfen werden. Hintergrund dieser Festschreibung ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofs die vom Gesetzgeber gesehene und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Notwendigkeit, der ansonsten in der Übergangsphase eintretenden erneuten Vergrößerung der Besteuerungsunterschiede zwischen Sozialversicherungsrenten und Beamtenpensionen entgegenzuwirken3, weil die Erhöhung von Beamtenpensionen zu 100% steuerpflichtig ist. Für Sozialversicherungsrenten soll nach Auffassung des Gesetzgebers insoweit nichts anderes gelten.

Diese Auslegung entspricht der Auffassung sowohl der Finanzverwaltung4 als auch der Literatur5.

Das Finanzgericht Baden-Württemberg schließt sich dieser Auffassung ebenfalls an. Soweit der Klägervertreter dagegen einwendet, es sei sprachlich unklar, ob sich die Formulierung „dieser“ in Satz 5 auf den „Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente“ oder auf den „steuerfreien Teil der Rente“ bezieht, kommt es darauf nicht an; denn beide Formulierungen werden vom Gesetz mit der Formulierung „ist“ gleichgesetzt. Oder anders gesagt: Der „steuerfreie Teil der Rente“ wird als „Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente“ legal definiert. Der vom Klägervertreter gesehene Unterschied besteht deshalb nicht: Der Unterschiedsbetrag ist der steuerfreie Teil der Rente (und umgekehrt). Weiter ergibt sich aus Satz 4 auch, dass der steuerfreie Teil der Rente ein „Unterschiedsbetrag“ und kein Prozentsatz ist.

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Als Gleichung dargestellt bedeutet Satz 4:
Jahresbetrag der Rente – Der Besteuerung unterliegender Teil der Rente = Steuerfreier Teil der Rente

Dies zeigt nochmals: Ob sich die Formulierung „dieser“ in Satz 5 auf den linken oder rechten Teil der „Gleichung“ des Satzes 4 bezieht, ist insoweit irrelevant.

Im Übrigen übersieht der Klägervertreter Folgendes: Bei der Auslegung einer Norm nach ihrem Wortlaut ist zu berücksichtigen, dass diese nur eine von mehreren anerkannten Auslegungsmethoden ist. Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist indes der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers6. Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte als historische Auslegung7. Hinzu kommt die verfassungskonforme Auslegung, wenn offensichtlich mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen, die zu unterschiedlich starken Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen führen8. Zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf das Gericht sich dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen9.

Hier sprechen sowohl die historisch-teleologische Auslegung aufgrund der Erwägungen und Ziele des Gesetzgebers, die in den oben zitierten Gesetzesmaterialien niedergelegt sind und im Gesetzeswortlaut Niederschlag gefunden haben, als auch die verfassungskonforme Auslegung (steuerrechtliche Gleichbehandlung der Erhöhung von Sozialversicherungsrenten und Versorgungsbezügen) für die vom Bundesfinanzhof10 vertretene Auslegung.

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Soweit der Klägervertreter wegen dieser Auslegung ein strukturelles Vollzugsdefizit befürchtet, die die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen könnte11, sieht das Gericht diese Gefahr hier wegen § 22a EStG nicht. Die Rentenbeträge des Jahres 2005 sind bei den Rentenversicherungsträgern vorhanden und werden auch in den Fällen gemeldet, in denen z.B. (zunächst) keine Veranlagung erfolgt.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt sich, dass die Berechnung des steuerfreien Teils der Rente durch das Finanzamt frei von Rechtsfehlern ist.

Da die Klägerin im Jahr 2007 20.569 EUR Rente von der RV bezogen hat, wovon weiterhin nur 10.257 EUR steuerfrei sind, ist das Finanzamt weiter zu Recht von einem steuerpflichtigen Teil der Rente im Streitjahr von 10.312 EUR ausgegangen und hat diesen zutreffend besteuert.

Das Gericht kann dabei offen lassen, ob eine reine Wortlautauslegung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 und 5 EStG es an sich sogar zuließe, die Zahlen des Jahres 1994 (als Jahr des Rentenbeginns i.S. des Satzes 3) oder 1995 (als Jahr, das dem Rentenbeginn folgt, i.S. des Satzes 5) als Ausgangsbasis der Berechnung zugrunde zu legen. Dann wäre der steuerfreie Teil der Rente sogar noch geringer.

Allerdings darf nach Auffassung des Bundesfinanzhofs10 nicht auf den tatsächlichen Beginn des Renteneintritts abgestellt werden, sondern es muss –als Ergebnis einer teleologischen Reduktion– der erste ganzjährige Rentenbezug unter dem neuen Regime des Alterseinkünftegesetzes zu Grunde gelegt werden, so dass die Rentenbezüge des Jahres 2005 den maßgeblichen Jahresbetrag bilden. Dies hat das Finanzamt bei seiner Berechnung ebenfalls zutreffend beachtet.

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Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Juli 2011 – 3 K 5640/08

  1. BFH, Urteil vom 26.11.2008 X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.3.b[]
  2. BFH,in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710[]
  3. BTDrucks 15/2150, S. 41[]
  4. z.B. BMF-Schreiben vom 13.09.2010, BStBl I 2010, 681, Tz. 156, 169 f.[]
  5. z.B. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 22 Rz. 103; Fischer in Kirchhof, EStG, § 22 Rz. 40; Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 22 Rz. 286, 289; Blümich/ Stuhrmann, EStG, § 22 Rz. 126; Lindberg in Frotscher, EStG, § 22 EStG Rz. 152[]
  6. vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 09.11.1988 – 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106[]
  7. BFH-Urteil vom 21.10.2010 IV R 23/08, BFHE 231, 544, BStBl II 2011, 277[]
  8. z.B. BVerfG-Beschluss vom 22.09.2009 2 BvL 3/02, BVerfGE 124, 251, BFH/NV 2009, 2119, unter B.2.[]
  9. z.B. BFH-Urteil vom 01.12.1998 VII R 21/97, BFHE 187, 177, unter II.2.a der Gründe m.w.N.[]
  10. BFH in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710[][]
  11. vgl. BVerfG-Urteile vom 09.03.2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56; vom 27.06.1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654[]