Rückforderung von Altersvorsorgezulage vom Zulageempfänger

Auch nach der Einfügung des Abs. 3a in § 90 EStG ist weiterhin davon auszugehen, dass die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen rechtsgrundlos geleistete Zulagebeträge nach Beendigung und Abwicklung des Altersvorsorgevertrags unmittelbar vom Zulageempfänger gemäß § 37 Abs. 2 AO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG zurückfordern kann.

Rückforderung von Altersvorsorgezulage vom Zulageempfänger

Die ZfA ist nach wie vor berechtigt, von der Zulagenempfängerin die gewährten Zulagen entsprechend § 37 Abs. 2 AO (i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG) zurückzufordern, soweit dieser Rückforderungsanspruch nicht durch eine die Altersvorsorgezulage betreffende Sondervorschrift (§§ 93 bis 95 EStG) ausgeschlossen worden ist. Auch § 90 Abs. 3, 3a EStG hindern die Anwendung des § 37 Abs. 2 AO nicht.

Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG sind auf die Zulagen und die Rückzahlungsbeträge die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden. Dies betrifft, da die Abgabenordnung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AO auch für Steuervergütungen gilt, sämtliche Vorschriften der Abgabenordnung, soweit keine Sonderregelungen vorgehen. Folglich ist im Fall der Rückforderung von Zulagen auch § 37 Abs. 2 AO anwendbar, soweit die §§ 93 bis 95 EStG keine spezielleren Regelungen enthalten1.

Zu Recht geht dabei das Finanzgericht Berlin-Brandenburg2 im vorliegenden Fall davon aus, dass eine Anwendung der §§ 93 bis 95 EStG nicht in Betracht kommt, da der Altersvorsorgevertrag im Wege einer Einmalzahlung an die Zulagenempfängerin zur Abfindung einer Kleinbetragsrente nach § 93 Abs. 3 Satz 1 EStG aufgelöst worden ist. Eine solche Einmalzahlung ist ausdrücklich nicht als schädliche Verwendung im Sinne der genannten Regelungen anzusehen.

Weder § 90 Abs. 3 EStG noch die seit dem Kalenderjahr 2018 geltende Regelung des § 90 Abs. 3a EStG greifen ein. Sie stellen auch keine abschließenden Sonderregelungen zur Rückforderung von zu Unrecht nach Beendigung des Altersvorsorgevertrags gezahlten Zulagen dar.

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Zutreffend geht das Finanzgericht davon aus, dass § 90 Abs. 3 EStG im Streitfall schon deshalb nicht anwendbar ist, weil der Altersvorsorgevertrag zum Zeitpunkt der Rückforderung der an die Zulagenempfängerin für die Streitjahre 2017 und 2018 gezahlten Zulagen beendet war. Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 EStG hat die ZfA für den Fall, dass sie bis zum Ende des zweiten auf die Ermittlung der Zulage folgenden Jahres erkennt, dass der Zulageanspruch ganz oder teilweise nicht besteht oder weggefallen ist, die zu Unrecht gutgeschriebene oder ausgezahlte Zulage bis zum Ablauf eines Jahres nach der Erkenntnis zurückzufordern und dies dem Anbieter durch Datensatz mitzuteilen. Bei bestehendem Vertragsverhältnis hat der Anbieter gemäß § 90 Abs. 3 Satz 2 EStG das Konto zu belasten. Voraussetzung für eine Anwendung des § 90 Abs. 3 EStG und damit für die Rückforderung über den Anbieter ist ein bestehendes Vertragsverhältnis.

Im Streitfall war der Altersvorsorgevertrag bereits am 01.03.2018 beendet worden. Eine Belastung des zuvor vom Anbieter für die Zulagenempfängerin geführten Kontos gemäß § 90 Abs. 3 Satz 2 EStG war nicht mehr möglich. Somit scheidet eine Anwendung des § 90 Abs. 3 EStG bereits aus diesem Grunde aus.

§ 90 Abs. 3 EStG stellt keine abschließende Sonderregelung für die Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Zulagen dar, die einen Rückgriff auf § 37 Abs. 2 AO ausschlösse3.

Ebenfalls nicht erfüllt sind die Voraussetzungen des § 90 Abs. 3a EStG. Auch § 90 Abs. 3a EStG ist keine den § 37 Abs. 2 AO verdrängende Sonderregelung für zu Unrecht gezahlte Zulagen.

§ 90 Abs. 3a EStG, der durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz vom 17.08.20174 mit Wirkung ab dem 01.01.2018 eingefügt worden ist, regelt die Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Zulagen nach der Durchführung einer versorgungsrechtlichen Teilung des Altersvorsorgevertrags (Satz 1), nach einer Inanspruchnahme eines Altersvorsorge-Eigenheimbetrags im Sinne des § 92a Abs. 1 EStG (Satz 2 Alternative 1) oder während einer Darlehenstilgung bei Altersvorsorgeverträgen nach § 1 Abs. 1a des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes (Satz 2 Alternative 2). In allen drei Fällen setzt die ZfA den Rückforderungsbetrag nach Abs. 3 unter Anrechnung bereits vom Anbieter einbehaltener und abgeführter Beträge gegenüber dem Zulageberechtigten fest, soweit das Guthaben auf dem (Altersvorsorge-)Vertrag des Zulageberechtigten zur Zahlung des Rückforderungsbetrags nach § 90 Abs. 3 Satz 1 nicht ausreicht. Im Fall der durchgeführten versorgungsrechtlichen Teilung des Altersvorsorgevertrags betrifft dies nur den Zulagebetrag als Teil des Rückforderungsbetrags, der in der Ehe- und Lebenspartnerschaftszeit ausgezahlt worden ist (Satz 1 Nr. 2).

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Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen aller drei Alternativen erkennbar nicht erfüllt.

§ 90 Abs. 3a EStG enthält ebenfalls keine abschließende Sonderregelung für die Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Zulagen. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Norm und ihrer systematischen Stellung. Auch die Gesetzeshistorie und der Sinn und Zweck der Norm sprechen gegen eine solche abschließende Regelungswirkung des § 90 Abs. 3a EStG. Folglich bleibt der Rückforderungsanspruch gegenüber der Zulagenempfängerin nach § 37 Abs. 2 AO in Bezug auf die für die Streitjahre 2017 und 2018 ausgezahlten Zulagen bestehen.

§ 90 Abs. 3a Satz 1 und 2 EStG setzten ihrem Wortlaut nach voraus, dass ein Vertrag des Zulageberechtigten im Zeitpunkt des Rückforderungsbegehrens noch besteht, dessen Guthaben aber in allen drei Alternativen „nicht ausreicht“, und sehen für diesen Fall vor, dass ein Rückforderungsbetrag unter Anrechnung bereits vom Anbieter einbehaltener und abgeführter Beträge gegenüber dem Zulageberechtigten festgesetzt wird. Die Rückforderung im Falle eines nicht mehr bestehenden Altersvorsorgevertrags regelt § 90 Abs. 3a EStG nicht.

Systematisch knüpft § 90 Abs. 3a EStG an die Festsetzung eines Rückforderungsbetrags nach § 90 Abs. 3 EStG an und unterscheidet sich von dieser Regelung, was sein Verhältnis zu § 37 Abs. 2 AO betrifft, nicht.

§ 90 Abs. 3a EStG enthält zudem keine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass das Vertragsverhältnis zwischen Anbieter und Anleger nicht mehr besteht. Aus Sicht des Bundesfinanzhofs ergibt sich aus dieser fehlenden Regelung in Abs. 3a jedoch nicht, dass den Anbieter eine uneingeschränkte Verantwortlichkeit für die Rückforderung von Zulagen träfe und er deshalb vorbehaltlich einer den Zulageempfänger treffenden Erstattungsregelung verpflichtet wäre, auf eigene Kosten den Rückforderungsbetrag bei der ZfA anzumelden und abzuführen. Dies käme einer generellen Haftung des Anbieters für die Rückforderungsbeträge gleich, die unbeachtet ließe, dass der Anbieter lediglich als Gesamtschuldner neben dem Zulageberechtigten gemäß § 96 Abs. 2 EStG haftet, und zwar nur für diejenigen Zulagen, die wegen einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung zu Unrecht gezahlt oder nicht zurückgezahlt worden sind5.

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Wie im Fall der Rückforderung nach § 90 Abs. 3 EStG kann daher auch § 90 Abs. 3a EStG nicht als abschließende Regelung verstanden werden. Vielmehr ergänzt § 90 Abs. 3a EStG durch seine Bezugnahme auf § 90 Abs. 3 EStG die Fälle der Rückforderungen bei bestehenden Altersvorsorgeverträgen. Dies entspricht der bis zur Gesetzesänderung geltenden und auf verschiedene Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) gestützten Rechtspraxis der ZfA. Denn obwohl § 90 Abs. 3 EStG für die nun in Abs. 3a geregelten drei Fälle eine vollständige Belastung des Zulageberechtigten mit den Rückforderungsbeträgen mangels ausreichender Guthaben der Altersvorsorgeverträge nicht vorsah, forderte die ZfA die Zulage direkt vom Zulageberechtigten zurück6.

Die Entstehungsgeschichte der Regelung bestätigt dies. Mit der Einfügung des § 90 Abs. 3a EStG sollten diese bislang durch Verwaltungsvorschrift geregelten Rückforderungsfälle ins Gesetz übernommen werden, worauf auch im Rahmen der Gesetzesbegründung ausdrücklich hingewiesen wurde7. Dass der Gesetzgeber damit eine abschließende und den allgemeinen Rückforderungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO ausschließende Regelung hätte treffen wollen, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen.

Ein solches Auslegungsergebnis widerspräche zudem nicht nur dem Sinn und Zweck des § 90 Abs. 3a EStG, sondern auch der im Zulageverfahren zwingenden Notwendigkeit, eine umfassende Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Zulagen zu verankern.

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Das Rückforderungserfordernis von zu Unrecht gezahlten Zulagen ist im dreistufigen Ablauf des Zulageverfahrens angelegt. Im weitestgehend automatisierten Zulageverfahren ermittelt die ZfA auf der ersten Stufe aufgrund der von ihr erhobenen oder der ihr übermittelten Daten ohne Prüfung von deren Richtigkeit, ob und in welcher Höhe ein Zulageanspruch besteht (§ 90 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die ZfA veranlasst bei Bestehen eines solchen Anspruchs die Auszahlung an den Anbieter zugunsten des Zulageberechtigten. Dabei steht die Mitteilung des Ermittlungsergebnisses (§ 90 Abs. 1 Satz 1 EStG) an den Anbieter kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (seit 2005: § 12 Abs. 1 Satz 2 der Altersvorsorge-Durchführungsverordnung). Erst auf der zweiten Stufe sieht § 91 EStG ausdrücklich ein Verfahren der „Überprüfung der Zulage“ vor. Das Ergebnis dieses Datenabgleichs kann eine Rückforderung der bereits ausgezahlten Zulage vom Anbieter ebenfalls durch Datensatz zur Folge haben (§ 90 Abs. 3 EStG). Auf der dritten Stufe hat der Zulageberechtigte dann die Möglichkeit, durch besonderen Antrag eine förmliche Festsetzung der Zulage zu erreichen (§ 90 Abs. 4 EStG).

Diese Regelungen zeigen auf, dass die Vorläufigkeit der Ermittlung der Zulage auf der ersten Stufe und die spätere Überprüfung mittels des in § 91 EStG vorgesehenen Datenabgleichs im Gesetz angelegt ist. Zulagen können im Einzelfall zu Unrecht ausgezahlt werden und sind deshalb später zurückzufordern. Soweit die Rückforderung bei bestehenden Altersvorsorgeverträgen durch Belastung des Kontos des Zulageberechtigten möglich ist, sieht § 90 Abs. 3 Satz 2 EStG dies als einfache und schnelle Abwicklungsmethode vor. Reicht das Guthaben trotz (noch) bestehenden Vertrags jedoch nicht aus, ist der Restbetrag nicht vom Anbieter, sondern vom Zulageberechtigten zurückzufordern. Entsprechendes gilt für die in § 90 Abs. 3a EStG genannten besonderen Fälle, bei denen sowohl das Konto belastet wie auch vom Zulageberechtigten der Restbetrag gefordert werden kann. Daneben sind noch weitere Möglichkeiten denkbar, bei denen die vorläufig gezahlten und letztlich zu Unrecht geleisteten Zulagen zurückzufordern sind. Es ist schon deshalb notwendig, diese Zulagen nach Vertragsende vom Zulageberechtigten zurückfordern zu können.

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Diese Möglichkeit der Rückforderung schafft § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG, indem er ausdrücklich die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der Abgabenordnung auf die Zulagen und die Rückzahlungsbeträge für entsprechend anwendbar erklärt. Folglich muss, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt worden ist, auch der allgemeine Rückforderungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO zum Tragen kommen. Ein ausdrücklicher Ausschluss dieser Vorschrift, wie in § 96 Abs. 1 Satz 2 EStG für den Fall des § 163 AO geregelt, fehlt und ist auch im Wege einer (restriktiven) Auslegung der § 90 Abs. 3, Abs. 3a EStG nicht herleitbar.

Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO sind hinsichtlich der Rückforderung der Zulagen für die Streitjahre 2017 und 2018 erfüllt.

Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO hat derjenige, auf dessen Rechnung unter anderem eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, gegen den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags8. Leistungsempfänger im Sinne des § 37 Abs. 2 AO ist dabei derjenige, demgegenüber die ZfA als Finanzbehörde eine abgabenrechtliche Verpflichtung erfüllen will – also die Zulagenempfängerin, obwohl die Zulagen an die Anbieterin überwiesen worden sind. Denn die Anbieterin ist lediglich eine Dritte und die Zahlung an sie erfolgte in Erfüllung der vermeintlichen Ansprüche der Zulagenempfängerin. Aus diesem Grunde leitete die Anbieterin die Zahlungen nach Beendigung des Altersvorsorgevertrags auch an die Zulagenempfängerin weiter. Die Zulagenempfängerin hat die Zulagen für beide Streitjahre ohne rechtlichen Grund erhalten, da sie in diesen Jahren nicht mehr in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert und auch -unstreitig- aus keinem anderen Grunde (mittelbar) zulageberechtigt war.

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Unerheblich ist, ob ein schuldhaftes Verhalten der Zulagenempfängerin oder der Anbieterin vorliegt, da § 37 Abs. 2 AO ein Verschulden nicht voraussetzt9.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. August 2023 – X R 9/21

  1. vgl. nur BFH, Urteil vom 09.07.2019 – X R 35/17, BFHE 264, 421, BStBl II 2019, 668, Rz 14, m.w.N.[]
  2. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.04.2021 – 15 K 15171/20[]
  3. weiterführend dazu vgl. BFH, Urteil vom 09.07.2019 – X R 35/17, BFHE 264, 421, BStBl II 2019, 668, Rz 18 ff.[]
  4. BGBl I 2017, 3214[]
  5. BFH, Urteil vom 09.07.2019 – X R 35/17, BFHE 264, 421, BStBl II 2019, 668, Rz 19[]
  6. vgl. BMF, Schreiben vom 24.07.2013, BStBl I 2013, 1022, Rz 271 und Rz 272 i.d.F. des BMF, Schreibens vom 13.01.2014, BStBl I 2014, 97[]
  7. BT-Drs. 18/11286, 66[]
  8. vgl. hierzu und zum Nachfolgenden das BFH, Urteil vom 09.07.2019 – X R 35/17, BFHE 264, 421, BStBl II 2019, 668, Rz 24 ff.[]
  9. weiterführend insoweit auch BFH, Urteil vom 09.07.2019 – X R 35/17, BFHE 264, 421, BStBl II 2019, 668, Rz 28 f.[]