Studium während des Zivildienstes – und der verlängerte Kindergeldbezug

Die für den Bezug von Kindergeld maßgebliche Altersgrenze von 25 Jahren verlängert sich auch dann um einen der Dauer des vom Kind geleisteten Grundwehr- oder Zivildienstes, wenn auch während der Dauer des Dienstes Kindergeld gezahlt worden ist, weil das Kind zeitgleich für einen Beruf ausgebildet wurde (hier: Hochschulstudium).

Studium während des Zivildienstes – und der verlängerte Kindergeldbezug

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall leistete der Sohn des Klägers nach dem Abitur im Juni 2004 von November 2004 bis Juli 2005 neun Monate Zivildienst. Daneben war S im Wintersemester 2004/2005 von Oktober 2004 bis März 2005 sechs Monate an einer Universität im Fachbereich Mathematik immatrikuliert. Im Oktober 2005 begann S mit dem Studium der Physik. Im April 2010 vollendete S sein 25. Lebensjahr. Der Kläger erhielt für S – auch für die gesamte Zeit des Zivildienstes – bis einschließlich April 2010 Kindergeld. Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes für den jedenfalls noch bis zum 31. August 2010 immatrikulierten S ab Mai 2010 auf, weil die Altersgrenze überschritten sei.

Die anschließende Klage hatte (nur) zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht war der Ansicht, der Verlängerungszeitraum sei um die tatsächliche Dauer des neben dem Zivildienst betriebenen Studiums (sechs Monate) zu kürzen. Für die restliche Dauer des Zivildienstes (drei Monate) verlängere sich dagegen der Bezug des Kindergeldes. Dies sah der Bundesfinanzhof nun jedoch anders und hob auf die Revision des Klägers das Urteil auf:

Weiterlesen:
Abgeltungssteuer für Darlehen zwischen Angehörigen

Kindergeld wird grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs gewährt. Über diese Altersgrenze hinaus wird ein Kind gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ausnahmsweise berücksichtigt, wenn es den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst geleistet hat. Der Endzeitpunkt für die Gewährung des Kindergeldes wird in diesem Fall um einen der Dauer des geleisteten Dienstes entsprechenden Zeitraum (im Streitfall neun Monate) hinausgeschoben. Der Gesetzgeber habe in § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG eine typisierende Regelung getroffen mit dem Zweck, eine durch die Ableistung des Dienstes im Regelfall eingetretene Ausbildungsverzögerung zu kompensieren. Daher sei insoweit nicht darauf abzustellen, ob und in welchem Umfang sich durch die Dienstzeit die Ausbildung für einen Beruf im konkreten Fall tatsächlich verzögert habe.

Nach § 62, § 63 Abs. 1 Satz 2, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung des –seit 2007– 25. Lebensjahrs gewährt, sofern –wie im Streitfall– die Übergangsregel nach § 52 Abs. 40 Satz 7 EStG für bis einschließlich 1.01.1983 geborene Kinder nicht greift1.

Über diese Altersgrenze von 25 Lebensjahren hinaus wird ein Kind gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ausnahmsweise dann berücksichtigt, wenn es den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst geleistet hat.

Der Endzeitpunkt für die Gewährung des Kindergeldes wird in diesem Fall um einen der Dauer des geleisteten Dienstes entsprechenden Zeitraum –im Streitfall neun Monate– hinausgeschoben2.

Weiterlesen:
Zinsen aus Lebensversicherungen bei Altdarlehn

Eine Beschränkung dieser Verlängerung auf Dienstmonate, in denen kein Kindergeld gewährt wurde, ist dem Gesetzeswortlaut ebenso wenig zu entnehmen wie eine der Doppelberücksichtigung von Dienstmonaten entgegenstehende, in Monaten bemessene maximale Bezugsdauer3.

Eine einschränkende Auslegung des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG dahingehend, dass sich die Verlängerung des Kindergeldbezuges auf die Anzahl der Monate verkürzt, in denen das Kind neben der Dienstzeit nicht zugleich i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde, ist –entgegen der Vorentscheidung– nicht geboten.

Der Gesetzgeber wollte mit dem Verlängerungstatbestand des § 32 Abs. 5 EStG einen Ausgleich dafür schaffen, dass –abweichend von der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 1996– Kinder während der Ableistung ihres Wehr- oder Zivildienstes steuerlich nicht berücksichtigt werden. Nach der Gesetzesbegründung ermöglicht § 32 Abs. 5 EStG „die Berücksichtigung von Kindern, die den gesetzlichen Grundwehrdienst oder einen Ersatzdienst geleistet haben, über das 21. Lebensjahr (bei Arbeitslosigkeit) oder das 27. Lebensjahr (bei Berufsausbildung) hinaus, weil für die Dauer dieser Dienste kein Kinderfreibetrag abgezogen wird“4. Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass das Kind während der Dauer seines Wehr- oder Zivildienstes einer Berufsausbildung nicht nachgehen konnte5.

Da sich die Ausbildungszeit um die geleistete Dienstzeit verlängert, entspricht es dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, für Kinder, die den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet haben, auch über die vorgesehene Altersgrenze hinaus Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag zu gewähren6. Hierbei kommt es auf die tatsächliche Dauer des geleisteten Grundwehr- oder Zivildienstes an, weil der verlängerte Bezug des Kindergeldes i.S. des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG bei Beachtung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes nur den Zeitraum einbeziehen kann, um den die Berufsausbildung durch den Wehr- oder Zivildienst tatsächlich unterbrochen wurde7. Dagegen ist nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG für die Verlängerung des Kindergeldbezuges nicht darauf abzustellen, ob sich durch die Dienstzeit die Ausbildung für einen Beruf tatsächlich verzögert hat.

Weiterlesen:
Kindergeld für die unverheiratete Tochter mit eigenem Kind

Zwar werden Kindergeldberechtigte, deren Kinder Wehr- oder Zivildienst geleistet haben und während der Dienstzeit zugleich für einen Beruf ausgebildet wurden, im Verhältnis zu anderen Kindergeldberechtigten, deren Kinder ihre Berufsausbildung bei Vollendung des 25. –bis 2006 des 27.– Lebensjahrs ebenfalls noch nicht abgeschlossen haben und bei denen der Verlängerungstatbestand nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht eingreift, in den Fällen bevorzugt, in denen das Kindergeld im Verlängerungszeitraum für die gesamte Dauer des tatsächlich geleisteten gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes auch dann gewährt wird, wenn sich die Berufsausbildung des gedienten Kindes dienstzeitbedingt tatsächlich nicht verlängert hat.

Dies ist jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet zwar, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln8. Er verbietet sowohl ungleiche Belastungen wie auch ungleiche Begünstigungen9. Der Gesetzgeber darf aber zur Regelung von Massenerscheinungen –wie hier der Verlängerung des Kindergeldbezuges für Kinder, die den gesetzlichen Grundwehr- oder Zivildienst geleistet haben– pauschalieren und typisieren. Dabei hat er sich an dem typischen durchschnittlichen Fall zu orientieren10. Der Gesetzgeber konnte demnach bei der Verlängerung des Kindergeldbezuges für Kinder, die den gesetzlichen Grundwehr- oder Zivildienst geleistet haben, nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG typisierend davon ausgehen, dass sich die Ausbildung des Kindes –was dem Regelfall entspricht– um einen für die Dauer dieser Dienste entsprechenden Zeitraum verzögert.

Weiterlesen:
Pflegepauschbetrag - und der Nachweis der Hilflosigkeit

Demnach ist eine –auf die Fälle der tatsächlich dienstbedingten Ausbildungsverzögerung einschränkende– verfassungskonforme Auslegung des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG jedenfalls nicht geboten. Ebenso wenig bedarf es –entgegen der Ansicht der Familienkasse– einer einschränkenden Auslegung des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG im Wege der teleologischen Reduktion. Denn die vom Gesetzgeber getroffene typisierende Regelung verfehlt den von ihm beabsichtigten Zweck, eine durch die Ableistung des Dienstes im Regelfall eingetretene Ausbildungsverzögerung zu kompensieren, nicht.

Zudem entlastet sie die Familienkassen und Finanzgerichte von der im Einzelfall schwierigen Prüfung, ob sich die Ausbildung durch Wehr- oder Zivildienst verzögert hat oder nicht. Es ist nämlich –wie der Kläger zu Recht vorbringt– weder zutreffend noch belegt, dass sich der Ausbildungsabschluss des Kindes, das während seiner Dienstzeit zugleich eine Ausbildung betreibt, nicht verzögert. Vielmehr liegt es nahe, dass eine Verzögerung der neben dem Dienst betriebenen Berufsausbildung eintritt, selbst wenn –wie im Streitfall– das Kind trotz der Beanspruchung aus dem Dienst im Studium erfolgreich einzelne Leistungsnachweise erbracht hat.

Hätte der Gesetzgeber den Verlängerungszeitraum nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG auf die Fälle der tatsächlich dienstbedingt eingetretenen Ausbildungsverzögerung beschränken wollen, hätte er –worauf der Kläger zutreffend hinweist– eine ausdrückliche Regelung treffen müssen. Das ist nicht geschehen.

Auf eine dienstbedingte Ausbildungsverzögerung, die nach Abschn. 63.5 Abs. 3 Satz 4 DA-FamEStG in den Dienstmonaten nicht eintrete, in denen das Kind an allen Tagen auch eine Berufsausbildung absolviere und als Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG berücksichtigt werde, kommt es –wie dargelegt– nicht an. Im Übrigen wäre diese norminterpretierende Verwaltungsvorschrift für die Finanzgerichte im Verfahren über die Kindergeldfestsetzung nicht bindend11.

Weiterlesen:
Kindergeldanspruch für ein verheiratetes volljähriges Kind

Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. September 2013 – XI R 12/12

  1. zu der Absenkung der Altersgrenze für die Berücksichtigung von Kindern in der Berufsausbildung durch das Steueränderungsgesetz 2007 sowie zu der dazu getroffenen Übergangsregelung vgl. BFH, Urteil vom 17.06.2010 – III R 35/09, BFHE 230, 523, BStBl II 2011, 176; ferner Schmidt/Loschelder, EStG, 32. Aufl., § 32 Rz 35; Blümich/Selder, § 32 EStG Rz 32 f.[]
  2. vgl. dazu BFH, Urteile vom 14.10.2002 – VIII R 68/01, BFH/NV 2003, 460, unter 1.; vom 27.08.2008 – III R 88/07, BFH/NV 2009, 132, unter II.1.; vom 20.05.2010 – III R 4/10, BFHE 229, 337, BStBl II 2010, 827, Rz 8; ferner vom 27.09.2012 – III R 70/11, BFHE 239, 116, BStBl II 2013, 544, Rz 29[]
  3. vgl. dazu BFH, Urteil in BFHE 229, 337, BStBl II 2010, 827, Rz 8[]
  4. vgl. BT-Drs. 13/1558, 156 f.[]
  5. vgl. dazu BFH, Urteile in BFH/NV 2003, 460, unter 1.b; ferner in BFH/NV 2009, 132, unter II.1., jeweils m.w.N.[]
  6. vgl. dazu Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG Rz 150[]
  7. vgl. dazu BFH, Urteil in BFH/NV 2003, 460, unter 1.b, m.w.N.[]
  8. vgl. dazu z.B. BFH, Urteil vom 19.06.2013 – VIII R 24/09, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2013, 1703, Rz 19, m.w.N.[]
  9. vgl. dazu z.B. BFH, Urteil in BFH/NV 2013, 1703, Rz 19, m.w.N.[]
  10. vgl. dazu z.B. BFH, Urteil in BFH/NV 2013, 1703, Rz 33[]
  11. vgl. dazu z.B. BFH, Urteile vom 17.12.2008 – XI R 64/06, BFH/NV 2009, 798, unter II.3.e bb; vom 15.05.2012 – XI R 28/10, BFHE 237, 537, BFH/NV 2012, 1744, Rz 47[]
Weiterlesen:
Konkurrenz zwischen deutschem Kindergeldrecht und europäischen Sozialvorschriften