Stückzinsen aus der Veräußerung vor 2009 erworbener Wertpapiere

Erst nach dem 01.01.2009 zugeflossene Stückzinsen aus der Veräußerung von Wertpapieren, die vor dem 01.01.2009 erworben wurden, sind nicht gem. § 52 a Abs. 10 Satz 7, 1. Halbsatz EStG in der bis zum 13.10.2009 geltenden Fassung von der Besteuerung als Kapitaleinkünfte gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG ausgenommen.

Stückzinsen aus der Veräußerung vor 2009 erworbener Wertpapiere

Diese Stückzinsen sind mithin als Einnahmen aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i. V. m. § 52 a Abs. 10 Satz 6 EStG anzusetzen. Die Anwendung dieser Rechtsgrundlage ist nicht durch § 52a Abs. 10 Satz 7 1. Halbsatz in der bis zum 13.12 2010 geltenden Fassung ausgeschlossen.

§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehöre zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art im Sinne des Absatzes 1 Nr. 7. Nach der in Bezug genommenen Vorschrift gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Die Vereinnahmung von Stückzinsen aus festverzinslichen Wertpapieren erfüllt diese Voraussetzungen und begründet einen Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen1. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Einigkeit besteht auch darüber, dass diese Vorschrift grundsätzlich gem. § 52a Abs. 10 Satz 6 EStG erstmals auf nach dem 31.12 2008 zufließende Kapitalerträge aus der Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen anzuwenden ist. Entgegen der Auffassung der Anleger greift die hiervon abweichende Regelung des § 52a Abs. 10 Satz 7 1. Halbsatz in der Fassung bis zum 13.12 2010 nicht ein.

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Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr.7 in der am 31.12 2008 anzuwendenden Fassung, nicht anzuwenden für Kapitalerträge aus Kapitalforderungen, die zum Zeitpunkt des vor dem 1.01.2009 erfolgten Erwerbs zwar Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 7 in der am 31.12 2008 anzuwendenden Fassung, aber nicht Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 in der am 31.12 2008 anzuwendenden Fassung sind. Auch wenn die streitigen Stückzinsen aus Verkäufen von Wertpapieren herrühren, die vor dem 1.01.2009 erworben worden sind, ergibt die Auslegung der Vorschrift, dass von dieser Regelung nicht die Besteuerung von Stückzinsen, sondern nur von Kursgewinnen aus den vor dem 1.01.2009 erworbenen Kapitalforderungen erfasst werden.

In der Literatur ist die Anwendbarkeit der Vorschrift auf Stückzinsen umstritten. Während ein Teil die Anwendung unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut der Norm bejaht2, wird sie von einem anderen Teil, insbesondere unter Hinweis auf die Entscheidung des Finanzgericht Münster vom 02.08.20123, verneint4. Das Finanzgericht Münster hat aus dem Gesetzeszweck und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift hergeleitet, dass Stückzinsen aus Altanleihen nicht von der Besteuerung auszunehmen seien. Die Vorschrift sei auslegungsbedürftig, weil Wortlaut und Zweck nicht übereinstimmen würden. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und die Gesetzesmaterialien würden aufzeigen, dass der Gesetzgeber nur die bis zum 31.12 2008 steuerfreien Kursgewinne erfassen wollte, nicht aber die bereits vor der Neuregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 nach § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. ausdrücklich der Steuerpflicht unterworfenen Stückzinsen. Der Finanzgericht schließt sich dieser Auffassung an. Entgegen der Auffassung der Anleger steht der Wortlaut der Vorschrift einer einengenden Auslegung nicht entgegen.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist für die Interpretation eines Gesetzes der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend. Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung); zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen. Gegen seinen Wortlaut ist die Auslegung eines Gesetzes allerdings nur ausnahmsweise möglich, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann, oder wenn sonst anerkannte Auslegungsmethoden dies verlangen5. Bei Anwendung dieser Grundsätze erfasst die fragliche Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut die Stückzinsen nicht, weil die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde.

Die Einbeziehung wäre sinnwidrig, weil sie zu der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers in Widerspruch stehen würde, wonach durch die Neuregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG die Stückzinsen weiterhin wie bisher durch die ausdrückliche Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG a.F. der Besteuerung unterliegen sollte6. Eine Neuregelung sollte nur hinsichtlich der bisher lediglich unter dem Gesichtspunkt des Spekulationsgewinnes steuerpflichtigen Kursgewinne erfolgen7. Auch die systematische Stellung der streitigen Norm bestätigt das Auslegungsergebnis. Denn diese Vorschrift ist Teil der §§ 52 ff EStG, deren Aufgabe es ist, das Nebeneinander von Alt- und Neuregelungen zu kodifizieren, um verfassungsrechtliche Rückwirkungsprobleme zu vermeiden8. Für Stückzinsen bestand eine solche verfassungsrechtliche Problematik aber gerade nicht. Es fehlt daher an einem Bedarf für eine Übergangsregelung. Ein solcher bestand nur für die bisher steuerfreien Kursgewinne, soweit Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes einer Geltung der Neuregelung entgegenstehen könnten, weil der Erwerb der Kapitalforderungen noch zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die Kursgewinne nicht grundsätzlich der Besteuerung unterworfen wurden.

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Schleswig -Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 30. April 2015 – 4 K 39/13

  1. vgl. Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 34. Auflage, § 20 Rn. 145[]
  2. vgl. Buge in Herrmann/Heuer /Raupach, Einkommensteuergesetz, § 20 Rn. 513, Stand Februar/2014 m. w. N. aus der Literatur[]
  3. FG Münster, Urteil vom 02.08.2012 – 2 K 3644/10 E, EFG 2012, 2284ff[]
  4. vgl. Weber–Grellet a. a. O., 33. Auflage, § 52 a Rn. 6[]
  5. vgl. BFH, Urteil vom 28.01.2015 – VIII R 13/13, BFH/NV 2015, 582 ff[]
  6. vgl. BT-Drs. 16/4841, Seite 56[]
  7. vgl. FG Münster a. a. O[]
  8. vgl. Weber-Grellet a. a. O., § 52 Rn. 1ff, § 52 a Rn.1[]