Werden Wertpapiere, die innerhalb der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG mit Verlust veräußert werden, am selben Tage in gleicher Art und Anzahl, aber zu unterschiedlichem Kurs wieder gekauft, so liegt hierin nach einem aktuellen Urteil des Bundesfinanzhofs kein Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO.

In dem jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall veräußerten die Kläger börsennotierte Aktien von zwei Kapitalgesellschaften jeweils innerhalb der Jahresfrist mit Verlust und erwarben am selben Tag Aktien dieser Gesellschaften wieder in gleicher Art und Anzahl, allerdings zu einem unterschiedlichen Preis. Das Finanzamt erkannte die Verluste aus dem Verkauf wegen Gestaltungsmissbrauchs nicht an. Dies sahen allerdings sowohl das erstinstanzlich mit dem Fall befasste Finanzgericht Baden-Württemberg [1] wie auch jetzt der Bundesfinanzhof anders.
Wenn, so der Bundesfinanzhof in seiner Urteilsbegründung, es dem Zweck des § 23 EStG entspricht, realisierte Wertänderungen in Gestalt von Veräußerungsgewinnen aus verhältnismäßig kurzfristigen Wertdurchgängen eines Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer zu unterwerfen, stellt es keinen Gestaltungsmissbrauch dar, wenn der Steuerpflichtige gleichartige Wertpapiere kurz nach deren Veräußerung zu unterschiedlichen Preisen wieder erwirbt. Angesichts der Schwankungsbreite börsennotierter Wertpapiere und des daraus resultierenden Kursrisikos bewegt er sich insoweit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Es steht in seinem Belieben, ob, wann und mit welchem Risiko er von ihm gehaltene Wertpapiere ankauft, verkauft und danach wieder ankauft. Bei dem Verkauf von Wertpapieren und dem anschließenden Wiederkauf gleichartiger Wertpapiere zu unterschiedlichen Ankaufs- und Verkaufspreisen handelt es sich angesichts des dabei eingegangenen Kursrisikos um eigenständige und damit auch separat zu beurteilende Vorgänge.
Private Veräußerungsgeschäfte
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unterliegen private Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern (als den in Nr. 1 der Vorschrift genannten Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten), insbesondere bei Wertpapieren, als sonstige Einkünfte der Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung –unter Beachtung des auch insoweit geltenden Grundsatzes der Nämlichkeit [2] – nicht mehr als ein Jahr beträgt (sog. gestreckter oder zweiaktiger Tatbestand) [3]. Das gilt auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt (§ 23 Abs. 3 Satz 1 EStG) [4]. Veräußerungsverluste sind nach § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG indes nur eingeschränkt zu berücksichtigen. Durch dieses in sich geschlossene und aufeinander abgestimmte System der Verlustnutzung und ‑begrenzung sollen u.a. Spekulationen auf Kosten der Allgemeinheit und insbesondere missbräuchliche Gestaltungen i.S. des § 42 AO verhindert werden [5].
Diese Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG waren in dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen im Streitfall –unstreitig– erfüllt. Denn die Wertpapiere wurden innerhalb der maßgeblichen Jahresfrist (Erwerb im Februar/März 2000 und Verkauf im Dezember 2000) angeschafft und wieder –wenn auch mit Verlust– veräußert. Der zweiaktige Tatbestand ist damit verwirklicht, und zwar unabhängig vom nachfolgenden Wiederkauf von Wertpapieren gleicher Art als erstem Teilakt eines eventuell erneut in Gang gesetzten Steuertatbestandes.
Die Kläger haben den aus der Veräußerung der Wertpapiere erwirtschafteten Verlust auch i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG „erzielt“; sie haben mit Einkünfteerzielungsabsicht gehandelt. Dieses Merkmal des Steuertatbestandes wird durch die verhältnismäßig kurze (Jahres-)Frist in typisierender Weise objektiviert [6].
Gestaltungsmißbrauch bei einem privaten Veräußerungsgeschäft
Das Tatbestandsmerkmal „Veräußerungsgeschäft“ wird auch nicht gemäß § 42 Satz 2 AO beseitigt.
Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 AO ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die –gemessen an dem erstrebten Ziel– unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist [7]. Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll [8].
Entspricht es aber Sinn und Zweck des § 23 EStG, (nur) realisierte Wertänderungen (in Gestalt von Veräußerungsgewinnen und ‑verlusten) aus verhältnismäßig kurzfristigen Wertdurchgängen eines Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer zu unterwerfen [9], stellt es keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO dar, wenn der Steuerpflichtige gleichartige Wertpapiere unmittelbar anschließend oder zumindest kurzfristig nach deren Veräußerung zu unterschiedlichen Preisen wiedererwirbt [10]. Insoweit bewegt er sich mit seinen Dispositionen angesichts der Schwankungsbreite börsennotierter Wertpapiere und des daraus resultierenden Kursrisikos (Volatilität) im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Denn es steht in seinem Belieben [11], ob, wann und mit welchem Risiko er von ihm gehaltene Wertpapiere ankauft, verkauft und danach wieder kauft und ggf. wieder verkauft. Insoweit handelt es sich bei dem Verkauf von Wertpapieren und dem anschließenden Wiederkauf gleichartiger Wertpapiere zu unterschiedlichen Ankaufs- und Verkaufspreisen um eigenständige und damit separat zu beurteilende Vorgänge, so dass der Veräußerungsvorgang nicht i.S. des § 42 Satz 2 AO eliminiert wird [12].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 25. August 2009 – IX R 60/07
- FG Baden Württemberg, Urteil vom 01.08.2007 – 1 K 51/06, EFG 2008, 54[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 24.11.1993 – X R 49/90, BFHE 173, 107, BStBl II 1994, 591; vom 22.05.2003 – IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 16.12.2003 – IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B.III.1.b[↩]
- vgl. auch BFH, Beschluss vom 04.07.1990 – rS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830, unter III.2.d bb[↩]
- vgl. Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 23 Rz F 27, 29[↩]
- dazu BFH, Urteile vom 02.05.2000 – IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469; vom 22.40.2008 – IX R 29/06, BFHE 221, 97, BStBl II 2009, 296, unter II.1.c[↩]
- BFH, Urteile vom 29.05.2008 – IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789; vom 08.2007 – IX R 17/07, BFH/NV 2008, 426, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, und vom 17.12.2003 – IX R 56/03, BFHE 205, 70, BStBl II 2004, 648, m.w.N.[↩]
- s. BFH, Urteil vom 18.10.2006 – IX R 28/05, BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259[↩]
- gl.A. Wernsmann, a.a.O., § 23 EStG Rz A 72, F 29; s.a. FG Hamburg, Urteil vom 09.07.2004 – VII 52/02, EFG 2004, 1775; a.A. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 14.09.2006 – 5 K 286/03, EFG 2007, 192[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B.III.2.; BFH, Urteil in BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259, unter II.2.b(1).[↩]
- s.a. BFH, Urteile vom 24.06.2003 – IX R 2/02, BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752, unter II.1.b bb, betr. Optionsgeschäfte; vom 15.12.1999 – I R 29/97, BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527, unter B.II.1.b bb, r.Sp., zum sog. Dividenden-Stripping bei taggleichem An- und Verkauf[↩]