Pensionszusage als „Alterskapital“ – und die Tarifermäßigung für mehrjährige Einkünfte

Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG liegen grundsätzlich nur dann vor, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit ist regelmäßig nicht nach § 34 EStG tarifbegünstigt, wenn die Auszahlung in drei Veranlagungszeiträumen erfolgt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zahlung ursprünglich in einer Summe vereinbart war und die Auszahlung in drei Veranlagungszeiträumen auf Gründen beruht, die der Gestaltungsfreiheit des Steuerpflichtigen entzogen sind.

Pensionszusage als „Alterskapital“ – und die Tarifermäßigung für mehrjährige Einkünfte

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Rechtsstreit erteilte eine GmbH ihrer hier klagenden Mitgesellschafterin im Jahr 1999 eine Pensionszusage, die in der Folgezeit mehrfach geändert wurde. In einem Nachtrag zur Pensionszusage vom Juni 2015 vereinbarten die Mitgesellschafterin und die GmbH, die der Mitgesellschafterin zugesagte Altersrente zum 31.08.2015 wertgleich in ein „Alterskapital“ in Höhe von 543.000 € umzuwandeln, auf das die Mitgesellschafterin „zum Alter 64“ Anspruch haben sollte. Nachdem die Mitgesellschafterin am 23.11.2016 ihr vertraglich vereinbartes Pensionsalter erreicht hatte, schied sie zum 31.12.2016 aus dem Dienst der GmbH aus. Die GmbH zahlte der Mitgesellschafterin das „Alterskapital“ jedoch nicht wie in dem Nachtrag zur Pensionszusage vereinbart aus. Im hier streitgegenständlichen Jahr 2017 erhielt die Mitgesellschafterin von der GmbH am 22.02.2017 lediglich eine Teilzahlung in Höhe von 64.290, 40 €, am 13.04.2017 führte die GmbH 183.970, 00 € Lohnsteuer und 10.118, 35 € Solidaritätszuschlag an ihr Betriebsstättenfinanzamt ab. Am 21.04.2017 leistete die GmbH dann eine weitere Teilzahlung in Höhe von 214.621, 25 € an die Mitgesellschafterin, so dass insgesamt nur 473.000 € im Streitjahr auf das „Alterskapital“ der Mitgesellschafterin entrichtet wurden. Im Jahr 2018 zahlte die GmbH an die Mitgesellschafterin weitere 55.000 € und im Jahr 2019 schließlich den Restbetrag von 15.000 €.

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Die Mitgesellschafterin beantragte, die im Streitjahr 2017 bezogenen 473.000 € als ermäßigt zu besteuernde Versorgungsbezüge für mehrere Jahre zu berücksichtigen. Das Finanzamt folgte dem nicht; eine Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 2 EStG komme nicht in Betracht, da das „Alterskapital“ nicht als Einmalzahlung im Streitjahr geleistet worden sei. Das Thüringer Finanzgericht wies die daraufhin erhobene Klage ab1. Der Bundesfinanzhof wies die hiergegen erhobene Revision als unbegründet zurück; das Thüringer Finanzgericht habe zu Recht entschieden, dass das im Streitjahr ausgezahlte „Alterskapital“ nicht nach § 34 EStG ermäßigt zu besteuern sei:

Als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte kommen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 4  1. Halbsatz EStG). Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4  2. Halbsatz EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst2.

Das Finanzgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem „Alterskapital“ um Einkünfte der Mitgesellschafterin aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG handelt, die eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG darstellen. Da hierüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht, sieht der Bundesfinanzhof insoweit von einer weiteren Begründung ab.

Die Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG setzt ferner voraus, dass die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in zusammengeballter Form erfolgt3.

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Im Streitfall fehlt es jedenfalls an einer zusammengeballten Arbeitslohnzahlung.

Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG werden in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur bejaht, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen4.

Zwar ist der Zufluss in einem Veranlagungszeitraum kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal des § 34 EStG. Der unbestimmte Rechtsbegriff der außerordentlichen Einkünfte ist aber im Wege der Auslegung zu konkretisieren. Danach sind außerordentliche Einkünfte solche, deren Zufluss in einem Veranlagungszeitraum zu einer für den Steuerpflichtigen im Vergleich zu seiner regelmäßigen sonstigen Besteuerung einmaligen und außergewöhnlichen Progressionsbelastung führt. Diese abzumildern ist der Zweck der Regelung des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG5. Das Erfordernis der Zusammenballung von Einkünften als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist aus dem Umstand abzuleiten, dass sowohl der Wortlaut des § 34 Abs. 1 EStG als auch der des § 34 Abs. 2 EStG ausdrücklich nur „außerordentliche“ Einkünfte begünstigen6.

Danach liegen typischerweise keine außerordentlichen Einkünfte vor, wenn eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit in zwei oder mehr Veranlagungszeiträumen gezahlt wird7. Zwar können sich auch bei einer Zahlung in zwei (oder mehr) Veranlagungszeiträumen -wie im Streitfall- Progressionsbelastungen ergeben. Diese Belastungen müssen aber in Kauf genommen werden, da anderenfalls -bei Überschreitung des Grundsatzes, dass nur einmalige Zuflüsse als außerordentliche anerkannt werden können- eine Grenze zwischen außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 EStG und den nach dem ordentlichen Tarif zu versteuernden Einkünften nicht mehr gezogen werden könnte8.

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Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat von dem vorgenannten Grundsatz allerdings stets -eng begrenzte- Ausnahmen zugelassen9.

So ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs § 34 Abs. 1 EStG trotz des Zuflusses in zwei Veranlagungszeiträumen ausnahmsweise auch dann anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringfügige Teilleistung erhält und die ganz überwiegende Leistung in einem Betrag ausgezahlt wird, wobei sich die Teilzahlungen im Verhältnis zueinander eindeutig als Haupt- und Nebenleistung darstellen müssen und die Nebenleistung nur geringfügig sein darf10.

Eine weitere Ausnahme hält der Bundesfinanzhof in solchen Fällen für geboten, in denen -neben der Hauptleistung- in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden11. Dies leitet der Bundesfinanzhof aus einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ab12.

Verteilt sich die Zahlung auf zwei Veranlagungszeiträume, lässt die höchstrichterliche Rechtsprechung die Steuerermäßigung darüber hinaus auch dann zu, wenn die Zahlung von vornherein in einer Summe festgesetzt war und nur wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe und der besonderen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen auf zwei Jahre verteilt wurde13 oder wenn der Zahlungsempfänger -bar aller Existenzmittel- dringend auf den Bezug einer Vorauszahlung angewiesen war14.

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen der Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG im Streitfall nicht vor.

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Die Mitgesellschafterin erhielt das „Alterskapital“ als sonstigen Bezug mit dessen Zufluss in drei Veranlagungszeiträumen (§§ 38a Abs. 1 Satz 3, 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 EStG). Es fehlt damit an dem für die Außerordentlichkeit der Einkünfte regelmäßig erforderlichen Bezug in einem Veranlagungszeitraum.

Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass nur einmalige Zuflüsse als außerordentliche anerkannt werden können, kommt vorliegend nicht in Betracht.

Dem steht unter den im Streitfall gegebenen Umständen bereits entgegen, dass sich die Auszahlung des „Alterskapitals“ nicht nur auf zwei, sondern auf drei Veranlagungszeiträume erstreckte.

Zwar weist die Mitgesellschafterin zutreffend darauf hin, dass die Zahlung des „Alterskapitals“ ursprünglich in einer Summe vereinbart war und seine Auszahlung in drei Veranlagungszeiträumen auf Gründen beruhte, die der Gestaltungsfreiheit der Mitgesellschafterin entzogen waren. Dies rechtfertigt aber keine abweichende Beurteilung. Denn die Tarifbegünstigung des § 34 EStG knüpft an die Progressionsbelastung durch grundsätzlich in einem Veranlagungszeitraum zusammengeballt zugeflossene Einnahmen und -entgegen der Auffassung der Mitgesellschafterin- nicht daran an, ob die Modalitäten des Zuflusses vereinbart waren oder dem Zahlungsempfänger aufgezwungen wurden15.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Außerordentlichkeit der Einkünfte auch deshalb zu verneinen ist, weil die der Mitgesellschafterin in den Jahren 2018 und 2019 zugeflossenen Teilbeträge des „Alterskapitals“ in Höhe von insgesamt 70.000 € keine geringfügigen Nebenleistungen der im Streitjahr erfolgten Zahlungen in Höhe von 473.000 € darstellen. Eine geringfügige Nebenleistung hat der Bundesfinanzhof nicht mehr angenommen, wenn sie mehr als 10 % der Hauptleistung -hier 14, 80 %- beträgt16. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Nebenleistungen in Höhe von 70.000 € im Streitfall höher sind als die Steuerentlastung der Hauptleistung17. Die Mitgesellschafterin erhielt die 70.000 € von der GmbH nach Ablauf des Streitjahres auch nicht als Nebenleistung aus Gründen der sozialen Fürsorge. 

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 15. Dezember 2022 – VI R 19/21

  1. Thüringer FG, Urteil vom 28.07.2021 – 1 K 478/20, EFG 2022, 252[]
  2. s. dazu im Einzelnen BFH, Urteil vom 02.12.2021 – VI R 23/19, BFHE 275, 144, BStBl II 2022, 442, Rz 12, m.w.N.[]
  3. BFH, Urteile in BFHE 275, 144, BStBl II 2022, 442, Rz 13; und vom 16.12.2021 – VI R 10/18, Rz 22, jeweils m.w.N.[]
  4. BFH, Urteile vom 09.10.2008 – IX R 85/07, BFH/NV 2009, 558; vom 14.04.2015 – IX R 29/14, Rz 13; und vom 23.04.2021 – IX R 3/20, BFHE 273, 169, BStBl II 2021, 692, Rz 19[]
  5. BFH, Urteile vom 14.04.2015 – IX R 29/14, Rz 15 f.; und vom 02.08.2016 – VIII R 37/14, BFHE 254, 573, BStBl II 2017, 258, Rz 12[]
  6. BFH, Urteile vom 25.02.2014 – X R 10/12, BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668, Rz 33; und vom 09.12.2014 – IV R 36/13, BFHE 248, 75, BStBl II 2015, 529, Rz 20 ff.; BFH, Beschluss vom 19.08.2019 – X B 155/18, Rz 14[]
  7. ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil vom 01.02.1957 – VI 87/55 U, BFHE 64, 271, BStBl III 1957, 104; BFH, Urteile vom 28.06.2006 – XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835; in BFHE 254, 573, BStBl II 2017, 258, Rz 13, und in BFHE 273, 169, BStBl II 2021, 692, Rz 19[]
  8. BFH, Urteile vom 02.09.1992 – XI R 63/89, BFHE 171, 416, BStBl II 1993, 831, m.w.N., und in BFHE 254, 573, BStBl II 2017, 258, Rz 13[]
  9. s. bereits BFH, Urteil in BFHE 64, 271, BStBl III 1957, 104, m.w.N.[]
  10. z.B. BFH, Urteile vom 25.08.2009 – IX R 11/09, BFHE 226, 265, BStBl II 2011, 27; vom 26.01.2011 – IX R 20/10, BFHE 232, 471, BStBl II 2012, 659; und vom 13.10.2015 – IX R 46/14, BFHE 251, 331, BStBl II 2016, 214[]
  11. s. dazu BFH, Urteile vom 14.08.2001 – XI R 22/00, BFHE 196, 500, BStBl II 2002, 180; und vom 24.01.2002 – XI R 43/99, BFHE 197, 522, BStBl II 2004, 442[]
  12. BFH, Urteil vom 14.04.2005 – XI R 11/04, BFH/NV 2005, 1772[]
  13. BFH, Urteil in BFHE 171, 416, BStBl II 1993, 831, m.w.N.[]
  14. BFH, Urteil in BFHE 64, 271, BStBl III 1957, 104[]
  15. BFH, Urteile vom 14.04.2015 – IX R 29/14, Rz 21, und in BFHE 254, 573, BStBl II 2017, 258, Rz 15[]
  16. s. BFH, Urteile vom 08.04.2014 – IX R 28/13, Rz 20, und in BFHE 251, 331, BStBl II 2016, 214, Rz 16[]
  17. s. BFH, Urteil in BFHE 251, 331, BStBl II 2016, 214, Rz 16[]
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