Die auf einem entgeltlichen Rechtsverhältnis beruhende Überlassung einer Wohnung an den geschiedenen oder dauerhaft getrennt lebenden Ehegatten unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG. Dagegen handelt es sich bei einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung um Naturalunterhalt, der in sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 2 BewG in Höhe der ortsüblichen Miete als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG berücksichtigt werden kann1. Die ortsübliche Miete ist auch dann anzusetzen, wenn die Parteien unterhaltsrechtlich einen betragsmäßig geringeren Wohnvorteil vereinbart haben.

Nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG zählen zu den Sonderausgaben die Aufwendungen für Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt, und zwar bis zu 13.805 € im Kalenderjahr. Der Empfänger hat jene Leistungen als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1a EStG zu versteuern (sog. begrenztes Realsplitting).
Das für den Abzug von Sonderausgaben bestehende Erfordernis des Vorliegens von „Aufwendungen“ setzt voraus, dass dem Steuerpflichtigen Ausgaben in Geld oder Geldeswert entstanden und bei ihm abgeflossen sind. Entgangene Einnahmen sind grundsätzlich keine Aufwendungen. Das zentrale Merkmal der „Unterhaltsleistungen“ in § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG entspricht dem in § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG verwendeten Begriff „Aufwendungen für den Unterhalt“, wobei die Aufwendungen für Zwecke des Unterhalts gemacht worden sein müssen. Danach sind Unterhaltsleistungen die typischen Aufwendungen zur Bestreitung der Lebensführung, z.B. für Ernährung, Kleidung oder Wohnung. Der Unterhalt kann in Geld oder geldwerten Sachleistungen erbracht werden2.
Der Bundesfinanzhof hat bereits entschieden, dass die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung eine Naturalunterhaltsleistung darstellt, die für Zwecke des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG in sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 2 BewG mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts anzusetzen ist3. Zur Begründung hat er angeführt, hierdurch werde der Anspruch des Unterhaltsberechtigten auf Barunterhalt vermindert, sodass die Wohnungsüberlassung einer geldwerten Sachleistung (Ausgabe) gleichzusetzen sei, die mit der Überlassung zur Nutzung abfließe. Die Wohnungsüberlassung unter gleichzeitiger Verminderung des Barunterhalts kürze den Zahlungsweg der Unterhaltsleistungen ab. Der Fall, dass der Unterhaltsberechtigte mit dem ihm gewährten -höheren- Barunterhalt selbst eine Wohnung mietet, könne im vorliegenden rechtlichen Kontext nicht anders behandelt werden als der Fall, in dem sich die Unterhaltsleistung aus -niedrigerem- Barunterhalt und unentgeltlicher Wohnungsüberlassung zusammensetze4.
Wird die Wohnung auf Grundlage einer Unterhaltsvereinbarung zwischen geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten an den unterhaltsberechtigten Ehegatten überlassen, ist geklärt, dass der unterhaltsverpflichtete Ehegatte mangels eines Entgelts insoweit keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt5. Auf der anderen Seite hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass die entgeltliche -d.h. auf einem Mietvertrag beruhende- Überlassung einer Immobilie an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten keinen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten darstellt und somit zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung führen kann, selbst wenn die Miete mit dem geschuldeten Barunterhalt verrechnet wird6. Hieraus folgt, dass der sachliche Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG insoweit nicht eröffnet ist, als die Nutzungsüberlassung Gegenstand eines entgeltlichen Rechtsverhältnisses ist.
Im hier entschiedenen Fall hat das erstinstanzlich hiermit befasste Niedersächsische Finanzgericht7 die vom Ehemann und der Ehefrau getroffene Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung dahingehend gewürdigt, dass der Ehemann dessen Miteigentumsanteil an der ehemaligen Familienwohnung „mietvertragsähnlich“ gegen ein monatliches Entgelt von 400 € überlassen und deshalb keine Naturalunterhaltsleistung vorgelegen habe. Diese zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. von § 118 Abs. 2 FGO zählende Vertragsauslegung8 bindet den Bundesfinanzhof nicht, da sie gegen die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) verstößt und daher rechtsfehlerhaft ist (hierzu u.a. BFH, Urteil vom 19.08.2015 – X R 30/12, HFR 2016, 430, Rz 38, m.w.N.).
Das Finanzgericht hat bereits den Wortlaut der Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung nicht ausreichend beachtet. Dessen Aussage, der Ehemann und die Ehefrau hätten „ausdrücklich“ einen zugunsten der Ehefrau zu erbringenden Barunterhalt von 600 €/Monat festgelegt, trifft nicht zu. Tz 6 der Vereinbarung regelt vielmehr, dass der Trennungsunterhalt 600 € betrage, allerdings nur 200 € als Elementar- und Vorsorgeunterhalt auszuzahlen sei, solange die Ehefrau noch in der ehemals gemeinsam genutzten Familienwohnung lebe und somit ein Wohnvorteil zu verrechnen sei. Ebenso deutlich heißt es dort, dass der Trennungsunterhalt erst ab dem 01.01.2016 -nach dem erwarteten Auszug der Ehefrau- in voller Höhe ausgezahlt werde.
Seine anderslautende Würdigung konnte das Finanzgericht nicht damit begründen, dass der Ehemann grundsätzlich zur Leistung von Barunterhalt in voller Höhe verpflichtet gewesen sei. Die vom Finanzgericht hierfür benannten Normen des Unterhaltsrechts sind im Streitfall nicht einschlägig, da sie den Geschiedenenunterhalt (§§ 1569 ff., 1585 BGB) und nicht den vorliegend maßgeblichen Unterhaltsanspruch während des Getrenntlebens von Ehegatten (§ 1361 BGB) betreffen. Ferner ist trotz der Regelung in § 1361 Abs. 4 Satz 1 BGB, wonach der laufende Trennungsunterhalt durch Zahlung einer Geldrente zu gewähren ist, allgemein anerkannt, dass hiervon abweichend auch Naturalunterhaltsleistungen vereinbart werden können9.
Das Finanzgericht hat zudem nicht erwogen, dass die Regelungen zum Trennungsunterhalt in der Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung weder wörtlich noch sinngemäß irgendwelche Anhaltspunkte für eine dem Mietrecht zuzuordnende Nutzungsüberlassung enthalten. Vielmehr spricht die Vereinbarung von einem „Wohnvorteil“ und nicht von einer „Wohnraumvermietung“. Zudem verwendet der Vertragstext nicht die Begriffe „Miete“ oder „Entgelt“. Hätten der Ehemann und die Ehefrau keine unentgeltliche -dem Unterhaltsrecht unterfallende- Nutzungsüberlassung, sondern eine mietvertragsähnliche Vereinbarung treffen wollen, wären weder der Inhalt der ursprünglich von der Ehefrau unterzeichneten Anlage U zur Einkommensteuererklärung noch der nachfolgende Rechtsstreit vor dem Familiengericht über die Höhe des im Streitjahr geleisteten Trennungsunterhalts verständlich gewesen. Denn im Fall eines entgeltlichen Rechtsverhältnisses wäre der Wohn- bzw. Nutzungswert der Immobilie -unabhängig von dessen Höhe- nicht Gegenstand des begrenzten Realsplittings gewesen. Für den Ehemann hätte insbesondere kein Anlass bestanden, die Ehefrau zur Zustimmung zu einem betragsmäßig höheren Realsplittung zu verklagen.
Die weiteren vom Finanzgericht für eine mietvertragsähnliche Vereinbarung angeführten Erwägungen liegen im Hinblick auf die Eindeutigkeit des Vertragstextes und der Gesamtumstände außerhalb einer rechtlich möglichen Würdigung. Insbesondere ist das von der Vorinstanz angeführte beiderseitige Interesse des Ehemanns und der Ehefrau, die Immobilie bis zur Besitzübergabe an die Käufer weiter zu nutzen, kein geeignetes Argument, um von einem entgeltlichen Rechtsverhältnis auszugehen. Unzutreffend ist zudem die Wertung des Finanzgericht, der zusätzlich zu zahlende Barunterhalt sei in Höhe des Entgelts für die Wohnungsnutzung reduziert worden. Nicht der Barunterhalt, sondern der mit 600 €/Monat veranschlagte gesamte Trennungsunterhalt wurde mit dem Wohnvorteil, den der Ehemann und die Ehefrau unterhaltsrechtlich mit 400 € bewerteten, verrechnet. Soweit das Finanzgericht anführt, die Vermietung einer Wohnung an den unterhaltsberechtigten Ehegatten sei nicht fremdunüblich, trifft dies zwar im Grundsatz zu10; im Streitfall fehlt es aber an einer entsprechenden Vereinbarung.
Aufgrund der nicht nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Auslegung der Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung und des Umstands, dass das Finanzgericht alle für die Würdigung erforderlichen Tatsachen festgestellt hat und weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen11, ist der Bundesfinanzhof berechtigt, die Vereinbarung selbst zu würdigen. Aus den bereits dargelegten Erwägungen bestehen keine Zweifel, dass die Nutzungsüberlassung des Miteigentumsanteils an der ehemaligen Familienwohnung unterhalts- und steuerrechtlich als Naturalunterhaltsleistung des Ehemanns anzusehen ist. Die im Revisionsverfahren vorgebrachten gegenteiligen Auffassungen des Finanzamtes und der Ehefrau überzeugen nicht. Sie beruhen ebenfalls auf der fehlerhaften Beurteilung, es sei im Streitjahr ein Barunterhalt von monatlich 600 € vereinbart gewesen.
Auch die weitere vom Finanzgericht für seine klageabweisende Entscheidung angeführte Begründung enthält Rechtsfehler.
Die Vorinstanz hat aus dem Umstand, dass die Immobilie nicht nur der Ehefrau, sondern auch den beiden gemeinsamen Kindern zur Nutzung überlassen worden sei, gefolgert, dass keine höheren als die bislang berücksichtigten Unterhaltsaufwendungen als Sonderausgaben abziehbar seien. Geteilt nach Köpfen -so die Erwägung des Finanzgericht- ergäbe sich selbst bei Zugrundelegung der vom Ehemann errechneten ortsüblichen Miete von monatlich 818, 07 € ein geringerer Betrag als 400 €.
Diese Begründung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Richtig ist insoweit nur, dass der Unterhaltsverpflichtete lediglich denjenigen Aufwand nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG abziehen kann, der gegenüber dem geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten zu erbringen ist. Kindesunterhalt wird durch das Kindergeld bzw. die kindbedingten Freibeträge nach § 32 EStG berücksichtigt. Einheitlich geleisteter Unterhalt ist somit für steuerrechtliche Zwecke aufzuteilen.
Hierzu hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass derartige Unterhaltsleistungen im Hinblick auf den Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG eben nicht nach Köpfen, sondern vielmehr nach zivilrechtlichen Grundsätzen aufzuteilen sind, wobei im Regelfall sowohl auf zivilrechtliche Unterhaltstitel als auch auf übereinstimmende Berechnungen der Familienrechtsanwälte zurückgegriffen werden kann12.
Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Finanzgericht nicht gerecht. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Vorinstanz angenommene „Kopf- bzw. Drittellösung“ aus Unterhaltstiteln oder einvernehmlichen unterhaltsrechtlichen Berechnungen abzuleiten wären, sind in dem angefochtenen Urteil nicht im Ansatz dargelegt. Ebenso wenig kann der Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung entnommen werden, inwiefern bei der Bewertung des Wohnvorteils der Ehefrau die Nutzungsüberlassung an die beiden Kinder eine Rolle gespielt und in welcher Höhe der Ehemann für die Kinder auch den Wohnbedarf abdeckenden Unterhalt geleistet hat. Sollte dem Grunde nach der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG um den Wohnvorteil der Kinder zu kürzen sein, kämen hierfür allenfalls die Beträge in Betracht, die in den Sätzen der für den jeweiligen Oberlandesgerichtsbezirk maßgeblichen unterhaltsrechtlichen Leitlinien für den Wohnbedarf eines unterhaltsberechtigten Kindes pauschalierend enthalten sind13. Die Entscheidung der Vorinstanz, selbst nach Maßgabe des vom Ehemann ermittelten Mietwerts seien jedenfalls keine höheren als die bislang berücksichtigten Unterhaltsleistungen zum Abzug zuzulassen, berücksichtigt diese Grundsätze nicht.
Die vorgenannten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Entscheidung des Finanzgericht erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig i.S. von § 126 Abs. 4 FGO. Denn der für unterhaltsrechtliche Zwecke festgelegte Wohnvorteil bestimmt nicht zwingend dessen steuerrechtliche Bewertung, sodass ein höherer als der bisher anerkannte Sonderausgabenabzug für Unterhaltsleistungen in Betracht kommt. Wäre dies der Fall, lägen auch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids des Ehemanns für das Streitjahr vor.
Die zwischen dem Ehemann und der Ehefrau getroffene unterhaltsrechtliche Vereinbarung über die Höhe des Vorteils aus der Nutzungsüberlassung der ehemaligen Familienwohnung ist in Bezug auf die Höhe des Sonderausgabenabzugs gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG nicht bindend.
Nach den bereits dargelegten, allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen ist die als Naturalunterhaltsleistung zu wertende unentgeltliche Überlassung einer Wohnung in sinngemäßer Anwendung des § 15 Abs. 2 BewG mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts anzusetzen14. Es handelt sich um den Geldbetrag, den der Berechtigte -hier die Ehefrau- aufwenden müsste, um sich die geldwerten Güter im freien Verkehr zu verschaffen15. Die Wertbestimmung erfolgt objektiv16, die subjektive Meinung der Vertragsbeteiligten hierüber ist somit unerheblich17.
Nach diesen Grundsätzen ist eine Naturalunterhaltsleistung gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG auch dann mit dem objektiven Wert anzusetzen, wenn die Parteien in einer Unterhaltsvereinbarung subjektiv einen geringeren Betrag zugrunde gelegt haben18. Dies deckt sich mit der vom BFH bereits getroffenen Entscheidung, dass Unterhaltsaufwendungen durch die Überlassung einer Wohnung für Zwecke eines Abzugs nach § 33a Abs. 1 EStG mit dem ortsüblichen Mietzins -d.h. einer objektiven Komponente- zu bewerten sind19. Diese Bewertung wendet der Bundesfinanzhof entsprechend für den Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG an4. Bezieht sich -wie im Streitfall- die Nutzungsüberlassung nur auf den dem Unterhaltsverpflichteten zuzuordnenden Miteigentumsanteil, ist der entsprechende Anteil des ortsüblichen Mietzinses anzusetzen20.
Der Bundesfinanzhof vermag nicht zu erkennen, ob der in der Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung benannte Wohnvorteil, den der Ehemann und die Ehefrau mit 400 € je Monat bewerteten, dem ortsüblichen Mietzins für den Miteigentumsanteil des Ehemanns an der ehemaligen Familienwohnung im Streitjahr entsprach.
Der Ehemann hat eine ortsübliche Miete von 818,07 € ermittelt (= 8,68 € x 235,62 qm = 2.045,18 € ./.20 % Abschlag wegen Übergröße = 1.636,14 € x 50 % Miteigentumsanteil). Dieser Wert ist vom Finanzgericht -auf der Grundlage seiner abweichenden Rechtsauffassung- bisher nicht überprüft worden.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Vorteil aus der Überlassung einer Wohnung an den Unterhaltsberechtigten in der Trennungsphase von Ehegatten bei zivilrechtlicher Betrachtung regelmäßig nicht mit dem objektiven -ortsüblichen- Mietwert übereinstimmt. Maßgeblich ist vielmehr der Mietwert, den der Unterhaltsberechtigte auf dem örtlichen Wohnungsmarkt für eine dem ehelichen Lebensstandard entsprechende angemessen kleinere Wohnung zahlen müsste21. Grund hierfür ist, dass in der Trennungsphase noch keine Notwendigkeit besteht, das bisherige Familienheim zu verwerten, da während jener Phase eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft noch nicht ausgeschlossen ist22. Würde der Wohnvorteil in Höhe des objektiven Mietwerts auf den Unterhaltsanspruch angerechnet, benachteiligte dies den Berechtigten. Feststellungen dazu, inwiefern diese unterhaltsrechtliche Beurteilung Maßstab für die vom Ehemann und der Ehefrau getroffenen Bewertung des Wohnvorteils im Streitjahr war, hat das Finanzgericht bislang nicht getroffen.
Der Bundesfinanzhof setzt sich hiermit nicht in Widerspruch zur Entscheidung des XI. Bundesfinanzhofs des Bundesfinanzhofs in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130. Wenn dort der unterhaltsrechtlich vereinbarte Wohnvorteil mit der ortsüblichen Miete offensichtlich gleichgesetzt wurde, dürfte dies allein darauf zurückzuführen sein, dass dort eine mögliche Divergenz zwischen den beiden Werten nicht im Streit stand. Jedenfalls hat der XI. Bundesfinanzhof die Aussage, dass die Höhe des unterhaltsrechtlich maßgeblichen Wohnvorteils verbindlich die Höhe des Sonderausgabenabzugs gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG bestimme, in der vorgenannten Entscheidung ersichtlich nicht getroffen.
Eine Klageabweisung käme auch nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen in Betracht. Im Einklang mit der Auffassung der Vorinstanz und abweichend zur Ansicht der Ehefrau wäre der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid des Ehemanns nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern, sollten materiell-rechtlich höhere Unterhaltsleistungen als 7.050 € in Ansatz zu bringen sein. Der vom Ehemann im Juli 2018 gestellte Antrag auf einen erweiterten Abzug von Unterhaltsleistungen stellt in Verbindung mit der von der Ehefrau vor dem Familiengericht am (…)2018 abgegebenen -ebenfalls erweiterten- Zustimmung ein rückwirkendes Ereignis im Sinne der Vorschrift dar.
Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
Ein solches Ereignis liegt vor, wenn sich nach Ergehen eines Steuerbescheids der rechtserhebliche Sachverhalt in der Weise ändert, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Normen des materiellen Steuerrechts23.
Nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung wirken der erst nach Erlass eines Steuerbescheids gestellte Antrag auf einen Sonderausgabenabzug für geleisteten Unterhalt und die für einen solchen Abzug erforderliche Zustimmung des Empfängers wegen deren rechtsgestaltender Bedeutung im vorgenannten Sinne in die Vergangenheit zurück. Antrag und Zustimmung überführen die Unterhaltsleistungen in den steuerrechtlich relevanten Bereich und ändern so ihren Rechtscharakter24. Dies gilt gleichermaßen, wenn nachträglich ein erweiterter Abzug von Unterhaltsleistungen vom Leistenden beantragt wird und eine ebenso erweiterte Zustimmung des Empfängers vorliegt25.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.
Der Ehemann hat mit seinem Begehren, nunmehr Unterhaltsleistungen nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG in Höhe von 12.067 € als Sonderausgaben abzuziehen, seinen ursprünglichen Antrag nachträglich -d.h. nach Ergehen der bisherigen Einkommensteuerbescheide für das Streitjahr- erweitert. Zudem hat die Ehefrau im gerichtlichen Vergleich vom (…)2018 mit ihrer dortigen Erklärung, sie stimme u.a. für den Veranlagungszeitraum 2015 dem begrenzten Realsplitting „unter Berücksichtigung der BGH-Entscheidung vom 29.04.199826“ zu, ihre vorherige Zustimmung i.S. von § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG inhaltlich erweitert.
Der Ehefrau ist zwar zuzugestehen, dass sie einem Realsplitting bereits in der Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung aus dem Jahr 2015 zugestimmt hatte, indem sie sich dort verpflichtet hatte, für den Ehemann „die Anlage U … zu unterzeichnen.“ Allerdings kann die dortige Zustimmung im Kontext der Vereinbarungen zum Trennungsunterhalt nur so gewertet werden, als der Sachunterhalt mit monatlich 400 € (jährlich 4.800 €) in Ansatz zu bringen wäre. Eine betragsmäßig weitergehende Zustimmung auf den nunmehr begehrten Sonderausgabenabzug für Naturalunterhaltsleistungen von monatlich 818, 07 € kann den Regelungen in der Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung keinesfalls entnommen werden. Dies wird durch den Inhalt der von der Ehefrau unterzeichneten Anlage U für das Streitjahr belegt; dort stimmte sie hinsichtlich des bezogenen Naturalunterhalts einem Sonderausgabenabzug des Ehemanns in Höhe von nur 4.800 € zu.
Eine andere als die vom Finanzgericht vorgenommene Würdigung der familiengerichtlichen Vereinbarung vom (…)2018 ist -entgegen der Ansicht der Ehefrau- nicht möglich. Durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die vorgenannte BGH, Entscheidung hat die Ehefrau ihre bislang betragsmäßig auf 4.800 € beschränkte Zustimmung zum Sonderausgabenabzug insoweit erweitert, als dem Ehemann hierdurch die Möglichkeit eröffnet wurde, eine steuerrechtliche Klärung über die Höhe des Abzugs herbeizuführen. Dies hat der Bundesgerichtshof damit begründet, dass der unterhaltsempfangende Ehegatte auch dann zur Abgabe der Zustimmungserklärung zum begrenzten Realsplitting verpflichtet sei, wenn es zweifelhaft erscheine, ob die steuerlich geltend gemachten Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach als Unterhaltsleistungen anerkannt würden27. Die Zustimmung der Ehefrau zu einem betragsmäßig weitergehenden Sonderausgabenabzug steht somit unter dem Vorbehalt, dass der Ehemann einen solchen Anspruch steuerrechtlich durchzusetzen vermag.
Die Einwendungen der Ehefrau greifen nicht durch. Aus den vorgenannten Erwägungen beschränkte sich die Erklärung vom (…)2018 nicht auf eine bloße Wiederholung der Zustimmung zum Realsplitting. Zumindest missverständlich ist zudem ihre Auffassung, die Zustimmung zum Realsplittung sei „unteilbar“. Dies mag hinsichtlich der Zustimmung dem Grunde nach zutreffen, nicht aber im Hinblick auf die konkrete Höhe.
Die Sache ist nicht spruchreif und geht zwecks weiterer Sachaufklärung und erneuter Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Im zweiten Rechtsgang wird das Finanzgericht neben der Ermittlung der ortsüblichen Miete für die überlassene Immobilie insbesondere zu erwägen haben, ob und -bejahendenfalls- in welcher Höhe ein auf die beiden gemeinsamen Kinder entfallender Wohnvorteil bei der Beurteilung der nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG abziehbaren Unterhaltsleistungen außer Betracht bleibt.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. Juni 2022 – X R 33/20
- Anschluss an BFH, Urteil vom 12.04.2000 – XI R 127/96, BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130, unter II. 1.[↩]
- vgl. zum Ganzen BFH, Urteil vom 12.04.2000 – XI R 127/96, BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130, unter II. 1., m.w.N.; ebenso statt vieler Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl., § 10 Rz 9[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130, unter II. 1.; allgemeine Auffassung im Schrifttum, vgl. Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach -HHR-, § 10 EStG Rz 227; Brandis/Heuermann/Vogel, § 10 EStG Rz 61; BeckOK EStG/Fissenewert, 12. Ed. [01.03.2022], EStG § 10 Rz 323; Hoheisel/Tippelhofer in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 10 Rz 427; Stöcker in Bordewin/Brandt, § 10 EStG Rz 435; Bauschatz in Korn, § 10 EStG Rz 230.02.5[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130, unter II. 1.[↩][↩]
- BFH, Urteil vom 17.03.1992 – IX R 264/87, BFHE 168, 78, BStBl II 1992, 1009, unter 1.[↩]
- BFH, Urteil vom 16.01.1996 – IX R 13/92, BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214[↩]
- Nds. FG, Urteil vom 11.06.2020 – 1 K 99/19[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 16.06.2021 – X R 29/19, BFH/NV 2022, 577, Rz 25, m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 13.11.1996 – XII ZR 125/95, NJW 1997, 731, unter 3.a; OLG Koblenz vom 16.05.2018 – 13 UF 99/18, FamRZ 2018, 1751; MünchKomm-BGB/Weber-Monecke, 9. Aufl., § 1361 Rz 77[↩]
- s.a. BFH, Urteil in BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 12.06.2019 – X R 38/17, BFHE 265, 182, BStBl II 2019, 518, Rz 40, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 12.12.2007 – XI R 36/05, HFR 2008, 697, unter II. 3.; ebenso u.a. Bleschick in Kirchhof/Seer, a.a.O., § 10 Rz 10[↩]
- Hinweis auf BGH, Beschluss vom 09.03.2016 – XII ZB 693/14, BGHZ 209, 243, Rz 19 – Wohnkostenanteil von 20 %[↩]
- s. BFH, Urteil in BFHE 192, 75, BStBl II 2002, 130, unter II. 1.[↩]
- statt vieler Esskandari in Stenger/Loose, Bewertungsrecht, § 15 BewG Rz 31[↩]
- BFH, Urteil vom 27.03.1981 – VI R 132/78, BFHE 133, 206, BStBl II 1981, 577 zur gleichlautenden Vorschrift des § 8 Abs. 2 EStG 1969[↩]
- Eisele in Rössler/Troll, BewG, § 15 Rz 3[↩]
- s. HHR/Kulosa, § 10 EStG Rz 227[↩]
- BFH, Urteil vom 09.11.1993 – IX R 74/90, BFH/NV 1994, 474, unter 3.[↩]
- vgl. BeckOK EStG/Fissenewert, 12. Ed. [01.03.2022], EStG § 10 Rz 323[↩]
- BGH, Urteil vom 28.03.2007 – XII ZR 21/05, NJW 2007, 1974, unter II. 1.a, m.w.N.[↩]
- BGH, Urteil vom 20.10.1999 – XII ZR 297/97, NJW 2000, 284, unter B.02.b, m.w.N.; Ende ggf. bereits mit Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags, vgl. BGH, Urteil vom 05.03.2008 – XII ZR 22/06, NJW 2008, 963, unter II. 1.b[↩]
- ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. nur BFH (GrS), Beschluss vom 19.07.1993 – GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II. 1.c, m.w.N.[↩]
- statt vieler zuletzt BFH, Urteil vom 28.07.2021 – X R 15/19, HFR 2022, 422, Rz 8, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 28.06.2006 – XI R 32/05, BFHE 214, 314, BStBl II 2007, 5, unter II. 2.[↩]
- BGH, Urteil vom 29.04.1998 – XII ZR 266-96[↩]
- BGH, Urteil in HFR 1999, 53, unter 2.b, m.w.N.[↩]