Übertragung stiller Reserven auf landwirtschaftliches Anlagevermögen

Steuerpflichtige können – vereinfacht gesagt – bei der Veräußerung von Immobilien die bei der Veräußerung eigentlich aufzudeckenden stillen Reserven auf eine andere Immobilie übertragen, die sie im gleichen Jahr anschaffen, § 6b EStG.

Übertragung stiller Reserven auf landwirtschaftliches Anlagevermögen

Die Übertragung einer solchermaßen gemäß § 6b EStG gebildeten Rücklage ist nach einem akutellen Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts auch auf land- und forstwirtschaftliches Anlagevermögen möglich.

Nach § 6b Abs. 1, 3 EStG können Steuerpflichtige, die wie der Kläger ihren Gewinn durch Bestandsvergleich ermitteln, unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen bei der Veräußerung von Grund und Boden und Gebäuden im Wirtschaftsjahr der Veräußerung grundsätzlich eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden und bis zur Höhe dieser Rücklage einen Betrag von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgütern abziehen.

Nach § 6b Abs. 4 S. 2 EStG ist der Abzug einer nach § 6b Abs. 1, 3 EStG gebildeten Rücklage bei Wirtschaftgütern, die zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehören oder der selbständigen Arbeit dienen, aber nicht zulässig, wenn der Gewinn bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines Gewerbebetriebes entstanden ist. Zwar spricht der eindeutige Gesetzeswortlaut für die Auffassung des Beklagten, dass eine Übertragung der Rücklage auf den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb des Klägers nicht in Betracht kommt.

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Das Niedersächsische Finanzgericht teilt aber unter Berücksichtigung des in der Begründung des Gesetzesentwurfs zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willens die Auffassung der Kläger, dass im Streitfall die Vorschrift abweichend von ihrem Wortlaut unter Beachtung des mit ihr verfolgten Zwecks im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend zu interpretieren ist, dass eine Übertragung der im Gewerbebetrieb entstandenen stillen Reserven auf zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Wirtschaftgütern zulässig ist, wenn der Veräußerungsgewinn nicht der Gewerbesteuer unterliegt.

Unter Einbeziehung der Begründung zu § 6b Abs. 4 S. 2 EStG im Entwurf des Steueränderungsgesetz 19641 ist das Finanzgericht der Auffassung, dass der Regelungsinhalt des § 6b Abs. 4 S. 2 EStG über den nach seinem Wortlaut erkennbaren Gesetzeszweck hinausgeht. In der Begründung wird ausschließlich auf die gewerbesteuerlichen Auswirkungen der Übertragung von stillen Reserven abgestellt, ohne dass dies in der Regelung selbst zum Ausdruck kommt, so dass eine den Wortlaut ein-schränkende Auslegung geboten erscheint2.

In der Gesetzesbegründung zu § 6 b Abs. 4 Satz I 1 Ziff. 3 und Satz 2 EStG wird zunächst dargelegt, dass die Neutralisierung von Gewinnen, die bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern einer inländischen Betriebsstätte entstehen, sich nicht nur auf die Einkommensteuer, sondern auch auf die Gewerbesteuer auswirke, weil ohne die Regelung des § 6b EStG auch Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag ausgelöst werde. Weil die Übertragung dieser stillen Reserven auf Wirtschaftsgüter einer Betriebsstätte, deren Gewinne nicht von der Gewerbesteuer erfasst seien, zur Folge habe, dass sich auch die stillen Reserven nicht mehr auf die Gewerbesteuer auswirkten, werde deshalb durch Absatz 4 Satz 1 Ziff. 3 bestimmt, dass aufgedeckte stille Reserven nicht auf Anlagegüter einer Betriebsstätte im Ausland übertragen werden könnten. Im anschließenden Satz wird weiter ausgeführt, dass „aus den gleichen Erwägungen in Absatz 4 Satz 2 bestimmt (wird), dass stille Reserven, die bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines Gewerbebetriebes aufgedeckt worden sind, nicht auf Wirtschaftsgüter übertragen werden können, die zu einem Betrieb einer anderen Einkunftsart gehören. Dagegen ist die Übertragung stiller Reserven, die bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs oder eines Betriebs im Rahmen der Einkunftsart „selbständige Arbeit“ aufgedeckt worden sind, auf Wirtschaftsgüter anderer Betriebe im Rahmen dieser Einkunftsarten oder auf Wirtschaftsgüter eines Gewerbebetriebs ebenso zulässig wie die Übertragung der bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines Gewerbebetriebs aufgedeckten stillen Reserven auf Wirtschaftsgüter eines anderen Gewerbebetriebs des Steuerpflichtigen“3. Dieser Begründung entnimmt das Nds. Finanzgericht in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, dass die Regelung nur verhindern soll, dass ein gewerblicher Veräußerungsgewinn endgültig der Gewerbesteuer entzogen wird4. Ein anderer Zweck lässt sich dieser Regelung nicht entnehmen.

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Da der bei der Veräußerung oder Aufgabe eines Gewerbebetriebes im Ganzen erzielte Gewinn nicht dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen ist5 und damit auch nicht der Gewerbesteuer unterliegt, kann die Gewerbesteuer durch die Übertragung stiller Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter gemäß § 6 b EStG auch nicht verloren gehen. Aus diesem Grund legt das Finanzgericht die Vorschrift abweichend von ihrem Wortlaut dahin aus, dass Gewinne, die aus der Veräußerung eines Gewerbebetriebes resultieren und nicht der Gewerbesteuer unterliegen, von dem Übertragungsverbot nach § 6b Abs. 4 S. 2 EStG nicht erfasst werden.

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 3. Juni 2009 – 4 K 12096/05

  1. „Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftssteuergesetzes, des Spar-Prämiengesetzes, des Wohnungsbau-Prämiengesetzes und anderer Gesetze vom 19. Juni 1964“, BT-Drs. IV/2400[]
  2. so auch FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. Oktober 1993, 2 K 2169/92 EFG 1994, 615[]
  3. BT-Drs. IV/2400, S. 64[]
  4. so auch Schmidt/Glanegger EStG Kommentar 28. Aufl. (2009) § 6b Rz. 77; Frotscher/Siewert, EStG Kommentar 137. Lfg. § 6b Rz. 119; Heger in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum EStG, § 6b E 43; Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach Kommentar zum EStG und KStG, EStG § 6b Anm. E 142; Blümich/Schlenker EStG Kommentar, § 6b Rz. 221[]
  5. st. Rspr., BFH, Urteil vom 3. Februar 1994 III R 23/89, BFHE 174, 372, BStBl II 1994, 709[]
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