Unterhaltsaufwendungen für ein behindertes Kind

Ein schwerbehindertes Kind, das seinen Grundbedarf und behinderungsbedingten Mehrbedarf nicht selbst zu decken in der Lage ist, muss ein zur Altersvorsorge gebildetes Vermögen nicht vor der Inanspruchnahme elterlichen Unterhalts verwerten. Die Eltern können die Unterhaltsaufwendungen deshalb als außergewöhnliche Belastungen bei ihrer Einkommensteuerfestsetzung abziehen, entschied jetzt der Bundesfinanzhof.

Unterhaltsaufwendungen für ein behindertes Kind

Unterhaltsaufwendungen sind nur dann zwangsläufig, wenn die unterhaltene Person außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Grundsätzlich ist das volljährige Kind verpflichtet, seinen Vermögensstamm im Rahmen des Zumutbaren zu verwerten, bevor es seine Eltern auf Unterhalt in Anspruch nimmt .

Ein schwerbehindertes Kind, das angesichts der Schwere und der Dauer seiner Erkrankung seinen Grundbedarf und behinderungsbedingten Mehrbedarf nicht selbst zu decken in der Lage ist, darf zur Altersvorsorge maßvoll Vermögen bilden1.

Die das eigene Vermögen des Unterhaltsempfängers betreffende Bestimmung des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG kommt im Rahmen des § 33 EStG nicht eigens zur Anwendung .

Im Fall der Übertragung des Behinderten-Pauschbetrags kann der Steuerpflichtige Aufwendungen für sein behindertes Kind gemäß § 33 EStG zusätzlich abziehen.

Unterhaltsaufwendungen sind nur dann als außergewöhnliche Belastungen steuerlich abziehbar, wenn die unterhaltene Person außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Ein volljähriges Kind ist grundsätzlich verpflichtet, vorrangig seinen Vermögensstamm zu verwerten, bevor es seine Eltern auf Unterhalt in Anspruch nimmt. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Vermögensverwertung unzumutbar ist. Diese Ausnahme hat der Bundesfinanzhof in dem jetzt entschiedenen Fall bejaht. In diesem Rechtsstreit ging es um den Abzug von Unterhaltskosten für ein seit Geburt schwerbehindertes, am Down-Syndrom leidenden Kind, das aufgrund einer Schenkung Eigentümer eines Mehrfamilienhauses ist. Das Finanzamt lehnte den Antrag der Eltern, die Kosten als außergewöhnliche Belastung in vollem Umfang zum Abzug zuzulassen, mit Verweis auf das Vermögen der Tochter ab. Das Finanzgericht folgte dem.

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Der Bundesfinanzhof hob die finanzgerichtliche Vorentscheidung jedoch auf und gab den Eltern dem Grunde nach Recht. Da ungewiss sei, ob das Kind stets seinen Unterhaltsbedarf durch Leistungen der Eltern werde decken können, hätte eine Altersvorsorge getroffen werden müssen. Diese sei hier angesichts der Schwere und Dauer der Krankheit noch maßvoll ausgefallen. Es wäre unzumutbar, vom Kind zu verlangen, den Stamm seines Vermögens schon jetzt anzugreifen.

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastungen). Aufwendungen sind außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 EStG).

Im Streitfall sind den Klägern die Aufwendungen für die Heimunterbringung der Tochter aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen.

Die Kläger hatten ihrer Tochter angemessenen Unterhalt zu leisten (§§ 1601, 1610 Abs. 1 BGB). Ihr von den Klägern aufzubringender Lebensbedarf umfasste auch den behinderungsbedingten Mehrbedarf2.

Unterhaltsaufwendungen sind nur dann zwangsläufig, wenn die unterhaltene Person außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB)3. Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Das Kind war im Streitfall nicht verpflichtet, den Stamm ihres Vermögens einzusetzen.

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Ein volljähriges Kind ist grundsätzlich verpflichtet, vorrangig seinen Vermögensstamm zu verwerten, bevor es seine Eltern auf Unterhalt in Anspruch nimmt. Dies folgt im Umkehrschluss aus § 1602 Abs. 2 BGB. Der Grundsatz kommt jedoch nicht zur Anwendung, wenn die Vermögensverwertung im Einzelfall unzumutbar ist. Inwieweit das Vermögen einzusetzen ist, muss daher jeweils aufgrund einer Zumutbarkeitsabwägung unter Berücksichtigung aller bedeutsamen Umstände und insbesondere auch der Lage der Unterhaltsverpflichteten entschieden werden4. Nach diesen Grundsätzen dürfen schwerbehinderte volljährige Kinder, die ihren angemessenen Bedarf nicht selbst decken können und bei denen ungewiss ist, ob ihr Unterhaltsbedarf im Alter durch Unterhaltsleistungen der Eltern gedeckt werden kann, maßvoll Vermögen bilden; eine als Altersvorsorge dienende vermietete Eigentumswohnung braucht deshalb nicht vor der Inanspruchnahme elterlichen Unterhalts verwertet zu werden5.

Nach diesen Grundsätzen konnte auch der schwerbehinderten Tochter der Kläger die Veräußerung des Grundstücks nicht zugemutet werden, da sie hierauf zur Altersvorsorge und zur Abdeckung ihres weiteren lebenslangen behinderungsbedingten Mehrbedarfs angewiesen war6. Da ungewiss ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Tochter mit zunehmendem Alter ihren Grundbedarf und vor allem den behinderungsbedingten Mehrbedarf durch Unterhaltsleistungen der Kläger wird decken können, war eine Altersvorsorge zu treffen. Diese Vorsorge ist angesichts der Schwere und der Dauer der Krankheit maßvoll ausgefallen. Mit den Vermögenserträgnissen kann der durch die Behinderung bedingte Bedarf im Alter wenigstens teilweise gedeckt werden. Da andererseits nach den Feststellungen des FG wegen des außerordentlich hohen Unterhaltsbedarfs der A bei Verwertung des Grundstücks „der Veräußerungserlös schnell verbraucht wäre“, wäre es unbillig, von der behinderten Tochter zu verlangen, den Stamm ihres Vermögens anzugreifen.

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Dabei kommt, so der Bundesfinanzhof, die das eigene Vermögen des Unterhaltsempfängers betreffende Bestimmung des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG im Rahmen des § 33 EStG nicht ergänzend zur Anwendung. § 33a EStG stellt gegenüber der allgemeinen Regelung des § 33 EStG eine Sondervorschrift dar. Das bedeutet auch, dass die in § 33a EStG enthaltenen Sonderbestimmungen nicht auf die Generalklausel des § 33 EStG ausgedehnt werden dürfen7.

Zum Verhältnis dieser nach § 33 EStG abziehbaren Aufwendungen zum Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 3 EStG) wird darauf hingewiesen, dass im Fall der Übertragung dieses Pauschbetrags (§ 33b Abs. 5 EStG) der Steuerpflichtige Aufwendungen für sein behindertes Kind zusätzlich abziehen kann, weil der Pauschbetrag nur Aufwendungen des Kindes abgilt (HHR/Kanzler, § 33b EStG Rz 80). Im Übrigen wird § 33 Abs. 3 EStG zu beachten sein.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. Februar 2010 – VI R 61/08

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 30.10.2008 – III R 97/06, BFH/NV 2009, 728[]
  2. BFH, Urteil vom 30.10.2008 – III R 97/06, BFH/NV 2009, 728, m.w.N; siehe auch BFH, Urteil vom 23.05.2002 – III R 24/01, BFHE 199, 296, BStBl II 2002, 567[]
  3. BFH, Urteil vom 14.08.1997 – III R 68/96, BFHE 184, 315, BStBl II 1998, 241[]
  4. BGH, Urteil vom 05.11.1997 – XII ZR 20/96, NJW 1998, 978; OLG Hamm, Urteil vom 11.08.2006 – 11 UF 25/06, NJW 2007, 1217; BFH, Urteil in BFH/NV 2009, 728; MünchKommBGB/ Born, 5. Aufl., § 1602 Rz 58[]
  5. OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.11.1999 – 2 UF 229/98, FamRZ 2001, 47[]
  6. siehe BFH, Urteil in BFH/NV 2009, 728[]
  7. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz 10[]
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