Die auch bei den Einkünften aus § 17 EStG erforderliche Gewinnerzielungsabsicht muss sich auf die gesamte Beteiligung des Steuerpflichtigen an der Kapitalgesellschaft beziehen. Eine auf den einzelnen veräußerten Geschäftsanteil bezogene Betrachtung ist ausgeschlossen.

Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war, wobei nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG zu den Anteilen an einer Kapitalgesellschaft unter anderem die Anteile an einer GmbH zählen.
Bei der Ermittlung des Einkommens sind nach allgemeinen Grundsätzen nur solche positiven oder negativen Einkünfte anzusetzen, die unter die Einkünfte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG fallen. Fehlt es an der Absicht der Einkünfteerzielung, liegen keine steuerbaren Einkünfte vor1.
§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ordnet die Veräußerung von Anteilen an einer im Privatvermögen gehalten Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft unter den dort genannten Voraussetzungen den gewerblichen Einkünften im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu. Deswegen sind die Grundaussagen des § 2 Abs. 1 EStG über die Steuerbarkeit des Einkommens bei Anwendung des § 17 EStG vorgegeben. Der Steuerpflichtige muss die Anteile an der Gesellschaft mit der Absicht, Gewinne zu erzielen, erwerben und halten2.
Von einer solchen Gewinnerzielungsabsicht geht die höchstrichterliche Rechtsprechung bei den Einkünften aus § 17 EStG im Regelfall aus, selbst wenn die Beteiligung nur kurze Zeit gehalten wurde3. Denn § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gibt keine Mindestdauer für das Halten der Beteiligung vor, sondern lässt es genügen, dass der Steuerpflichtige zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung tatbestandsmäßig an der Kapitalgesellschaft beteiligt war4. Bereits aus diesem Grund verfängt der Einwand des Finanzamtes, die Gesellschafterin habe den veräußerten Geschäftsanteil Nr. 25 001 nur sieben Tage gehalten, nicht.
An einer Gewinnerzielungsabsicht fehlt es (nur), wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass aufgrund der individuellen Verhältnisse der Kapitalgesellschaft und/oder ihrer Gesellschafter auch langfristig mit positiven Einkünften nicht zu rechnen ist oder dass rein persönliche Gesichtspunkte -wie freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen- für die Beteiligung des Steuerpflichtigen bestimmend waren5. Veräußerungsverluste, die generiert werden, um steuerliche Vorteile zu erzielen, stellen im Regelfall nicht die Gewinnerzielungsabsicht infrage, sondern sind dahin zu würdigen, ob rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO missbraucht wurden.
Die Gewinnerzielungsabsicht muss sich auf die gesamte Beteiligung an der Kapitalgesellschaft beziehen. Eine Einzelbetrachtung jedes veräußerten Geschäftsanteils ist ausgeschlossen.
Die einzelnen Geschäftsanteile an einer GmbH sind zwar zivilrechtlich selbständig und daher unterscheidbar6. Darüber hinaus ist auch das in § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG geregelte Verlustberücksichtigungsverbot anteilsbezogen ausgestaltet („… soweit […] auf Anteile entfällt …“)7.
Verfehlt ist allerdings die Auffassung des Finanzamtes, diese Betrachtung auf die Gewinnerzielungsabsicht auszudehnen. Dem Wortlaut des § 17 EStG sind hierfür keine durchgreifenden Anhaltspunkte zu entnehmen. Steuersystematische Erwägungen gebieten es vielmehr, die Gewinnerzielungsabsicht an der gesamten Beteiligung des Steuerpflichtigen zu messen.
Hierfür spricht zunächst, dass im Fall des Erreichens der Relevanzschwelle des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft als Ganzes und eben nicht der einzelne Geschäftsanteil steuerlich verstrickt ist. Bereits hieraus lässt sich ableiten, dass auch die Gewinnerzielungsabsicht geschäftsanteilsübergreifend zu beurteilen ist.
Zudem ist bei der Prüfung, ob eine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt, nicht abschnittsbezogen ein Periodengewinn (oder -verlust) in Bezug zu nehmen, sondern der Totalgewinn als Ergebnis der steuerrelevanten Tätigkeit oder Nutzung von Kapitalvermögen8. Gewinne oder Verluste aus einzelnen Geschäftsanteilsveräußerungen haben für sich betrachtet somit keine Aussagekraft darüber, ob der Steuerpflichtige die (gesamte) Beteiligung an der Kapitalgesellschaft in der Absicht erworben und gehalten hat, hieraus einen Totalgewinn zu erzielen.
Ohnehin wird für das Streben nach einem Totalgewinn bei den Einkünften aus § 17 EStG nicht nur die Wertsteigerung der Beteiligung berücksichtigt. Einzubeziehen sind auch die laufenden -den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnenden- Erträge aus Ausschüttungen. Denn die Höhe des Veräußerungsgewinns und das Ausschüttungsverhalten der Kapitalgesellschaft stehen in einer Wechselwirkung in der Weise, dass thesaurierte Gewinne regelmäßig den Veräußerungsgewinn erhöhen und Ausschüttungen ihn ermäßigen9. Die lediglich rechtstechnische Trennung des Veräußerungsgewinns von den laufenden Erträgen kann nicht zu einer isolierten -auf die Veräußerung begrenzten- Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht führen10. Eine solche Gesamtbetrachtung gebietet es, bei dieser Beurteilung auf die Kapitalbeteiligung als Ganzes abzustellen.
Die gegenteilige Ansicht des Finanzamtes führte darüber hinaus zu nicht begründbaren Differenzen zur Beurteilung der Überschusserzielungsabsicht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 EStG. Dort ist anerkannt, dass die Überschusserzielungsabsicht nicht einheitlich für die gesamte Einkunftsart, sondern für jede einzelne Kapitalanlage zu bestimmen ist11. Unter „Kapitalanlage“ ist bei Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht der einzelne Geschäftsanteil, sondern die Gesamtheit der Anteile des Steuerpflichtigen an der jeweiligen Gesellschaft zu verstehen.
Es ist zudem systematisch inkonsequent, Verluste aus der Veräußerung einzelner Geschäftsanteile steuerrechtlich nicht anzuerkennen, während Gewinne aus der Veräußerung anderer Geschäftsanteile an derselben Kapitalgesellschaft besteuert werden sollen, obwohl jene Gewinne (auch) daraus resultieren, dass die Kapitalrücklage anteilig an den Erwerber mitveräußert wird. Eine auf den einzelnen Geschäftsanteil reduzierte Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht hätte zur Konsequenz, dass bei einer Gesamtbetrachtung Teile der Anschaffungskosten des veräußernden Steuerpflichtigen außen vor blieben. Dies ist mit dem Zweck des § 17 Abs. 1 EStG, den vom Steuerpflichtigen erzielten Substanzgewinn zu besteuern12, unvereinbar.
Schließlich geht auch der Gesetzgeber offensichtlich davon aus, dass sich die Gewinnerzielungsabsicht auf die gesamte Beteiligung des Steuerpflichtigen an der jeweiligen Kapitalgesellschaft beziehen muss. Der mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.201913 eingeführten Regelung des § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG hätte es nicht bedurft, wenn die steuerliche Anerkennung eines -gezielt herbeigeführten- Verlusts aus der Veräußerung eines Geschäftsanteils, der wegen Einzahlungen in das Kapital der Gesellschaft mit hohen Anschaffungskosten belastet ist, bereits an der fehlenden Gewinnerzielungsabsicht scheitert.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. Mai 2023 – IX R 12/22
- statt vieler: BFH, Beschluss vom 25.06.1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751[↩]
- allgemeine Ansicht, vgl. BFH, Urteil vom 29.06.1995 – VIII R 68/93, BFHE 178, 160, BStBl II 1995, 722, unter II. 1.b aa, m.w.N.; Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach -HHR-, § 17 EStG Rz 60, 100; Brandis/Heuermann/Vogt, § 17 EStG Rz 125, 257; Schmidt/Levedag, EStG, 42. Aufl., § 17 Rz 10[↩]
- BFH, Urteil vom 29.06.1995 – VIII R 68/93, BFHE 178, 160, BStBl II 1995, 722, unter II. 1.b bb, m.w.N.; s.a. BeckOK EStG/Trossen, 15. Ed. [01.03.2023], EStG § 17 Rz 199[↩]
- HHR/Schmidt, § 17 EStG Rz 100, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 02.05.2001 – VIII R 32/00, BFHE 195, 302, BStBl II 2001, 668, unter 1., m.w.N.[↩]
- vgl. § 15 Abs. 2 GmbHG). Diese Selbständigkeit spiegelt sich in der steuerrechtlichen Beurteilung insoweit wider, als auch die Veräußerung eines einzelnen Geschäftsanteils und nicht nur die Gesamtbeteiligung unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG tatbestandsmäßig ist. Zudem sind bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG die Anschaffungskosten für den jeweiligen Anteil jedenfalls dann isoliert zu bestimmen, wenn sie jeweils unterschiedlich hoch ausgefallen sind ((so bereits BFH, Urteil vom 10.10.1978 – VIII R 126/75, BFHE 126, 206, BStBl II 1979, 77, unter 2.b aa[↩]
- vgl. auch Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 17 Rz 113[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 29.06.1995 – VIII R 68/93, BFHE 178, 160, BStBl II 1995, 722, unter II. 1.b cc, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 29.06.1995 – VIII R 68/93, BFHE 178, 160, BStBl II 1995, 722, unter II. 1.b cc sowie vom 02.05.2001 – VIII R 32/00, BFHE 195, 302, BStBl II 2001, 668, unter 1.[↩]
- zutreffend Weber-Grellet, Finanz-Rundschau 2001, 705[↩]
- vgl. u.a. BFH, Urteile vom 14.05.2014 – VIII R 37/12, BFH/NV 2014, 1883, Rz 16 sowie vom 14.03.2017 – VIII R 38/15, BFHE 258, 240, BStBl II 2017, 1040, Rz 18[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 14.02.2023 – IX R 23/21, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BStBl II 2023, 557, Rz 25[↩]
- BGBl I 2019, 2451[↩]