Veräußerungsgewinne und -verluste beim Bondstripping

Nach der Rechtslage bis zur Einfügung des § 20 Abs. 2 Satz 4 und 5, Abs. 4 Satz 8 und 9 EStG durch das Investmentsteuerreformgesetz vom 19.07.20161 sind im Fall des sogenannten Bondstripping von im Privatvermögen gehaltenen Bundesanleihen deren Anschaffungskosten nicht auf den durch die Trennung entstandenen Anleihemantel und die Zinsscheine aufzuteilen. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der bis zum Jahressteuergesetz 20202 geltenden Fassung ist nicht dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass die Norm keine Anwendung findet, wenn durch die Veräußerung einer Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht.

Veräußerungsgewinne und -verluste beim Bondstripping

Die Veräußerung des Anleihemantels und die Veräußerung der Zinsscheine führen zu Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG.

Nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ist Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 2 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten. Anschaffungskosten sind gemäß § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können.

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Im Streitfall sind die Anschaffungskosten der erworbenen Bundesanleihe im Veräußerungszeitpunkt in voller Höhe dem Anleihemantel zuzuordnen und nicht, wie vom Finanzgericht angenommen, auf den Anleihemantel und die Zinsscheine im Verhältnis der jeweiligen Marktwerte aufzuteilen. Wie der Bundesfinanzhof bereits wiederholt entschieden hat3, kommt es beim Bondstripping von im Privatvermögen gehaltenen Bundesanleihen nicht zu einer Substanzabspaltung. Denn obgleich nach der Trennung der Anleihen in die Anleihemäntel und die Zinsscheine jeweils nur noch sonstige Kapitalforderungen in Form von Nullkuponanleihen vorliegen, aus denen der jeweilige Inhaber den Zins oder das Kapital einziehen kann, ergibt sich aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, dass die Abtrennung und Veräußerung der Zinsscheine als entgeltliche Vorausabtretung von Zinserträgen zu behandeln ist. Diesen vorgezogenen Zinserträgen sind beim (Erst-)Veräußerer der Zinsscheine keine Anschaffungskosten gegenüberzustellen. Erst der (Zweit-)Erwerber trägt Anschaffungskosten durch den Erwerb der Zinsscheine und erzielt im Falle einer Weiterveräußerung einen Gewinn gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG. Die Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 4 und 5, Abs. 4 Satz 8 und 9 EStG i.d.F. des Investmentsteuerreformgesetzes vom 19.07.20161, wonach in den Fällen, in denen ein Zinsschein vom Stammrecht abgetrennt wird, dies als Veräußerung der Schuldverschreibung und als Anschaffung der durch die Trennung entstandenen Wirtschaftsgüter gilt, findet nach der im Streitjahr geltenden Rechtslage keine Anwendung4.

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Danach ergibt sich im hier entschiedenen Fall aus der Veräußerung der Zinsscheine -wie von den Anlegern erklärt- ein Gewinn gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 4 EStG und aus der Veräußerung des Anleihemantels ein Verlust gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG. Die steuerliche Anerkennung dieses negativen Unterschiedsbetrags kann nicht unter Hinweis auf die fehlende Einkünfteerzielungsabsicht des Anlegers versagt werden, sodass sich das angefochtene Urteil auch nicht aus diesem Grund als im Ergebnis richtig erweist (§ 126 Abs. 4 FGO).

Wie der Bundesfinanzhof ebenfalls bereits entschieden hat5, genügt zur Widerlegung der Einkünfteerzielungsabsicht für die Veräußerung des Anleihemantels gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG weder das bloße Erzielen eines Veräußerungsverlusts, noch kann wegen der beabsichtigten Abtrennung der Zinsscheine auf eine fehlende Einkünfteerzielungsabsicht beim Erwerb der Bundesanleihen durch den Anleger abgestellt werden. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, bei der die Einkünfteerzielungsabsicht unter Einbeziehung sowohl der durch die Veräußerung der Anleihemäntel erzielten Verluste als auch der durch die Veräußerung der Zinsscheine erzielten Gewinne nach der Auftrennung der Bundesanleihen zu beurteilen ist. Danach ist die Einkünfteerzielungsabsicht im Streitfall nicht widerlegt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass unter den Umständen des Streitfalls von vornherein feststand oder von dem Anleger von Anfang an beabsichtigt war, dass er bei zusammenfassender Betrachtung beider Veräußerungsvorgänge per Saldo einen Verlust erzielen werde. Auch aus der Veräußerung des Anleihemantels an die vom Anleger beherrschte D-GmbH folgt nichts anderes, da die Veräußerung wie unter fremden Dritten zum marktüblichen Preis erfolgt ist.

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Der Verlust aus der Veräußerung des Anleihemantels im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG in Höhe von 846.108 € ist als tariflicher Verlust der Besteuerung zugrunde zu legen, weil die Anwendung des gesonderten Tarifs gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ausgeschlossen ist. Wie der Bundesfinanzhof bereits ausgeführt hat, ist § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG, dessen tatbestandliche Voraussetzungen vorliegend unstreitig erfüllt sind, weder einschränkend dahin auszulegen, dass die Regelung keine Anwendung findet, wenn -wie im Streitfall- durch die Veräußerung einer Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht, noch scheidet die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG aus, weil ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 42 AO vorliegt6.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. Juni 2023 – VIII R 17/22

  1. BGBl I 2016, 1730[][]
  2. BGBl I 2020, 3096[]
  3. vgl. BFH, Urteile vom 30.11.2022 – VIII R 15/19, BFHE 279, 85, BStBl II 2023, 632 und – VIII R 30/20, BFHE 279, 99, BStBl II 2023, 638 sowie vom 16.03.2023 – VIII R 36/19[]
  4. BFH, Urteile vom 30.11.2022 – VIII R 15/19, BFHE 279, 85, BStBl II 2023, 632; und – VIII R 30/20, BFHE 279, 99, BStBl II 2023, 638; und vom 16.03.2023 – VIII R 36/19[]
  5. vgl. BFH, Urteile vom 30.11.2022 – VIII R 15/19, BFHE 279, 85, BStBl II 2023, 632 und – VIII R 30/20, BFHE 279, 99, BStBl II 2023, 638; und vom 16.03.2023 – VIII R 36/19[]
  6. BFH, Urteile vom 30.11.2022 – VIII R 15/19, BFHE 279, 85, BStBl II 2023, 632 und – VIII R 30/20, BFHE 279, 99, BStBl II 2023, 638; und vom 16.03.2023 – VIII R 36/19[]
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