Die Regelungen zum Grundfreibetrag und den Kinderfreibeträge für den Veranlagungszeitraum 2006 sind nach Ansicht des Bundesfinanzhofs verfassungsgemäß.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts1 ist dem Steuerpflichtigen das Existenzminimum zu belassen. Die Höhe dieses Existenzminimums, welches unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG für eine Familie zu beachten ist, orientiert sich dabei am Mindestbedarf, wie ihn das Sozialrecht in Form der Sozialhilfeleistungen konkretisiert2.
Damit hat das Bundesverfassungsgericht gerade nicht auf die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO abgestellt. Die gegenteilige Ansicht verkennt bei ihrem Vergleich zwischen den Grundfreibeträgen und den Pfändungsfreigrenzen, dass die Rechtswirkungen der jeweiligen Grenzüberschreitungen sich wesentlich unterscheiden. Während ein Überschreiten der Pfändungsfreigrenzen einen grundsätzlich unbeschränkten Zugriff des Gläubigers auf die überschießenden Beträge ermöglicht, bewirkt ein Überschreiten des jeweiligen Grundfreibetrags lediglich einen Zugriff in Höhe des –zunächst niedrigen– Durchschnittssteuersatzes. Die Maßstäbe sind daher grundsätzlich nicht vergleichbar.
Es kann dahinstehen, wie es zu beurteilen ist, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ein Konflikt zwischen der Höhe der Steuerschuld –nicht der Besteuerungsgrundlage– und den Pfändungsmöglichkeiten entstehen sollte, der durch Anwendung einfachgesetzlichen Rechts nicht aufzulösen ist. Allein der Umstand, dass eine festgesetzte Steuerforderung in die Pfändungsfreigrenzen eingriffe, wenn sie vollstreckt würde, genügt für einen verfassungsrechtlich zu beanstandenden Konflikt jedenfalls nicht, weil er maßgebend durch ein Auseinanderfallen von Veranlagungszeitraum und Festsetzungszeitpunkt entstehen kann und der ggf. zu gewährende Vollstreckungsschutz die Pfändungsfreigrenzen sichert.
Das Existenzminimum ist auch für das Streitjahr 2006 in ausreichender Höhe durch den Grundfreibetrag und die Kinderfreibeträge berücksichtigt worden. Der Gesetzgeber hat für die Berechnung des Grundfreibetrags wie auch der Kinderfreibeträge für das Streitjahr den Fünften Existenzminimumsbericht vom 05.02.20043 zugrunde gelegt, der nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 02.06.19954 nur alle zwei Jahre vorzulegen ist. Somit berücksichtigt dieser Fünfte Existenzminimumsbericht in prognostischer Art und Weise –auch wenn er dies nicht ausdrücklich benennt– neben der Höhe des Grundfreibetrags und der Kinderfreibeträge zum 1. Januar 2005 auch diejenigen zum 1. Januar 2006. Der Höhe nach sind sie als verfassungsgemäß einzustufen – wie schon die zum 1. Januar 2005 berechneten Freibeträge5. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Freibeträge noch zum 1. Januar 2008 ausreichten6. Eine Erhöhung dieser Freibeträge ist auch nicht aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 20107 geboten gewesen, da eine Neuregelung der Regelleistungen wie des Sozialgeldes vom Bundesverfassungsgericht erst zum 1. Januar 2011 verlangt worden ist.
Aufgrund des prognostisch angelegten Existenzminimumsberichts kann der Gesetzgeber nicht auf die aktuellen Preisentwicklungen im jeweiligen Streitjahr reagieren, so dass der Grundfreibetrag einen erhöhten Mehrbedarf durch aktuelle Entwicklungen nicht abbilden kann. Soweit deshalb Bedenken in der Literatur bestehen, betreffen diese nicht das Streitjahr 2006, sondern spätere Jahre ab 2007, so dass der Bundesfinanzhof auch insoweit keinen Anpassungsbedarf sieht8. Dies gilt ebenso für eine inflationsbedingte Anpassung – auch aufgrund des Indexes der wahrgenommenen Inflation in Deutschland9.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27. November 2012 – X B 48/11
- BVerfG, Beschluss vom 25.09.1992 – 2 BvL 5/91, 8/91, 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413[↩]
- so auch BFH, Urteil vom 18.11.2009 – X R 34/07, BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414[↩]
- BT-Drs. 15/2462[↩]
- BT-Drs. 13/1558 vom 31.05.1995 und Plenarprotokoll 13/42 vom 02.06.1995[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414[↩]
- vgl. Sechster Existenzminimumsbericht vom 02.11.2006, BT-Drs. 16/3265[↩]
- BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 4/09, BVerfGE 125, 175[↩]
- so schon Urteil in BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414, m.w.N.[↩]
- vgl. Brachinger, Der Euro als Teuro? Die wahrgenommene Inflation in Deutschland, in: Wirtschaft und Statistik 2005, 999, 1004 f.[↩]