Spekulationsfrist bei Grundstücksveräußerungsgeschäften

Die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführte Verlängerung der Spekulationsfrist bei Grundstücksveräußerungsgeschäften auf zehn Jahre ist nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts teilweise verfassungswidrig.

Spekulationsfrist bei Grundstücksveräußerungsgeschäften

Die Gewinne aus privaten Grundstücksveräußerungsgeschäften unterlagen nach der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Rechtslage der Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung weniger als zwei Jahre betrug (sog. Spekulationsgeschäfte). Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 wurde die Veräußerungsfrist durch das am 31. März 1999 verkündete Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 auf zehn Jahre verlängert (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Nach § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG galt die neue Frist erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber – rückwirkend – auch bereits erworbene Grundstücke ein, sofern der Vertrag über die Veräußerung erst im Jahr 1999 (oder später) geschlossen wurde.

Die Kläger der drei Ausgangsverfahren veräußerten ihre in den Jahren 1990 bzw. 1991 erworbenen Grundstücke nach Ablauf der alten, aber innerhalb der neuen Veräußerungsfrist im Jahr 1999, wobei die zugrundeliegenden Verträge in zwei Fällen bereits vor der Verkündung des neuen Rechts (am 26. Februar bzw. 16. März 1999) geschlossen wurden, im dritten FAll aber auch erst danach (am 22. April 1999). Das Finanzamt wandte in allen Fällen die neue Veräußerungsfrist an und rechnete die Veräußerungsgewinne dem zu versteuernden Einkommen zu. Die erhobenen Klagen führten jeweils zur Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht durch das Finanzgericht Köln1 und den Bundesfinanzhof2.

In den zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Normenkontrollverfahren hat nun das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes teilweise verfassungswidrig ist. Die Verlängerung der Veräußerungsfrist auf zehn Jahre als solche ist dagegen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Gesetzliche Regelungen, die für künftige belastende Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpfen (sog. unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung) sind nicht grundsätzlich unzulässig. Die unechte Rückwirkung ist mit den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes jedoch nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.

Die Verlängerung der früher sogenannten Spekulationsfrist bei der Veräußerung von Grundstücken durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 war mit belastenden Folgen einer unechten Rückwirkung verbunden, die zum Teil den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes widersprechen.

Die Rückwirkung und die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes

Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte „ins Werk gesetzt“ worden sind3. Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände ohne weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten4.

Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Erst mit der Verkündung, das heißt, mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss5, muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird6.

Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“), liegt eine „unechte“ Rückwirkung vor7. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen8. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren9. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz10.

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Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen11. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.

Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) daher nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 AO in Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt nach § 25 Abs. 1 EStG des Kalenderjahres12.

Das Bundesverfassungsgericht hält an diesen Grundsätzen auch angesichts der im Schrifttum geäußerten Kritik fest. Diese Kritik gründet im Kern auf dem Einwand, die Reichweite des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes müsse aus der Perspektive des Normadressaten, der auf die Geltung einer bestimmten Regelung vertraue und sein Handeln danach ausrichte, bestimmt werden; dem würden die Begriffe der echten und der unechten Rückwirkung nicht gerecht. Als lediglich formale Kategorien seien sie nicht geeignet, die Fälle, in denen das Vertrauen des Bürgers Vorrang haben müsse, von den Fällen zu unterscheiden, in denen das Änderungsinteresse des Gesetzgebers überwiege. Gleichwohl hätten sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zumindest faktisch eine vorentscheidende Bedeutung13. Insbesondere könne es unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes für die Abgrenzung nicht auf die formale Entstehung der Steuerschuld mit Abschluss des Veranlagungszeitraums ankommen, sondern nur auf die vom Steuerpflichtigen allein beeinflussbare Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der steuerlichen Einzelnorm14.

Diese Einwände stellen die Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung in erster Linie im Hinblick auf die an sie geknüpften Folgerungen in Frage. Insoweit findet jedoch die Kategorie der echten Rückwirkung – verstanden als zeitliche Rückbewirkung von Rechtsfolgen auf abgeschlossene Tatbestände – ihre Rechtfertigung darin, dass mit ihr eine Fallgruppe gekennzeichnet ist, in der der Vertrauensschutz regelmäßig Vorrang hat, weil der in der Vergangenheit liegende Sachverhalt mit dem Eintritt der Rechtsfolge kraft gesetzlicher Anordnung einen Grad an Abgeschlossenheit erreicht hat, über den sich der Gesetzgeber vorbehaltlich besonders schwerwiegender Gründe nicht mehr hinwegsetzen darf. Das ändert aber nichts daran, dass auch im Übrigen, auf dem weiten und vielgestaltigen Feld unechter Rückwirkungen15, auf dem ein allgemeiner Grundsatz unzulässiger Rückwirkung nicht gilt, die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit bedürfen. Das gilt auch, wenn der Gesetzgeber das Einkommensteuerrecht während des laufenden Veranlagungszeitraums umgestaltet und die Rechtsänderungen auf dessen Beginn bezieht. Auch hier muss der Normadressat eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Wäre dies anders, so fehlte den Normen des Einkommensteuerrechts als Rahmenbedingung wirtschaftlichen Handelns ein Mindestmaß an grundrechtlich und rechtsstaatlich gebotener Verlässlichkeit.

Die Verlängerung der Spekulationsfrist von zwei Jahren auf zehn Jahre durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in Verbindung mit § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 gilt nur für Grundstücksveräußerungen ab dem Jahr 1999 und geht in diesen Fällen mit einer unechten Rückwirkung einher, soweit sie Grundstücke einbezieht, die vor der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 erworben wurden. Das ist nach den genannten Grundsätzen verfassungsrechtlich nur teilweise gerechtfertigt.

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Soweit die zweijährige Spekulationsfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG a.F. im Zeitpunkt der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 noch nicht abgelaufen war, begegnet ihre Verlängerung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar kann die Entscheidung für den Erwerb eines Grundstücks im einzelnen Fall maßgeblich von der Erwartung bestimmt sein, einen etwaigen Veräußerungsgewinn nach Ablauf von zwei Jahren steuerfrei vereinnahmen zu können. Dies geht jedoch über die allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde unverändert bleiben, nicht hinaus. Es fehlen die besonderen Momente der Schutzbedürftigkeit, deretwegen der Gesetzgeber verpflichtet sein könnte, bei der Bestimmung des zukünftigen Steueraufkommens auf Erwartungen der Steuerpflichtigen bei zurückliegenden Dispositionen Rücksicht zu nehmen.

Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründet keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position. Mit Wertsteigerungen kann im Zeitpunkt des Erwerbs nicht sicher gerechnet werden, so dass auch die Enttäuschung der Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermögenszuwächse nicht als Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte zu werten ist. Hinzu kommt, dass angesichts langjähriger Auseinandersetzungen und verschiedener gescheiterter Reformversuche zur Erweiterung der Besteuerung privater Veräußerungsgewinne mit der Möglichkeit einer Realisierung derartiger Vorhaben seit langem zu rechnen war. Soweit durch die Verlängerung der Spekulationsfrist das beim Erwerb eines Grundstücks betätigte Vertrauen enttäuscht wird, reichen deshalb die allgemeinen Ziele der Verbesserung der Steuergerechtigkeit durch bessere Erfassung der Leistungsfähigkeit16 und der Gegenfinanzierung der durch das Steuerentlastungsgesetz bewirkten Steuerausfälle17 zur Rechtfertigung aus.

Die Verlängerung der Spekulationsfrist für bereits nach altem Recht erworbene Grundstücke verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind und die nach der zuvor geltenden Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Verkündung steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können.

Mit dem Ablauf der Zweijahresfrist erfüllten sich in den Fällen zwischenzeitlicher Wertzuwächse ursprünglich beim Erwerb des Grundstücks vertrauensrechtlich nicht besonders geschützte Erwartungen in Gestalt eines konkret vorhandenen Vermögensbestands im grundrechtlich geschützten Verfügungsbereich. Dessen Erwerb unterlag nicht der Einkommensteuer. Daraus ergibt sich ein erhöhter Rechtfertigungsbedarf, soweit die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist eine solche konkret verfestigte Vermögensposition nachträglich entwertet. Dabei kommt es allein darauf an, ob diese vor dem Wirksamwerden des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 mit seiner Verkündung am 31. März 1999 objektiv entstanden war. Die konkrete Motivations- und Entscheidungslage beim Erwerb des Grundstücks im einzelnen Fall ist aus der für die Verfassungsmäßigkeit maßgeblichen generalisierenden Sicht des Gesetzgebers nicht entscheidend. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit der einzelne Steuerpflichtige nach Ablauf der Zweijahresfrist im Vertrauen auf die Steuerfreiheit des zwischenzeitlich eingetretenen Wertzuwachses weitere Dispositionen – sei es in Form einer Veräußerung, sei es in Form eines bewussten und gewollten Absehens davon – vorgenommen hat und dabei gegebenenfalls wegen des bereits schwebenden Gesetzgebungsverfahrens eine rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist als möglich in Betracht ziehen musste. Der erhöhte Rechtfertigungsbedarf folgt schon aus dem Erwerb eines konkreten Vermögensbestands durch den Ablauf der Zweijahresfrist. Das zwischenzeitlich eingeleitete und abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren konnte hieran nichts ändern.

Für die Vielzahl der Fälle, in denen die alte Spekulationsfrist von zwei Jahren nicht erst bis zur Verkündung der Neuregelung, sondern bereits bis zum Ende des Jahres 1998 und damit bis zum Abschluss eines vorangegangenen Veranlagungszeitraums abgelaufen war, erhöhen sich die Anforderungen an die Rechtfertigung, denn der einkommensteuerrechtliche Zugriff auf die steuerfrei erworbenen Vermögenszugänge läuft dem Gebot einer folgerichtigen Ausgestaltung der einkommensteuerrechtlichen Belastungsentscheidungen18 zuwider und bedarf deshalb auch vor dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG einer besonderen Begründung.

Mit der tatbestandlichen Bestimmung und Abgrenzung der verschiedenen Einkunftsarten und Einkünfte trifft der Gesetzgeber die zentralen Ausgangsentscheidungen für die einkommensteuerrechtliche Belastung. Zu diesen das geltende Einkommensteuerrecht seit langem prägenden Ausgangsentscheidungen gehört auch die Unterscheidung zwischen Gewinn- und Überschusseinkunftsarten vor dem Hintergrund unterschiedlicher finanzwissenschaftlicher Theorien des 19. Jahrhunderts (sog. Dualismus der Einkunftsarten19). Wesentliches Charakteristikum bei den Überschusseinkunftsarten, insbesondere auch bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen, war stets die grundsätzliche Beschränkung der Besteuerung auf die Erträge des für die Einkünfteerzielung eingesetzten Vermögens und die (abgesehen insbesondere von Abschreibungsmöglichkeiten) weitgehende steuerliche Neutralität von Veränderungen des eingesetzten Vermögens. Auf dieser Grundlage bildete die Besteuerung der sogenannten Spekulationsgeschäfte als sonstige Einkünfte nach § 23 EStG a.F. eine Ausnahme. Danach sollten solche Wertsteigerungen auch „privaten“ Vermögens steuerlich erfasst werden, die als Erfolg einer gerade auf Wertsteigerung, nicht auf Fruchtziehung, gerichteten Erwerbs- und Veräußerungstätigkeit anzusehen waren. Dem entsprachen die für die Qualifikation als Spekulationsgeschäfte maßgeblichen kurzen Fristen zwischen Erwerb und Veräußerung von zwei Jahren bei Grundstücken und sechs Monaten bei anderen Wirtschaftsgütern, insbesondere bei Wertpapieren. Zwar waren und sind die entsprechenden Einkünfte den Überschusseinkunftsarten nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG zugeordnet, in der Sache geht es jedoch, wie es auch in § 23 EStG ausdrücklich heißt, um eine Besteuerung des Gewinns, nämlich um die Besteuerung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Wert des Vermögensgegenstandes zum Zeitpunkt des Erwerbs und dem Wert zum Zeitpunkt der Veräußerung.

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Wenn das Gesetz solche Veräußerungsgewinne nicht, wie dies für die allgemeine betriebliche Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG geschieht, als einen Unterschiedsbetrag definiert, der durch Betriebsvermögensvergleich im Jahresturnus zu ermitteln ist, sondern als einen Unterschiedsbetrag als Ergebnis eines den gesamten Behaltenszeitraum umfassenden Vergleichs, so liegt hierin keine systematische Besonderheit gegenüber der betrieblichen Gewinnermittlung. Vielmehr folgt die Gewinnermittlung zum Zeitpunkt der Veräußerung der Logik der allgemeinen betrieblichen Gewinnermittlung bei der Veräußerung einzelner Gegenstände des Betriebsvermögens: Für den Gewinnausweis im Hinblick auf Wertzuwächse an einzelnen Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens gilt das Realisationsprinzip, nach dem Wertsteigerungen betrieblicher Wirtschaftsgüter grundsätzlich erst zum Zeitpunkt der Realisierung durch Veräußerung auszuweisen sind20. Mit anderen Worten:

Wie die allgemeine periodische Einkommensbesteuerung betrieblicher Gewinne zielt auch die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen auf eine die Liquidität der Steuerpflichtigen schonende Erfassung von Wertsteigerungen an einzelnen Gegenständen erst im Zeitpunkt der Realisierung durch Veräußerung nicht deshalb, weil erst zu diesem Zeitpunkt der Wertzuwachs entsteht, sondern obwohl er bereits vorher beim Steuerpflichtigen entstanden ist. Die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen und die Ermittlung von Veräußerungsgewinnen durch periodenübergreifenden Vermögensvergleich bedeutet deshalb ebensowenig wie die Maßgeblichkeit des Realisationsprinzips im Rahmen der betrieblichen Gewinnermittlung eine Durchbrechung des Systems der periodischen Erfassung des Jahreseinkommens. Das Jahreseinkommen bleibt grundsätzlich Maßstab der finanziellen Leistungsfähigkeit, an der die Einkommensteuer auszurichten ist, auch wenn die Besteuerung früherer Vermögenszuwächse zum Zeitpunkt der Veräußerung „nachgeholt“ wird.

Diesen durch Vermögensvergleich und Realisationsprinzip geprägten systematischen Zusammenhang der einkommensteuerrechtlichen Gewinnbesteuerung durchbricht die rückwirkende Erfassung von Wertzuwächsen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002. Soweit in die Ermittlung des Veräußerungsgewinns Wertzuwächse einbezogen werden, die vor dem Veranlagungszeitraum 1999 entstanden sind und deren Realisierung bis Ende des Jahres 1998 nicht steuerbar gewesen wäre, kann von einem „Nachholen“ der Besteuerung, von einer schonenden Erfassung von Wertzuwächsen – erst – zum Veräußerungszeitpunkt nicht die Rede sein. Die Besteuerung greift vielmehr auf vorhandene Vermögensbestände der Steuerpflichtigen zu, deren Zuerwerb nicht der Einkommensteuer unterlegen hatte. Ob ein derartiger, einer Vermögensbesteuerung angenäherter Zugriff überhaupt noch als Einkommensteuer gerechtfertigt werden kann, kann offen bleiben. Jedenfalls wird die Grundentscheidung für die Bemessung der Einkommensteuer nach der Höhe des Jahreseinkommens verlassen und bedürfte zur Rechtfertigung auch vor dem Gleichheitssatz sachlich tragfähiger besonderer Gründe.

Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, sind nicht erkennbar.

Soweit die Neuregelung allgemein damit begründet wird, dass sie dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit auch dem Gebot der Steuergerechtigkeit besser entspreche, hat dies nur Bedeutung für die Grundsatzentscheidung, private Veräußerungsgewinne und damit Wertsteigerungen des Privatvermögens stärker als zuvor bei der Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Diese Grundsatzentscheidung ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, denn wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, wäre der Gesetzgeber nicht gehindert, Gewinne aus jeder Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens zu besteuern21. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, inwieweit er in diesem Zusammenhang zu rückwirkenden Regelungen berechtigt ist. Zwar unterliegt die steuerliche Erfassung von Wertzuwächsen, die nach der Verkündung des Gesetzes eintreten, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, und zwar auch nicht in den Fällen, in denen die zweijährige Spekulationsfrist bereits abgelaufen war; denn die Erwartung künftiger steuerfreier Wertzuwächse ist verfassungsrechtlich nicht geschützt. Die Einbeziehung von Wertsteigerungen vergangener Zeiträume lässt sich damit aber nicht rechtfertigen, denn das Ziel, die Rechtslage zu „verbessern“, bezeichnet nur das allgemeine Änderungsinteresse, ist aber kein spezifischer Grund, der geeignet ist, gerade auch den rückwirkenden Zugriff auf bereits steuerfrei erworbene Wertsteigerungen zu legitimieren.

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Soweit die Verlängerung der Zweijahresfrist als Maßnahme zur Gegenfinanzierung durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bezeichnet wird, ergibt sich daraus ebenfalls keine Begründung, die den Zugriff auf zuvor nicht steuerbare Wertsteigerungen der Vergangenheit rechtfertigen könnte. Dieser Gesichtspunkt geht über den eines allgemeinen Finanzbedarfs nicht hinaus. Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, ist aber für sich genommen grundsätzlich noch kein den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger überwindendes Gemeinwohlinteresse, denn dies würde bedeuten, dass der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leerliefe22. Dies macht die rückwirkende einkommensteuerliche Belastung nicht nur dann unzumutbar, wenn mit ihr zugleich mangelnde Folgerichtigkeit verbunden ist, wie in den Fällen des Ablaufs der alten Frist in vorausgegangenen Veranlagungszeiträumen, wo die fehlende Legitimationskraft rein fiskalischer Interessen nur besonders deutlich hervortritt. Wieweit ausnahmsweise anderes gelten kann, wenn der Gesetzgeber den allgemeinen Steuertarif mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum „in maßvollen Grenzen“ anhebt23, kann dahinstehen.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass mit den Mehreinnahmen an anderer Stelle gewährte Steuererleichterungen finanziert werden sollen. „Gegenfinanzierung“ bedeutet nichts anderes als Umverteilung von Steuerlasten. Diese ist als typischer Gegenstand politischer Gestaltung durch den Einkommensteuergesetzgeber aber grundsätzlich zukunftsgerichtet. Das Bedürfnis nach Gegenfinanzierung bezeichnet daher ebenfalls nur einen allgemeinen Änderungsbedarf, der es rechtfertigt, Wertsteigerungen ab der Verkündung steuerlich zu erfassen, der aber nicht gerade auch die rückwirkende Einbeziehung bereits steuerfrei erzielter Vermögenszuwächse legitimiert. Dies kann anders zu beurteilen sein, wenn mit der innerhalb eines Veranlagungszeitraums rückwirkenden Verschärfung unerwartete Mindereinnahmen oder ein sonstiger außerordentlicher Finanzbedarf aufgefangen werden soll24. Ein solcher Fall liegt jedoch bei bloßen Umverteilungsmaßnahmen nicht vor, denn der Gesetzgeber hat die Wahl zwischen Gegenfinanzierung und Verzicht auf Entlastung.

Andere Rechtfertigungsgründe, wie etwa einen Finanzierungsbedarf möglicherweise begleitende ordnungspolitische Sachziele25 oder die Notwendigkeit rascher Korrektur offensichtlicher Fehlsubventionierungen, die durch Ankündigungs- oder Mitnahmeeffekte gefährdet wäre26, kommen ebenfalls nicht in Betracht. Auch unter Gesichtspunkten der Praktikabilität ist es nicht gerechtfertigt, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes eingetretenen steuerfreien Wertsteigerungen einzubeziehen. Die Schwierigkeit und Streitanfälligkeit der Feststellung des gemeinen Werts im Sinne des § 9 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes, das heißt des Marktpreises, zum Zeitpunkt der Verkündung können allenfalls grobe Schätzungslösungen bei der Wertermittlung rechtfertigen, wie sie der Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss im Verfahren 2 BvL 2/04 erörtert hat27. Dagegen kommt der Rückgriff auf potentiell lange zurückliegende und im Zweifel wesentlich niedrigere Anschaffungswerte als eine verfassungsmäßige Typisierung für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns nicht in Betracht.

Generelle Verlängerung auf 10 Jahre

Es ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, dass Gewinne aus der Veräußerung von Grundstücken innerhalb von zehn Jahren seit ihrer Anschaffung der Einkommensteuer unterliegen.

Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes28.

Davon ausgehend ist die Entscheidung des Gesetzgebers für eine zehnjährige Veräußerungsfrist bei Grundstücken als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

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Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht dadurch verletzt, dass Wertsteigerungen im Vermögen des Steuerpflichtigen in unterschiedlichem Umfang der Einkommensteuer unterliegen.

Bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit erfasst die Einkommensteuer den Wertzuwachs im Betriebsvermögen in vollem Umfang, weil der zu versteuernde Gewinn in der jeweiligen Einkunftsart nach § 4 Abs. 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt wird. Im Übrigen – das heißt bei Vermögensgegenständen, die zum Privatvermögen des Steuerpflichtigen gehören – ist der Wertzuwachs nicht steuerbar, soweit das Einkommensteuergesetz nicht Ausnahmen vorsieht. Nach § 23 Abs. 1 EStG in der für das Streitjahr 1999 maßgeblichen Fassung war das für Grundstücke der Fall, soweit zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre liegen, und für andere Wirtschaftsgüter, insbesondere Wertpapiere, soweit dieser Zeitraum kürzer als ein Jahr ist. Der Kläger des Ausgangsverfahrens zu 2 BvL 13/05 sieht Art. 3 Abs. 1 GG insbesondere durch letztere Unterscheidung verletzt.

Die unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Vermögen des Steuerpflichtigen ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Sie ist die systematische und insofern folgerichtige Konsequenz aus der das Einkommensteuerrecht prägenden Grundkonzeption, nach der die Einkommensteuer grundsätzlich nur im Rahmen der Gewinneinkunftsarten den Gedanken der Reinvermögenszugangstheorie aufgreift und deshalb auch den Wertzuwachs bei Vermögensgegenständen erfasst, während die Einkünfte im Rahmen der übrigen Einkunftsarten, dem Gedanken der Quellentheorie entsprechend, als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ermittelt werden, so dass hier Zuwächse im Stammvermögen grundsätzlich außer Betracht bleiben. Dieser sogenannte Dualismus der Einkunftsarten gehört zum historisch gewachsenen Bestand des deutschen Einkommensteuerrechts und liegt als Grundentscheidung innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt29. Es mag daher unter dem Gesichtspunkt einer Ausrichtung der Besteuerung an der Leistungsfähigkeit zwar wünschenswert sein, wenn der Gesetzgeber den Reinvermögenszugangsgedanken bei der Bestimmung des Besteuerungsobjekts in weiterem Umfang aufgreift und den Wertzuwachs bei Vermögensgegenständen im Privatvermögen ebenso wie den Wertzuwachs bei Vermögensgegenständen im Betriebsvermögen ohne zeitliche Begrenzung der Besteuerung unterwirft. Verfassungsrechtlich geboten ist dies aber nicht. Ob und inwieweit der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist deshalb eine Frage politischer Gestaltung, so dass auch die unterschiedlichen Fristen für Grundstücke einerseits und andere Wirtschaftsgüter andererseits verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.

Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass Gewinne aus Grundstücksveräußerungen nicht dem für außerordentliche Einkünfte geltenden ermäßigten Tarif nach § 34 EStG unterliegen.

Als außerordentliche Einkünfte kommen nach § 34 Abs. 2 EStG nur die dort genannten Einkünfte in Betracht. Hierzu zählen nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG in Verbindung mit § 16 Abs. 1 EStG insbesondere Gewinne aus der Veräußerung von Betrieben, Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen. Für diese gilt nach § 34 Abs. 1 EStG ein ermäßigter Tarif. Damit soll die Progressionswirkung des regulären Tarifs nach § 32a EStG abgemildert werden, weil sich in diesen Fällen im Veräußerungsgewinn typischerweise ein über viele Veranlagungszeiträume akkumulierter Wertzuwachs zusammengeballt realisiert. Das setzt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs voraus, dass alle stillen Reserven der wesentlichen Grundlagen des Betriebs in einem einheitlichen Vorgang aufgelöst werden; denn eine Zusammenballung liegt nicht vor, wenn dem Veräußerer noch stille Reserven verbleiben, die erst in einem späteren Veranlagungszeitraum aufgedeckt werden30.

Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, diese Steuervergünstigung auf sämtliche Fälle zu erstrecken, in denen die Besteuerung auf der Aufdeckung stiller Reserven beruht, die über mehrere Jahre angesammelt wurden. Grundsätzlich unterliegen derartige Erträge unterschiedslos dem regulären Tarif nach § 32a EStG, dessen Progressionswirkung insofern vom Steuerpflichtigen hinzunehmen ist. Wenn § 34 EStG hiervon punktuell abweicht, handelt es sich um ihrerseits rechtfertigungsbedürftige Ausnahmen31. Wann eine solche Ausnahme in Betracht kommt, obliegt in erster Linie der Einschätzung des Gesetzgebers. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass er hierbei nicht allein auf den Gesichtspunkt der Aufdeckung stiller Reserven abgestellt, sondern die Tarifermäßigung an weitere, die Außerordentlichkeit des Zuflusses kennzeichnende Merkmale geknüpft hat. Der Fall der Grundstücksveräußerung ist der Veräußerung eines Betriebes, Teilbetriebes oder Mitunternehmeranteils auch nicht so ähnlich, dass eine Gleichbehandlung verfassungsrechtlich geboten wäre. Soweit im letzteren Fall eine Tarifermäßigung gewährt wird, liegt dem das Leitbild zugrunde, dass die Erwerbstätigkeit beendet und die in einem gesamten Wirtschaftsleben angesammelten stillen Reserven einmalig realisiert werden. Die bloße Veräußerung eines Grundstücks unterscheidet sich davon deutlich, denn sie betrifft nur einen einzelnen Vermögensgegenstand und erfasst nach der Neuregelung nur solche stillen Reserven, die über einen Zeitraum von maximal zehn Jahren angefallen sind.

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Es ist mit dem Gleichheitsgebot einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit vereinbar, dass bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns die zwischenzeitliche Geldentwertung unberücksichtigt bleibt. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass es aus Gründen der Klarheit und Handhabbarkeit des Rechts wie auch aus währungspolitischen Gründen nicht zu beanstanden ist, dass das Einkommensteuerrecht vom Nominalwertprinzip ausgeht, das ein tragendes Ordnungsprinzip der geltenden Währungsordnung und Wirtschaftspolitik darstellt32. Die Verlängerung der Spekulationsfrist für Grundstücke auf zehn Jahre gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05

  1. FG Köln, Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse Köln vom 25.07.2002 – 13 K 460/01; und vom 24.08.2005 – 14 K 6187/04[]
  2. BFH, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 16.12.2003 – IX R 46/02[]
  3. vgl. BVerfGE 45, 142, 167 f.; 63, 343, 356 f.; 72, 200, 242; 97, 67, 78 f.[]
  4. vgl. BVerfGE 30, 272, 285; 63, 343, 357; 72, 200, 257 f.; 97, 67, 78; 105, 17, 37; 114, 258, 300 f.[]
  5. vgl. BVerfGE 97, 67, 78 f., m.w.N.[]
  6. vgl. BVerfGE 63, 343, 353 f.; 67, 1, 15; 72, 200, 241 f.; 97, 67, 78 f.; 114, 258, 300[]
  7. vgl. BVerfGE 63, 343, 356; 72, 200, 242; 97, 67, 79; 105, 17, 37 f.[]
  8. vgl. BVerfGE 63, 343, 357; 105, 17, 40; 114, 258, 301[]
  9. vgl. BVerfGE 63, 312, 331; 67, 1, 15; 71, 255, 272; 76, 256, 349 f.[]
  10. vgl. BVerfGE 38, 61, 83; 68, 193, 222; 105, 17, 40; 109, 133, 180 f.; BVerfG, Beschluss vom 08.12.2009 – 2 BvR 758/07, NVwZ 2010, 634, 640[]
  11. vgl. BVerfGE 30, 392, 404; 50, 386, 395; 67, 1, 15; 75, 246, 280; 105, 17, 37; 114, 258, 300). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein ((vgl. BVerfGE 72, 200, 242 f.; 95, 64, 86; 101, 239, 263; 116, 96, 132; 122, 374, 394; 123, 186, 257[]
  12. vgl. BVerfGE 72, 200, 252 f.; 97, 67, 80; vgl. auch bereits BVerfGE 13, 261, 263 f., 272; 13, 274, 277 f.; 19, 187, 195; 30, 272, 285[]
  13. vgl. m.w.N. Friauf, BB 1972, S. 669, 673 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 232 f., 236 f., 245 ff.; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 1989, S. 70 ff.; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 1981, S. 79 ff.; K.-A. Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 2002, S. 109 ff., 295 ff.; Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, 1983, S. 284 ff.[]
  14. vgl. etwa Birk, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO Rn. 739, Juni 1999; Friauf, a.a.O., S. 675 f.; Hey, a.a.O., S. 259 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. 2010, § 4 Rn. 177; Vogel, in: Festschrift für Martin Heckel, 1999, S. 875, 879 ff.[]
  15. vgl. BVerfGE 63, 343, 357[]
  16. vgl. BT-Drs. 14/23, S. 12, 179 f.[]
  17. vgl. BT-Drs. 14/443, S. 2 ff., S. 4, rechte Spalte, 5. Spiegelstrich[]
  18. ständige Rechtsprechung; vgl. BVerfGE 122, 210, 230 f., m.w.N.[]
  19. vgl. Lang, in: Tipke/Lang, a.a.O., § 9 Rn. 181 ff.[]
  20. vgl. nur Hey, in: Tipke/Lang, a.a.O., § 17 Rn. 67 f., 200 ff.[]
  21. vgl. BVerfGE 26, 302, 312; 27, 111, 127[]
  22. vgl. BVerfGE 105, 17, 45[]
  23. vgl. BVerfGE 13, 274, 278; 18, 135, 144[]
  24. vgl. BVerfGE 105, 17, 44 f.[]
  25. vgl. etwa BVerfGE 30, 250, 268 ff.; 50, 386, 396; 72, 175, 198; 88, 384, 407[]
  26. vgl. BVerfGE 97, 67, 81 f.[]
  27. vgl. BStBl II 2004, S. 284, 297 = BFHE 204, 228, 255[]
  28. vgl. BVerfGE 122, 210, 230 f., m.w.N.[]
  29. vgl. BVerfGE 26, 302, 311 f.[]
  30. vgl. BFH, GrS, Beschluss vom 18.10.1999 – GrS 2/98, BStBl II 2000, S. 123, 126 f. = BFHE 189, 465, 473[]
  31. vgl. BVerfGE 81, 108, 118[]
  32. vgl. BVerfGE 50, 57, 77 ff.[]