Verlust aus der Veräußerung wertloser Aktien

Eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig1. Die Veräußerung wertloser Aktien stellt grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO dar, selbst wenn sich der Verkäufer verpflichtet; vom Käufer wertlose Aktien zu kaufen.

Verlust aus der Veräußerung wertloser Aktien

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall erwarb der Anleger im Jahr 2011  1 000 Aktien der X-Corp. zu einem Preis in Höhe von insgesamt 4.685 € (4,661 € je Aktie zuzüglich der Anschaffungsnebenkosten). In der Folgezeit verloren die Aktien der X-Corp. aufgrund von Betrugsvorwürfen gegen die Gesellschaft erheblich an Wert, so dass die Aktie von der Börsenaufsicht vom Handel ausgeschlossen wurde. Im Februar 2013 veräußerte der Anleger alle Aktien der X-Corp. zu einem Preis von insgesamt 10 € (0,01 € pro Stück) an Frau Y (Käuferin). Im Gegenzug erwarb er von der Käuferin wertlose Aktien. Im März 2013 wurden die Aktien der X-Corp. aus dem Depot des Anlegers ausgebucht und in das Depot der Käuferin übertragen. Kosten hierfür fielen nicht an. Die Bank behandelte diesen Übertrag wie eine Veräußerung und setzte zur Ermittlung der Abzugsteuern eine Steuerbemessungsgrundlage in Höhe von 1.405, 52 € an.

Der Anleger beantragte in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2013 die steuerliche Berücksichtigung des Verlusts aus dem Aktienverkauf in Höhe von 4.675, 05 € (= 4.685, 05 € – 10 €) und den Abzug der laut Steuerbescheinigung von der Bankl für den Aktienverkauf angesetzten Steuerbemessungsgrundlage in Höhe von 1.405, 52 €. Bei der Einkommensteuerfestsetzung im Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 17.02.2015 wurde der Verlust des Anlegers aus der Veräußerung der X-Corp. Aktien in Höhe von 4.675, 05 € nicht berücksichtigt. Das Finanzamt kürzte jedoch den vom Anleger im Streitjahr erzielten Gewinn aus der Veräußerung von Aktien in Höhe von 26.140 € um 1.404 €. Das Finanzamt ging dabei von einer teilentgeltlichen Übertragung der Aktien aus. Es bestimmte den Anteil der entgeltlichen Übertragung mit 0, 17 Prozent und ermittelte einen Veräußerungserlös von 2 €.

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Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht München der Klage des Anlegers statt2. Nach seiner Auffassung war der Verlust des Anlegers aus der Veräußerung der X-Corp. Aktien steuerlich zu berücksichtigen und es lag kein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO vor. Der Bundesfinanzhof bestätigte dies nun und wies die hiergegen gerichtete Revision des Finanzamtes als unbegründet zurück:

Das Finanzgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Verlust des Anlegers aus der Veräußerung der X-Corp. Aktien in Höhe von 4.675, 05 € gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG) steuerlich zu berücksichtigen ist und aufgrund des Antrags nach § 32d Abs. 4 EStG im Rahmen der (Antrags-)Veranlagung mit Aktiengewinnen zu verrechnen ist (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG). Ein Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO liegt bei dem Verkauf der Aktien nicht vor.

Die Übertragung der X-Corp. Aktien vom Depot des Anlegers in das Depot der Käuferin gegen ein Entgelt von 10 € führt zu negativen Kapitaleinkünften aus der Veräußerung von Aktien gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 EStG in Höhe von 4.675, 05 €.

Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bedeutet „Veräußerung“ die entgeltliche Übertragung des -zumindest wirtschaftlichen- Eigentums auf einen Dritten3. Unstreitig ging im vorliegenden Fall das Eigentum der Aktien des Anlegers auf die Käuferin über, da sie aus dessen Depot aus- und in das Depot der Käuferin eingebucht wurden. Dieser Rechtsträgerwechsel war auch entgeltlich, da die Käuferin an den Anleger einen Kaufpreis von 10 € gezahlt hat.

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Weitere Tatbestandsmerkmale stellt das Gesetz nicht auf. Die Erfüllung des Tatbestands der Veräußerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist daher -entgegen der Auffassung des Finanzamtes- weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig4.

Weder hat das Finanzamt konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen noch ist nach den Feststellungen des Finanzgericht ersichtlich, dass die Übertragung der Aktien nur zum Schein erfolgte (§ 41 Abs. 2 AO). Es bestand zwischen dem Anleger und der Käuferin auch kein Näheverhältnis, so dass die Vereinbarung über den Verkauf der Aktien als entgeltliche Veräußerung zwischen fremden Dritten zu behandeln ist. Unerheblich ist auch, dass die Veräußerung der X-Corp. Aktien an die Bedingung geknüpft wurde, dass der Anleger im Gegenzug (wertlos gewordene) Aktien der Käuferin erwirbt. Denn dies ändert nichts daran, dass hinsichtlich der X-Corp. Aktien des Anlegers ein Rechtsträgerwechsel stattgefunden hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch der Abschluss eines Tauschvertrags über die Aktien des Anlegers und der Käuferin -anstatt zweier Kaufverträge- steuerlich als Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG anzusehen gewesen wäre5.

Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 06.04.2011 6 folgt entgegen der Ansicht des Finanzamtes keine andere Beurteilung. Zwar hat der Bundesfinanzhof in dem Urteil entschieden, dass das Halbeinkünfteverfahren und Halbabzugsverbot nicht anzuwenden sind, wenn objektiv wertlose Anteile aus buchungstechnischen Gründen zu einem symbolischen Kaufpreis (z.B. 1 €) veräußert werden. Das Urteil betraf die Anwendung des Halbeinkünfte- bzw. Halbabzugsverfahrens. Zudem hat der Bundesfinanzhof in dem Urteil ausdrücklich klargestellt, dass eine entgeltliche Veräußerung auch dann vorliegt, wenn einem Kaufpreis lediglich eine symbolische Funktion zukommt. Eine entgeltliche Anteilsübertragung liegt selbst dann vor, wenn wertlose Anteile ohne Gegenleistung zwischen fremden Dritten übertragen werden7.

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Das Finanzgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich aus dem Umstand, dass die Aktien der X-Corp. bereits Ende 2012 wertlos waren, keine andere steuerliche Beurteilung ergibt. Allein der Kursverfall der Aktien und deren Ausschluss vom Handel an der Börse (Delisting) im Jahr 2012 ohne Ausbuchung aus dem Depot des Anlegers führen nicht zu einer Realisierung des Aktienverlusts. Dieser ist erst dann steuerlich zu berücksichtigen, wenn die Aktien veräußert werden (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) oder ein Ersatztatbestand für die Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG vorliegt. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen eines dieser Tatbestände bereits vor dem Streitjahr erfüllt waren, liegen nicht vor. Auch kann offenbleiben, ob bereits die Ausbuchung der Aktien zu einer steuerlichen Berücksichtigung des Aktienverlusts führen könnte, da diese -wie die Veräußerung- erst im Streitjahr erfolgte.

Der nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG zu ermittelnde Verlust aus dem Veräußerungsgeschäft beträgt danach unstreitig 4.675,05 €.

Das Finanzgericht hat zutreffend entschieden, dass die Veräußerung der (wertlosen) Aktien auch keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO darstellt.

Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Missbrauch nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Jedoch macht das Motiv, Steuern zu sparen, eine Gestaltung noch nicht unangemessen i.S. des § 42 AO. Der Steuerpflichtige darf seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen und dabei zivilrechtliche Gestaltungen, die vom Gesetz vorgesehen sind, frei verwenden. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll. Eine Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn durch mehrere Geschäfte, die sich wirtschaftlich gegenseitig neutralisieren, lediglich ein steuerlicher Vorteil erzielt werden soll oder wenn die Gestaltung in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung durch eine gegenläufige Gestaltung kompensiert wird und sich deshalb im Ergebnis lediglich als formale Maßnahme erweist8.

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Nach diesen Grundsätzen liegt im vorliegenden Fall kein Missbrauch i.S. des § 42 AO vor. Der Anleger hat lediglich von gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, diese aber nicht missbraucht.

Der Anleger verfolgte das Ziel, sich von den nahezu wertlosen Wertpapieren durch Übertragung auf einen Dritten zu trennen. Dieses Ziel war (sinnvoll) nicht anders als durch eine Veräußerung zu erreichen. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG sieht die Veräußerung von Aktien ausdrücklich vor und unterwirft sie der Besteuerung. Der Anleger hat daher nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Daran ändert sich nichts dadurch, dass ein Verlustgeschäft vorliegt, denn auch Veräußerungsverluste werden vom Anwendungsbereich des § 20 EStG erfasst. Dabei steht es dem Steuerpflichtigen frei, ob, wann und an wen er seine Gesellschaftsanteile veräußert9.

Auch der Umstand, dass die Übertragung der (wertlosen) Aktien des Anlegers mit der Verpflichtung des Erwerbs wertloser Aktien verknüpft wurde, führt nicht zu einem Gestaltungsmissbrauch. Die gewählte Art der Veräußerung stellt eine durch das Gesetz eingeräumte Möglichkeit dar, die nicht gegen vom Gesetzgeber vorgegebene Wertungen verstößt, zumal mögliche Kurssteigerungen der vom Anleger erworbenen Aktien steuerverstrickt sind.

Nach zutreffender Auffassung des Finanzgericht steht die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG der Verlustverrechnung nicht entgegen. Diese Vorschrift, nach der Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden dürfen, wenn eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt, dient der Verhinderung eines doppelten Verlustabzugs. Eine solche Gefahr ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, da von der Depotbank für die Übertragung der streitgegenständlichen Aktien kein Verlust, sondern die Ersatzbemessungsgrundlage nach § 43a Abs. 2 Satz 10 EStG angesetzt wurde. Es ist daher ausgeschlossen, dass der Verlust doppelt berücksichtigt wird. Es wäre reiner Formalismus, in diesem Fall für die Verlustverrechnung eine Bescheinigung i.S. des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zu verlangen10.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. September 2020 – VIII R 9/17

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221[]
  2. FG München, Urteil vom 17.07.2017 – 7 K 1888/16, EFG 2017, 1792[]
  3. z.B. BFH, Urteil vom 03.12.2019 – VIII R 34/16, Deutsches Steuerrecht 2020, 971, m.w.N.[]
  4. BFH, Urteil vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, Rz 14; so nun auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 10.05.2019 – IV C 1-S 2252/08/10004:026, BStBl I 2019, 464[]
  5. vgl. hierzu Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, § 20 EStG Rz 422[]
  6. BFH, Urteil vom 06.04.2011 – IX R 61/10, BFHE 233, 446, BStBl II 2012, 8[]
  7. BFH, Urteil vom 12.05.2015 – IX R 57/13, BFH/NV 2015, 1364, Rz 15[]
  8. BFH, Urteil in BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, Rz 19, m.w.N.[]
  9. s. hierzu BFH, Urteil in BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, Rz 22[]
  10. BFH, Urteil in BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, Rz 25, m.w.N.[]