Bei sogenannten „Wave XXL Papieren“, die das Recht des Inhabers verbriefen, während der ‑allein durch eine Stopp-Loss-Schwelle begrenzten- Laufzeit vom Emittenten einen Barausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Basispreis und dem aktuellen Wert des Basiswerts, vermindert um ein Bezugsverhältnis zu verlangen, handelt es sich um Optionsscheine i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG 2008.

Hat der Inhaber des Optionsscheins das Recht, auch bei Durchbrechung der Stopp-Loss-Schwelle eine Abrechnung und einen Differenzausgleich zu verlangen, wird der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 beendet [1].
Nach der Einführung der Abgeltungsteuer zum 01.01.2009 werden Verluste aus Knock-out-Zertifikaten als negative Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 EStG berücksichtigt [2].
Bei den sog. „Wave XXL Papieren“ handelt es sich um Optionsscheine i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG 2008. Optionsscheine sind Inhaberschuldverschreibungen [3], die das Optionsrecht verbriefen [4]. Der Inhaber der Option erhält gegen Zahlung eines Entgelts (Optionsprämie) das Recht, am Ende der Laufzeit, während der Laufzeit oder an bestimmten Terminen während der Laufzeit vom Verkäufer der Option (Stillhalter) den Verkauf oder Kauf einer bestimmten Menge eines Basiswerts zu einem beim Kauf der Option festgelegten Preis (Ausübungs- oder Basispreis) oder einen Barausgleich in Höhe der Differenz zwischen vereinbartem Ausübungspreis und Handelspreis des Basiswerts im Zeitpunkt der Ausübung zu verlangen [5].
Danach sind die sog. „Wave XXL Papiere“ als Optionsscheine zu qualifizieren. Die Papiere verbrieben das Recht des Inhabers, bei Ausübung der Option während der ‑durch die Stopp-Loss-Schwelle begrenzten- Laufzeit vom Emittenten einen Barausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Basispreis und dem aktuellen Wert des Basiswerts (vermindert um ein bestimmtes Bezugsverhältnis) zu verlangen.
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 waren im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall erfüllt:
Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG 2008 gelten Optionsscheine als Termingeschäfte i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG 2008, so dass der Zeitraum zwischen Erwerb und Beendigung des Rechts auf den Differenzausgleich nicht mehr als ein Jahr betragen darf.
Dies war vorliegend der Fall. Im hier entschiedenen Fall wurde das in den Optionsscheinen verbriefte Recht auf den Differenzausgleich innerhalb eines Jahres nach dem Erwerb der Optionsscheine beendet, da bei Durchbrechung der Stopp-Loss-Schwelle innerhalb dieses Jahreszeitraums der Differenzausgleich ‑mindestens mit 0, 001 €- vorgenommen und abgerechnet wurde. Hierdurch unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem Fall, über den der BFH in seinem Urteil vom 10.11.2015 [6] zu entscheiden hatte, bei dem bei Erreichen der Knock-out-Schwelle kein Differenzausgleich mehr durchgeführt wurde. Nur in diesem Fall entfällt nach der Entscheidung des BFH in BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159 die Möglichkeit, den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 zu beenden, da mit Erreichen der Knock-out-Schwelle der Verlust des Rechts eintritt, einen Differenzausgleich zu verlangen. Ein solcher Differenzausgleich wurde bei den vorliegenden Optionsscheinen jedoch in jedem Fall durchgeführt.
Der steuerbare Verlust berechnet sich in Höhe der Differenz zwischen erlangtem Differenzausgleich und den Anschaffungskosten der Wertpapiere.
Gewinn oder Verlust bei einem Termingeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 ist der Differenzausgleich oder der durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmte Geldbetrag oder Vorteil abzüglich der Werbungskosten (§ 23 Abs. 3 Satz 5 EStG 2008). Die Anschaffungskosten eines Optionsscheins sind, wie die Optionsprämien eines unverbrieften Optionsgeschäfts, Werbungskosten i.S. des Satzes 5 [7].
Ob die Wertpapiere als Termingeschäfte i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG 2009 zu qualifizieren sind, konnte der Bundesfinanzhof hier dahinstehen lassen. Liegt ein Termingeschäft vor, ist der Verlust gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a i.V.m. Abs. 4 Satz 5 EStG 2009 zu berücksichtigen. Sollten die Voraussetzungen eines Termingeschäfts nicht erfüllt sein, folgt die steuerliche Anerkennung des Verlusts jedenfalls aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 EStG 2009 [8].
Der nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG 2009 zu ermittelnde Gewinn ist der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung bzw. Einlösung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft bzw. der Einlösung stehen, und den Anschaffungskosten. Dieser Gewinn kann auch negativ sein. Danach berechnen sich die Verluste aus der ‑hier unstreitigen- Differenz zwischen den Anschaffungskosten und den ausbezahlten Restwerten [9].
Die geltend gemachten Verluste können gemäß § 20 Abs. 6 EStG 2009 mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet und daher auch ohne Einschränkung als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen (ohne Veräußerung von Aktien) festgestellt werden. Das Verlustabzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG 2009 ist nicht anwendbar. § 20 Abs. 4 Satz 5 EStG 2009 enthält insoweit eine Sondervorschrift [10].
Eine Bescheinigung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 6 (nunmehr Satz 7), § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG 2009 ist nicht erforderlich. Einer solchen bedarf es nach § 20 Abs. 6 Satz 6 (nunmehr Satz 7) EStG 2009 nur bei Verlusten, die der Kapitalertragsteuer unterliegen. Das war hier vorliegend jedoch nicht der Fall, da die sog. „Wave XXL Papiere“ im Depot einer im Ausland ansässigen Bank gehalten wurden.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Juni 2020 – VIII R 1/17
- Abgrenzung zu BFH, Urteil vom 10.11.2015 – IX R 20/14, BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159[↩]
- Anschluss an BFH, Urteil vom 20.11.2018 – VIII R 37/15, BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.10.1994 – XI ZR 43/94, Wertpapier-Mitteilungen 1994, 2231, unter 1.b; Roth in KK-WpHG, 2. Aufl., § 37e Rz 13[↩]
- BMF, Schreiben vom 18.01.2016 – IV C 1‑S 2252/08/10004:17, 2015/0468306, BStBl I 2016, 85, Rz 17; Jung in Fuchs, WpHG, 2. Aufl., vor §§ 37e, 37g Rz 71; Lindberg, in Frotscher/Geurts, EStG, Stand 09/2003, § 23 Rz 67; Wernsmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Stand 04/2008, § 23 Rz B 185[↩]
- Roth in KK-WpHG, a.a.O., § 2 Rz 83, m.w.N.; vgl. auch BFH, Urteil vom 28.11.1990 – X R 197/87, BFHE 163, 175, BStBl II 1991, 300, unter I. 2.b; Kraft in Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., Rz 19.81 ff.[↩]
- BFH, Urteil vom 10.11.2015 – IX R 20/14, BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 26.09.2012 – IX R 50/09, BFHE 239, 95, BStBl II 2013, 231, Rz 24 am Ende, Rz 28; vgl. auch zum neuen Recht BFH, Urteil vom 12.01.2016 – – IX R 48/14, BFHE 252, 423, BStBl II 2016, 456, Rz 21 f.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 20.11.2018 – VIII R 37/15, BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507, Rz 28[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507, Rz 29, m.w.N.[↩]