Versorgungsleistungen, die das Kind aufgrund einer Vermögensübergabe im Wege vorweggenommener Erbfolge aus den Erträgen des übergebenen Vermögens an den nicht für dieses Kind kindergeldberechtigten Vermögensübergeber leistet, sind bei der Bemessungsgrundlage für den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) zu berücksichtigen.

Nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. Satz 2 EStG war ein über 18 Jahre altes, in Berufsausbildung befindliches Kind beim Kindergeld nicht mehr zu berücksichtigen, wenn es „Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind“ erhält, die einen Grenzbetrag überschreiten.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall überstiegen die von der Tochter A erzielten Einkünfte aus der an sie im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge übertragenen Beteiligung an der GbR diese Grenzbeträge; berücksichtigt man dagegen die auf die Tochter entfallenden Versorgungsleistungen als Abzugsposten, wurden die Grenzbeträge jedoch nicht überschritten.
Der Begriff der Einkünfte i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Über-schuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Er-zielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Einnahmen die Werbungskosten abzuziehen1.
Darüber hinaus sind nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 20052 im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte –ebenso wie die Bezüge– nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Teile der Ein-künfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen3.
Zweck der Begrenzung von Ansprüchen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist es, diejenigen Eltern von finanziellen Entlastungen durch Freibeträge und Kindergeld auszuschließen, deren Kinder über eigene Einkünfte und Bezüge in einer das zu schützende Existenzminimum übersteigenden Höhe verfügen, so dass zugleich die Unterhaltspflicht der Eltern entfällt oder sich mindert. Die folgerichtige Beachtung dieses Zwecks verlangt, dass für die Einbeziehung von Mitteln des Kindes in die Bemessungsgröße für die Freigrenze die mögliche Entlastungswirkung solcher Mittel bei den unterhaltspflichtigen Eltern entscheidet, denn auf deren Leistungsfähigkeit kommt es für die Gewährung und Begrenzung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen an. Mit dem Jahresgrenzbetrag für „unschädliche“ Einkünfte und Bezüge des Kindes wird bestimmt, ob und wieweit anderweitige finanzielle Entlastungen der Unterhaltsverpflichteten eine aus öffentlichen Haushalten finanzierte zusätzliche Entlastung ausschließen4. Danach sind „diejenigen Beträge, die, wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht verfügbar sind und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken können, sondern anderen Zwecken als der Bestreitung des Unterhalts zu dienen bestimmt sind, nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen5.
Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass die auf die Tochter des Klägers aufgrund ihrer Beteiligung an der GbR entfallenden Einkünfte ebenso wie die Verpflichtung zur Zahlung der Versorgungsleistungen auf einer Vermögensübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge beruhen und daher dem Sonderrecht der Vermögensübergabe unterliegen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist dabei davon auszugehen, dass der Übernehmer des Vermögens durch die Übernahme der Verpflichtung zur Erbringung der Versorgungsleistungen keine Gegenleistung für die Übernahme des Vermögens an den Übergeber im Sinne eines Anschaffungsvorgangs erbringt, sondern sich der Übergeber vielmehr aus dem übertragenen Vermögen Teile der nunmehr vom Vermögensübernehmer zu erwirtschaftenden Nettoerträge vorbehält6. Danach stellt die Übernahme der Verpflichtung zu Versorgungsleistungen eine von vornherein vom Übergeber vorbehaltene Minderung des übertragenen Vermögens dar. Wie der Große BFH des BFH ausgeführt hat, unterscheidet sich die Versorgungsleistung von einer Unterhaltsleistung; sie enthält deshalb auch keine Zuwendung des Übernehmenden aufgrund freiwillig begründeter Rechtspflicht7. Der Vorbehalt der Erträge stelle sich vielmehr dar als ein „Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit“8 und führe zu einem vergleichbaren Ergebnis wie bei der unentgeltlichen Übertragung einer Einkunftsquelle unter Nießbrauchsvorbehalt9. Dies gebietet eine Gleichhandlung einer Vermögensübertragung gegen Versorgungslast mit der Übertragung einer Einkunftsquelle unter Nießbrauchsvorbehalt.
Es liegen auch keine anderen Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG vor. Bezüge im Sinne der Vorschrift sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden10. Ob und in welchem Umfang bei einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen der Vermögenserwerb als Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu erfassen ist, kann im Streitfall offenbleiben, denn das im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragene Grundstück hat die GbR bereits 1994 und damit vor den Streitzeiträumen erhalten.
Nach Abzug der auf A entfallenden anteiligen Versorgungsleistungen sind die zu berücksichtigenden Einkünfte der A in den Streitjahren geringer als der Grenzbetrag, so dass dem Kläger Kindergeld in der beantragten Höhe für die Streitjahre zusteht.
Der Bundesfinanzhof weicht mit dieser Entscheidung nicht von dem Beschluss des III. Senats des Bundesfinanzhofs vom 26. November 200811 nach § 126a FGO ab. In dem vom III. Senat entschiedenen Sachverhalt waren die Versorgungsleistungen an die Kindergeldberechtigte selbst zu zahlen und führten daher zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Kindergeldberechtigten, sodass deren Entlastung durch Kindergeld nicht geboten war, denn nach der Rechtsprechung des BVerfG gebietet der Zweck des § 32 Abs. 4 EStG, dass für die Einbeziehung von Mitteln des Kindes in die Bemessungsgröße für die Freigrenze die mögliche Entlastungswirkung solcher Mittel bei den unterhaltspflichtigen Eltern entscheidet, weil es auf deren Leistungsfähigkeit für Gewährung und Begrenzung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen ankommt4. Anders als in dem vom III. Senat entschiedenen Fall stehen im Streitfall die Versorgungsleistungen nicht dem Kindergeldberechtigten, sondern einem Dritten zu. Der III. Senat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er wegen der unterschiedlichen Sachverhalte keine Abweichung von seinem Beschluss vom 26.11.200812 sehe.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 8. November 2012 – V R 57/10
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteile vom 21.10.2010 – III R 18/10, BFH/NV 2011, 251; vom 17.06.2010 – III R 59/09, BFHE 230, 142, BStBl II 2011, 121[↩]
- BVerfG vom 11.01.2005 – 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, 260, Beilage 3[↩]
- z.B. BFH, Urteile in BFH/NV 2011, 251; vom 07.04.2011 – III R 72/07, BFHE 233, 449, BStBl II 2011, 974[↩]
- BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, 260, Beilage 3 Rdnr. 39[↩][↩]
- BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, 260, Beilage 3 Rdnr. 52[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 05.07.1990 – GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847; und vom 15.07.1991 – GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78[↩]
- BFH, Beschluss in BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847 Leitsatz 2, unter C.II.1.c[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 11.10.2007 – X R 14/06, BFHE 219, 160, BStBl II 2008, 123; vom 19.01.2010 – X R 32/09, BFHE 228, 291, BStBl II 2011, 162, unter II.3.a[↩]
- BFH, Beschlüsse in BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847, unter C.II.1.c; und vom 12.05.2003 – GrS 1/00, BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95, unter C.II.2.c; BFH, Urteil in BFHE 228, 291, BStBl II 2011, 162, unter II.3.b[↩]
- z.B. BFH, Urteile vom 28.05.2009 – III R 8/06, BFHE 225, 141, BStBl II 2010, 346; vom 29.05.2008 – III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664, jeweils m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 26.11.2008 – III R 20/06; ebenso in der Vorinstanz Nds. FG, Urteil vom 29.11.2005 – 13 K 189/02[↩]
- BFH, Beschluss vom 26.11.2008 – III R 20/06[↩]