Vorsorgeaufwendungen bei einem Solidarverein

Beiträge an einen nicht der Versicherungsaufsicht unterliegenden Solidarverein, der Leistungen in Krankheitsfällen gewährt, können -unbeschadet weiterer Voraussetzungen- nur dann als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn auf die Leistungen des Solidarvereinsereins ein Rechtsanspruch besteht.

Vorsorgeaufwendungen bei einem Solidarverein

Eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V kann auf der Grundlage sowohl deutschen als auch ausländischen Rechts bestehen1.

Dies entschied jetzt der Bundesfinanzhof auf die Klage einer Freiberuflerin, die für ihre Absicherung im Krankheits- und Pflegefall Beiträge an einen eingetragenen Verein zahlte. Dieser war nach seiner Satzung eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Ziff. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und keine Krankenkasse oder Krankenversicherung. Die hierbei in Bezug genommene Norm des § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG in der beim Inkrafttreten der Satzung gültigen Fassung (VAG a.F.; heute § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes -VAG- in der seit 2016 geltenden Fassung) lautete: „Der Aufsicht nach diesem Gesetz unterliegen nicht: Personenvereinigungen, die ihren Mitgliedern, ohne dass diese einen Rechtsanspruch haben, Unterstützungen gewähren, insbesondere die Unterstützungseinrichtungen und Unterstützungsvereine der Berufsverbände“. Die Mitglieder des Solidarvereinsereins leisten einkommensabhängige Beiträge nach Maßgabe einer vom Vorstand des Solidarvereins festgelegten Beitragsordnung. Die Hälfte dieser Beiträge wird einem Individualkonto des Mitglieds gutgeschrieben. Die Auszahlung dieses Guthabens kann jedes Mitglied zur Deckung seiner Krankheitskosten verlangen (§ 5 Abs. 2 der Satzung). Die andere Hälfte der Beiträge wird einem Solidarfonds gutgeschrieben. Zu Auszahlungen aus dem Solidarfonds heißt es in § 5 Abs. 3 der Satzung: „Aus dem Solidarfonds können weitere Unterstützungen an die Mitglieder erbracht werden, die auch die Hilfe im Pflegefall abdecken. Über einen Antrag auf Unterstützung der Kosten für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung oder eine andere gebotene Form der Therapie entscheidet der Vorstand nach Maßgabe der Zuwendungsordnung. Ein Anspruch auf Leistung besteht nur in Fällen der medizinischen Notwendigkeit. Diese soll dem individuellen Bedarf entsprechen, wobei mindestens das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege- oder Krankenversicherung erreicht werden soll. In anderen Fällen entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen.“ In Streitfällen ist der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen. Die Mitglieder können statt dessen ein Schlichtungsverfahren und anschließend ggf. ein Schiedsverfahren nach §§ 1025 ff. ZPO einleiten.

Die Freiberuflerin machte die an den Verein gezahlten Beiträge als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a und b EStG geltend. Der für Vorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG geltende Höchstbetrag war bei der Freiberuflerin und ihrem Ehemann bereits durch anderweitige Aufwendungen ausgeschöpft. Das Finanzamt versagte den Abzug in den angefochtenen Einkommensteuerbescheiden 2015 und 2016 und verwies hierfür auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19.06.20132. In diesem Urteil hatte das Niedersächsische Finanzgericht für den Veranlagungszeitraum 2011 auf die Klage eines anderen Mitglieds des Solidarvereins entschieden, dass die Beiträge an den Verein nicht als Sonderausgaben abziehbar seien. Zum einen seien Unterstützungseinrichtungen -wie der Verein- nicht in der damals geltenden Fassung des § 10 Abs. 2 EStG a.F. genannt, die nur Versicherungsunternehmen, berufsständische Versorgungseinrichtungen, Sozialversicherungsträger und Anbieter i.S. des § 80 EStG aufzähle. Zum anderen gewähre der Verein -ausweislich seiner damals geltenden Satzung- auf seine Leistungen keinen Rechtsanspruch. Der Bundesfinanzhof hat die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil mit Beschluss vom 21.02.20143 zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Bundesfinanzhof ausgeführt, die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Rechtsfrage offensichtlich so zu entscheiden sei, wie das Finanzgericht es getan habe. Jedenfalls die Frage, ob der Solidarverein unter § 10 Abs. 2 EStG a.F. falle, sei eindeutig zu verneinen. Dabei hat der Bundesfinanzhof allerdings ausdrücklich auf die ab dem Veranlagungszeitraum 2013 geltende Erweiterung des § 10 Abs. 2 EStG hingewiesen, wonach seitdem auch Beiträge an Einrichtungen, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewähren, als Vorsorgeaufwendungen berücksichtigt werden können.

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Das Bayerische Landessozialgericht hat mit Urteil vom 09.06.20154 für die im Jahr 2009 geltende Satzung des Solidarvereins entschieden, dass er aufgrund des darin fehlenden Rechtsanspruchs der Mitglieder auf Leistungen keine Einrichtung sei, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewähre. Das Bundessozialgericht hat die hiergegen eingelegte Revision wegen unzureichender Begründung als unzulässig verworfen5.

Die für die Versicherungsaufsicht zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat gegen den Solidarverein im Jahr 2016 ein auf die Einstellung und Abwicklung des Geschäftsbetriebs gerichtetes Verfahren eingeleitet. Sie vertritt die Ansicht, der Solidarverein gewähre seinen Mitgliedern einen Rechtsanspruch auf Leistungen und betreibe daher erlaubnispflichtige Versicherungsgeschäfte, ohne dass ihm die erforderliche Erlaubnis erteilt worden sei. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der hier entschiedenen Klage vor dem Niedersächsischen Finanzgericht war das von der BaFin geführte Verfahren noch nicht abgeschlossen. Das Finanzgericht hat festgestellt, der Solidarverein beabsichtige im Hinblick auf das von der BaFin geführte Verfahren, seine Satzung dahingehend zu ändern, dass Ansprüche auf Leistungen aus dem Solidarfonds der Höhe nach auf die vorhandenen Geldmittel beschränkt würden.

Im Verfahren zur Einkommensteuer 2015 und 2016 der Freiberuflerin blieben die Einsprüche und Klagen ohne Erfolg. Das Niedersächsische Finanzgericht entschied6, der Solidarverein sei kein in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG genannter Versorgungsträger. Er falle nicht unter Buchst. a Satz 1 dieser Regelung, weil er weder ein Versicherungsunternehmen sei noch ihm die hierfür erforderliche Erlaubnis erteilt worden sei. Auch Buchst. a Satz 2 (anderweitige Absicherung im Krankheitsfall) sei nicht einschlägig, weil diese Regelung auf Einrichtungen beschränkt sei, die ihren Sitz außerhalb des EU-/EWR-Raums hätten. Hierfür sprächen sowohl der Gesetzeswortlaut als auch die Gesetzessystematik und die Materialien. Danach ließ das Finanzgericht offen, ob die Beiträge die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG erfüllten, insbesondere ob auf Leistungen des Solidarvereins ein Anspruch bestanden habe. Das Finanzgericht gab in diesem Zusammenhang aber „zu bedenken“, dass der Solidarverein weder mit den Trägern der gesetzlichen noch der privaten Krankenversicherung vergleichbar sei. § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG erfordere, dass ein bestehender Rechtsanspruch auf Leistungen jedenfalls nicht einseitig durch den Verpflichteten aufgehoben oder eingeschränkt werden könne. Zwar möge die Freiberuflerin in den Streitjahren einen Rechtsanspruch gehabt haben. Der Solidarverein könne diesen Anspruch aber jederzeit einschränken, indem der Vorstand die Zuwendungsordnung ändere.

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Die hiergegen gerichtete Revision der Freiberuflerin hatte vor dem Bundesfinanzhof Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Mit der vom Finanzgericht gegebenen Begründung können, so der Bundesfinanzhof, die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG in Bezug auf den Solidarverein nicht verneint werden. Im zweiten Rechtsgang wird es daher auf die Frage ankommen, ob es sich bei dem Solidarverein um eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewährt und ob auf die Leistungen des Solidarvereins ein Anspruch besteht.

Voraussetzung für den Abzug von Vorsorgeaufwendungen ist neben der Zahlung entsprechender Beiträge u.a., dass sie an bestimmte Versorgungsträger geleistet werden (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG). In diesem Zusammenhang hat das Finanzgericht zwar zu Recht die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 1 EStG auf den Solidarverein ausgeschlossen. Die in Bezug auf Buchst. a Satz 2 dieser Regelung vom Finanzgericht gegebene Begründung ist aber rechtsfehlerhaft:

Der Solidarverein fällt nicht unter § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 1 EStG.

Selbst wenn der Solidarverein als „Versicherungsunternehmen“ anzusehen sein sollte, würde ein Sonderausgabenabzug voraussetzen, dass dieses Unternehmen das Versicherungsgeschäft im Inland betreiben darf (Doppelbuchst. aa) oder ihm die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist (Doppelbuchst. bb). Gemäß § 8 Abs. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes bedürfen Versicherungsunternehmen zum Geschäftsbetrieb der Erlaubnis der Aufsichtsbehörde. Da der Solidarverein nach den Feststellungen des Finanzgericht weder eine solche Erlaubnis erteilt war noch die Voraussetzungen etwaiger Ausnahmetatbestände von der Erlaubnispflicht erfüllt waren, durfte er das Versicherungsgeschäft im Inland nicht betreiben.

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Die Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts, der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG beschränke sich auf Einrichtungen mit Sitz außerhalb des EU-/EWR-Raums, ist nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs jedoch rechtsfehlerhaft:

Nach der genannten Regelung werden Krankenversicherungsbeiträge über Satz 1 hinaus nur berücksichtigt, wenn es sich um Beiträge an eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V oder eine der Beihilfe oder freien Heilfürsorge vergleichbare Absicherung i.S. des § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG gewährt.

Aus dem Wortlaut dieser Regelung folgt -anders als das Niedersächsische Finanzgericht meint- kein Ausschluss solcher Einrichtungen, die ihren Sitz im EU-/EWR-Raum haben. Im Gegenteil lässt die Bezugnahme gerade auf Normen des deutschen Sozialversicherungs- bzw. Privatversicherungsrechts erkennen, dass auch deutsche Einrichtungen erfasst sind. In Übereinstimmung damit kann die anderweitige Absicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf der Grundlage sowohl deutschen als auch ausländischen Rechts bestehen7.

Aus der -vom Finanzgericht in den Vordergrund seiner Argumentation gestellten- den § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG einleitenden Wendung „Darüber hinaus“ folgt nichts anderes. Diese Wendung will im Verhältnis zu Buchst. a Satz 1 nicht etwa einen Gegensatz in der örtlichen Anknüpfung schaffen, sondern die begünstigten Versorgungsträger über die Beschränkungen des Satzes 1 („Versicherungsunternehmen“) hinaus auch auf bestimmte „Einrichtungen“ erweitern. Dementsprechend formuliert auch das Bundessozialgericht, dass die -in Satz 2 in Bezug genommene- Norm des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht nur „Versicherungen“, sondern jegliche anderweitige „Absicherung“ erfasst, die das Gesetz als ausreichend ansieht8.

Aus denselben Gründen folgt auch aus der Gesetzessystematik das Gegenteil des vom Finanzgericht gefundenen Auslegungsergebnisses. Gerade der ausdrückliche Bezug des Satzes 2 auf Normen des deutschen Rechts, deren originärer Anwendungsbereich -zumindest auch- Inlandsfälle einbezieht, zeigt, dass ein rein einkommensteuerrechtlicher Ausschluss von Einrichtungen mit Sitz in EU-/EWR-Staaten hier nicht gewollt sein kann.

Die Gesetzesmaterialien stützen ebenfalls die Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts nicht, sondern belegen gerade das Gegenteil. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25.05.2012 für ein Jahressteuergesetz 20139 wird zur Erläuterung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG zunächst auf die sozialrechtlichen Vorschriften verwiesen. Damit können aufgrund des im Gesetzeswortlaut enthaltenen Verweises auf das SGB V nur die inländischen sozialrechtlichen Vorschriften gemeint sein. Weiter heißt es, der neu eingefügte Buchst. a Satz 2 ermögliche den Sonderausgabenabzug „auch“ für Beiträge an den Solidarvereinersicherungsunternehmen in Drittstaaten. Aus dem Begriff „auch“ folgt erkennbar, dass die Abzugsmöglichkeit an Drittstaaten-Versicherungsunternehmen nur ein Teil des Anwendungsbereichs der Norm sein soll. Abschließend heißt es, „auch wenn“ der Steuerpflichtige weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe, bilde das Sozialrecht den Maßstab. Die Formulierung „auch wenn“ zeigt gleichermaßen, dass der Anwendungsbereich der Norm gerade nicht auf die hier genannten Auslandsfälle begrenzt sein soll.

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Das Jahressteuergesetz 2013 ist zwar letztlich nicht beschlossen worden. Die hier maßgeblichen Inhalte des entsprechenden Gesetzentwurfs sind aber unverändert in den Entwurf des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes aufgenommen10 und in diesem Gesetzgebungsverfahren beschlossen worden.

Danach kommt es für die Abziehbarkeit der von der Freiberuflerin an den Solidarverein geleisteten Beiträge in entscheidungserheblicher Weise darauf an, ob der Solidarverein als Einrichtung anzusehen ist, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall gewährt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG) und ob auf die Leistungen des Solidarvereins ein Anspruch besteht (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Satz 1 EStG). Hierzu hat das Finanzgericht keine revisionsrechtlich bindenden Feststellungen getroffen, was im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein wird.

Allerdings hat das Niedersächsische Finanzgericht -nicht tragend- ausgeführt, dass die Freiberuflerin in den Streitjahren gegen den Solidarverein einen Rechtsanspruch auf Leistungen im Krankheitsfall über dem sozialhilfegleichen Versorgungsniveau gehabt haben „mag“.

Es wird diese Vermutung noch durch Auslegung der Satzung des Solidarvereins erhärten müssen. Insoweit enthalten § 2 Abs. 2 Buchst. a und § 5 Abs. 3 Satz 3 der Satzung Formulierungen, aus denen sich ein Rechtsanspruch ergeben könnte. Gegenläufig verweist § 2 Abs. 1 der Satzung aber auf § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG a.F., woraus man entnehmen könnte, dass es sich bei dem Solidarverein um eine Einrichtung handele, die ihren Mitgliedern keinen Rechtsanspruch gewährt.

Ergänzend kann das Finanzgericht auch weitere Quellen heranziehen (z.B. Internetauftritt, Werbematerial, Protokolle von Mitgliederversammlungen des Solidarvereins).

Darüber hinaus müsste das Finanzgericht sich in rechtlicher Hinsicht nochmals vertieft mit seiner im vorinstanzlichen Urteil -ebenfalls nicht tragend- angedeuteten Auffassung befassen, der von § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG vorausgesetzte „Anspruch“ auf die Leistungen erfordere, dass ein solcher Anspruch auch mit Wirkung für die Zukunft nicht ohne Einverständnis des Mitglieds bzw. Versicherten beseitigt werden kann.

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In diesem Zusammenhang hätte das Finanzgericht zu prüfen, ob sowohl das Recht der gesetzlichen als auch der privaten Krankenversicherung -im Sinne eines typusprägenden Vergleichsmaßstabs- wirksame Vorkehrungen auch gegen einen Entzug von Leistungsansprüchen lediglich mit Wirkung für die Zukunft enthält.

Die vom Finanzgericht im Rahmen seiner kursorischen Prüfung genannte Norm des § 23 SGB V scheint eine solche änderungsfeste Regelung -jedenfalls auf den ersten Blick- nicht zu enthalten. Das Finanzgericht kann sich aber ergänzend mit der Frage auseinandersetzen, ob sich eventuell aus dem Verfassungsrecht -zumindest für einen Kernbestand an Leistungen- ein Schutz vor nachteiligen Änderungen des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt.

Ebenso dürfte sich für die private Krankenversicherung jedenfalls aus den vom Finanzgericht allein genannten Normen der § 193 Abs. 1 und § 203 Abs. 3 VVG, § 152 Abs. 1 VAG weder ein Kündigungsausschluss noch ein Verbot von Vertragsanpassungen mit Wirkung für die Zukunft ergeben. Ob sich solche Rechtsfolgen aus den -vom Finanzgericht nicht erwähnten- Regelungen der §§ 206, 208 VVG ergeben, wird das Finanzgericht noch zu prüfen haben.

Sollte dies der Fall sein und sollten die Leistungsansprüche der Versicherten gegen die Träger der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung auch durch ihre Zukunftsfestigkeit und Unentziehbarkeit charakterisiert werden, wird das Finanzgericht weiter prüfen müssen, ob es bei dem Solidarverein vergleichbare Vorkehrungen gegen einen Entzug von Leistungsansprüchen mit Wirkung für die Zukunft gibt.

Allein die vom Niedersächsischen Finanzgericht angeführte Möglichkeit, die Zuwendungsordnung des Solidarvereins durch bloßen Vorstandsbeschluss zu ändern, dürfte in diesem Zusammenhang noch nicht schädlich sein. Denn die Freiberuflerin weist zu Recht darauf hin, dass Änderungen der Zuwendungsordnung sich stets in dem durch die -insoweit höherrangige- Satzung hierfür gezogenen Rahmen halten müssen.

Entscheidend dürfte daher sein, ob etwaige satzungsmäßige Leistungsansprüche der Mitglieder des Solidarvereins in vergleichbarer Weise unentziehbar sind wie -hier unterstellt- die Ansprüche von Versicherten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung. Dagegen könnte die Formulierung des Finanzgericht sprechen, der Solidarverein beabsichtige eine Satzungsänderung dahingehend, Leistungsansprüche nur noch im Rahmen der vorhandenen Mittel zu gewähren. Die rechtliche Möglichkeit einer solchen Satzungsänderung könnte ein Indiz gegen die Unentziehbarkeit der Ansprüche darstellen.

Gegenläufig wird das Finanzgericht aber zu erwägen haben, ob etwaig vom Solidarverein abgeschlossene Rückversicherungsverträge, die gerade Großschäden abdecken, zu dem Schluss führen könnten, dass diesem bei einer am Tatsächlichen orientierten Betrachtung stets genügend Mittel zur Abdeckung aller Leistungsansprüche zur Verfügung stehen könnten. Sollte dies der Fall sein, könnte die beabsichtigte Satzungsänderung eventuell als lediglich formal erscheinen und keine erkennbaren praktischen Auswirkungen auf die Leistungsansprüche der Mitglieder haben.

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Der Bundesfinanzhof weist ferner auf den eventuellen Normwiderspruch hin, der darin liegt, dass einerseits in § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG lediglich „Krankenversicherungen“ erwähnt sind, andererseits § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG aber auch andere „Einrichtungen“ -und zwar ausdrücklich für Zwecke des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG- als zulässige Beitragsempfänger ansieht. Ein solcher Normwiderspruch ließe sich nur dadurch auflösen, dass Beiträge an andere Einrichtungen i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG auch dann erfüllen, wenn es sich bei dieser Einrichtung nicht zugleich um eine „Krankenversicherung“ handelt.

Hinsichtlich der Beiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG hat das Finanzgericht ausgeführt, der Solidarverein sei nicht als Träger der gesetzlichen Pflegeversicherung anzusehen, die in dem Klammerzusatz der genannten Norm als „soziale Pflegeversicherung und private Pflege-Pflichtversicherung“ definiert werde. Gegen diese Würdigung hat die Freiberuflerin im Revisionsverfahren keine Einwendungen erhoben. Ihr steht es aber frei, solche Einwendungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

Sollte das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis kommen, dass diejenigen Beiträge, die dem Erwerb eines Schutzes im Krankheitsfall dienen, die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 EStG erfüllen, wird es erwägen müssen, ob aus dem von der Freiberuflerin an den Solidarverein gezahlten Gesamtbeitrag ein Anteil auszuscheiden ist, der dem Erwerb eines Schutzes im Pflegefall dient und möglicherweise nicht die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG erfüllt.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. August 2020 – X R 12/19

  1. Anschluss an BSG, Urteil vom 20.03.2013 – B 12 KR 14/11 R, BSGE 113, 160, Rz 14[]
  2. Nds. FG, Urteil vom 19.06.2013 – 2 K 71/13, EFG 2013, 1496[]
  3. BFH, Beschluss vom 21.02.2014 – X B 142/13, BFH/NV 2014, 899[]
  4. BayLSG, Urteil vom 09.06.2015 – L 4 KR 27/13[]
  5. BSG, Beschluss vom 18.04.2017 – B 12 KR 18/15 R; Verfassungsbeschwerde noch anhängig: BVerfG – 1 BvR 2062/17[]
  6. Nds. FG, Urteil vom 20.03.2019 – 3 K 157/18, EFG 2019, 888[]
  7. BSG, Urteil vom 20.03.2013 – B 12 KR 14/11 R, BSGE 113, 160, Rz 14[]
  8. vgl. BSG, Urteil vom 03.07.2013 – B 12 KR 2/11 R, Sozialrecht 4-2500 § 5 Nr.20, Rz 29[]
  9. BR-Drs. 302/12, 86; gleichlautend BT-Drs. 17/10000, 54[]
  10. vgl. den Bericht des Finanzausschusses vom 27.02.2013, BT-Drs. 17/12532, 5, 89 f.[]