Eine Abfindung ist in dem Jahr zu versteuern, in dem sie dem Arbeitnehmer zugeflossen ist. Dies gilt nach mehreren jetzt veröffentlichten Urteilen des Niedersächsischen Finanzgerichts auch dann, wenn eine zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geschlossene Vereinbarung eigentlich eine frühere Fälligkeit der Abfindung begründet.

Die Abfindungszahlung unterliegt als Teil der Einkünfte des Arbeitnehmers aus nichtselbstständiger Arbeit gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, §§ 19, 11 Abs. 1 und § 38a Abs. 1 EStG in dem Kalenderjahr der Einkommensteuer, in dem die Einnahmen zugeflossen sind. Für Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gelten nach § 11 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. (inzwischen Satz 4) die Sätze 2 und 3 des § 38a Abs. 1 EStG. Während laufender Arbeitslohn in dem Kalenderjahr als bezogen gilt, in dem der Lohnzahlungszeitraum endet, wird Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt. Abfindungen sind sonstige Bezüge in diesem Sinne. Sie werden in dem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Arbeitnehmer zufließen. Einnahmen sind zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügen kann. Geldbeträge fließen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Das bloße Innehaben eines Anspruchs führt nicht bereits zu einem Zufluss. Selbst im Fall der Gutschrift auf einem internen Konto des Schuldners kann ein Zufluss erst dann angenommen werden, wenn über den buchmäßigen Ausweis hinaus nach dem Gesamtbild der Verhältnisse hierdurch zum Ausdruck kommt, dass der Betrag den Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht1.
Besonderheiten gelten für den Alleingesellschafter oder den beherrschenden Gesellschafter einer GmbH. Diesem fließen Beträge, die ihm die GmbH schuldet, grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit zu, da er es – bei Zahlungsfähigkeit der GmbH – in der Hand hat, sich fällige Beträge jederzeit auszahlen zu lassen2. Wenn der Gläubiger nicht beherrschender GmbH-Gesellschafter ist und auch nicht vom Schuldner – insbesondere durch Gutschrift – so gestellt wird, dass er den geschuldeten Betrag ohne Weiteres für sich verwenden kann, ist ein Zufluss eines Forderungsbetrags ohne Zahlung denkbar, wenn eine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt, dass der Betrag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein soll. In einer Schuldumschaffung (Novation) kann eine Verfügung des Gläubigers über seine bisherige Forderung liegen, die einkommensteuerrechtlich so anzusehen ist, als ob der Schuldner die Altschuld begleicht und zugleich eine Neuverpflichtung für die Rückzahlung desselben Betrags durch den Gläubiger eingeht3. Im Fall einer Novation kann dann von einem Zufluss des aufgrund der Altforderung geschuldeten Betrags ausgegangen werden, wenn sich die Novation als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Gläubigers über den Gegenstand der Altforderung darstellt, also auf einem freien Entschluss des Gläubigers beruht4. Demgegenüber bewirkt eine bloße Stundungsvereinbarung grundsätzlich keinen Zufluss5.
Allein die einvernehmliche Verschiebung einer Zahlung in ein Folgejahr aus steuerlichen Gründen führt noch nicht zu einem Zufluss i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG6. Dabei ist es nicht entscheidungserheblich, dass der ursprüngliche Abfindungszeitpunkt durch Betriebsvereinbarung festgelegt war7.
Gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend. Werden Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf sie nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig (§ 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG). Allerdings ist ein Verzicht eines Arbeitnehmers auf einen Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung auch ohne Zustimmung des Betriebsrats wirksam, wenn die getroffene Individualvereinbarung nach einem objektiven Beurteilungsmaßstab zugunsten des Arbeitnehmers wirkt8.
In den jetzt vom FG in Hannover entschiedenen Fällen hatte der jeweilige Kläger aber nicht auf Ansprüche aus dem durch Betriebsvereinbarung begründeten Sozialplan verzichtet, sondern lediglich die Zahlung der Abfindung vom Monat Dezember in den Januar des Folgejahres verschoben, um hierdurch eine günstigere Besteuerung zu erreichen. Nach Ansicht des FG kommt dabei in Betracht, dass eine derartige zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch Individualvertrag geschlossene Vereinbarung arbeitsrechtlich zulässig ist, da sie – unter Berücksichtigung ihrer steuerlichen Auswirkung – für den Arbeitnehmer objektiv günstiger ist als die in der Betriebsvereinbarung vorgesehene Abfindungszahlung.
Dies ist letztlich jedoch nicht entscheidungserheblich. Auch wenn arbeitsrechtlich eine derartige Vereinbarung nicht zulässig gewesen sein sollte, hätte sie steuerlich nicht zur Folge, dass der Zufluss des Arbeitslohns bereits im Jahr 2003 fingiert wird. Das Nds. FG schließt sich insoweit nicht der oben zitierten Rechtsprechung des FG Baden-Württemberg9 an. Vielmehr hätte eine etwaige Unwirksamkeit der individualvertraglichen Fälligkeitsvereinbarung lediglich zur Folge, dass die Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am 31.12.2003 einen sofort fälligen Anspruch auf Zahlung der Abfindung gehabt hätten. Ein Zufluss der Abfindung wurde hierdurch jedoch nicht bewirkt.
Im Übrigen hätte die Rechtsprechung des FG Baden-Württemberg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.02.2004 – 6 K 403/99, EFG 2004, 980) wohl zur Folge, dass diejenigen Arbeitnehmer, denen es gelingt individuell eine höhere Abfindung auszuhandeln als sie im Sozialplan vereinbart ist, mit dem Individualvertrag über diese Abfindung zugleich mit steuerlich anzuerkennender Wirkung auch einen späteren Fälligkeitstermin vereinbaren könnten, da eine derartige Abweichung von der Betriebsvereinbarung insgesamt objektiv für den Arbeitnehmer günstiger und damit arbeitsrechtlich wohl zulässig wäre. Die Arbeitnehmer, die nicht über eine derartige Verhandlungsmacht verfügen und lediglich eine Verschiebung der sich aus der Betriebsvereinbarung ergebenden Zahlung vereinbaren, würden dagegen steuerlich schlechter behandelt. Eine derartige Differenzierung ist nach Auffassung des erkennenden Senats nicht aus § 11 Abs. 1 Satz 3 EStG a. F. (inzwischen Satz 4) i.V.m. § 38a Abs. 1 EStG herzuleiten.
Die einvernehmliche „Verschiebung“ der Abfindungszahlung in das Folgejahr führt nicht zu einem Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann das Steuergesetz nicht durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts umgangen werden. Die Steuerpflichtigen haben es jedoch in der Hand, in den Steuergesetzen eingeräumte rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zu ihren Gunsten zu nutzen, solange hiermit kein Rechtsmissbrauch verbunden ist. Im Falle der Steuerung des Zuflusses oder des Abflusses durch Vereinbarungen – wie hier – kommt ein Gestaltungsmissbrauch nur in Ausnahmefällen in Betracht. Der Gesetzgeber hat durch die Normierung des Zu- und Abflussprinzips in Kauf genommen, dass es durch die Zusammenballung von Einnahmen bzw. Ausgaben in einem Veranlagungszeitraum zu steuerlichen Zufallsergebnissen kommen kann, die gegebenenfalls zu einer erheblichen steuerlichen Belastung oder Entlastung führen. Diese Abweichung gegenüber der Behandlung von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben bei bilanzierenden Gewerbetreibenden ist durch die Systematik des Einkommensteuergesetzes begründet. Einerseits können grundsätzlich ungünstige Zusammenballungen von Einnahmen bzw. Ausgaben auch nicht im Billigkeitswege korrigiert werden. Andererseits erhält der Steuerpflichtige Gestaltungsmöglichkeiten durch das bewusste Herbeiführen eines Zuflusses bzw. eines Abflusses unabhängig von der wirtschaftlichen Verursachung. Derartige Gestaltungen sind grundsätzlich selbst dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie das Ziel der Steuerminimierung verfolgen10. Vielmehr ist eine Gestaltung des Zu- bzw. Abflusses von Einnahmen bzw. Ausgaben nur dann unangemessen i.S.d. § 42 Abs. 1 AO, wenn ein Zahlungszeitpunkt willkürlich ist und keinen Bezug zum wirtschaftlichen Hintergrund hat11, z.B. wenn Werbungskosten oder Sonderausgaben ohne wirtschaftlich vernünftigen Grund vorausgezahlt werden12.
Das Nds. FG schließt sich dieser Rechtsprechung an. Es handelt sich nicht um einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, wenn von vornherein vereinbart ist, dass eine Abfindungszahlung nicht im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern einen Monat später gezahlt werden soll, selbst wenn eine derartige Absprache im Wesentlichen aus steuerlichen Gründen erfolgt. Nichts anders gilt auch dann, wenn – wie im Streitfall – zwar zunächst eine Fälligkeit der Abfindung im Dezember vereinbart ist, anschließend aber aus steuerlichen Gründen die Fälligkeit in den Januar des Folgejahres verschoben wird. Die Zahlung einer Abfindung muss nicht zwingend zu dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Vielmehr kann sie schon vor oder erst nach diesem Zeitpunkt geleistet werden, wobei Vereinbarungen über die Fälligkeit ggf. auch einvernehmlich geändert werden können13. Derartige Vereinbarungen führen jedenfalls dann nicht zur Anwendung des § 42 AO, wenn – wie im Streitfall – ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Zeitpunkt der Zahlung besteht.
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteile vom 19. Februar 2009 – 5 K 73/06, 5 K 79/06, 5 K 88/06 und 5 K 90/06
- ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH, Urteile vom 14.02.1984 VIII R 221/80, BStBl II 1984, 480; vom 18.12.2001 IX R 74/98, BFH/NV 2002, 643; BFH, Beschluss vom 28.09.2005 XI B 82/04, BFH/NV 2006, 520; BFH, Urteil vom 28.10.2008 VIII R 36/04, BFH/NV 2008, 2117 m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 14.02.1984, a.a.O.[↩]
- BFH, Urteile vom 14.02.1984 und 28.10.2008, a.a.O.[↩]
- BFH, Urteil vom 28.10.2008, a.a.O.[↩]
- BFH, Urteil vom 14.02.1984, a.a.O.; BFH-Beschluss vom 28.09.2005 XI B 82/04, a.a.O.[↩]
- gleicher Ansicht FG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2000, 7 K 6048/97 E, EFG 2000, 793; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.04.2004, 14 K 135/99, EFG 2004, 1596, mit anderer Begründung im Ergebnis bestätigt durch BFH, Beschluss vom 28.09.2005 XI B 82/04, BFH/NV 2006, 520; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.11.2008, 3 K 101/05, juris, Rev. IX R 1/09 anhängig; Schmidt-Heinicke, 27. Aufl. 2008, § 11 EStG Rn. 12; Offerhaus, StuW 2006, 317, 321 f.; ders., Gastkommentar, DB Heft 27/2008 S. I[↩]
- anderer Ansicht FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.02.2004, 6 K 403/99, EFG 2004, 980; wie hier dagegen FG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.11.2008, 3 K 101/05, juris, Rev. IX R 1/09 anhängig[↩]
- BAG, Urteil vom 27.01.2004, 1 AZR 148/03, BAGE 109, 244[↩]
- FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.02.2004 – 6 K 403/99, EFG 2004, 980[↩]
- FG Düsseldorf, Urteil vom 23.04.1999 – 18 K 4262/95 E, EFG 1999, 964; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.04.2004 – 14 K 135/99, EFG 2004, 1596; mit anderer Begründung im Ergebnis bestätigt durch BFH, Beschluss vom 28.09.2005 – XI B 82/04, BFH/NV 2006, 520; Meyer, EFG 2004, 1597; Offerhaus, StuW 2006, 317, 321; ders., Gastkommentar, DB Heft 27/2008 S. I[↩]
- vgl. Kruse in Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 62[↩]
- vgl. etwa BFH, Urteile vom 23.09.1986 – IX R 113/82, BStBl. II 1987, 219; vom 07.11.2001 – XI R 24/01, BStBl. II 2002, 351 m.w.N.[↩]
- Offerhaus, StuW 2006, 317, 321[↩]