Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ist die private Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs für jeden Kalendermonat mit 1% des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattungen einschließlich der Umsatzsteuer gewinnerhöhend anzusetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vorschrift letztlich eine Regelung über die Bewertung der Privatnutzung enthält, die die tatsächliche Nutzung des betreffenden Wirtschaftsguts zu privaten Zwecken voraussetzt. Die Bestimmung kommt nicht zur Anwendung, wenn eine Privatnutzung ausscheidet1. Ob eine Privatnutzung vorliegt, ist daher in jedem einzelnen Fall vor der Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG konkret festzustellen2.

Zur Beurteilung, ob ein betrieblicher Pkw auch privat mitbenutzt wird, ist es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung geboten, im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) die Grundsätze über den Anscheinsbeweis (Beweis des ersten Anscheins oder prima-facie-Beweis) heranzuziehen3. Ist die private Mitbenutzung eines betrieblichen Pkw möglich, so besteht ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass eine private Mitbenutzung auch tatsächlich erfolgt; hierauf beruht u. a. die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr.4 Satz 2 EStG4.
Im hier vom Hessischen Finanzgericht entschiedenen Streitfall war die private Nutzung des Citroën Berlingo grundsätzlich möglich. Die Kläger waren in der Lage, auf das betriebliche Fahrzeug des Klägers zuzugreifen5. Damit greift der Anscheinsbeweis ein.
Der auf Erfahrungssätzen beruhende Anscheinsbeweis kann durch den sog. Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu bedarf es – worauf das Hessische Finanzgericht an dieser Stelle ausdrücklich hinweist – nicht des Beweises des Gegenteils. Es genügt vielmehr, dass ein Sachverhalt dargelegt wird, der die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs ergibt6.
Der Auffassung des Finanzamts, wonach der Anscheinsbeweis nur dann erschüttert ist, wenn Unterlagen vorgelegt werden, aus denen sich der betriebliche Zweck jeder Fahrt sowie der Kilometerstand ergibt, schließt sich das Gericht nicht an. Faktisch würde die Aufzeichnung der vorgenannten Daten auf die Führung eines Fahrtenbuchs hinauslaufen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann das Fehlen einer Privatnutzung auch anders als durch die Führung eines Fahrtenbuchs bewiesen werden7. Diese Sichtweise wird vom Hessischen Finanzgericht geteilt.
Die Kläger haben einen Sachverhalt dargelegt, bei dem die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs besteht. Sie haben nachvollziehbar ausgeführt, dass der Citroën nicht für Privatfahrten genutzt wurde. In diesem Kontext haben sie bis in die Einzelheiten dargelegt, wie private Erledigungen vorgenommen wurden. So hat der Kläger vorgetragen, dass er die gemeinsame Tochter in der Regel morgens um kurz vor 8:00 Uhr mit dem Firmenwagen seiner Frau zur Schule gebracht hat. Die Klägerin tritt ihren Dienst erst gegen 8:45 Uhr an, so dass ihr der Wagen bis dahin wieder zur Verfügung stand. Einmal pro Woche, in der Regel montags, hat der Kläger die Klägerin mit ihrem Firmenwagen zur Arbeit gefahren und diesen dann wieder mit nachhause genommen. Auf dem Rückweg wurden von ihm die Einkäufe für die laufende Arbeitswoche getätigt. In diesem Zusammenhang hat er eine detailreiche Sachverhaltsschilderung vorgenommen (z.B. das Anfahren mehrerer Einkaufsmärkte zwecks Einkaufs von Sonderangeboten, die in Angebots-Prospekten in der Zeitung vom Wochenende angepriesen wurden), die schlüssig erscheint.
Zwar ist dem Finanzamt darin Recht zu geben, dass der vorgenannte Sachverhalt nicht der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Aufgabenverteilung in der Familie der Kläger nicht ohne weiteres mit allgemeinen Erfahrungssätzen korrespondiert. So hat der Kläger bereits vor vielen Jahren seine (leitende) Stelle in der Rechtsabteilung einer Brauerei aufgegeben, um sich fortan in erster Linie als „Hausmann“ zu betätigen und sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern. Als ihm später von einem Bekannten eine Hausmeisterstelle angetragen wurde, hat er diese (quasi nebenberuflich) übernommen. Dem Senat erscheint der Sachvortrag hinsichtlich der Erledigung der Privatfahrten zwar atypisch, vor dem Hintergrund der vorgenannten Umstände und der oben zum Anscheinsbeweis ausgeführten Rechtsgrundsätze aber plausibel.
Hinzu kommt, dass die Kläger, in der mündlichen Verhandlung vom Beklagtenvertreter auf verschiedene – nicht alltägliche – Situationen angesprochen, in denen die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs erforderlich ist, durchgehend nachvollziehbare Erklärungen abgegeben haben. So ist unter anderem danach gefragt worden, wie verfahren wird, wenn eines der Kinder plötzlich erkrankt und sich die Klägerin mit dem Firmenwagen an der Arbeit befindet. Darauf hat die Klägerin entgegnet, dass bei ihr keine Dienstreisen anfielen und sie im Notfall auch eine Besprechung verlassen und sofort nachhause fahren könne, soweit es das Wohl ihrer Kinder zwingend erfordere. Weiter wurde danach gefragt, wie größere Gegenstände, z.B. Möbel, transportiert werden. Darauf haben die Kläger geantwortet, dass sie nicht mehr bei Ikea einkauften und sie im Möbelhaus gekaufte Möbel angeliefert bekämen. Auf die Entsorgung von Grünabfällen angesprochen, erklärten die Kläger, dass diese vom Abfall-Entsorger bei ihnen zuhause abgeholt würden.
Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist der klägerische Vortrag für das Hessische Finanzgericht nachvollziehbar:
Die Klägerin bekommt von ihrem Arbeitgeber einen gehobenen Firmenwagen zur Verfügung gestellt, den nicht nur sie selbst, sondern auch die mit ihr in häuslicher Gemeinschaft lebenden Personen privat nutzen dürfen. Sämtliche Kosten für den Pkw, einschließlich der Kosten für Benzin, werden vom Arbeitgeber der Klägerin getragen. Zur Abgeltung der Privatnutzung werden monatlich 0,4 % des Fahrzeug(neu)preises von ihrem Gehalt einbehalten. Dabei handelt es sich um eine Pauschale, die unabhängig vom tatsächlichen Umfang der Privatnutzung in Rechnung gestellt wird. In Anbetracht dessen ist es wirtschaftlich sinnvoll, sämtliche privaten Fahrten mit dem Firmenwagen der Klägerin durchzuführen und den Citroën Berlingo nicht privat zu nutzen. Privatfahrten mit dem Citroën würden zu einer wirtschaftlichen Schlechterstellung der Kläger führen. Denn es käme zu einer Besteuerung nach der 1 %-Regelung, was eine jährliche Mehrsteuer von mehreren hundert Euro nach sich ziehen würde. Selbst bei Außerachtlassung dieser steuerlichen Komponente wäre die private Nutzung des Citroën für die Kläger von Nachteil. Zum einen würde diese zu einer schnelleren Abnutzung und damit zu einem höheren Wertverzehr des Autos führen, zum anderen müssten die Kraftstoffkosten -soweit sie auf Privatfahrten entfallen- vorfinanziert werden.
Ferner haben die Kläger noch weitere Anhaltspunkte vorgetragen, die die Annahme einer Privatnutzung erschüttern:
Ausweislich der vorgelegten Unterlagen wurden mit dem Citroën im Zeitraum 16.04.2007 bis 29.04.2009 5302 km zurückgelegt. Das entspricht einer durchschnittlichen monatlichen Laufleistung von ca. 216 km. Ausweislich der vom Kläger vorgelegten Fahrtenbuch-Auszüge aus dem Jahr 2002 (nur in der Anfangszeit seiner gewerblichen Tätigkeit hat er ein Fahrtenbuch geführt) betrug die durchschnittliche monatliche betriebliche Fahrleistung in keinem Fall weniger als 216 km, teilweise sogar deutlich mehr. Auch das spricht dafür, dass der Citroën im Streitzeitraum ausschließlich betrieblich genutzt wurde.
Der Firmenwagen der Klägerin übertrifft den Citroën des Klägers in den Kategorien Status, Ausstattung, Fahrsicherheit und Alter bei weitem. Bei dem Audi (Neupreis ca. 52.000 €) handelt es sich um ein sehr gut motorisiertes und ausgestattetes Fahrzeug der gehobenen Mittelklasse. Der Citroën (Neupreis 12.590 €), 4 Jahre älter als der Audi, ist ein mäßig ausgestatteter Kastenwagen mit Heckklappenschaden. In Anbetracht der vorgenannten Tatsachen und der damit verbundenen höheren Wertigkeit des Audis erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass die Kläger von einer Privatnutzung des Citroën abgesehen haben.
Die Kläger verfügten im Streitzeitraum noch über einen Pkw BMW Z 3 (Cabrio) sowie einen Honda-Kraftroller mit 102 cm³. Zwar ist der BMW in der Zeit von November bis März jeden Jahres nicht zugelassen. Die restlichen 7 Monate steht er aber für Privatfahrten zur Verfügung. Der Roller kann grundsätzlich das ganze Jahr genutzt werden. Er wird sicherlich nicht bei Eis, Schnee und bei extremen Minus-Graden gefahren. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass der Roller 10-11 Monate jährlich genutzt werden kann. Für die meiste Zeit des Jahres stehen den Klägern somit neben dem Firmenwagen der Klägerin noch weitere Fahrzeuge für Privatfahrten zur Verfügung.
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 10. Februar 2011 – 3 K 1679/10
- BFH, Beschluss vom 13.04.2005 – VI B 59/04, BFH/NV 2005, 1300[↩]
- BFH, Beschluss vom 11.07.2005 – X B 11/05, BFH/NV 2005, 1801[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 27.10.2005 – VI B 43/05, BFH/NV 2006, 292; vom 11.07.2005 – X B 11/05, BFH/NV 2005, 1801; vom 13.04.2005 – VI B 59/04, BFH/NV 2005, 1300; vom 04.06.2004 – VI B 256/01, BFH/NV 2004, 1416; und vom 14.05.1999 – VI B 258/98, BFH/NV 1999, 1330[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 13.02.2003 – X R 23/01, BFHE 201, 499, BStBl II 2003, 472; Beschluss vom 11.07.2005 – X B 11/05, BFH/NV 2005, 1801[↩]
- vgl. BFH, Beschlüsse vom 19.12.2003 – VI B 281/01, BFH/NV 2004, 488; in BFH/NV 2005, 1300; und in BFH/NV 2006, 292[↩]
- BFH, Beschlüsse in BFH/NV 2006, 292; in BFH/NV 2005, 1801, in BFH/NV 2005,1300; und in BFH/NV 2004,1416 m. w. N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 10.04.2008 – VI R 38/06, BStBl II 2008, 768[↩]