Der vor Eintritt des Erbfalls erklärte Erb- und/oder Pflichtteilsverzicht ist ein erbrechtlicher –bürgerlich-rechtlich wie steuerrechtlich unentgeltlicher– Vertrag, welcher der Regulierung der Vermögensnachfolge dienen soll und nicht der Einkommensteuer unterliegt (Bestätigung der Rechtsprechung). Wird die Höhe der aus einem derartigen Vertrag zu zahlenden monatlichen Rente so ermittelt, dass die Beteiligten einen vom Erblasser vorgegebenen Basisbetrag zugrunde legen, der zunächst durch die statistische Lebenserwartung des Rentenberechtigten zum Zeitpunkt des Zahlungsbeginns und anschließend nochmals durch zwölf dividiert wird, so enthält die monatliche Zahlung keinen Zinsanteil.

Eine Rechtsgrundlage für die Besteuerung eines etwaigen Zinsanteils (mithin für eine mit dem Ertragsanteil steuerbare Leibrente) ergibt sich bei einem vor Eintritt des Erbfalls erklärten Erb- und Pflichtteilsverzicht weder aus § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG noch aus § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Satz 3 bzw. Nr. 3 EStG.
Die vereinnahmten Bezüge stellen keine wiederkehrenden Leistungen aus einer Vermögensübergabe im Wege vorweggenommener Erbfolge gegen Versorgungsleistungen dar und sind damit nicht gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG steuerbar. Die Zahlungen dienten im Ergebnis der vermögensrechtlichen Gleichstellung der verzichtenden Tochter mit ihrem Bruder nicht aber der Versorgung der Tochter. Darüber hinaus enthalten die von der verzichtenden Tochter vereinnahmten Zahlungen keinen –auch keinen pauschalierten– Zinsanteil.
Eine Zinspflicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG setzt die Überlassung von Kapital gegen Entgelt voraus. Anzusetzen sind alle Entgelte, die für eine Kapitalüberlassung im weitesten Sinne zugeflossen sind. Es muss sich entweder originär um Zinsen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG oder zumindest um Entgelt i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG handeln, d.h. eine Vermögensmehrung, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die Kapitalnutzung ist 1.
Danach hat keine entgeltliche Kapitalüberlassung der verzichtenden Tochter an ihren Bruder stattgefunden. Bereits mit Urteil in BFHE 229, 104, BStBl II 2010, 818 hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass der vor Eintritt des Erbfalls erklärte Erb- und/oder Pflichtteilsverzicht ein erbrechtlicher –bürgerlich-rechtlich wie steuerrechtlich unentgeltlicher– Vertrag ist, welcher der Regulierung der Vermögensnachfolge dienen soll und der Einkommensteuer nicht unterliegt. Anders wäre die Rechtslage nur zu beurteilen, wenn der Erbfall bereits eingetreten ist und die Tochter als Pflichtteilsberechtigte von ihrem Bruder, dem Beigeladenen, unter Anrechnung auf ihren Pflichtteil wiederkehrende Leistungen erhielte 2. In einem solchen Fall wäre das Merkmal der Überlassung von Kapital zur Nutzung i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG jedenfalls dann erfüllt, wenn die Tochter rechtlich befugt gewesen wäre, den niedrigeren Barwert im Rahmen ihres Pflichtteilsanspruchs geltend zu machen 3. So liegt der Streitfall jedoch nicht.
Gegen eine entgeltliche Kapitalüberlassung zur Nutzung spricht im hier entschiedenen Fall ferner, dass sich die Tochter im Überlassungsvertrag zwar damit einverstanden erklärt hat, zur Gleichstellung mit ihrem Bruder keine Sofortzahlung, sondern eine monatlich im Voraus zu zahlende lebenslange Rente zu akzeptieren. Die Höhe dieser Rente orientierte sich indes an dem im Vertrag genannten Basisbetrag von 800.000 DM, der den Wert des auf die Tochter entfallenden Erbteils widerspiegeln sollte, sowie an der statistischen Lebenserwartung der Tochter, die im Zeitpunkt des Todes ihres Vaters entsprechend der damals gültigen Sterbetafel 29,71 Jahre betrug. Wenn die Tochter und der Beigeladene die an die Tochter zu entrichtende Rente so ermittelt haben, dass der Basisbetrag von 800.000 DM durch die statistische Lebenserwartung der Tochter dividiert und der sich daraus ergebende Jahresbetrag durch zwölf geteilt wird, kann diese Rente keinen Zinsanteil enthalten. Hätte die Tochter nämlich den Basisbetrag von 800.000 DM nach dem Tode ihres Vaters sofort als Einmalbetrag erhalten und diesen zinsbringend angelegt, hätte sich diese Summe durch Zins und Zinseszins –gerechnet auf die statistische Lebenserwartung der Tochter von 29,71 Jahren– gegenüber dem Ausgangswert erheblich erhöht. Monatliche Zahlungen, die dem Rechnung tragen, hätten daher deutlich höher ausfallen müssen als die von der Tochter vereinnahmten Beträge. Gleichermaßen hätte sich bei der Verzinsung eines Basiswertes als Ausgangswert für die an die Tochter zu entrichtende Rente von monatlich 2.243,91 DM ein deutlich geringerer Rentenbarwert als der Basiswert von 800.000 DM ergeben. Mit der von ihnen gewählten Vorgehensweise, die Höhe der monatlich an die Tochter zu entrichtenden Rente allein an den Basisbetrag von 800.000 DM und die mittlere Lebenserwartung der Tochter zu knüpfen, kommt es bei der Tochter daher zu keinem Zinszufluss. Verglichen mit der sofortigen Auszahlung des Basisbetrages von 800.000 DM erleidet die Tochter einen Zinsnachteil; einen Zinsvorteil erhält demgegenüber der Beigeladene, der den Basisbetrag nicht sofort, sondern in monatlichen Raten und unverzinslich entrichten darf. Eine entgeltliche Kapitalüberlassung zur Nutzung seitens der Tochter ist damit nicht gegeben.
Die Steuerbarkeit der von der Tochter empfangenen Zahlungen folgt auch nicht aus § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Satz 3 bzw. § 22 Nr. 3 EStG. Wie der BFH bereits mit Urteil in BFHE 229, 104, BStBl II 2010, 818 zum Ausdruck gebracht hat, sind wiederkehrende Zahlungen als Gegenleistung für den Verzicht eines zur gesetzlichen Erbfolge Berufenen auf seinen potentiellen künftigen Erb- und/oder Pflichtteil beim Empfänger grundsätzlich nicht als wiederkehrende Bezüge i.S. von § 22 Nr. 1 EStG bzw. § 22 Nr. 3 EStG steuerbar; die Steuerbarkeit folgt insbesondere nicht aus der Zahlungsweise in Form einer Rente. Denn allein der Umstand, dass eine Leistung nicht in einem Betrag, sondern in wiederkehrenden Zahlungen zu erbringen ist, kann deren Steuerbarkeit nicht begründen.
Der Argumentation des Finanzgericht, die Parteien des Übergabevertrages hätten den Pflichtteilsanspruch der Tochter einvernehmlich mit 800.000 DM taxiert und die Höhe der Rentenzahlung an der statistischen Lebenserwartung der Tochter im Zeitpunkt des Ablebens ihres Vaters bemessen, sodass im Ergebnis ein in der Summe feststehender Betrag verrentet worden sei mit der Folge, dass die Rentenvereinbarung darlehensähnlichen Charakter habe und die Zahlungen einen Zins- wie einen Kapitalanteil enthielten, vermag der BFH nicht zu folgen. Dem Finanzgericht ist zwar beizupflichten, dass die Vertragsparteien die vom Beigeladenen an die Tochter zu entrichtenden Zahlungen an einem Basisbetrag von 800.000 DM und an der statistischen Lebenserwartung der Tochter im Zeitpunkt des Todes ihres Vaters ausgerichtet haben. Das bedeutet aber nicht, dass in den Zahlungen an die Tochter ein Zinsanteil enthalten sein muss. Wie unter II.02.a bereits dargelegt, können diese Zahlungen schon deshalb keinen Zinsanteil zugunsten der Tochter enthalten, weil die Tochter und der Beigeladene die Höhe der monatlichen Zahlungen so ermittelt haben, dass sie den Basisbetrag von 800.000 DM durch die statistische Lebenserwartung der Tochter dividiert und den sich daraus ergebenden Jahresbetrag durch zwölf geteilt haben. Gegen einen Zinsanteil spricht im Übrigen auch die Formulierung im Übergabevertrag, wonach eine Verzinsung des Basisbetrages nicht einzurechnen ist.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. November 2012 – VIII R 57/10
- BFH, Urteile vom 06.04.1993 – VIII R 68/90, BFHE 172, 25, BStBl II 1993, 825; vom 14.12.2004 – VIII R 5/02, BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739, – VIII R 81/03, BFHE 209, 438, BStBl II 2005, 746; vom 16.03.2010 – VIII R 4/07, BFHE 229, 141, BFH/NV 2010, 1527[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 229, 104, BStBl II 2010, 818[↩]
- BFH, Urteil vom 26.11.1992 – X R 187/87, BFHE 170, 98, BStBl II 1993, 298[↩]