Die Regelungswirkung eines Bescheids, der einen vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember eines Jahres feststellt, kann sich nicht auf Umstände beziehen, die sich erst im Folgejahr ereignen; insoweit trifft der Bescheid auch keine Feststellungen, die für Folgebescheide Bindung entfalten könnten.

Gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO sind Feststellungsbescheide u.a. für Steuermessbescheide bindend, soweit die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für diese Folgebescheide von Bedeutung sind. Nach § 10a Satz 2 GewStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung (heute: Satz 6) ist die „Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge“ auf den Schluss des Erhebungszeitraums gesondert festzustellen1. Die Regelungswirkung des Verlustfeststellungsbescheids kann sich demgemäß nicht auf Umstände beziehen, die sich erst im Folgejahr ereignen und die Abzugsfähigkeit des festgestellten Fehlbetrags ggf. im Folgejahr entfallen lassen; insoweit trifft der Verlustfeststellungsbescheid dementsprechend keine Feststellungen, die für Folgebescheide Bindung entfalten könnten.
Abweichendes ergibt sich nicht aus dem BFH-Urteil vom 22. Oktober 20032. Dort ging es um die Frage, ob Gegenstand der Verlustfeststellung neben der Höhe des verbleibenden Verlustabzugs auch die Verlustabzugsfähigkeit nach § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes 1991 ist. Der BFH bejahte diese Frage und kam daher zu dem Ergebnis, dass der auf den 31.12.1995 bestandskräftig festgestellte Verlustabzug der dortigen Klägerin im Folgejahr 1996 unabhängig davon zu gewähren sei, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität bereits im Jahr 1995 verloren hatte und die Feststellung des vortragsfähigen Verlustes auf den 31.12.1995 insoweit materiell fehlerhaft war. Es ging also nicht um die Frage, ob im Rahmen einer Verlustfeststellung auch Umstände zu berücksichtigen sind, die sich erst im Folgejahr ereignen und die Abzugsfähigkeit eines bereits bestandskräftig festgestellten Fehlbetrags ggf. im Folgejahr entfallen lassen.
Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall geht es darum, ob und ggf. in welchem Umfang der in diesem Bescheid für die X-GmbH & atypisch still auf den 31.12.1997 festgestellte vortragsfähige Gewerbeverlust durch die Verschmelzung der X-GmbH auf die Klägerin untergegangen ist. Die Verschmelzung als der für den etwaigen Wegfall des Verlustvortrags entscheidende Umstand erfolgte aber erst mit Wirkung vom Beginn des 1.01.1998. Ein etwaiger Wegfall des Verlustabzugs infolge der Verschmelzung war danach erst im Jahr 1998 und nicht bereits bei der Verlustfeststellung auf den 31.12.1997 zu berücksichtigen. Dementsprechend erstreckt sich die Bindungswirkung des Bescheids des Finanzamt A vom 24.03.1999 auch nicht auf die Frage, ob dieser Verlust im Streitjahr 1998 bei der Klägerin zu berücksichtigen ist.
Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Verlustfeststellungsbescheid vom 24.03.1999 an die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der X-GmbH adressiert ist.
Der Umfang der Bindungswirkung eines (auch rechtswidrigen) Feststellungsbescheids bestimmt sich zwar grundsätzlich nach dessen Verfügungssatz und damit danach, in welchem Umfang und mit welchem Inhalt die Behörde Besteuerungsgrundlagen in den Tenor dieses Verwaltungsakts aufgenommen hat. Dieser ist wie der Inhalt eines jeden Bescheids in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs danach zu bestimmen, wie der Empfänger nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung des Finanzamts unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste. Die Gründe des Feststellungsbescheids sind zur Bestimmung seines Tenors nur dann heranzuziehen, wenn der Verfügungssatz selbst Raum zu Zweifeln über seinen Inhalt lässt3.
Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich dem Verlustfeststellungsbescheid des Finanzamt A vom 24.03.1999 die von der Klägerin begehrte Bindungswirkung aber nicht entnehmen.
In dem Bescheid wird unter der Steuernummer der X-GmbH & atypisch still der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31.12.1997 nach § 10a GewStG auf … DM festgestellt. Der Bescheid bezeichnet als Inhaltsadressaten zwar die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der X-GmbH. Auch daraus konnte die Klägerin jedoch nicht den Schluss ziehen, dass damit bereits bindend festgestellt worden sei, dass ihr dieser Fehlbetrag im Streitjahr 1998 im festgestellten Umfang zur Verfügung stehen würde. Denn der Bescheid stellte eindeutig einen vortragsfähigen Verlust nur auf den 31.12.1997 fest. Daraus ergab sich auch für die Klägerin, dass er etwaige Folgen der erst zum Beginn des 1.01.1998 erfolgten Verschmelzung der X-GmbH auf die Klägerin nicht erfassen konnte und an sie nur deshalb adressiert war, weil der eigentliche Inhaltsadressat, die X-GmbH als Inhaberin des Handelsgeschäfts4, infolge der Verschmelzung erloschen war (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG) und deshalb die X-GmbH betreffende Bescheide nunmehr an die Klägerin als deren Gesamtrechtsnachfolgerin zu richten waren5. So hat die Klägerin den Bescheid ersichtlich auch verstanden, denn sie hat sich erstmals im Klageverfahren auf die vermeintliche Bindungswirkung berufen, nachdem sie die Berücksichtigung des streitigen Fehlbetrags zunächst überhaupt nicht –weder in ihrer Gewerbesteuererklärung 1998 noch im Wege eines Einspruchs gegen den ursprünglichen Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr 1998– geltend gemacht hatte und auch später seine Berücksichtigung zunächst ausschließlich damit begründet hatte, dass die für eine Berücksichtigung erforderliche Unternehmens- und Unternehmeridentität gegeben sei.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. Oktober 2012 – IV R 38/09
- vgl. BFH, Urteil vom 16.06.2011 – IV R 11/08, BFHE 234, 353, BStBl II 2011, 903, unter II.3.b[↩]
- BFH, Urteil vom 22.10.2003 – I R 18/02, BFHE 204, 273, BStBl II 2004, 468[↩]
- z.B. BFH, Urteil in BFHE 234, 353, BStBl II 2011, 903, unter II.03.a, m.w.N.[↩]
- vgl. dazu z.B. BFH, Urteil vom 31.08.1999 – VIII R 22/98, BFH/NV 2000, 420[↩]
- vgl. dazu z.B. BFH, Beschluss vom 21.10.1985 – GrS 4/84, BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230[↩]