§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt1.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte das Finanzgericht Köln2 § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG zutreffend verfassungskonform dahin ausgelegt, dass ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG n.F. nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt und folgerichtig die Gewerbesteuermessbescheide 2003 bis 2005 und die in den Gewinnfeststellungsbescheiden 2003 bis 2005 enthaltenen gesonderten und einheitlichen Feststellungen des Gewerbesteuermessbetrags der Gesellschaft und die Feststellungen der auf die einzelnen Mitunternehmer der GbR entfallenden Anteile am Gewerbesteuermessbetrag3 aufgehoben. Der Bundesfinanzhof sah dies ebenso und wies die hiergegen gerichtete Revision des Finanzamtes zurück:
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird, der Gewerbesteuer. Als Gewerbebetrieb definiert § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes.
Ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 EStG gilt hingegen nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb4. An diesem Verständnis des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG hält der Bundesfinanzhof aus den im Urteil vom 06.06.20195 dargelegten Gründen fest.
Danach gilt auch die GbR -bezogen auf die Streitjahre 2003 bis 2005- nicht als Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 GewStG.
Die gegen dieses Normverständnis erhobenen Einwendungen des Finanzamtes sowie des Bundesministeriums der Finanzen greifen -auch in ihrer Gesamtschau- nicht durch. Die verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 GewStG ist -anders als das Finanzamt und das Bundesministerium der Finanzen meinen- nicht unzulässig, sondern aus den im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 06.06.29195 dargelegten Gründen geboten.
Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung ergeben sich grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden. Eine Norm ist nur dann als verfassungswidrig zu erachten, wenn keine nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung vereinbare Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten. Die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung endet allerdings dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Normgebers in Widerspruch träte. Das Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung muss demnach nicht nur vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt sein, sondern auch die prinzipielle Zielsetzung des Normgebers wahren. Das gesetzgeberische Ziel darf nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht werden6.
Danach ist die vom Bundesfinanzhof vorgenommene verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG geboten, da es ansonsten zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) käme.
Infolge der Umqualifizierung der Einkünfte einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft in solche aus Gewerbebetrieb unterfiele deren insgesamt erzielter Gewinn nach Maßgabe der Bestimmungen über die Ermittlung des Gewerbeertrags (§§ 7 ff. GewStG) der Gewerbesteuer. So würden auch die an sich nicht gewerblichen Einkünfte mit Gewerbesteuer belastet, woraus sich eine Schlechterstellung von Personengesellschaften gegenüber Einzelunternehmern ergäbe.
Die durch eine gewerbesteuerrechtliche Aufwärtsabfärbung verursachte Ungleichbehandlung wäre sachlich nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig. Der Zweck der Sicherung des Gewerbesteueraufkommens kann nicht als Rechtfertigung dienen, da die Einkünfte aus der gewerblichen Untergesellschaft nach dem System des Gewerbesteuergesetzes bereits auf der Ebene der Untergesellschaft der Gewerbesteuer unterliegen. Sie werden zur Vermeidung einer Doppelbelastung mit Gewerbesteuer aus dem Gewerbeertrag der Obergesellschaft nach § 9 Nr. 2 GewStG gekürzt. Ohne eine einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG käme es folglich dazu, dass ausschließlich dem Grunde nach nicht gewerbliche Einkünfte der Gewerbesteuer unterworfen würden7.
Das unter Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.04.20188 vom BMF reklamierte weite gesetzgeberische Ermessen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn bei der Einführung des § 7 Satz 2 GewStG ging es um das legitime Ziel des Gesetzgebers, Steuergestaltungen zur Umgehung der Gewerbesteuerpflicht zu bekämpfen, und um die insoweit an eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Mitunternehmerschaften zu stellenden Anforderungen. Im Streitfall kann jedoch -wie dargelegt- der Schutz des Gewerbesteueraufkommens nicht als Rechtfertigung der Ungleichbehandlung dienen.
Der Hinweis darauf, die Ungleichbehandlung von Personengesellschaften und Einzelunternehmern könne im Hinblick auf die Möglichkeit legaler Ausweichgestaltung (Ausgliederung) gerechtfertigt werden, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Ein verfassungswidriges Gesetz kann nicht deshalb als verfassungskonform angesehen werden, weil man seiner Anwendung durch eine Ausweichgestaltung hätte entgehen können9. Gibt es für die durch § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG ausgelösten gewerbesteuerrechtlichen Folgen, die sich bei dem von der Finanzverwaltung favorisierten Verständnis des § 2 GewStG ergeben würden, keine hinreichend gewichtigen Gründe, die die erhebliche Schlechterstellung von Personengesellschaften gegenüber Einzelunternehmern rechtfertigen, so kann die Möglichkeit einer Ausweichgestaltung eine entsprechende Rechtfertigung nicht ersetzen10.
Soweit die Finanzverwaltung aus der zulässigen pauschalen Erfassung der Einkünfte als gewerblich im Bereich der Kapitalgesellschaften folgert, dass auch die gewerbesteuerrechtliche Aufwärtsabfärbung zulässig sein müsse, kann der Bundesfinanzhof dem nicht folgen. Insoweit überzeugt auch der Verweis auf die Annäherung der Besteuerung der Personengesellschaften an die Besteuerung der Kapitalgesellschaften nicht. Denn trotz jener Annäherung unterscheidet das Gesetz zwischen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften. Die Kapitalgesellschaft ist Gewerbebetrieb kraft Rechtsform (§ 2 Abs. 2 GewStG) und § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG fingiert für Gewerbesteuerzwecke die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft als Gewerbebetrieb, soweit die Gesellschaft tätig ist11. Demgegenüber fehlt eine entsprechende gewerbesteuerliche Fiktion für Personengesellschaften. Stattdessen begnügt sich das Gewerbesteuergesetz mit der Anknüpfung an das gewerbliche Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Auch die in § 1a KStG mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2021 beginnen (§ 34 Abs. 1a KStG i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts vom 25.06.2021, BGBl I 2021, 2050), eingeführte Optionsmöglichkeit führt -entgegen der Auffassung des Finanzamtes- zu keinem anderen Ergebnis. Dies folgt bereits aus der Tatsache, dass die Regelung für den vorliegenden Streitzeitraum keine Relevanz haben kann. Im Übrigen setzt sie die unterschiedliche Besteuerung von Personenhandels-/Partnerschaftsgesellschaften und Kapitalgesellschaften gerade voraus.
ie verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG durch den Bundesfinanzhof überschreitet die von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck der Norm gezogenen Grenzen nicht.
§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG knüpft -worauf das Finanzamt und das Bundesministerium der Finanzen zutreffend hinweisen- ausdrücklich an das gewerbliche Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes und damit an § 15 EStG an. Für die sachliche Gewerbesteuerpflicht im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewStG ist demnach grundsätzlich der einkommensteuerrechtliche Begriff des Gewerbebetriebs maßgeblich12, der auch die Fälle des § 15 Abs. 3 Nr. 1 und 2 EStG umfasst.
Dementsprechend unterliegen gewerblich geprägte Personengesellschaften, deren Tätigkeit infolge der einkommensteuerrechtlichen Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als Gewerbebetrieb gilt, der Gewerbesteuer, obwohl sie keine originär gewerblichen Einkünfte erzielen13. Ebenso unterliegt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die mit Einkünfteerzielungsabsicht ausgeübte Tätigkeit einer nur zum Teil gewerblich tätigen Personengesellschaft der Gewerbesteuer, weil eine solche Tätigkeit nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 1 EStG in vollem Umfang als gewerblich gilt14.
Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ließe es zwar auch zu, ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG als einen der Gewerbesteuer unterliegenden Gewerbebetrieb anzusehen. Hiervon ist auch der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/1615 ausgegangen, denn anderenfalls hätte es keiner verfassungskonformen (einschränkenden) Auslegung bedurft. Allerdings ist der weit gefasste, nicht spezifizierte Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG -entgegen der Auffassung des Finanzamtes und des Bundesministeriums der Finanzen- einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung dahin, dass ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt, zugänglich. Der Wortlaut ist keinesfalls so eindeutig, dass er eine Auslegung ausschließt. Auch das Zurückbleiben hinter dem durch den Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG eröffneten Anwendungsbereich der Regelung stellt keinen Verstoß gegen die Wortlautgrenze verfassungskonformer Auslegung dar. Vielmehr liegt es in der Natur einer verfassungskonformen einschränkenden Normauslegung, den vom Wortlaut eröffneten Anwendungsbereich einer Regelung nicht auszuschöpfen und einer hinter dem Wortlaut zurückbleibenden Auslegung den Vorzug zu geben, weil (nur) diese als verfassungskonform angesehen wird. Vor diesem Hintergrund erachtet der Bundesfinanzhof sein Normverständnis -anders als das Bundesministerium der Finanzen- nicht als dogmatisch widersprüchlich.
Die verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG durch den Bundesfinanzhof widerspricht nicht dem gesetzlichen Regelungsgefüge.
Die Anknüpfung an den im Einkommensteuerrecht definierten Begriff des Gewerbebetriebs bildet lediglich den Ausgangspunkt für die Bestimmung des Gewerbebetriebs im Sinne des § 2 GewStG. Entgegen der Auffassung des Finanzamtes und des Bundesministeriums der Finanzen sind die Vorgaben des Einkommensteuerrechts für das Gewerbesteuerrecht aber weder verfahrensrechtlich bindend, noch ist der Begriff des Gewerbebetriebs im Einkommensteuerrecht stets deckungsgleich mit dem Begriff des Gewerbebetriebs im Gewerbesteuerrecht. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass § 2 Abs. 1 GewStG seit 1936 unverändert geblieben ist, während die Regelung des einkommensteuerrechtlichen Gewerbebetriebs in § 15 Abs. 3 EStG im Laufe der Jahre erweitert worden ist.
So weisen zum Beispiel die Begriffe des gewerblichen Unternehmens (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und des Gewerbebetriebs (§ 2 Abs. 1 GewStG) bereits in zeitlicher Hinsicht Unterschiede auf. Einkommensteuerrechtlich relevante Unternehmen -und damit das Erzielen gewerblicher Einkünfte- können früher beginnen und später enden als der Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 GewStG16.
Die fehlende Deckungsgleichheit jener Begriffe zeigt sich auch in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, nach der nicht gewerbliche Einkünfte, die einkommensteuerrechtlich als gewerblich gelten, nicht gewerbesteuerpflichtig sind, wenn dies gewerbesteuerrechtlich nicht geboten ist. So hat der Bundesfinanzhof eine gewerbesteuerrechtliche Abfärbung von Tätigkeiten verneint, aus denen gewerbesteuerfreie Gewinne erzielt werden17. Ebenso hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass sich in den Fällen der Betriebsaufspaltung die Gewerbesteuerbefreiung einer Betriebsgesellschaft auf die Besitzgesellschaft erstrecken kann18.
Auch der Hinweis des Bundesministeriums der Finanzen, dem Gesetzgeber sei es mit der Regelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG darum gegangen, Personengesellschaften, die sich an gewerblich tätigen Personengesellschaften beteiligen, insgesamt als einheitliches gewerbliches Unternehmen anzusehen und der Gewerbesteuer zu unterwerfen, überzeugt nicht. Denn der Einwand lässt den Widerspruch zur Wertung der Kürzungsregelung in § 9 Nr. 2 Satz 1 GewStG unberücksichtigt. Diese sieht vor, dass eben jene gewerblichen Beteiligungseinkünfte, die bei der Obergesellschaft einkommensteuerrechtlich dazu führen, dass ihre gesamten Einkünfte in solche aus Gewerbebetrieb umqualifiziert werden, bei der Obergesellschaft nicht mit Gewerbesteuer belastet werden. Ihnen gleichwohl -dem Einkommensteuerrecht folgend- zwingend eine gewerbesteuerrechtliche Abfärbewirkung zuzuschreiben mit der Folge, dass nur die „abgefärbten“, nicht hingegen die originär gewerblichen Einkünfte der Gewerbesteuer unterfallen, widerspricht der Wertung des § 9 Nr. 2 Satz 1 GewStG, nach der wegen des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer eine Gewerbesteuerbelastung jeweils auf der Ebene der Gesellschaft und nicht auf der ihrer Gesellschafter eintreten soll19.
Den Regelungscharakter des § 9 Nr. 2 Satz 1 GewStG verkennt der Bundesfinanzhof dabei nicht. Die Kürzungsvorschrift kann -hierauf weist das Bundesministerium der Finanzen zutreffend hin- erst eingreifen, wenn der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 GewStG eröffnet ist. Unabhängig von dieser Wirkungsweise bringt die Norm jedoch zugleich zum Ausdruck -und dies ist aus Sicht des Bundesfinanzhofs ausschlaggebend-, dass in den Fällen der einkommensteuerrechtlichen Aufwärtsabfärbung die Gewerbesteuerbelastung allein auf der Ebene der Untergesellschaft erfolgen soll. Diese Wertung steht nicht im Widerspruch, sondern im Einklang mit dem die verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG tragenden Gedanken, dass die Belastung nicht gewerblicher Einkünfte mit Gewerbesteuer nicht geboten ist, wenn das Gewerbesteueraufkommen nicht gefährdet ist.
Auch wenn die Anknüpfung von § 2 GewStG an § 15 EStG -wie die Finanzverwaltung meint- grundsätzlich eine steuerartübergreifende, einheitliche steuerliche Behandlung von gewerblichen Einkünften sicherstellen will, so findet der angestrebte Gleichlauf dort seine Grenze, wo er eine Belastung nicht gewerblicher Einkünfte mit Gewerbesteuer bewirkt, obwohl das Gewerbesteueraufkommen nicht gefährdet ist.
Die Auslegung des Begriffs des Gewerbebetriebs in § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG durch den Bundesfinanzhof stellt entgegen der Auffassung des Finanzamtes und des Bundesministeriums der Finanzen keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung dar. Auch bei der Auslegung gesetzlich einheitlicher Begriffe kann nicht unberücksichtigt bleiben, welchem (unterschiedlichen) Ziel die jeweiligen Gesetze dienen. Es ist daher sachgerecht, bei der Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG die auf unterschiedlichen Systemen aufsetzenden gesetzlichen Wertungen des Gewerbesteuergesetzes und des Einkommensteuergesetzes20 ebenso zu beachten wie das Gebot der Verhältnismäßigkeit, dem gerade dann besondere Bedeutung zukommt, wenn eine Gewerbesteuerbelastung nicht gewerblicher Einkünfte in Frage steht.
Ebenso wenig greift der Einwand durch, die vom Bundesfinanzhof vorgenommene Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG führe zu gewerbesteuerlichen Wertungswidersprüchen, da sie § 7 Satz 2 GewStG die Grundlage entziehe. Dies ist nicht der Fall. § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG stellt eine gewerbesteuerliche Sonderregelung für Mitunternehmerschaften zur (ausnahmsweisen) Einbeziehung von Veräußerungs- beziehungsweise Aufgabegewinnen in den Gewerbeertrag dar. Die Norm ist nicht dahin auszulegen, dass eine als Mitunternehmerin an einer anderen Personengesellschaft beteiligte, im Übrigen ihrerseits nur „vermögensverwaltend“ tätige Personengesellschaft nicht vom Regelungsgehalt dieser Norm erfasst wird21. Dementsprechend ist -trotz fehlender gewerbesteuerrechtlicher Abfärbung auf die laufenden Einkünfte der vermögensverwaltenden Obergesellschaft- der Gewinn der Obergesellschaft aus der Veräußerung ihres Mitunternehmeranteils an der Untergesellschaft gemäß § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG dem Gewerbeertrag der Untergesellschaft zuzurechnen, wenn die Obergesellschaft nur infolge ihrer gewerblichen Beteiligungseinkünfte insgesamt gewerbliche Einkünfte erzielt21. Demnach verhindert die verfassungsrechtlich gebotene einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 1 GewStG zwar die gewerbesteuerrechtliche Abfärbung der Beteiligungseinkünfte auf der Ebene der vermögensverwaltenden Obergesellschaft, sie ändert aber nichts daran, dass die Obergesellschaft gewerbliche Beteiligungseinkünfte im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG n.F. bezieht und der Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an der Untergesellschaft, den die Obergesellschaft erzielt, nach § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG zum Gewerbeertrag der Untergesellschaft gehört. § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG ordnet den Veräußerungs- beziehungsweise Aufgabegewinn nicht dem betreffenden Gesellschafter zu, der den Veräußerungs- oder Aufgabegewinn erzielt, sondern erweitert den Gewerbeertrag, nach dem sich die vom Gewerbesteuerschuldner geschuldete Gewerbesteuer bemisst, der Höhe nach um bestimmte Veräußerungs- beziehungsweise Aufgabegewinne22. Dass sich infolge der verfassungskonformen Auslegung des § 2 Abs. 1 GewStG im Einzelfall gegebenenfalls die Möglichkeit zu Umgehungsgestaltungen ergeben könnte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn hieraus folgt nicht, dass die vom Bundesfinanzhof für geboten erachtete Auslegung des § 2 Abs. 1 GewStG der prinzipiellen Zielsetzung des Normgebers widerspricht.
Anders als das Bundesministerium der Finanzen meint, ergibt sich aus dem Normverständnis des Bundesfinanzhofs auch kein Widerspruch zur vorliegenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.
In seinem Urteil vom 08.12.201623 hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass die Personengesellschaft, an der ein atypisch stilles Beteiligungsverhältnis besteht, und die atypisch stille Gesellschaft zwei (unterschiedliche) Gewerbebetriebe im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG darstellen, für die jeweils eine eigene Gewerbesteuererklärung abzugeben ist. Soweit der Bundesfinanzhof in diesem Kontext ausgeführt hat, dass dann, wenn als Mitunternehmer eine Personengesellschaft beteiligt ist, auch deren Tätigkeit nach § 15 Abs. 3 EStG in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt und auch sie damit einen Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG unterhält, der der Gewerbesteuer unterliegt, spricht dies nicht gegen die verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG im Streitfall. Das Urteil zeigt lediglich auf, dass die atypisch stille Gesellschaft im Ergebnis wie eine doppelstöckige Personengesellschaft zu behandeln ist: Sowohl die atypisch stille Gesellschaft, der das von der Personengesellschaft als Inhaberin des Handelsgewerbes betriebene Unternehmen für die Dauer des Bestehens der atypisch stillen Gesellschaft zugeordnet wird, als auch die Personengesellschaft unterhalten jeweils einen selbständigen Gewerbebetrieb. Es ordnet mithin die besondere Situation der atypisch stillen Gesellschaft ein, trifft jedoch keine Aussage zur vorliegend streitigen gewerbesteuerrechtlichen Abfärbung von Beteiligungseinkünften gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG.
Schließlich ergibt sich auch keine Abweichung zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Begriff des gewerblichen Betriebs im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG24. Soweit das Bundesministerium der Finanzen den Erwägungen des I. Bundesfinanzhofs die Aussage entnimmt, es obliege grundsätzlich dem Gesetzgeber, bestimmte Sachverhalte aus dem Tatbestand der Gewerblichkeit auszunehmen, so schließt dies eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG zur Vermeidung einer verfassungswidrigen -weil sachlich nicht gerechtfertigten- Ungleichbehandlung von Personengesellschaften und Einzelunternehmern im Streitfall nicht aus.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. September 2023 – IV R 24/20
- Bestätigung von BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649[↩]
- FG Köln, Urteil vom 26.06.2020 – 4 K 3437/11[↩]
- vgl. zur Rechtsqualität der Feststellungen: BFH, Urteile vom 14.01.2016 – IV R 5/14, BFHE 253, 67, BStBl II 2016, 875, Rz 26; vom 22.09.2011 – IV R 8/09, BFHE 235, 287, BStBl II 2012, 183, Rz 21[↩]
- BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649, Rz 19, 40; zustimmend Brandis/Heuermann/Drüen, § 2 GewStG Rz 111; vgl. auch Steinhauff, juris PraxisReport Steuerrecht 39/2019, Anm. 3; Schreiber, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2019, 1172; Adrian, Steuern und Bilanzen 2019, 817; Schiffers, Ubg 2019, 529; Trossen, Ubg 2019, 531; Brandis/Heuermann/Bode, § 15 EStG Rz 230; kritisch z.B. Franke in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, 2. Aufl., § 2 Rz 30a; Pohl, Ubg 2019, 533; Krumm in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 15 Rz 150b; Schmidt/Wacker, EStG, 42. Aufl., § 15 Rz 188; anderer Ansicht Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 01.10.2020, BStBl I 2020, 1032[↩]
- BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649[↩][↩]
- vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 31.10.2016 – 1 BvR 871/13, 1 BvR 1833/13, Rz 34, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649, Rz 40[↩]
- BVerfG, Urteil vom 10.04.2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217, zu § 7 Satz 2 GewStG[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649, Rz 28[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 10.04.2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217, Rz 111[↩]
- BFH, Urteil vom 22.08.1990 – I R 67/88, BFHE 162, 439, BStBl II 1991, 250 [Rz 10][↩]
- z.B. Franke in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, 2. Aufl., § 2 Rz 12, 20[↩]
- z.B. BFH, Urteile vom 20.11.2003 – IV R 5/02, BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464; vom 20.09.2012 – IV R 36/10, BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498, Rz 15[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 30.08.2001 – IV R 43/00, BFHE 196, 511, BStBl II 2002, 152, unter 1.; vgl. auch Franke in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, 2. Aufl., § 2 Rz 30, 30a; Keß in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2 Rz 2000[↩]
- BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649[↩]
- BFH, Beschluss vom 25.06.1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C.III. 3.b aa (1); BFH, Urteile vom 30.08.2022 – X R 17/21, BFHE 278, 327, BStBl II 2023, 396, Rz 18; vom 30.08.2012 – IV R 54/10, BFHE 238, 198, BStBl II 2012, 927, Rz 20[↩]
- BFH, Urteil vom 30.08.2001 – IV R 43/00, BFHE 196, 511, BStBl II 2002, 152[↩]
- BFH, Urteil vom 20.08.2015 – IV R 26/13, BFHE 251, 53, BStBl II 2016, 408, zu § 3 Nr.20 Buchst. b GewStG[↩]
- vgl. Wendt, FR 2022, 473, 476[↩]
- vgl. Wendt, FR 2022, 473, 477[↩]
- BFH, Urteil vom 19.07.2018 – IV R 39/10, BFHE 262, 149, BStBl II 2019, 77[↩][↩]
- BFH, Urteil vom 19.09.2019 – IV R 50/16, BFHE 265, 399, BStBl II 2020, 57, Rz 22[↩]
- BFH, Urteil vom 08.12.2016 – IV R 8/14, BFHE 256, 175, BStBl II 2017, 538, Rz 27[↩]
- BFH, Urteil vom 29.11.2017 – I R 58/15, BFHE 260, 209, Rz 25[↩]