Festsetzungsverjährung für vortragsfähige Gewerbeverluste

Gemäß § 35b Abs. 2 Satz 4 Halbs. 1 GewStG endet die Frist für die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Erhebungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss der vortragsfähige Gewerbeverlust gesondert festzustellen ist. Nach Halbs. 2 der Regelung ist § 181 Abs. 5 AO nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes pflichtwidrig unterlassen hat. Der Tatbestand i. S. von Halbs. 2 ist hier nicht erfüllt, weil eine pflichtwidrige Unterlassung der Feststellung in diesem gesetzlichen Sinne nicht zu bejahen ist.

Festsetzungsverjährung für vortragsfähige Gewerbeverluste

Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 171 Abs. 4 Satz 3 AO endete hier unter Berücksichtigung der im Jahr 2003 abgeschlossenen Außenprüfung die vierjährige Festsetzungsfrist, wie auch die Beteiligten übereinstimmend annehmen, an sich mit Ablauf des 31.12.2007 – somit zeitlich vor Erlass des hier angefochtenen geänderten Feststellungsbescheides auf den 31.12.1995 vom 18.03.2008.

Allerdings kann nach § 181 Abs. 5 AO eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Das Gleiche gilt, wenn die gesonderte Feststellung Grundlagenbescheid für einen weiteren Feststellungsbescheid ist. Denn gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO gelten für die gesonderte Feststellung die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit auch § 181 Abs. 5 AO sinngemäß. Die Voraussetzungen liegen bei einem Verlustfeststellungsbescheid vor: Entweder werden die Verluste im unmittelbar darauf folgenden Veranlagungszeitraum abgezogen und haben somit einen Einfluss auf die Steuerfestsetzung, oder sie wirken sich auf die nachfolgende Verlustfeststellung aus1. Diese Rechtsprechung führte letztlich dazu, dass bei der Verlustfeststellung die Feststellungsfrist nicht endet, also grundsätzlich keine Feststellungsverjährung eintritt2; nach der Auffassung des Bkundesfinanzhofs kam es zu einer Endlosverjährung der gesonderten Gewerbeverlustfeststellung, da eine Maßgeblichkeit der Verlustfeststellung entweder für eine Gewinnverrechnung im Folgejahr oder für eine Verlustverrechnung im Folgejahr vorlag3.

Hierauf reagierte der Gesetzgeber mit dem JStG 2007, indem er der Regelung des § 35b Abs. 2 GewStG den o. a. Satz 4 hinzugefügt hat (eine entsprechende Änderung erfolgte für die Verlustfeststellung nach § 10d EStG). Nunmehr ist § 181 Abs. 5 AO im Grundsatz ausdrücklich ausgeschlossen4. § 181 Abs. 5 AO greift nur ein, wenn die Finanzbehörde die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes „pflichtwidrig unterlassen“ hat. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, darf der Verlustvortrag nach Ablauf der Feststellungsfrist nicht mehr gesondert festgestellt werden. Nach der Gesetzesbegründung5 war die vormalige Unverjährbarkeit (o. a. dargelegte „Endlosverjährung“ nach der AO) mit dem bei der Einführung der Verlustfeststellung verfolgten Ziel einer zeitnahen Entscheidung über die Höhe des Verlustabzugs nicht vereinbar. § 181 Abs. 5 AO bleibe – so die Gesetzesbegründung weiter – nach der Neuregelung der §§ 10d EStG, 35 b GewStG anwendbar, wenn das Finanzamt keinen Verlustfeststellungsbescheid erlassen habe, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, weil ihm die Verluste aus einer Steuererklärung bekannt gewesen seien6. Die Verlustfeststellung sei von Amts wegen vorzunehmen. Mit der Neuregelung werde verhindert, dass den Steuerpflichtigen die Folgen einer pflichtwidrigen Unterlassung träfen. Lt. Lambrecht7 sollen den Steuerpflichtigen auch in (der Kenntnis des Verlustes aus der Steuererklärung) vergleichbaren Fällen nicht die Folgen pflichtwidrigen Verhaltens der Finanzbehörde treffen.

Nach diesen Grundsätzen führt eine Nichtauswertung der BP-Feststellungen durch das Finanzamt nicht zur Fristverlängerung nach § 35b Abs. 2 Satz 4, 2. Halbs. GewStG i.V.m. § 181 Abs. 5 AO. Dieser gesetzliche Verlängerungstatbestand (ausgestaltet als Ausnahmetatbestand der Verlängerung der Feststellungsfrist nach § 181 Abs. 5 AO; „nur anzuwenden, wenn…“) gilt zur Überzeugung des Finanzgerichts Düsseldorf allein für die erstmalige Feststellung des Verlustes, nicht dagegen für die hier zu beurteilende Änderung des zuvor schon anderweitig festgestellten Verlustes.

Diese Auslegung ergibt sich bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift. Nach § 35b Abs. Satz 4 Halbs. 2 GewStG ist der Verlängerungstatbestand nach § 181 Abs. 5 AO nur anzuwenden, wenn Finanzbehörde die Feststellung pflichtwidrig „unterlassen“ hat. Diese Formulierung ist nach dem objektiven Erklärungswert aus Empfängersicht bei verständiger Würdigung dahin zu verstehen, dass eine erstmalige Feststellung gänzlich unterlassen sein muss; demnach fällt die hier streitige bloße Änderung der Feststellung nicht darunter.

Das Gesetz differenziert zudem zwischen erstmaliger Verlustfeststellung (Erlass) und deren Änderung. § 35b Abs. 4 Satz 2 GewStG formuliert, dass Verlustfeststellungsbescheide zu „erlassen, aufzuheben oder zu ändern…“ sind. Der Begriff der Durchführung einer Feststellung – des Erlasses, vgl. Abs. 2 Satz 4 – umfasst nach der Diktion des Gesetzgebers zu § 35b GewStG nicht den Fall einer (bloßen) Änderung der Feststellung.

Für eine Verneinung des Tatbestandes einer Verlängerung der Feststellungsfrist spricht hier auch das gesetzlich ausgestaltete Regel-Ausnahmeverhältnis: Im Grundsatz tritt die Verjährung ein, weil § 181 Abs. 5 AO nicht gilt; diese Ausgestaltung war gerade Anlass und Sinn der Gesetzesänderung, die die vormalige Endlosverjährung verhindern sollte. Anderes soll nur im Sonderfall gelten („nur anzuwenden, wenn“); dieser Ausnahmetatbestand ist eng auszulegen.

Die Auslegung des § 35b Abs. 2 Satz 4 Halbs. 2 GewStG nach dem Gesetzeszweck, wie er in den Gesetzesmaterialien niedergelegt ist, bestätigt das Ergebnis der Wortlautauslegung.

Nach den Gesetzesmaterialien8 endet die Feststellungsfrist (ausnahmsweise) nicht, wenn in derartigen Fällen später „erstmals“ die Feststellung eines verbleibenden Verlustes geltend gemacht wird; … § 181 Abs. 5 AO bleibe allerdings anwendbar, wenn das Finanzamt „keinen“ Verlustfeststellungsbescheid erlassen hat. Auch insoweit ist der Fall einer Änderung der bereits durchgeführten (ehemals erstmaligen) Feststellung nicht umfasst.

In den Gesetzesamterialien8 wird weiter ausgeführt, auf diese Weise – gemeint ist der ausnahmsweise eingreifende Verlängerungstatbestand – werde verhindert, dass den Steuerpflichtigen die Folgen einer pflichtwidrigen Unterlassung träfen. Die Regelung ist mithin zum Vorteil des Steuerpflichtigen gedacht, der vor Nachteilen aus Fehlern der Verwaltung geschützt werden soll. Bei erstmaliger Verlustfeststellung, die pflichtwidrig unterlassen worden war, ist das stets der Fall. Anders dagegen bei nachträglichen Änderungen bereits erfolgter Feststellungen; hier können sich auch Nachteile für den Steuerpflichtigen ergeben – so etwa vorliegend; im Wege der Änderung ist der bereits festgestellte Verlust nachträglich herabgesetzt worden.

Nach Halbs. 1 der Regelung soll – so die BT-Drs. weiter – die Finanzverwaltung vor nachträglichen Anträgen des Steuerpflichtigen auf Verlustfeststellungen für bereits verjährte Veranlagungszeiträume geschützt werden. Dieser Gesetzeszweck wird durch die hier vorgenommene Gesetzesauslegung nicht in Frage gestellt; die Änderung war nicht wegen späten Antrags der Klägerin, sondern wegen eines Fehlers der damals zuständigen Finanzbehörde verursacht worden.

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 19. Dezember 2012 – 15 K 91/12 F

  1. BFH, Urteile vom 12.06.2002 – XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681; vom 01.03.2006 – XI R 33/04, BFHE 212, 497, BStBl II 2007, 919 zur Verlustfeststellung nach § 10d EStG[]
  2. BT-Drs. 16/2712 S. 44[]
  3. Rehfeld in Deloitte, GewStG, § 35b Rdn. 23[]
  4. Sarrazin in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuer, § 35b Rdn. 27[]
  5. BT-Drs. 16/2712, S. 44, 74[]
  6. vgl. auch BMF, Schreiben vom 30.11.2007, BStBl I 2007, 825: Pflichtwidrigkeit der Behörde etwa dann, wenn der Steuerpflichtige eine ESt-Erklärung abgegeben und das Finanzamt einen ESt-Bescheid über 0 EUR, aber keinen Verlustfeststellungsbescheid erlassen hat oder wenn es ein BP-Bericht noch nicht auswertet[]
  7. in Kirchhof, EStG, 9. A., § 10d Rdn. 24[]
  8. BT-Drs. 16/2712, S. 44[][]