Verlustfeststellungsbescheid – und die Bindungswirkung des Gewerbesteuermessbescheids

Der Gewerbesteuermessbescheid des Erhebungszeitraums, auf dessen Ende der vortragsfähige Fehlbetrag nach § 10a GewStG gesondert festzustellen ist, ist für den Verlustfeststellungsbescheid dieses Erhebungszeitraums kein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO, soweit das Merkmal der sachlichen Steuerpflicht für die Beurteilung des Merkmals der Unternehmensidentität von Bedeutung ist.

Verlustfeststellungsbescheid – und die Bindungswirkung des Gewerbesteuermessbescheids

Im Verlustfeststellungsverfahren nach § 10a Satz 2 GewStG sind alle Umstände zu berücksichtigen, die während eines Erhebungszeitraums (§ 14 GewStG) zu einem (anteiligen) Untergang des vortragfähigen Fehlbetrags (Gewerbeverlusts) führen. Hierzu gehört auch der (anteilige) Wegfall der Unternehmensidentität. Dabei ist das Merkmal der Unternehmensidentität im Rahmen der Verlustfeststellung ohne Bindung an das im Gewerbesteuermessbescheid festzustellende Merkmal der sachlichen Steuerpflicht (§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO) zu prüfen. Bei einer Personengesellschaft endet die sachliche Steuerpflicht (der Steuergegenstand) i.S. des § 2 Abs. 1 GewStG und damit die Unternehmensidentität spätestens, wenn im bisherigen Betrieb jede werbende Tätigkeit dauerhaft eingestellt wird.

Die Regelung des § 10a Satz 2 GewStG ist dahingehend zu verstehen, dass bereits im Verlustfeststellungsverfahren alle Umstände zu berücksichtigen sind, die während eines Erhebungszeitraums (§ 14 GewStG) zum (anteiligen) Untergang des vortragfähigen Fehlbetrags führen.

Nach § 10a Satz 1 GewStG wird der maßgebende Gewerbeertrag um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Gemäß § 10a Satz 2 GewStG (heute: Satz 6) ist die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge auf das Ende des Erhebungszeitraums (heute: Satz 7) gesondert festzustellen.

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Die Kürzung des Gewerbeertrags um Verluste aus früheren Erhebungszeiträumen setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Unternehmens- und Unternehmeridentität voraus1. Die dazu entwickelten Grundsätze sind dahin zu verstehen, dass über die Frage eines Wegfalls der Unternehmensidentität bereits im Verlustfeststellungsbescheid des Erhebungszeitraums zu entscheiden ist, in dem der hierfür maßgebliche Umstand eingetreten ist, und nicht erst im Gewerbesteuermessbescheid des (nachfolgenden) Verlustabzugsjahres2.

Der Bundesfinanzhof hat zu § 10a Satz 4 GewStG i.V.m. § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1991 entschieden, dass nicht nur über die Höhe, sondern auch über die Abzugsfähigkeit des festgestellten Verlustvortrags in nachfolgenden Erhebungszeiträumen nach Maßgabe der im Feststellungszeitpunkt geltenden Rechtslage verbindlich entschieden wird3. Dieses Verständnis wird dem Regelungssinn der Verlustfeststellung gerecht. Denn der Folgebescheid (Gewerbesteuermessbescheid des nachfolgenden Erhebungszeitraums) soll mit dieser Regelung nicht mehr belastet werden4.

Die Abzugsfähigkeit der Verluste kann während eines Erhebungszeitraums aber nicht nur in Fällen des § 8 Abs. 4 KStG 1991 verloren gehen, sondern auch dann, wenn die Merkmale der Unternehmer- oder Unternehmensidentität (anteilig) entfallen5. Wird der vortragsfähige Gewerbeverlust gleichwohl im Verlustfeststellungsbescheid nicht (anteilig) gekürzt, kann er ggf. entgegen der materiellen Rechtslage allein aus verfahrensrechtlichen Gründen in späteren Abzugsjahren nutzbar sein6.

Im Verlustfeststellungsverfahren ist das Merkmal der Unternehmensidentität ohne Bindung an das im Gewerbesteuermessbescheid festzustellende Merkmal der sachlichen Steuerpflicht (§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO) zu prüfen. Denn der Gewerbesteuermessbescheid des Erhebungszeitraums, auf dessen Ende der vortragsfähige Fehlbetrag gesondert festzustellen ist, ist für den Verlustfeststellungsbescheid dieses Erhebungszeitraums kein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO, soweit das Merkmal der sachlichen Steuerpflicht für die Beurteilung des Merkmals der Unternehmensidentität von Bedeutung ist.

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Im Gewerbesteuermessbescheid wird mit der Festsetzung des Steuermessbetrags auch über die sachliche und persönliche Steuerpflicht entschieden (§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO).

Während die persönliche Gewerbesteuerpflicht die Steuerschuldnerschaft i.S des § 5 GewStG beschreibt, betrifft die sachliche Steuerpflicht die Feststellung, ob ein Steuergegenstand (laufender Betrieb) i.S. des § 2 Abs. 1 GewStG gegeben ist7. Im Gewerbesteuermessbescheid wird insbesondere über Beginn und Ende des laufenden Betriebs entschieden8.

Das Merkmal der sachlichen Steuerpflicht kann sich auf das Merkmal der Unternehmensidentität auswirken.

Unternehmensidentität bedeutet, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch ist mit dem Gewerbebetrieb, der im Jahre der Entstehung des Verlusts bestanden hat9. Dieses Merkmal ergibt sich aus dem Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer10. Dieser Charakter lässt es im Gewerbesteuerrecht nicht zu, dass Verluste eines Gewerbebetriebs (Steuergegenstands) i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG bei einem anderen Gewerbebetrieb (Steuergegenstand) i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG berücksichtigt werden. Endet der Gewerbebetrieb i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG als Steuergegenstand, steht damit fest, dass die im bisherigen Gewerbebetrieb entstandenen Verluste nicht mehr berücksichtigt werden können. Mit dem Ende der sachlichen Steuerpflicht kann eine Unternehmensidentität nicht mehr gegeben sein. Umgekehrt kann nicht vom vollständigen Wegfall der Unternehmensidentität ausgegangen werden, solange der nämliche Steuergegenstand -ggf. verkleinert- fortbesteht.

Gleichwohl kommt der Entscheidung über Beginn und Ende der sachlichen Steuerpflicht im Gewerbesteuermessbescheid keine Bindungswirkung für das Verlustfeststellungsverfahren zu. Dies ergibt sich zwar nicht aus § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG. Maßgeblich hierfür ist aber, dass § 184 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO im Verhältnis des Gewerbesteuermessbescheids zum Verlustfeststellungsbescheid nicht anwendbar ist.

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Aus § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG lässt sich für die Beantwortung der Frage nach einer derartigen Bindungswirkung schon deshalb nichts entnehmen, weil der Fall, dass sich im Messbescheid die Beurteilung des Merkmals der sachlichen Steuerpflicht ändert, tatbestandlich von dieser Vorschrift nicht erfasst ist.

Nach § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG sind Verlustfeststellungsbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit sich die Besteuerungsgrundlagen ändern und deshalb der Gewerbesteuermessbescheid für denselben Erhebungszeitraum zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist. Das Eingreifen dieser Vorschrift setzt daher voraus, dass sich die Besteuerungsgrundlagen des Gewerbesteuermessbescheids ändern. Besteuerungsgrundlagen i.S. dieser Vorschrift sind der „Gewerbeertrag“ i.S. des § 6 GewStG und die abziehbaren Fehlbeträge i.S. des § 10a Satz 1 GewStG11, mithin solche Berechnungsgrundlagen, die sich auf die Höhe der Messbetragsfestsetzung auswirken. In diesem Sinne ist auch die im Streitfall noch nicht anwendbare Fassung des § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG i.d.F. des JStG 201012 -GewStG n.F.- zu verstehen. Danach sind bei der Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie der Festsetzung des Steuermessbetrags für den Erhebungszeitraum, auf dessen Schluss der vortragsfähige Gewerbeverlust festgestellt wird, zugrunde gelegt worden sind; § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 351 Abs. 2 AO sowie § 42 FGO gelten entsprechend. Besteuerungsgrundlagen i.S. des § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG n.F. sind nach wie vor der Gewerbeertrag i.S. des § 6 GewStG und der abziehbare Fehlbetrag nach § 10a GewStG13. Dieses Normverständnis bestätigt auch die Gesetzesbegründung zum JStG 2010, wonach mit der Neufassung des § 35b Abs. 2 GewStG insbesondere erreicht werden sollte, dass erstmalige oder korrigierte Verlustfeststellungen nach Bestandskraft des Messbescheids für nachträglich erklärte Verluste nur noch dann möglich sind, wenn der Messbescheid selbst noch geändert werden könnte14. Somit hatte auch der Gesetzgeber einen Fall vor Augen, bei dem sich die Besteuerungsgrundlage „Gewerbeertrag“ ändert.

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Die im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall gegebene Situation, dass sich im Messbescheid die Beurteilung des Merkmals der sachlichen Steuerpflicht ändert, ist danach vom Tatbestand des § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG überhaupt nicht erfasst.

Die -die Bindungswirkung anordnenden- § 184 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO betreffen nicht das Verhältnis des Gewerbesteuermessbescheids zum Verlustfeststellungsbescheid.

Zwar bestimmt § 184 Abs. 1 Satz 4 AO, dass für Gewerbesteuermessbescheide § 182 Abs. 1 AO sinngemäß anzuwenden ist. Die mit dieser Norm gemeinte Bindungswirkung des Gewerbesteuermessbescheids zielt aber auf den von den Gemeinden zu erlassenden Gewerbesteuerbescheid (Realsteuerbescheid) ab. Dies ergibt sich bereits aus § 184 Abs. 3 AO. Danach teilen die Finanzbehörden gemäß § 184 Abs. 3 AO den Inhalt des Steuermessbescheids den Gemeinden mit, denen die Steuerfestsetzung obliegt. Den hebeberechtigten Gemeinden soll allein die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern obliegen, während das Finanzamt bindend über das materielle Gewerbesteuerrecht entscheidet15. Der Gewerbesteuermessbescheid ist Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) für den Gewerbesteuerbescheid und für den Zerlegungsbescheid16. Hingegen ist nicht erkennbar, dass auch eine Bindungswirkung des Messbescheids für den Verlustfeststellungsbescheid bestehen sollte. Dieses Gesetzesverständnis wird durch den Sinn und Zweck des durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25.07.198817 eingeführten Verlustfeststellungsverfahrens nach § 10a GewStG bestätigt. Mit dem Verlustfeststellungsbescheid sollte infolge des Wegfalls der bisherigen zeitlichen Begrenzung für den Verlustvortrag zeitnah eine für den Steuerpflichtigen und die Verwaltung bindende Entscheidung über die noch verbleibenden Verluste getroffen werden18. Nach der gesetzlichen Konzeption sollte daher der Verlustfeststellungsbescheid für den Gewerbesteuermessbescheid bindend sein und nicht umgekehrt. Dementsprechend behandelt die Rechtsprechung den Verlustfeststellungsbescheid als einen Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) sowohl für den Gewerbesteuermessbescheid des Folgejahres als auch für den Verlustfeststellungsbescheid des Folgejahres19, soweit der vortragsfähige Fehlbetrag betroffen ist.

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Dem Gewerbesteuermessbescheid kommt bezüglich der sachlichen Steuerpflicht auch keine Tatbestandswirkung gegenüber dem Verlustfeststellungsbescheid zu. Dies ergibt sich schon daraus, dass es sich bei der Messbetragsfestsetzung und der Verlustfeststellung nicht um ressortfremde Verwaltungsverfahren handelt20.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. September 2016 – IV R 31/13

  1. z.B. BFH, Urteil vom 24.04.2014 – IV R 34/10, BFHE 245, 253, Rz 22, m.w.N.[]
  2. anderer Ansicht FG Köln, Urteil vom 15.02.2012 – 10 K 1830/10, unter 1.[]
  3. BFH, Urteil vom 22.10.2003 – I R 18/02, BFHE 204, 273, BStBl II 2004, 468, zu § 10a Satz 4 GewStG i.V.m. § 8 Abs. 4 KStG 1991[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 204, 273, BStBl II 2004, 468, unter II. 3.[]
  5. z.B. BFH, Urteil vom 07.08.2008 – IV R 86/05, BFHE 223, 245, BStBl II 2012, 145, betreffend die Veräußerung eines Teilbetriebs; vom 03.02.2010 – IV R 59/07, Rz 12 ff., betreffend das Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft; vom 12.05.2016 – IV R 29/13, Rz 17, betreffend das Erlöschen eines Gesellschafters durch Verschmelzung[]
  6. BFH, Urteil vom 16.06.2011 – IV R 11/08, BFHE 234, 353, BStBl II 2011, 903, Rz 15, 18[]
  7. vgl. BFH, Urteil vom 21.07.1988 – V R 97/83, BFH/NV 1989, 356, unter 1.a aa[]
  8. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 184 AO Rz 32; Frotscher in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 184 AO Rz 8[]
  9. z.B. BFH, Urteil in BFHE 223, 245, BStBl II 2012, 145[]
  10. BFH, Urteil vom 28.04.1977 – IV R 165/76, BFHE 122, 307, BStBl II 1977, 666, m.w.N.[]
  11. BFH, Urteil vom 28.02.2001 – I R 77/00, BFH/NV 2001, 1293, unter II. 1.a; Deloitte/Rehfeld, Gewerbesteuergesetz Kommentar, § 35b Rz 19[]
  12. vom 08.12 2010, BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394[]
  13. Sarrazin in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 35b Rz 35 f.; Blümich/Hofmeister, § 35b GewStG, Rz 53[]
  14. vgl. BR-Drs. 318/10, S. 115[]
  15. Boeker in HHSp, § 184 AO, Rz 12 f.[]
  16. z.B. BFH, Urteil vom 20.04.1999 – VIII R 13/97, BFHE 188, 536, BStBl II 1999, 542, unter II.A.03.a[]
  17. BGBl I 1988, 1093[]
  18. vgl. BT-Drs. 11/2536, S. 78 i.V.m. S. 91[]
  19. z.B. BFH, Urteil in BFH/NV 2001, 1293, unter II. 2.[]
  20. vgl. BFH, Urteil vom 15.03.2012 – III R 82/09, BFHE 236, 539, BStBl II 2013, 226, Rz 13[]
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