Die Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft entfällt auch vor Geltung des § 2 Abs. 2 StAuskVO ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden, bei rückwirkender Gesetzesänderung auch rückwirkend. Die Erteilung einer verbindlichen Auskunft rechtfertigt deshalb nicht das Vertrauen darauf, das jeweilige Gesetz werde auch in Zukunft nicht geändert.

Die Frage, ob die unechte Rückwirkung der Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 durch das UntStRFoG gemäß der Übergangsvorschrift des § 54 Abs. 6 KStG 1996 i. d. F. des RVFinG verfassungsrechtlich zulässig und wie die Übergangsfrist ggf. zu bemessen ist, ist durch das Bundesverfassungsgericht zu beurteilen und rechtfertigt keine abweichende Steuerfestsetzung wegen sachlicher Unbilligkeit für die Veranlagungszeiträume nach 1997. Das auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gerichtete Begehren kann grundsätzlich ebenso wenig auf die Behauptung gestützt werden, es sei kein reiner Verlustmantel erworben worden.
Gemäß 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Zweck des § 163 AO ist, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen1.
Die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann. Die gerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zur abweichenden Steuerfestsetzung aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO), wenn der Ermessensspielraum so eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht sein kann (sog. Ermessensreduzierung auf null)2.
Der Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens wird durch den Begriff „unbillig“ i. S. des § 163 AO abgegrenzt3. Die Unbilligkeit im Sinne dieser Vorschrift kann in der Sache liegen oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen haben4. Die Kriterien hierfür sind im Regelungsbereich des § 163 AO dieselben wie im Rahmen des § 227 AO, weil sich diese beiden Billigkeitsvorschriften im Wesentlichen nur in der Rechtsfolgeanordnung, nicht aber in den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen unterscheiden1.
Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte5.
Eine Billigkeitsentscheidung darf nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen. Sie darf nicht die Wertung des Gesetzes durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen1. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme6.
Entspricht die Einziehung der Steuer zwar dem zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, hält dieser aber einer an den Grundrechten ausgerichteten verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand, ist bereits das Gesetz als solches verfassungswidrig. Dies kann nur in dem dafür vorgesehenen Verfahren gegen den betreffenden Steuerbescheid geltend gemacht werden und rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme7. Zur Wahrung der Grundrechte kann jedoch bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlass wegen sachlicher Härte geboten sein, wenn die Regelungen nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen die Möglichkeit besteht, auftretenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen8. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln kann. Die Billigkeitsmaßnahme erweist sich in diesem Zusammenhang als eine flankierende Maßnahme zur Typisierung, die in einem atypischen Einzelfall zu ergreifen ist9.
Unabhängig von einer etwaigen Verfassungswidrigkeit kann eine zur Missbrauchsverhinderung dienende, typisierende Vorschrift zu einer sachlichen Unbilligkeit im Einzelfall führen. Werden Missbrauchsfälle in typisierender Weise erfasst, ist eine Missbrauchsprüfung im Einzelfall zwar nicht erforderlich. Wird jedoch jenseits dieses Zwecks ein atypischer Einzelfall erfasst, in dem der Gesetzeszweck von vorneherein nicht greift, so stellt dies einen im Billigkeitswege zu korrigierenden Gesetzesüberhang dar10.
Im Streitfall hat das Finanzamt eine abweichende Festsetzung der Steuern aus Billigkeitsgründen zu Recht abgelehnt, weil die Steuererhebung sachlich nicht unbillig ist. Da die Kriterien für eine abweichende Steuerfestsetzung wegen sachlicher Unbilligkeit nach § 163 AO dieselben sind wie für einen Steuererlass gemäß § 227 AO, hat das Finanzamt auch einen Erlass zu Recht abgelehnt, so dass nicht entschieden werden muss, ob und inwieweit der Klageantrag als auf einen Erlass gerichtet auszulegen wäre11.
Das Finanzamt hat die in der Zeit bis zum 11.11.1996 entstandenen Verluste der Klägerin entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes nicht zum 31.12.1997 und zum 31.12.1998 festgestellt und dementsprechend nicht gemäß § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 10 d EStG, § 10a GewStG i. d. F. der Streitjahre vom jeweiligen Gesamtbetrag der Einkünfte bzw. vom Gewerbeertrag abgezogen.
Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG i. d. F. vom 22.02.1996 (i. V. m. § 10a Satz 4 GewStG) ist Voraussetzung für den Verlustabzug nach § 10d EStG bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Wirtschaftliche Identität liegt nach Satz 2 der Vorschrift insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als drei Viertel der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Gesellschaft danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen wieder aufnimmt. § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. definiert die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft, wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist12.
Durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (UntStRFoG) vom 29.10.199713 wurde das Regelbeispiel in Satz 2 in zwei Punkten verschärft: Danach genügt es, wenn mehr als die Hälfte der Anteile übertragen werden und der Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortgeführt wird. Das UntStRFoG ist zwar auf verfassungswidrige Weise zustandegekommen, aber dennoch gültig14. Nach § 54 Abs. 6 KStG 1996 i. d. F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19.12.1997 (RVFinG)15 ist die Neuregelung erstmals für den Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden. Ist der Verlust der wirtschaftlichen Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 06.08. eingetreten – am 05.08.1997 wurde das UntStRFoG im Bundestag verabschiedet -, gilt § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. erstmals für den Veranlagungszeitraum 1998. § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. gilt danach bereits im Veranlagungszeitraum 1997 auch für solche Körperschaften, die nach den Maßstäben der Neuregelung ihre wirtschaftliche Identität bereits vor dem 01.01.1997 verloren haben16.
Nach der nach dem Gesetzeswortlaut auf den Streitfall anzuwendenden Neuregelung hat die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität 1996 verloren, weil sämtliche Anteile an ihr übergegangen sind, ihr Betriebsvermögen auf die D GmbH übertragen wurde und ihr gleichzeitig vollständig neues Betriebsvermögenzugeführt wurden.
Zwar macht die Klägerin zu Recht geltend, dass die Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG durch das UntStRFoG in Verbindung mit der Übergangsregelung des § 52 Abs. 6 KStG i. d. F. des RVFinG eine unechte Rückwirkung beinhaltet. Diese unechte Rückwirkung rechtfertigt für sich genommen jedoch keine Billigkeitsmaßnahme.
Die Neuregelung entfaltet eine sog. unechte Rückwirkung, weil hierdurch Verlustvorträge entwertet werden, die vor Verkündung des Gesetzes entstanden und ggf. bestandskräftig festgestellt worden waren17. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs verstößt die Übergangsregelung des § 54 Abs. 6 KStG 1996 n. F. insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als die Neufassung des § 8 Abs. 4 KStG für Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität vor dem 01.01.1997 verloren haben, bereits ab 1997 gelten soll, obwohl diese Körperschaften nicht weniger schutzwürdig seien als die, die ihre wirtschaftliche Identität erst zwischen dem 01.01. und dem 06.08.1997 verloren haben. Denn insbesondere in Fällen, in denen der Verlust der wirtschaftlichen Identität erst Ende 1996 eingetreten sei, hätten die Verluste regelmäßig noch nicht genutzt werden können18. Der übergangslose Wegfall eines im Einklang mit bisherigem Recht und bestandskräftig festgestellten Verlustabzugs sei unzulässig, wenn insoweit das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage schutzwürdig sei, denn dann müsse dem Steuerpflichtigen zumindest für einen Übergangszeitraum von einem Jahr die Nutzung des bislang festgestellten Verlusts möglich sein17.
Die Frage, ob die unechte Rückwirkung der Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 verfassungsrechtlich zulässig und wie die Übergangsfrist ggf. zu bemessen ist, ist allerdings allein durch das BVerfG zu beurteilen und kann für sich genommen keine abweichende Steuerfestsetzung rechtfertigen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin bereits im Jahr 1996 eine unumkehrbare Disposition vorgenommen hat. Für die vom BVerfG bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer unechten Rückwirkung zu prüfende Frage, inwieweit das Vertrauen der Steuerpflichtigen verfassungsrechtlich geschützt ist, wird u. a. darauf abgestellt, ob und wann eine verbindliche Disposition vorgenommen wurde19. Die Situation der Klägerin ist insoweit nicht anders als die anderer Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität nach der Neuregelung vor dem 01.01.1997 verloren haben. Da ein Anteilskauf, der zum Verlust der wirtschaftlichen Identität der Körperschaft führt, steuerrechtlich stets und zivilrechtlich regelmäßig unumkehrbar ist, ist der Streitfall gegenüber den anderen von der unechten Rückwirkung betroffenen Steuerpflichtigen nicht atypisch.
Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht aus dem Vortrag der Klägerin, es habe kein missbräuchlicher Mantelkauf vorgelegen, weil sie die Verluste in den Folgejahren ohne die Umstrukturierung mit eigenen Gewinnen hätte verrechnen können. Dabei kann offen bleiben, ob diese Behauptung zutreffend ist.
Denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass § 8 Abs. 4 KStG 1996 eine überschießende Wirkung in dem Sinne hätte, dass der Gesetzgeber eigentlich nur sog. Verlustmäntel hätte erfassen wollen, also das äußere rechtliche Kleid einer Kapitalgesellschaft ohne nennenswertes Vermögen und ohne Geschäftsbetrieb20. Das Gesetz stellt vielmehr auf die wirtschaftliche Identität der Körperschaft, die den Verlust erlitten hat, mit der Körperschaft, die den Verlustabzug geltend macht, ab, die bei Verwirklichung des in Satz 2 genannten Regelbeispiels stets verloren gehen soll.
Ebenso wenig kommt es für die Tatbestandsverwirklichung auf die Gründe für die Anteilsübertragung an, z. B. darauf, ob aus anderen Gründen als der Verlustnutzung eine konzerninterne Umstrukturierung durchgeführt werden soll21.
Dem Charakter des § 8 Abs. 4 KStG 1996 als Missbrauchsverhinderungsnorm wird (allein) dadurch Rechnung getragen, dass von der Rechtsprechung über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung und der Betriebsvermögenszuführung verlangt wird und dass bei der Frage, ob überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt wurde, einzelne Betriebsvermögensmehrungen daraufhin untersucht werden, ob sie die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft berühren, wie es bei Anlagevermögen i. d. R. der Fall ist22. Im Streitfall bestand aber ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung auf die E GmbH und der Zuführung des vollständig neuen Betriebsvermögens.
Gründe, die die sachliche Unbilligkeit der Anwendung der Missbrauchsverhinderungsvorschrift im Einzelfall begründen könnten, wie etwa, dass die Anteilsübernahme aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage erforderlich gewesen sei23, macht die Klägerin nicht geltend.
Die Klägerin kann sich ebenso wenig darauf berufen, dass die begehrte Billigkeitsmaßnahme als eine flankierende Maßnahme zur Sicherstellung der Verfassungsmäßigkeit der typisierenden Norm erforderlich wäre. Dabei kann offen bleiben, ob die Regelung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n. F. flankierender Billigkeitsmaßnahmen bedarf, weil der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln konnte. Denn es ist nicht erkennbar, dass diese Regelung gerade im Fall der Klägerin zu einer verfassungswidrigen individuellen Härte führte, wie etwa zu einem Verstoß gegen das Übermaßverbot oder das Leistungsfähigkeitsprinzip.
Entgegen der Auffassung der Klägerin begründet auch das Zusammentreffen der unechten Rückwirkung und der unumkehrbaren Disposition mit dem Entfallen der verbindlichen Auskunft keine sachliche Unbilligkeit der Steuererhebung.
Nach § 2 Abs. 2 der aufgrund des § 89 Abs. 2 Satz 4 AO24 erlassenen Steuer-Auskunftsverordnung vom 30.11.200725 entfällt die Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden. Aber auch vor Einführung dieser Vorschriften war anerkannt, dass eine verbindliche Auskunft außer Kraft tritt, wenn sich die zugrundeliegenden Rechtsvorschriften ändern26. Bei einer rückwirkenden Gesetzesänderung entfällt auch die Auskunft rückwirkend, selbst wenn der relevante Sachverhalt bereits verwirklicht wurde. Eine gegenüber der zulässigen Rückwirkung von Gesetzen verstärkte Vertrauensbasis vermag auch eine verbindliche Auskunft nicht zu gewähren27. Denn nach dem Gewaltenteilungsprinzip kann die Verwaltung weder versprechen, dass sich die zugrunde liegenden Gesetze nicht ändern werden, noch, dass anderenfalls zugunsten des Zusageadressaten weiterhin die günstigere alte Fassung angewandt werde28. Das entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass man mit Gesetzesänderungen rechnen muss und nicht auf den zeitlich unbegrenzten Fortbestand einer einmal geltenden Rechtslage vertrauen kann19. Dementsprechend hat das Finanzamt in der verbindlichen Auskunft ausdrücklich auf das Außerkrafttreten bei Änderung einer zugrundeliegenden Rechtsvorschrift hingewiesen.
Zwar wird in der Literatur z. T. vertreten, dass bei dem Entfallen einer verbindlichen Zusage wegen einer Gesetzesänderung Billigkeitsmaßnahmen in Betracht kommen29.
Das Finanzamt hat das ihm insoweit eröffnete Ermessen jedoch erkannt und ordnungsgemäß ausgeübt. Er hat der Situation der Klägerin dadurch Rechnung getragen, dass er ihr die Stundung der Steuerforderungen für 1998 und 1999 gewährt hat. Darüber hinaus besteht keine Ermessensreduzierung auf null dahingehend, dass das Finanzamt die aus dem Verlustuntergang resultierenden Steuerforderungen bzw. Messbeträge für die Streitjahre abweichend auf 0 € festzusetzen hätte. Eine sachliche Unbilligkeit liegt auch insoweit nicht vor. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei Erlass der Neuregelung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 und der dazu ergangenen Übergangsvorschrift solche Körperschaften hätte ausnehmen wollen, denen in einer verbindlichen Auskunft die Nichtanwendbarkeit des § 8 Abs. 4 KStG 1996 in der vorherigen Fassung zugesagt worden war. Denn da sich die Verbindlichkeit einer Auskunft immer nur auf die zur Zeit ihrer Erteilung geltende Rechtslage beschränkt, rechtfertigt ihre Erteilung grundsätzlich nicht die Erwartung, das jeweilige Gesetz werde auch in Zukunft nicht geändert. In Bezug auf künftige Rechtsänderungen sind die Empfänger verbindlicher Auskünfte nicht schutzwürdiger als andere Steuerpflichtige. Zwar ist der Klägerin darin zu folgen, dass sie aufgrund der verbindlichen Auskunft mehr als andere Steuerpflichtige darauf vertrauen konnte, den Tatbestand des § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. nicht zu erfüllen, weil selbst die Steuerpflichtigen, die die Voraussetzungen des Regelbeispiels in Satz 2 eindeutig nicht erfüllten, nicht sicher ausschließen konnten, einen wirtschaftlich vergleichbaren Sachverhalt i. S. des Satzes 1 verwirklicht zu haben. Andererseits ist die Klägerin aufgrund der verbindlichen Auskunft aber nicht schutzwürdiger, als sie es bei einer bestandskräftigen und nicht mehr änderbaren Verlustfeststellung auf den 31.12.1996 gewesen wäre. Auch diese Fälle hat der Gesetzgeber indes nicht von der Neuregelung ausgenommen, sodass nicht davon auszugehen ist, dass er, hätte er insoweit ein Regelungsbedürfnis erkannt, die Empfänger verbindlicher Auskünfte von der Anwendung der Neuregelung ganz ausgenommen oder für sie eine länger als ein Jahr währende Übergangsfrist eingeräumt hätte.
Das gilt auch unter Berücksichtigung der Eigenschaft des § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. als typisierende Missbrauchsverhinderungsvorschrift. Eine verbindliche Auskunft in einem derartigen Bereich stellt sicher, dass nach geltendem Recht kein Missbrauch vorliegt, schützt aber nicht davor, dass der Gesetzgeber einen Missbrauch durch eine Neuregelung anders definiert, dass er eine Typisierung wählt, die von einem Missbrauch völlig abgekoppelt ist, oder dass er den Verlustvortrag in anderer Hinsicht beschränkt. Die Klägerin konnte durch die Einholung der verbindlichen Auskunft nur sicherstellen, dass die Regelung des § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. auf sie nicht angewendet wird, und nur hierauf berechtigterweise vertrauen. Einen Schutz gegenüber einer rückwirkenden Verschärfung der Norm durch den Gesetzgeber konnte die Klägerin über die Verwaltung dagegen nicht sicherstellen.
Das Finanzgericht Hamburg folgt der Klägerin im Übrigen nicht darin, dass der Gesetzgeber durch die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs und einer Typisierung in § 8 Abs. 4 KStG 1996 a. F. eine Konkretisierungsbefugnis auf die Finanzverwaltung delegiert und ihr auf diese Weise eine „gewaltenteilige“ Rechtsetzungsmacht eingeräumt hätte. Der Gesetzgeber hat lediglich einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet und diesen durch ein Regelbeispiel ausgefüllt. Die Auslegung des Gesetzes ist letztlich Aufgabe der Gerichte, die dabei keinen Beurteilungsspielraum der Verwaltung zu berücksichtigen haben. Eine irgendwie geartete Rechtsetzungsmacht der Verwaltung, die zu einer zumindest im Billigkeitswege zu gewährenden Rechtsanwendung entsprechend der verbindlichen Auskunft führen könnte, wurde der Verwaltung nicht eingeräumt.
Das Finanzgericht Hamburg verkennt dabei nicht, dass die Klägerin auf die verbindliche Auskunft in besonderem Maße vertraut und daraufhin die Umstrukturierung vorgenommen hat und dass der Wegfall der erheblichen Verlustvorträge – nach dem Wortlaut des Gesetzes ab 1997, nach Auffassung des BFH, der sich das Finanzamt durch den Erlass der Abhilfebescheide für 1996 angeschlossen hat, ab 1998 – für sie eine Härte bedeutet. Da die Klägerin jedoch keine persönlichen Billigkeitsgründe geltend macht, können ihre individuellen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht berücksichtigt werden. Die für alle Körperschaften aus der Neuregelung resultierende Härte ist in der Rückwirkung der Neuregelung begründet, die jedoch, wie dargelegt, keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigt, sondern im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschrift zu würdigen ist. Eine sachliche Unbilligkeit im Einzelfall der Klägerin liegt damit nicht vor.
Das Finanzgericht Hamburg hat von einer Aussetzung der Verhandlung gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvL 2/09 abgesehen, weil die Beteiligten diese nicht beantragt haben und weil sich der Vorlagebeschluss des BFH30 auf die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 4 KStG 1996 i. d. F. des UntStRFoG für die betroffenen Körperschaften nur auf den Veranlagungszeitraum 1997 bezieht und nicht auf die folgenden Veranlagungszeiträume, die hier streitgegenständlich sind und von der Entscheidung des BVerfG daher voraussichtlich nicht betroffen sein werden. Im Übrigen ist die Entscheidung über die Steuerfestsetzung oder, wie hier, über eine Verlustfeststellung für vorangegangene Zeiträume nicht vorgreiflich für eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO31, sondern umgekehrt allenfalls die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO für die Steuerfestsetzung32.
Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 17. Mai 2013 – 6 K 199/12
[Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt beim Bundesfinanzhof – I B 106/13]
- BFH, Urteil vom 21.08.2012 – IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11[↩][↩][↩]
- BFH, Urteile vom 21.08.2012 – IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11; vom 26.08.2010 – III R 80/07, BFH/NV 2011, 401[↩]
- vgl. GmS-OBG, Beschluss vom 19.10.1971 – GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603[↩]
- BFH, Urteil vom 21.10.2009 – I R 112/08, BFH/NV 2010, 606[↩]
- BFH, Urteile vom 21.08.2012 – IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11; vom 14.07.2010 – X R 34/08, BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916[↩]
- BFH, Urteile vom 05.05.2011 – V R 39/10, BFH/NV 2011, 1474; vom 20.09.2012 – IV R 29/10, BFHE 238, 518, BFH/NV 2013, 103[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.07.1987 – 1 BvR 623/86, DStZ/E 1987, 277; BFH, Urteil vom 23.03.1998 – II R 26/96, BFH/NV 1998, 1098[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 19.12.1978 – 1 BvR 335/76 u. a., BVerfGE 50, 57, BStBl II 1979, 308; für einen Verstoß gegen das Übermaßverbot nur im Einzelfall BVerfG, Beschluss vom 05.04.1978 – 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441, 445, m. w. N.; BFH, Urteil vom 23.03.1998 – II R 26/96, BFH/NV 1998, 1098[↩]
- BFH, Urteile vom 20.09.2012 – IV R 29/10, BFHE 238, 518, BFH/NV 2013, 103; – IV R 36/10, BFHE 238, 429, BFH/NV 2013, 2481[↩]
- BFH, Urteil vom 21.08.2012 – IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11, für die Absenkung der Beteiligung unter die Wesentlichkeitsschwelle gemäß § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002 in einer wirtschaftlichen Notlage[↩]
- zum Verhältnis der beiden Rechtsinstitute vgl. FG München, Urteil vom 17.01.2006 – 6 K 2292/04; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 163 AO Rz. 21, 30[↩]
- BFH, Urteil vom 22.10.2003- I R 18/02, BFHE 204, 273, BStBl II 2004, 468[↩]
- BGBl I 1997, 2590[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 15.01.2008 – 2 BvL 12/01, BVerGE 120, 56, BGBl I 2008, 481[↩]
- BGBl I 1997, 3121; nunmehr § 34 Abs. 6 KStG 1999 i. d. F. des Steuersenkungsgesetzes[↩]
- BFH, Beschluss vom 08.10.2008 – I R 95/04, BFHE 223, 105, DStR 2009, 161[↩]
- BFH, Beschluss vom 14.03.2011 – I R 95/04, BFH/NV 2011, 1192[↩][↩]
- BFH, Vorlagebeschluss vom 08.10.2008 – I R 95/04, BFHE 223, 105, DStR 2009, 161[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 1/03 u. a., BVerfGE 127, 31, BGBl I 2010, 1297[↩][↩]
- zum Begriff FG Hamburg, Beschluss vom 04.04.2011 – 2 K 33/10, EFG 2011, 1460; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 8 Abs. 4 a. F. Rz. 14[↩]
- BFH, Urteil vom 20.08.2003 – I R 61/01, BFHE 203, 135, BStBl II 2004, 616[↩]
- BFH, Urteil vom 01.07.2009 – I R 101/08, BFH/NV 2009, 1838[↩]
- vgl. hierzu BFH, Urteil vom 21.08.2012 – IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11[↩]
- eingeführt durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 05.09.2006, BGBl I 2006, 2098[↩]
- BGBl I 2007, 2783[↩]
- Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 Rz. 55: analoge Anwendung des § 207 Abs. 1 AO[↩]
- Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 207 AO Rz. 10, für die verbindliche Zusage[↩]
- Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 207 AO Rz. 3; Frotscher in Schwarz, AO, Vor §§ 204–207 Rz. 15[↩]
- Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 207 AO Rz. 7: bei unwiderruflicher Disposition; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 207 AO Rz. 10; Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 207 Rz. 1: allenfalls ausnahmsweise; Steinhauff, JurisPR-SteuerrR 8/2008 Anm. 4, allerdings für den Spezialfall der Rückführung einer steuerlichen Vergünstigung, die dem Bürger einen Anreiz zu einer bestimmten Investition geben sollte, wenn der Bürger diese Investition getätigt hat[↩]
- BFH, Vorlagebeschluss vom 08.01.2008 – I R 95/04, BFHE 223, 105, BFH/NV 2009, 500[↩]
- Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 163 AO Rz. 31[↩]
- BFH, Urteil vom 20.09.2007 – IV R 32/06, BFH/NV 2008, 569[↩]