§ine Satzung genügt nur dann dem Grundsatz der satzungsmäßigen Vermögensbindung (§§ 61 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 4 AO), wenn sie auch eine ausdrückliche Regelung für den Wegfall des bisherigen Zwecks der Körperschaft enthält.

Vertrauensschutzgesichtspunkte sind im Verfahren der erstmaligen negativen Feststellung nach § 60a Abs. 1 AO nicht zu berücksichtigen.
Gegenstand des Feststellungsverfahrens nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AO ist nur eine bestimmte Satzung, wenn diese in dem Feststellungsbescheid ausdrücklich erwähnt ist.
Gemäß § 61 Abs. 1 AO liegt eine steuerlich ausreichende Vermögensbindung (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) vor, wenn der Zweck, für den das Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks verwendet werden soll, in der Satzung so genau bestimmt ist, dass aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist. Ist der Wegfall des bisherigen Zwecks als Voraussetzung des Vermögensanfalls überhaupt nicht erwähnt, ist eine Auslegung der Satzung in der Weise, dass die Regelung zu einer anderen Art des Vermögensanfalls auf den Wegfall des bisherigen Zwecks zu übertragen ist, nicht möglich1.
Dabei verlangt § 61 Abs. 1 AO ausdrücklich in der Satzung eine genaue Bestimmung der Vermögensbindung bei Wegfall des bisherigen Zwecks der Körperschaft.
Eien abweichende vorherige Handhabung -auch durch das Finanzamt- kann nicht zur Auslegung der satzungsmäßigen Vermögensbindung herangezogen werden, weil Regelungen über die Vermögensbindung bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks in der Satzung selbst getroffen werden müssen. Die Berücksichtigung außerhalb der Satzung liegender Begleitumstände oder des nicht in der Satzung manifestierten Willens der Mitglieder würde dem Gebot des Buchnachweises widersprechen2. Sinn und Zweck der satzungsmäßigen Vermögensbindung ist, dass (ausschließlich) aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist und satzungsmäßig die Bindung des steuerbegünstigt gebildeten Vermögens im Dritten Sektor gewährleistet bleibt3.
Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob Art. 97 § 1f Abs. 2 EGAO die Übernahme der gesamten in der Mustersatzung bezeichneten Festlegungen auch bei nur teilweisen Satzungsänderungen verlangt. Die Regelungen des § 61 AO zur Vermögensbindung waren bereits vor dem 01.01.2009 verbindlich4 und sind hier nicht erfüllt.
Die Körperschaft konnte sich hinsichtlich der neuen Satzung im Rahmen der Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit nicht auf Vertrauensschutz berufen, da das Finanzamt im Streitfall erstmals einen Feststellungsbescheid nach § 60a Abs. 1 AO erlassen hat, wobei auch die negative Feststellung der satzungsmäßigen Voraussetzungen von dieser Vorschrift erfasst wird5.
Die Regelungen zu § 60a Abs. 3 bis 5 AO sind vorliegend auf den Fall des erstmaligen Erlasses eines negativen Feststellungsbescheides nicht anwendbar, da sie einen bereits erlassenen Feststellungsbescheid nach § 60a Abs. 1 AO voraussetzen6.
§ 60a Abs. 5 Satz 1 AO ist mangels Regelungslücke nicht analog anwendbar.
Eine für eine Analogie erforderliche, erkennbar planwidrige Regelungslücke liegt nur vor, wenn das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie, unvollständig und somit ergänzungsbedürftig ist und seine Ergänzung nicht einer gesetzlich gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Hiervon zu unterscheiden ist der sog. rechtspolitische Fehler, der gegeben ist, wenn sich eine gesetzliche Regelung zwar als rechtspolitisch verbesserungsbedürftig, aber doch nicht -gemessen an der dem Gesetz immanenten Teleologie- als planwidrig unvollständig und ergänzungsbedürftig erweist. Ob es sich um eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke oder lediglich um einen sog. rechtspolitischen Fehler handelt, ist unter Heranziehung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) zu ermitteln, wobei für den danach erforderlichen Vergleich auf die Wertungen des Gesetzes, insbesondere auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, zurückzugreifen ist7.
Eine erkennbar planwidrige Regelungslücke liegt nach den Wertungen des § 60a AO, insbesondere seiner Entstehungsgeschichte, im Hinblick auf die negative erstmalige Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit nicht vor.
Nach der Begründung des Gesetzgebers zur Einfügung des § 60a AO löst die Feststellung nach § 60a AO das bisherige Verfahren der vorläufigen Bescheinigung ab. Die Feststellung als Verwaltungsakt sollte zu einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit für die Körperschaften führen, deren Antrag nicht entsprochen wurde8.
Weder die frühere vorläufige Bescheinigung als vorläufige Anerkennung der Gemeinnützigkeit noch ein Freistellungsbescheid für vorangegangene Veranlagungszeiträume begründeten nach der Bundesfinanzhof-Rechtsprechung einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand. Dies galt auch dann, wenn das Finanzamt bei gründlicher Prüfung der ihm vom Steuerpflichtigen eingereichten Unterlagen bereits für die früheren Veranlagungszeiträume zu dem Schluss hätte kommen können, dass eine Freistellung von der Steuer nicht in Betracht kommt9. Eine Übergangsregelegung für Fälle der erstmaligen negativen Feststellung, die Vertrauensschutzgesichtspunkte enthält, hat der Gesetzgeber nicht getroffen.
Der Erlass eines erstmaligen negativen Feststellungsbescheides nach § 60a Abs. 1 AO ist dem früheren Verfahren bei erstmaliger Versagung der Steuerbegünstigung im Veranlagungsverfahren vergleichbar. Nach der Rechtsprechung gab es in diesen Fällen für den jeweiligen Veranlagungszeitraum keinen Vertrauensschutz10. Ein bisher nicht bestehender Vertrauensschutz kann ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung -wie es § 60a Abs. 5 AO für die Aufhebung bereits erlassener Feststellungsbescheide vorsieht11- nicht begründet werden.
Bestätigt wird dies durch § 60a Abs. 2 AO, wonach die Feststellung auf Antrag oder von Amts wegen bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer erfolgt, wenn bisher noch keine Feststellung erfolgt ist.
Soweit die Verwaltung seit dem BMF-Schreiben vom 17.12.200212Vertrauensschutz für geprüfte Satzungen gewährt, ist dies im Streitfall unbeachtlich. Denn dies betrifft jedenfalls nicht das hier in Rede stehende Feststellungsverfahren nach § 60a AO.
Der Regelungsgehalt des erstmaligen negativen Feststellungsbescheides ist im Feststellungsverfahren auch nicht aus anderen Vertrauensschutzgesichtspunkten in der Weise zu beschränken, dass seine Bindungswirkung erst ab einem Zeitpunkt nach erstmaliger Beanstandung der Satzung oder der konkreten Satzungsbestimmung durch das Finanzamt oder nach Bekanntgabe des Bescheides eintritt. Denn eine Bindungswirkung aus Vertrauensschutzgesichtspunkten ergibt sich erst aus § 60a Abs. 5 AO.
Dem steht auch nicht entgegen, dass ggf. bereits bestandskräftige Freistellungsbescheide infolge der (überperiodischen) Bindungswirkung13 des negativen Feststellungsbescheides gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO innerhalb nicht festsetzungsverjährter Zeit (§ 171 Abs. 10 AO) zu ändern sind. Dies ist lediglich die Folge der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung für die Bindungswirkung eines (negativen) Feststellungsbescheides, die die Korrekturmöglichkeiten bereits bestandskräftiger Freistellungsbescheide erweitert.
Die formelle Satzungsmäßigkeit des Gesellschaftsvertrages in der früheren Fassung von 2012 ist hier nicht Verfahrensgegenstand. Über einen etwaigen Antrag auf Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit des Gesellschaftsvertrages in der Fassung von 2012 hat das Finanzamt mit dem negativen Feststellungsbescheid nicht entschieden. Nach dem Inhalt des Bescheides, der vom Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu prüfen ist14, betrifft dieser Bescheid ausdrücklich nur die Satzung in der Fassung von 2015 und nicht auch die Fassung von 2012. Der Feststellungsbescheid nach § 60a AO ist ohne Berücksichtigung weiterer Umstände, die der steuerbegünstigten Körperschaft bekannt sind, aus sich heraus auszulegen15.
Der gemäß Bescheid ausdrücklich auf eine bestimmte Satzung beschränkte Regelungsgegenstand des Feststellungsbescheides entspricht auch dem Sinn und Zweck des Feststellungsverfahrens. Die Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AO kann sich der Natur der Sache nach nur auf eine bestimmte Satzung beziehen. Ist eine solche -wie im Streitfall- ausdrücklich allein im Feststellungsbescheid genannt, scheitert eine erweiternde Auslegung auf andere Fassungen am klaren Wortlaut des Verwaltungsaktes.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. August 2021 – V R 11/20
- vgl. auch BFH, Urteil vom 23.07.2009 – V R 20/08, BFHE 226, 445, BStBl II 2010, 719, unter II. 2. und II. 3.; BFH, Urteile vom 12.01.2011 – I R 91/09, BFH/NV 2011, 111, Rz 15; und vom 17.09.2013 – I R 16/12, BFHE 243, 319, BStBl II 2014, 440, Rz 13[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 226, 445, BStBl II 2010, 719, unter II. 2., m.w.N.; BFH, Urteil in BFH/NV 2011, 111, Rz 11; BFH, Beschluss vom 07.02.2018 – V B 119/17, BFH/NV 2018, 544, Rz 12[↩]
- Jachmann/Unger in Gosch, AO § 61 Rz 10[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 226, 445, BStBl II 2010, 719, unter II. 4.[↩]
- vgl. auch BT-Drs. 17/11316, S. 13[↩]
- vgl. auch zu § 60a AO i.d.F. des Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamtes vom 21.03.2013, BGBl I 2013, 556 BFH, Urteil vom 23.07.2020 – V R 40/18, BFHE 270, 43, BStBl II 2021, 3, Rz 15, m.w.N.; vgl. auch BT-Drs. 17/11316, S. 13[↩]
- BFH, Urteil vom 17.11.2020 – VIII R 20/18, BFHE 271, 233, Rz 22, m.w.N.[↩]
- BT-Drs. 17/11316, S. 13, BR-Drs. 663/12, S. 17[↩]
- BFH, Beschluss vom 25.10.2000 – I B 117/00, BFH/NV 2001, 470, unter II. 1.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2001, 470, unter II. 1. unter Hinweis auf das BFH, Urteil vom 13.12.1978 – I R 77/76, BFHE 127, 327, BStBl II 1979, 481[↩]
- vgl. Unger in Gosch, AO § 60a Rz 23[↩]
- BMF, Schreiben vom 17.12.2002 – IV C 4 -S 0171- 119/02, BStBl I 2004, 1059 -angefügt als Nr. 8 zu § 59 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) mit Wirkung ab 21.04.2008, BStBl I 2008, 582; ab 31.01.2014 als Nr. 4 zu § 59 AEAO, BStBl I 2014, 290[↩]
- Seer in Tipke/Kruse, § 60a AO Rz 7[↩]
- BFH, Urteil vom 24.03.1998 – I R 83/97, BFHE 186, 67, BStBl II 1998, 601, unter II. 1.b, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 270, 43, BStBl II 2021, 3, Rz 28[↩]
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