Schädlicher Beteiligungserwerb – und das Verlustabzugsverbot

Eine Erwerbergruppe (§ 8c Abs. 1 Satz 3 KStG) im Hinblick auf einen schädlichen Beteiligungserwerb i.S. des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG liegt nur dann vor, wenn mehrere Erwerber bei dem (auch mittelbaren) Erwerb von Anteilen an der Verlustgesellschaft zusammenwirken und sie auf der Grundlage einer im Erwerbszeitpunkt bestehenden Absprache im Anschluss an den Erwerb einen beherrschenden Einfluss in dieser Gesellschaft ausüben können. Die Möglichkeit des Beherrschens genügt nicht. Die Feststellungs- und Beweislast trägt die Finanzbehörde.

Schädlicher Beteiligungserwerb – und das Verlustabzugsverbot

Ein schädlicher Beteiligungserwerb i.S. des § 8c Abs. 1 Satz 2 und 3 KStG liegt nicht vor. Daher ist sowohl der im laufenden Wirtschaftsjahr bis zum Beteiligungserwerb erzielte laufende Verlust als auch der zum 31.12 des Vorjahres festgestellte verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer im Streitjahr bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen.

Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), sind insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar (§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG). Unabhängig von Satz 1 sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste vollständig nicht mehr abziehbar, wenn innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt (§ 8c Abs. 1 Satz 2 KStG). Als ein Erwerber im Sinne des Satzes 1 und 2 gilt auch eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen (§ 8c Abs. 1 Satz 3 KStG).

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Nach dem Wortlaut des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG müssen die einzelnen Erwerber „eine Gruppe … mit gleichgerichteten Interessen“ darstellen. Auf welchen Umstand sich das jeweilige Interesse erstrecken muss, lässt der Wortlaut offen.

Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs ist auf den Regelungszweck zurückzugreifen1: Der Verlustabzugsbeschränkung des § 8c KStG liegt nach der Begründung des Gesetzentwurfs2 der Gedanke zugrunde, dass sich ungeachtet des Trennungsprinzips (Ebene der Kapitalgesellschaft einerseits, des Anteilseigners andererseits) „die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners“ ändert. Die zuvor erwirtschafteten Verluste sollen für das „neue wirtschaftliche Engagement“ des Erwerbers (wenn eine bestimmte Erwerbsquote überschritten ist) teilweise oder vollständig unberücksichtigt bleiben. Dabei zielt Satz 3 mit der Absicht einer Missbrauchsverhinderung auf das „typische Erwerberquartett“ ab, bei dem ein Erwerb durch vier zu je 25 % beteiligte Anteilserwerber erfolgt, um hierdurch einem schädlichen Beteiligungserwerb i.S. von § 8c KStG zu entgehen3.

Das Niedersächsische Finanzgericht4 hat auf dieser Grundlage den Begriff dahin verstanden, dass mehrere Erwerber bei und im Hinblick auf den Erwerb von Anteilen an der Verlustgesellschaft zusammenwirken und diese Personen im Anschluss an den Erwerb (durch Stimmbindungsvereinbarungen, Konsortialverträge oder andere verbindliche Abreden) einen beherrschenden einheitlichen Einfluss bei der Verlustgesellschaft ausüben können. Maßgeblicher Zeitpunkt soll dabei -wegen der Anknüpfung des Tatbestandes an den Anteilserwerb- der Erwerbszeitpunkt sein; spätestens zu diesem Zeitpunkt müssten die Erwerber Abreden im Hinblick auf das spätere gemeinsame Beherrschen der Gesellschaft getroffen haben. Demgegenüber befürwortet das Bundesministerium der Finanzen eine weiter gehende Auslegung5: Von einer solchen Erwerbergruppe sei regelmäßig auszugehen, wenn eine Abstimmung zwischen den Erwerbern stattgefunden habe, wobei kein Vertrag vorliegen müsse. Die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks i.S. des § 705 des Bürgerlichen Gesetzbuchs reiche aus, sei aber nicht Voraussetzung; die gleichgerichteten Interessen müssten sich nicht auf den Erhalt des Verlustvortrags der Körperschaft richten. Gleichgerichtete Interessen lägen z.B. vor, wenn mehrere Erwerber einer Körperschaft zur einheitlichen Willensbildung zusammenwirken würden; Indiz gleichgerichteter Interessen sei auch die gemeinsame Beherrschung der Körperschaft (Bezugnahme auf Hinweis 36 der Körperschaftsteuer-Hinweise 2006 „Beherrschender Gesellschafter – gleichgerichtete Interessen“).

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Der Auslegung durch das Niedersächsische Finanzgericht -die sich offensichtlich auf die auch im Streitfall maßgebliche Situation des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG (Erwerb über 50 %) bezieht- ist beizupflichten. Um die gesetzliche Fiktion in § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG, es liege „ein Erwerber“ vor, so dass trotz des Handelns mehrerer Personen von einem schädlichen Beteiligungserwerb gesprochen werden kann, zu rechtfertigen, muss dieser Tatbestand den Regelungszweck von § 8c Abs. 1 Satz 1, 2 KStG -verbunden mit dem dortigen strengen Stichtagsbezug6- in sich aufnehmen. Insoweit reichen Absprachen, die sich auf den Anteilserwerb „als solchen“ beziehen und allenfalls einen zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang (z.B. mit Blick auf die Preisfindung, auf das Bewahren eines bisher vorliegenden Verhältnisses im Anteilsbesitz) der verschiedenen Erwerbsakte begründen, nicht aus. Denn von einem „neuen wirtschaftlichen Engagement“ kann nur gesprochen werden, wenn die Erwerber nicht nur in der Situation des Erwerbs (als „erwerbsbezogene Zweckgemeinschaft“7), sondern auch im zukünftigen Wirtschaften als „Gruppe“ aufzutreten willens und in der Lage sind. Dazu reicht die bloße Möglichkeit eines Beherrschens -abweichend von der Verwaltungsansicht- nicht aus8.

Hiernach führt im Streitfall die -aus den Verkaufsumständen ableitbare und offensichtlich unstreitige- Absprache der Erwerber beim Beteiligungserwerb (Zeitpunkt, Erwerbsquote, Preis) nicht dazu, im Erwerbszeitpunkt „gleichgerichtete Interessen“ zu begründen. Auch wenn es naheliegend sein könnte, dass gerade bei einem mittelbaren Anteilserwerb Absprachen über die Ausübung der Stimmrechte getroffen werden, hat das Finanzgericht ausdrücklich festgestellt, dass es an Regelungen in den Gesellschaftsverträgen fehlt, die eine einheitliche Stimmrechtsausübung oder Stimmrechtsbindungen zum Gegenstand haben.

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Insoweit kann das Finanzamt auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, eine gemeinsame Beherrschung (nach dem Erwerb) sei Indiz gleichgerichteter Interessen im Erwerbszeitpunkt9. Wenn der sachliche Zusammenhang zur früheren wirtschaftlichen Tätigkeit durch das mit einem schädlichen Beteiligungserwerb verbundene „neue wirtschaftliche Engagement“ des Erwerbers gelöst wird, kann allein der Umstand einer rechnerischen Beherrschungsmöglichkeit durch verschiedene Erwerber nicht hinreichend ein „gemeinsames neues wirtschaftliches Engagement“ der (Erwerber-)Gruppe belegen. Vielmehr liegt -was das Finanzgericht auch berücksichtigt hat- die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Erwerbergruppe kraft gleichgerichteter Interessen grundsätzlich bei der Finanzverwaltung10. An einem solchen Nachweis fehlt es aber.

Da damit die Verlustabzugsbeschränkung des § 8c Abs. 1 KStG die Höhe der festzusetzenden Körperschaftsteuer des Streitjahres 2010 bzw. die Höhe des vortragsfähigen Verlustes zum 31.12 2009 nicht berührt, liegt ein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO) bis zum Abschluss des zu § 8c KStG anhängigen Normenkontrollverfahrens beim Bundesverfassungsgericht11 nicht vor.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. November 2016 – I R 30/15

  1. s. allgemein bereits BFH, Urteil vom 30.11.2011 – I R 14/11, BFHE 236, 82, BStBl II 2012, 360[]
  2. BT-Drs. 16/4841, S. 76[]
  3. BT-Drs. 16/5491, S. 22, bzw. 16/5377, S. 28[]
  4. Nds. FG, Urteil vom 26.02.2015 – 6 K 424/13, EFG 2015, 1297[]
  5. BMF, Schreiben vom 04.07.2008, BStBl I 2008, 736, Rz 27[]
  6. s. insbesondere BFH, Urteil in BFHE 236, 82, BStBl II 2012, 360[]
  7. so Ernst, BB 2015, 1448[]
  8. im Ergebnis ebenso Neumann in Rödder/Herlinghaus/Neumann, a.a.O., § 8c Rz 158; Gohr in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 8c Rz 148 f.; Gosch/Roser, a.a.O., § 8c Rz 74; Lang in Ernst/Young, KStG, § 8c Rz 85; Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8c KStG Rz 39; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/UmwStG/GewStG, § 8c KStG Rz 87c ff.; Dötsch/Leibner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 8c Rz 291; Streck/Olbing, KStG, 8. Aufl., § 8c Rz 17; Blümich/Brandis, § 8c KStG Rz 52; s.a. Ernst, BB 2015, 1448; Haskamp, DStR 2015, 1593, 1595 f.; Hinder/Hentschel, GmbHR 2015, 16, 21 f.[]
  9. s. BMF, Schreiben in BStBl I 2008, 736, Rz 27[]
  10. z.B. Olbing, Suchanek und Brandis, ebenda; Gosch/Roser, a.a.O., § 8c Rz 77[]
  11. BVerfG – 2 BvL 6/11[]
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