Steuerliches Einlagenkonto – die freie Kapitalrückläge und der ausgeschlossene Direktzugriff

Für den Bundesfinanzhof bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass ein Direktzugriff auf das steuerliche Einlagekonto, d.h. dessen Minderung vor Auskehrung der ausschüttbaren Gewinne nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG, auch dann nicht in Betracht kommt, wenn die Leistung der Kapitalgesellschaft auf die Auflösung von Kapitalrücklagen zurückgeht.

Steuerliches Einlagenkonto – die freie Kapitalrückläge und der ausgeschlossene Direktzugriff

Nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 i.d.F. des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 07.12 20061 -KStG 2002 n.F.- mindern Leistungen der Kapitalgesellschaft mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapital das steuerliche Einlagekonto unabhängig von ihrer handelsrechtlichen Einordnung nur, soweit sie den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen (Einlagenrückgewähr). Nach § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 n.F. gilt als ausschüttbarer Gewinn das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestands des steuerlichen Einlagekontos.

Der Bundesfinanzhof hat zum Zusammenspiel dieser Vorschriften entschieden, dass es sich bei dem steuerlichen Einlagekonto um eine reine Rechengröße handelt. Das Konto weist deshalb ohne Bindung an das Handelsrecht die nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen aus und dient im Falle der Vermögensauskehrung, d.h. der durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Leistungen i.S. von § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F., der Identifizierung der beim Gesellschafter nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 2002 nicht steuerpflichtigen Einlagenrückgewähr sowie deren Separierung von den nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 grundsätzlich steuerpflichtigen Kapitalerträgen2. Auch hat der Bundesfinanzhof bereits erkannt, dass der Gesetzgeber sich mit § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. für eine steuerrechtlich eigenständige Differenzrechnung entschieden hat, nach der der auf das Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelte ausschüttbare Gewinn selbst dann als vorrangig ausgekehrt gilt, wenn die Leistung der Kapitalgesellschaft auf die Auflösung von Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 des Handelsgesetzbuchs zurückgeht; auch in diesem Fall kann deshalb -im Einklang mit dem unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers3- ein Direktzugriff auf das steuerliche Einlagekonto, d.h. dessen Minderung vor Auskehrung der ausschüttbaren Gewinne, nicht in Betracht kommen4.

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Für den hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall folgt aus diesen Zusammenhängen, dass die Klage schon aus materiell-rechtlicher Sicht -nämlich mit Rücksicht auf die in § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. festgeschriebene Verwendungsreihenfolge der Vermögensauskehrung- in dem Umfang keinen Erfolg haben kann, in welchem sie auf eine Minderung des steuerlichen Einlagekontos zielt, die bezogen auf den 31.12 2008 den um den ausschüttbaren Gewinn gekürzten Bestand des Einlagekontos überschreitet. Dem Antrag der GmbH, das Einlagekonto vorrangig zu kürzen, könnte demnach selbst dann nicht entsprochen werden, wenn -wie im Streitfall nach dem Erlass des Feststellungsbescheids vom 09.09.2010 geschehen- die überhöhte Eigenkapitalminderung in einer unzutreffenden Bescheinigung nach 27 Abs. 3 KStG 2002 a.F./n.F. ausgewiesen wird, da in einem solchen Fall nach § 27 Abs. 5 Satz 4 ff. KStG 2002 n.F. entweder die Steuerbescheinigung zu berichtigen ist oder die Kapitalgesellschaft als Haftungsschuldnerin für die nicht einbehaltene Kapitalertragsteuer einzutreten hat.

Soweit die GmbH gegen die Versagung des vorrangigen Zugriffs auf das steuerliche Einlagekonto verfassungsrechtliche Bedenken geltend macht, hat der Bundesfinanzhof diese bereits in seinem Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560 für den Sachverhalt der unterjährigen Mehrung des Kontos verworfen. Er hat ausgeführt, dass die Versagung des Direktzugriffs auch unter dem Gesichtspunkt einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz i.S. des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt, weil sie in sachgerechter Weise durch Erfordernisse eines praktikablen Verwaltungsvollzugs getragen werde. Dabei hat der Bundesfinanzhof insbesondere gewürdigt, dass mit § 27 Abs. 8 KStG 2002 n.F. die Regelungen zum steuerlichen Einlagekonto auf Sachverhalte im Ausland ausgedehnt worden sind; die Anerkennung einer Einlagenrückgewähr nach Maßgabe der handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften hätte demnach die Überprüfung der ausländischen Rechtsordnungen darauf hin nach sich gezogen, ob nach den jeweils einschlägigen Normen ein solcher Direktzugriff eröffnet wird und ob die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen gewahrt wurden. Das sollte vermieden werden. Demgemäß ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber5 gerade mit Rücksicht hierauf im Interesse der Verwaltungsvereinfachung und zur Vermeidung von Gestaltungen den Direktzugriff auf das steuerliche Einlagekonto verwehrt und sich für eine rein steuerrechtliche Differenzrechnung entschieden hat.

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Der Bundesfinanzhof sieht keine Veranlassung, hiervon abzurücken. Er kann sich nicht der Ansicht der GmbH anschließen, dass die Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. deshalb Art. 3 GG verletze, weil sie die Rückgewähr von Kapitalrücklagen den Gewinnausschüttungen gleichstelle und damit wesentlich ungleiche Sachverhalte gleich behandle6; vielmehr ist der Gesetzgeber auch unter diesem Gesichtspunkt berechtigt, zur Bewältigung einer Vielzahl von Verwaltungsvorgängen typisierende Anordnungen zu treffen und damit die Umstände des Einzelfalls zu vernachlässigen7. Zu berücksichtigen ist zudem, dass -soweit auf den nämlichen Stichtag ein ausschüttbarer Gewinn neben das steuerliche Einlagekonto tritt- die einzelne, an den Gesellschafter erbrachte Leistung (Beteiligungsertrag) sich nicht in einem gegenständlichen Sinne als Einlagenrückgewähr identifizieren lasse; jede Verwendungsreihenfolge kann -worauf der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil in BFH/NV 2010, 248 hingewiesen hat- nur einen gedanklichen Zusammenhang zu den einzelnen Bestandteilen der Rücklagen (Gewinnrücklagen, Kapitalrücklagen, unter Umständen Gewinnvortrag) und der Auskehrung herstellen8. So gesehen dient die steuerrechtliche Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 KStG 2002 neben den Belangen der Praktikabilität zugleich der einheitlichen und damit gleichheitsgerechten Handhabung einer zumindest nicht eindeutig entscheidbaren Zuordnungsfrage.

Anderes ergibt sich nicht aus dem Verweis der GmbH darauf, dass das Nennkapital ohne vorherige Minderung des ausschüttbaren Gewinns an die Gesellschafter ausgekehrt werden kann9. Zwar wird das Nennkapital im Gegensatz zu den sonstigen Einlagen des Gesellschafters nicht im steuerlichen Einlagekonto erfasst und untersteht es deshalb auch nicht der Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 KStG 2002. Stattdessen ist es nach Maßgabe der Regelungen in § 28 Abs. 2 KStG 2002 (einschließlich derjenigen zum Sonderausweis) im Falle seiner Herabsetzung dem Einlagekonto gutzuschreiben und bei Rückzahlung unmittelbar von diesem abzuziehen10. Gleichwohl kann der Bundesfinanzhof hierin keinen Gleichheitsverstoß erkennen, da, wie im Schrifttum zutreffend angemerkt, das ins Handelsregister einzutragende Nennkapital regelmäßig durch Satzung oder Gesellschaftsvertrag eindeutig festgelegt und seine Änderung besonderen (Form-)Vorschriften unterworfen ist (vgl. zur GmbH §§ 58 ff. GmbHG). Daraus folgt, dass auch die Auskehr des herabgesetzten Nennkapitals sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zumindest im Regelfall zweifelsfrei identifiziert werden kann11. Demgemäß ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Entscheidung zugunsten einer praxistauglichen steuerrechtlichen Verwendungsreihenfolge die Rückzahlung von Nennkapital aus der Differenzrechnung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 ausnimmt.

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Die GmbH wendet weiter ein, die vorrangige Auskehr der ausschüttbaren Gewinne gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 greife in Fällen eines Gesellschafterbeschlusses zur Rückzahlung von Kapitalrücklagen in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht ihres Gesellschafters (V) ein, weil bei diesem fiktive Beträge besteuert würden, die keiner Einkunftsart zugeordnet werden könnten. Der Erwägung ist nicht beizupflichten, weil § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Reihung der Vermögensauskehr anordnet. Deshalb erübrigen sich auch Ausführungen dazu, ob und in welcher Hinsicht sich die GmbH als Haftungsschuldnerin auf eine Verletzung von Grundrechten des Vergütungsgläubigers berufen kann12.

Die Versagung des Direktzugriffs auf das steuerliche Einlagekonto verstößt schließlich nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG13; heute Art. 63 AEUV14) sowie Art. 17 EUGrdRCH15. Angesichts des Umstands, dass vorliegend die Vermögensauskehrung einer inländischen Kapitalgesellschaft an einen im Inland wohnhaften Anteilseigner zu beurteilen ist und zudem die Verwendungsregel des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG n.F. auch für Ausschüttungen an (EU-)ausländische Gesellschafter greift, ist weder der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit noch derjenige der Niederlassungsfreiheit berührt. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG n.F. in das nach Art. 17 EUGrdRCh garantierte Eigentumsrecht eingreifen könnte. Zum einen hat die inzwischen überarbeitete Charta der Grundrechte der Europäischen Union16 erst mit der Neufassung des Art. 6 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) durch Art. 1 Nr. 8 des Vertrags von Lissabon17, der für Deutschland am 1.12 2009 in Kraft getreten ist18, rechtliche Verbindlichkeit erlangt hat19. Zum anderen ist zweifelhaft, ob die Erhebung von Abgaben überhaupt in den Schutzbereich des Art. 17 EUGrdRCh fällt20. Vor allem aber ist eine Verletzung des Eigentumsrechts gemäß Art. 17 EUGrdRCh jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil die Grundrechte der Charta nach Art. 6 Abs. 1 EUV gemäß den Bestimmungen des Titels – VII auszulegen sind und Art. 51 Abs. 1 EUGrdRCh den Anwendungsbereich der Charta auf die Durchführung des Rechts der Europäischen Union beschränkt21. Er erfasst demgemäß auch nicht die Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. Februar 2015 – I R 3/14

  1. BGBl I 2006, 2782, BStBl I 2007, 4[]
  2. BFH, Urteile vom 06.10.2009 – I R 24/08, BFH/NV 2010, 248; in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560[]
  3. BT-Drs. 16/2710, S. 32[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560; ebenso zu § 27 Abs. 1 KStG 2002 (a.F.) BFH, Urteil vom 09.06.2010 – I R 43/09, BFH/NV 2010, 2117[]
  5. vgl. BT-Drs. 16/2710, S. 31, 32[]
  6. vgl. hierzu z.B. BVerfG, Beschluss vom 07.05.2013 – 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, BVerfGE 133, 377[]
  7. z.B. BVerfG, Beschluss vom 06.04.2011 – 1 BvR 1765/09, HFR 2011, 812[]
  8. gl.A. G. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 27 KStG Rz 19: keine strenge Nämlichkeit; vgl. zum Anrechnungsverfahren auch BFH, Urteil vom 10.06.2009 – I R 10/09, BFHE 225, 384, BStBl II 2009, 974[]
  9. vgl. zu deren Behandlung z.B. Gosch/Heger, KStG, 2. Aufl., § 27 Rz 9, § 28 Rz 21b, m.w.N.[]
  10. vgl. hierzu auch BFH, Urteil vom 21.10.2014 – I R 31/13, BFHE 247, 531[]
  11. zutreffend G. Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 27 KStG Rz 5a; Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 27 KStG Rz 27[]
  12. vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 22.01.2014 – 1 BvR 891/13, HFR 2014, 440[]
  13. Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl.EG 2002, Nr. C-325, 1[]
  14. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl.EU 2008, Nr. C-115, 47[]
  15. Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl.EG 2000, Nr. C-364, 1[]
  16. ABl.EU 2007, Nr. C-303, 1, BGBl II 2008, 1165[]
  17. Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 13.12 2007, ABl.EU 2007, Nr. C-306, 1, BGBl II 2008, 1039[]
  18. Bekanntmachung vom 13.11.2009, BGBl II 2009, 1223[]
  19. BFH, Urteil vom 19.06.2013 – II R 10/12, BFHE 241, 402, BStBl II 2013, 746, m.w.N.[]
  20. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl., Art. 17 Rz 22; Ismer in Herrmann/Heuer/Raupach, Einführung zum EStG Rz 406, m.w.N.[]
  21. BVerfG, Urteil vom 24.04.2013 – 1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277; EuGH, Urteil vom 26.02.2013 – C-617/10 „Åkerberg Fransson“, EU:C:2013:105, HFR 2013, 464; BFH, Urteil in BFHE 241, 402, BStBl II 2013, 746; Streinz/Michl, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 51 GR-Charta Rz 7 f., jeweils m.w.N.[]
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