Verschmelzung einer „Gewinngesellschaft“ auf eine „Verlustgesellschaft“ – und der Gestaltungsmissbrauch

Wird eine „Gewinngesellschaft“ auf eine „Verlustgesellschaft“ verschmolzen und verrechnet diese die positiven Einkünfte der „Gewinngesellschaft“ des Rückwirkungszeitraums mit ihren eigenen Verlusten, dann stellt dies nach der Rechtslage des Jahres 2008 keinen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar. Dies gilt auch dann, wenn die „Gewinngesellschaft“ die Gewinne des Rückwirkungszeitraums bereits an ihre frühere Muttergesellschaft ausgeschüttet hatte.

Verschmelzung einer „Gewinngesellschaft“ auf eine „Verlustgesellschaft“ – und der Gestaltungsmissbrauch

Einzelsteuergesetzliche Vorschriften zur Verhinderung von Steuerumgehungen, die tatbestandlich nicht einschlägig sind, schließen die Anwendung des § 42 AO nicht aus. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs i.S. des § 42 Abs. 2 AO sind diejenigen Wertungen des Gesetzgebers, die den von ihm geschaffenen einzelsteuergesetzlichen Vorschriften zur Verhinderung von Steuerumgehungen zugrunde liegen, zu berücksichtigen.

In dem hier vom Bundesfinanzhof, in dem die Beteiligten darüber stritten, ob die Verschmelzung einer Gewinngesellschaft auf eine Verlustgesellschaft einen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO darstellt, gehörte die klagende  A GmbH, die noch bis ins Jahr 2017 als A AG firmierte, die wiederum durch formwechselnde Umwandlung der A GmbH im Jahr 2010 entstand, im streiterheblichen Zeitraum (im Jahr 2008) zum B Konzern. Obergesellschaft der A GmbH war die B Corporation (B Corp.), die im Juni 2009 in Insolvenz fiel. Die A GmbH befand sich Ende 2008 in Liquiditätsschwierigkeiten. Es drohte die Insolvenz. Übliche Quellen wie Finanzspritzen der Gesellschafter oder Kredite durch Banken kamen zur Liquiditätsverstärkung nicht in Betracht. Die C bot der A GmbH zum Zwecke der Finanzierung an, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der C, die D GmbH, zu erwerben. Die D GmbH erzielte in den Jahren 2008 und 2009 Gewinne aus Finanzgeschäften. Im Einzelnen:

Auf die D GmbH war bereits im Jahr 2007 die E GmbH (E) verschmolzen worden, deren wirtschaftliche Betätigung in einer Ausleihung an eine ausländische Tochtergesellschaft der C bestand. Die Mittel dazu stammten aus einem partiarischen Darlehen, das zwischen der E und der C vereinbart wurde. Darüber hinaus gehörten zum Vermögen der E -mit der C abgeschlossene- Swaps, die als Sicherungsgeschäfte für das Darlehen fungierten und mit diesem bis zum 31.12.2005 eine Bewertungseinheit bildeten. Das Grundgeschäft, das mit den Swaps abgesichert war, endete im Juli 2007. Dennoch wurden die Sicherungsgeschäfte in unveränderter Form fortgeführt. Sie wurden in den handelsrechtlichen Abschlüssen als Drohverlustrückstellungen ausgewiesen. Durch die teilweise Auflösung der Drohverlustrückstellungen und durch laufende Zinsüberschüsse entstand für das Jahr 2008 ein handelsrechtlicher Gewinn. Mit Gesellschafterbeschluss vom 29.01.2009 wurde dieser an die C ausgeschüttet. Im Januar 2009 wurde wegen der günstigen Entwicklung der Swaps aus sämtlichen Sicherungs- und Finanzgeschäften ein handelsrechtlicher Gewinn realisiert, der am 17.02.2009 in Form einer Vorabausschüttung an die C ausgekehrt wurde. Die D GmbH hielt Anfang 2009 keine Geschäftsanteile, Beteiligungen oder stille Beteiligungen an einer anderen juristischen Person, Personengesellschaft oder einem Joint Venture. Unternehmensverträge i.S. der §§ 291 ff. des Aktiengesetzes bestanden nicht. Die D GmbH beschäftigte auch keine Arbeitnehmer. Das Vermögen der D GmbH bestand nach der Vorabausschüttung vom 17.02.2009 laut Bilanz vom 23.02.2009 im Wesentlichen aus liquiden Mitteln in Form von Bankguthaben sowie Steuererstattungsansprüchen.

Die C veräußerte mit notariellem Vertrag vom 23.02.2009 ihre gesamten Anteile an der D GmbH an die A GmbH. Der von der C erzielte Veräußerungsgewinn blieb nach § 8b KStG steuerfrei. Mit Verschmelzungsvertrag vom 24.02.2009 wurde die D GmbH auf die A GmbH verschmolzen. Die Verschmelzung erfolgte rückwirkend auf den 01.07.2008 unter Zugrundelegung der auf den 30.06.2008 erstellten Schlussbilanz der D GmbH. Die übertragenen Wirtschaftsgüter der D GmbH wurden darin zu Buchwerten angesetzt und von der A GmbH entsprechend mit dem Buchwert übernommen. Wegen der Ausschüttung für 2008 und der Vorabausschüttung für 2009 wurde ein passiver Korrekturposten in der Bilanz berücksichtigt, so dass sich auch infolge des passiven Korrekturpostens aus der Verschmelzung ein Verschmelzungsverlust in Höhe von etwa … € ergab, der bei der A GmbH steuerlich nicht in Ansatz gebracht wurde. Die Verschmelzung führte dazu, dass der A GmbH das Einkommen und das Vermögen der D GmbH zum steuerlichen Übertragungsstichtag (01.07.2008) zugerechnet wurde. Das auf den Rückwirkungszeitraum entfallende -positive- Einkommen der D GmbH wurde mit den Verlustvorträgen der A GmbH verrechnet. Das hatte die Auflösung der bei der D GmbH gebildeten Steuerrückstellungen zur Folge. Nach Abzug des (das Eigenkapital deutlich übersteigenden) Kaufpreises gingen der A GmbH wegen des insoweit nicht mehr durch die Rückstellungen überlagerten Aktivvermögens entsprechende liquide Mittel zu.

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Im Zuge einer Außenprüfung bei der A GmbH als der Rechtsnachfolgerin der D GmbH änderte das Finanzamt die -ursprünglich erklärungsgemäß ergangenen- Bescheide betreffend Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr. Dem lag die Rechtsauffassung zugrunde, dass das von der D GmbH im zweiten Halbjahr 2008 sowie im Zeitraum vom 01.01.2009 bis zum 23.02.2009 erzielte Einkommen (Rückwirkungszeitraum) von ihr als Steuersubjekt zu versteuern sei, weil der Anteilsübertragung und der sich anschließenden Verschmelzung nach § 42 AO die steuerliche Anerkennung zu versagen sei.

Die dagegen gerichtete Klage war erstinstanzlich vor dem Hessischen Finanzgericht erfolgreich1. Der Bundesfinanzhof wies nun die hiergegen gerichtete Revision des Finanzames zurück, da das finanzgerichtliche Urteil sich im Ergebnis als richtig darstelle. Das Hessische Finanzgericht hat zwar die Regelungen in § 12 Abs. 3 Halbsatz 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (UmwStG 2006) und in § 8c Satz 2 KStG zu Unrecht als einzelsteuergesetzliche Umgehungsverhinderungsvorschriften i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO qualifiziert und diesen eine „Abschirmwirkung“ gegenüber der Anwendung des § 42 AO zuerkannt. Das führt allerdings nicht zum Erfolg der Revision, weil der Erwerb der Anteile an der D GmbH und deren anschließende rückwirkende Verschmelzung auf die A GmbH keinen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 Abs. 2 AO darstellt.

Nach § 42 Abs. 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden (Satz 1). Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (Satz 2). Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs i.S. des Abs. 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (Satz 3).

§ 42 Abs. 2 AO bestimmt, dass ein Missbrauch vorliegt, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt (Satz 1). Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (Satz 2).

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Im Unterschied zu früheren Fassungen enthält § 42 AO in Abs. 1 Satz 2 und 3 nunmehr eine ausdrückliche Regelung zum Verhältnis einzelsteuergesetzlicher Umgehungsverhinderungsregelungen gegenüber der Missbrauchsklausel der AO. Der Wortlaut lässt keinen Zweifel daran, dass solche einzelsteuergesetzlichen Vorschriften die Anwendung des § 42 AO nur dann verdrängen, wenn sie tatbestandlich einschlägig sind. Sind sie tatbestandlich nicht einschlägig („anderenfalls“), dann wird § 42 AO nicht verdrängt. Für eine gesetzestechnisch begründete „automatische“ Abschirmwirkung der einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschrift ist danach kein Raum. Auch der allgemein anerkannte Auslegungsgrundsatz „lex specialis derogat legi generali“ ist für sich genommen nicht geeignet, eine solche Abschirmwirkung zu entfalten. Denn die Auslegungsregel dient der Vermeidung von Normenkollisionen, kommt also dann zur Anwendung, wenn ein Sachverhalt von zwei Vorschriften tatbestandlich erfasst wird und der Rechtsanwender mit unterschiedlichen Rechtsfolgeanordnungen konfrontiert ist2. Greift eine Norm nicht ein, fehlt es an einem Konkurrenzverhältnis, das aufzulösen wäre. Ob der Gesetzgeber mit der im Einzelfall tatbestandlich nicht verwirklichten Norm eine abschließende Regelung für einen bestimmten Sachbereich hat treffen wollen, ist somit keine Frage der Verdrängungswirkung einer Spezialnorm, sondern der systematischen und teleologischen Auslegung3. Im Übrigen steht es dem Gesetzgeber frei, das Verhältnis konkurrierender Normen ausdrücklich selbst zu regeln. Dies ist mit § 42 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO geschehen.

Obgleich § 42 Abs. 1 Satz 3 AO den Rückgriff auf § 42 AO gesetzestechnisch, wie soeben dargelegt, ausdrücklich zulässt, müssen allerdings bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs i.S. des § 42 Abs. 2 AO diejenigen Wertungen des Gesetzgebers, die den von ihm geschaffenen einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschriften zugrunde liegen, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Rahmen der Auslegung4 berücksichtigt werden5. Augenfällig wird dieses Berücksichtigungsbedürfnis bei solchen einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschriften, die strikte und damit Rechtssicherheit gewährleistende Abgrenzungsmerkmale enthalten. So dienten oder dienen nach der Bundesfinanzhofsrechtsprechung etwa die Siebenjahresfristen in § 8b Abs. 4 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) vom 23.10.20006 oder in § 22 UmwStG 2006 der typisierenden Festlegung, dass bei Veräußerungen nach Ablauf der Frist keine Umgehungsgestaltung, sondern eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierung vorliegt7. Diese Wertung darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass bei einer Veräußerung nach Fristablauf auf der Grundlage des § 42 AO doch von einer Umgehungsgestaltung ausgegangen wird8.

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Berücksichtigung des im Rückwirkungszeitraum von der D GmbH erzielten Einkommens bei der Körperschaftsbesteuerung der A GmbH, die auf § 2 Abs. 1 UmwStG 2006 beruht, nicht rechtsmissbräuchlich.

Die Beurteilung, ob der streitgegenständliche Erwerb der Anteile an der D GmbH und die sich anschließende Verschmelzung der D GmbH auf die A GmbH rechtsmissbräuchlich ist, richtet sich nach § 42 AO.

Die im Streitfall zeitlich anwendbaren Regelungen des § 12 Abs. 3 Halbsatz 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 2006 und des § 8c Satz 2 KStG sind tatbestandlich nicht einschlägig, weil sie den Ausschluss des Übergangs von Verlustvorträgen mittels Verschmelzung durch Aufnahme einer Verlustgesellschaft anordnen bzw. den Erwerb von Anteilen an einer solchen regeln. Vorliegend ist Gegenstand von Anteilserwerb und Verschmelzung jedoch die D GmbH als eine Gewinngesellschaft.

Das Hessische Finanzgericht hat in der Vorinstanz rechtsfehlerhaft angenommen, dass es sich bei den genannten Bestimmungen des UmwStG 2006 und des KStG um einzelsteuergesetzliche Regelungen zur Verhinderung von Steuerumgehungen i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO handelt. Denn § 12 Abs. 3 Halbsatz 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 2006 stellen im Unterschied zur Vorgängerregelung9 insbesondere keine Vorschriften zur Verhinderung missbrauchsverdächtiger Mantelkaufgestaltungen dar. Auch im Übrigen lassen diese Bestimmungen nicht erkennen, dass und welche vom Gesetzgeber als unangemessen bewertete Gestaltungen unterbunden werden sollen. Vielmehr treffen die Regelungen eine generelle Aussage zur Behandlung von Verlustvorträgen der übertragenden Körperschaft und erweisen sich formal lediglich als Teilstück in der Konzeption des Gesetzgebers zur Ausgestaltung der steuerlichen Rechtsnachfolge bei Verschmelzungen10. Die Bewertung des § 8c KStG fällt ähnlich aus11. Zwar lassen sich mit dieser Regelung auch Mantelkaufgestaltungen unterbinden, allerdings ist die Norm tatbestandlich darauf nicht zugeschnitten. Vielmehr führte nach § 8c KStG in seiner ursprünglichen Fassung, die noch keine Konzern, Stille Reserven- und Sanierungsklausel beinhaltete, jede größere Änderung im Gesellschafterbestand ausnahmslos zum quotalen oder vollständigen Untergang des Verlusts, so dass § 8c KStG im Streitjahr als generelle Einschränkung der Anwendung des § 10d EStG im Körperschaftsteuerrecht begriffen werden muss12.

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Die fehlerhafte Qualifizierung der genannten Regelungen durch das Finanzgericht wirkt sich auf das Ergebnis der Entscheidung nicht aus. Denn § 42 AO kommt in dem einen -gänzliches Fehlen einer Umgehungsverhinderungsvorschrift in einem Einzelsteuergesetz- wie dem anderen Fall -einzelsteuergesetzliche Regelung existiert, ist tatbestandlich nicht erfüllt, entfaltet aber wegen § 42 Abs. 1 Satz 3 AO keine Sperre- ohnehin zur Anwendung. Gesetzgeberische Wertungen, die § 12 Abs. 3 Halbsatz 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 2006 sowie § 8c KStG zugrunde liegen, sind unabhängig von der Einordnung dieser Vorschriften als einzelsteuergesetzliche Umgehungsverhinderungsvorschriften bei der Bestimmung des Angemessenen i.S. des § 42 Abs. 2 AO zu berücksichtigen, weil der Rechtsanwender diesen Wertungen im Rahmen der systematischen und teleologischen Auslegung Beachtung zu schenken hat.

Im Streitfall liegt kein Rechtsmissbrauch vor. Denn die vorliegend zu beurteilende Gestaltung ist i.S. des § 42 Abs. 2 AO nicht unangemessen.

Der Steuerpflichtige darf seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen und dabei zivilrechtliche Gestaltungen, die vom Gesetz vorgesehen sind, frei verwenden. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll. Eine Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden13.

Gestaltungen, die darauf abzielen, dem Steuerpflichtigen die Nutzung eines von ihm erwirtschafteten Verlusts zu ermöglichen, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen nicht als rechtsmissbräuchlich bewertet worden14. Da das Herbeiführen eines Verlustausgleichs im Kern mit den gesetzlichen Zielsetzungen (Leistungsfähigkeitsprinzip, § 10d EStG) übereinstimmt, ist der Bundesfinanzhof zudem davon ausgegangen, dass entsprechende Gestaltungen grundsätzlich nicht durch weitere außersteuerliche Motive gerechtfertigt werden müssen15.

Im Streitfall diente die Gestaltung im Kern der Nutzung des Verlustvortrags, der sich bei der A GmbH infolge des ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolgs aufgebaut hatte. Die Gestaltung kann daher nicht als unangemessen beurteilt werden.

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Ob zur Verlustnutzung getroffene Gestaltungen einer Prüfung am Maßstab des § 42 AO standhalten, hängt zunächst von der Qualität der betroffenen Verluste ab. So sind die bei einer auf Einkünfteerzielung gerichteten Tätigkeit selbst erwirtschafteten Verluste anders zu behandeln als auf dem Markt „eingekaufte“ Fremdverluste (Mantelkaufgestaltungen). Verluste, die auf der Inanspruchnahme steuerlicher Subventions- und Lenkungsnormen (z.B. Sonderabschreibungen) beruhen, haben wiederum eine andere Qualität.

Im Streitfall hat die A GmbH „echte“ betriebswirtschaftliche Verluste erzielt, deren steuerliche Effektuierung grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.

Die von der Steuerrechtsordnung grundsätzlich gebilligte Nutzbarmachung von Verlusten besteht darin, dass die Verluste mit positiven Einkünften verrechnet werden. Die dadurch bewirkte Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage führt aus Sicht des Fiskus zu einer Mindersteuer, weil die positiven Einkünfte seinem Besteuerungszugriff entzogen werden. Auf Seiten des Steuerpflichtigen bewirkt die mit der Verlustnutzung einhergehende Mindersteuer eine Verbesserung der Liquidität.

Im Streitfall haben sich mit der gewählten Gestaltung diese Haupteffekte eingestellt. Bei der A GmbH bestand ein erhebliches Potential an Verlustvorträgen. Durch den Erwerb der Anteile an der D GmbH und deren anschließende Verschmelzung auf die A GmbH standen die von der D GmbH im Rückwirkungszeitraum erzielten positiven Einkünfte für eine Verrechnung mit den Verlusten der A GmbH zur Verfügung und die dadurch ausgelöste Mindersteuer führte zu einer Verbesserung der Liquidität der A GmbH.

Durch die Verrechnung der klägerischen Verlustvorträge mit den von der D GmbH im Rückwirkungszeitraum erzielten positiven Einkünften wurde das Verlustvortragspotential der A GmbH vermindert und stand in Höhe des Minderungsbetrags nicht mehr für eine Verrechnung künftiger Gewinne der A GmbH zur Verfügung. Mindersteuern im Streitjahr stehen also potentiellen Mehrsteuern in der Zukunft gegenüber.

Die vom Finanzamt angeführten Gesichtspunkte führen nicht dazu, dass die vorliegende Verlustnutzungsgestaltung -ausnahmsweise- als unangemessen qualifiziert werden muss.

Soweit das Finanzamt geltend macht, dass für die A GmbH kein wirtschaftlicher Grund für den Abschluss der Geschäfte existiert habe, weil der Liquiditätszufluss im Ergebnis aus der Vermeidung der Besteuerung bei der D GmbH herrühre, verkennt es, dass nach der oben zitierten Bundesfinanzhofsrechtsprechung bei Gestaltungen, die der Ausnutzung von Verlustausgleichspotentialen dienen, kein weiterer außersteuerlicher Zweck mit der Gestaltung verfolgt werden muss. Denn die Herbeiführung des Verlustausgleichs stimmt mit den steuergesetzlichen Zielen letztlich überein. Im Streitfall drohte der A GmbH nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) die Insolvenz und damit faktisch der Wegfall des Verlustvortrages.

Der Hinweis des Finanzamt, dass es sich bei der D GmbH um eine wirtschaftlich inaktive Gewinngesellschaft gehandelt habe, deren Gewinne zu einem Großteil bereits an den bisherigen Anteilseigner ausgeschüttet worden waren, so dass im Wesentlichen nur noch „auf dem Papier“ stehende Einkünfte auf die A GmbH „verschoben“ wurden, zeigt zwar eine Nähe der vorliegenden Gestaltung zum Mantelkauf auf. Doch bestehen wertungsmäßig zwischen dem Erwerb einer inaktiven Gewinngesellschaft und einer inaktiven Verlustgesellschaft erhebliche Unterschiede. Kennzeichnend für den von der früheren Rechtsprechung nicht anerkannten Mantelkauf16 war zum einen das Vorliegen einer „leeren Körperschaftshülle“ (fehlender Geschäftsbetrieb, fehlendes, durch Verluste aufgezehrtes Vermögen), zum anderen die „Veräußerung“ des mit der Körperschaftshülle verknüpften Verlustvortrags an einen Dritten, der diesen Verlust steuerlich sodann geltend macht, obgleich er ihn nicht selbst zu tragen hat. Die vorliegende Gestaltung ist aber dadurch gekennzeichnet, dass die erworbene D GmbH noch über eine gewisse wirtschaftliche Substanz verfügte und es der A GmbH als Erwerberin der Gesellschaft in erster Linie darauf ankam, den von ihr selbst erwirtschafteten Verlust steuerlich zu nutzen. Darin liegt wertungsmäßig ein erheblicher Unterschied, den auch der Gesetzgeber zumindest bis zum Inkrafttreten der Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 3 UmwStG 2006 i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 26.06.201317 nachvollzogen hat, indem er nach Aufgabe der Mantelkaufrechtsprechung18 im KStG und im UmwStG einzelsteuergesetzliche Umgehungsverhinderungsvorschriften allein für den Handel mit Verlustmänteln geschaffen hat (§ 8 Abs. 4 KStG i.d.F. des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25.07.1988 [BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224]; § 12 Abs. 3 UmwStG 1995 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 [BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928]). Erst 2013 hat er mit der bereits erwähnten Regelung in § 2 Abs. 4 Satz 3 UmwStG 2006 eine einzelsteuergesetzliche Vorschrift für die Verrechnung positiver im Rückwirkungszeitraum erzielter Einkünfte des übertragenden Rechtsträgers mit Verlustvorträgen des übernehmenden Rechtsträgers geschaffen.

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Auch der Umstand, dass die für die Verlustnutzung erforderlichen positiven Einkünfte entgeltlich von einem Dritten erworben wurden, macht die Gestaltung nicht unangemessen. Wie oben ausgeführt, setzen die vom BFH grundsätzlich gebilligten Verlustnutzungsgestaltungen voraus, dass die Verlustgesellschaft positive Einkünfte erlangt, mit denen die Verluste verrechnet werden können. So hat es der Bundesfinanzhof z.B. ausdrücklich akzeptiert, dass der Verlustgesellschaft von einer anderen Konzerngesellschaft unentgeltlich Kapital zum Zweck der verzinslichen Anlage zur Verfügung gestellt wurde („Zuschieben von Zinserträgen“). Gegen die Zinserträge konnte die Verlustgesellschaft sodann ihre Verlustvorträge verrechnen19. Entgegen der Auffassung des Finanzamt rechtfertigt der Umstand, dass der Veräußerer der Anteile der D GmbH nicht konzernangehörig war und die A GmbH für den Erwerb der Anteile einen Preis zu zahlen hatte, keine abweichende Angemessenheitsbeurteilung gegenüber der dem BFH, Urteil in BFHE 197, 63 zugrundeliegenden. Zum einen ist die steuerlich zulässige Verlustnutzung ohne Vorhandensein positiver Einkünfte nicht darstellbar, zum anderen handelt es sich bei dem entgeltlichen Erwerb einer potentiellen Quelle positiver Einkünfte -im Unterschied zum Erwerb eines Verlustmantels- um einen vom Steuergesetz grundsätzlich akzeptierten Vorgang der Einkünfteerzielung. Der Bundesfinanzhof verkennt hierbei nicht, dass die A GmbH im Unterschied zu der Gestaltung, die seinem Urteil in BFHE 197, 63 zugrunde lag, die ihr „zugeschobenen“ Einkünfte des Rückwirkungszeitraums nicht selbst erwirtschaftet hat und die fraglichen Einkünfte in Folge der vorgenommenen Vorabausschüttungen wirtschaftlich im Wesentlichen der C zugutekamen. Die Schwelle zur Unangemessenheit und damit zum Rechtsmissbrauch wird dadurch aber noch nicht überschritten. Einer solchen Wertung stehen der drohende Untergang der Verluste und die damit verbundene Beeinträchtigung des Leistungsfähigkeitsprinzips entgegen.

Soweit das Finanzamt geltend macht, als umgangenes Steuergesetz sei die Liquidationsbesteuerung der D GmbH gemäß § 11 KStG anzusehen, so übersieht es, dass die Nichtbesteuerung positiver Einkünfte, sei es im Anwendungsbereich der laufenden Regelbesteuerung oder der Schlussbesteuerung gemäß § 11 KStG, die Kehrseite der steuerlich grundsätzlich zulässigen Verlustnutzung darstellt.

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Die gewählte Gestaltung kann auch nicht deswegen als unangemessen bewertet werden, weil durch die Wahl einer anderen Verschmelzungsrichtung die Regelung in § 12 Abs. 3 Halbsatz 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 2006 umgangen worden wäre. Denn es geht vorliegend nicht um die steuerliche Nutzbarmachung eines Verlusts, den ein anderes Steuerrechtssubjekt erwirtschaftet und zu tragen hat, sondern um die Verwertung des von der A GmbH selbst erzielten Verlusts. Diesbezüglich sind -jedenfalls nach der Rechtslage im Streitjahr- großzügigere Maßstäbe anzulegen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. November 2020 – I R 2/18

  1. Hess. FG, Urteil vom 29.11.2017 – 4 K 127/15, EFG 2018, 486[]
  2. vgl. z.B. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 266 f.[]
  3. Larenz, a.a.O., S. 267 f.[]
  4. vgl. Larenz, a.a.O., S. 223 ff.[]
  5. gleicher Auffassung z.B. Spindler, Steuerberater-Jahrbuch 2008/2009, 52; Hey, Deutsches Steuerrecht, Beihefter zu Heft 3/2014, 9; Drüen in Tipke/Kruse, Vorbemerkungen zur Neufassung des § 42 AO Rz 13a; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 42 AO Rz 292[]
  6. BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428[]
  7. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 15.04.2015 – I R 54/13, BFHE 254, 519, BStBl II 2017, 136; BT-Drs. 16/2710, S. 46[]
  8. vgl. z.B. Drüen, ebenda[]
  9. dazu BFH, Urteil vom 18.12.2013 – I R 25/12, BFH/NV 2014, 904[]
  10. vgl. Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl., § 12 Rz 341; Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 12 UmwStG Rz 75 f.[]
  11. Drüen, a.a.O., § 42 AO Rz 79; Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8c KStG Rz 1 und 3; Blümich/Brandis, § 8c KStG Rz 22; Neumann in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 8c Rz 16; Eisgruber/Schaden, Die Unternehmensbesteuerung 2010, 73; wohl auch Gosch/Roser, KStG, 4. Aufl., § 8c Rz 2[]
  12. vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 76[]
  13. z.B. BFH, Urteile vom 19.01.2017 – IV R 10/14, BFHE 256, 507, BStBl II 2017, 466; vom 08.03.2017 – IX R 5/16, BFHE 257, 211, BStBl II 2017, 930; vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221[]
  14. z.B. BFH, Urteile vom 19.08.1999 – I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, zur inkongruenten Gewinnausschüttung mit nachfolgender inkongruenter Wiedereinlage; vom 17.10.2001 – I R 97/00, BFHE 197, 63, zur Verlagerung von Zinserträgen; BFH, Urteile vom 29.05.2008 – IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, zur Veräußerung von GmbH-Anteilen an eine beteiligungsidentische GmbH; vom 07.12.2010 – IX R 40/09, BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427, zur ringweisen Anteilsveräußerung; vom 04.12.2014 – IV R 28/11, BFH/NV 2015, 495, zur inkongruenten Gewinnausschüttung; abgrenzend dazu BFH, Urteil vom 18.03.2004 – III R 25/02, BFHE 205, 470, BStBl II 2004, 787, Rz 110, zur Zwischenschaltung einer mit Verlustvorträgen „ausgestatteten“ GmbH bei Grundstücksgeschäften[]
  15. BFH, Urteile in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43; in BFHE 197, 63[]
  16. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 15.02.1966 – I 112/63, BFHE 85, 217, BStBl III 1966, 289[]
  17. BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 802[]
  18. BFH, Urteil vom 29.10.1986 – I R 202/82, BFHE 148, 153, BStBl II 1987, 308[]
  19. BFH, Urteil in BFHE 197, 63[]