Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen als fiktive Gewinnausschüttungen

Der Bundesfinanzhof hält die Bestimmung des § 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 i.d.F. des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes infolge Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot für verfassungswidrig und hat diese Frage nun dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.

Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen als fiktive Gewinnausschüttungen

Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen einer Organgesellschaft an ihren Organträger stellen keine Gewinnausschüttungen i.S. der § 8 Abs. 3, § 27 KStG 1996/2002 a.F., sondern Gewinnabführungen i.S. der §§ 14 ff. KStG 1996/2002 a.F. dar (Bestätigung des Senatsurteils vom 18. Dezember 2002 I R 51/01, BFHE 201, 221, BStBl II 2005, 49).

Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen i.S. von § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 i.d.F. des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes sind als rein rechnerische Differenzbeträge zu begreifen, nicht als tatsächliche „Abführungen“. Sie können daher nicht nur –als „Mehr“-Abführungen– aus einem höheren handelsbilanziellen Jahresüberschuss der Organgesellschaft resultieren, sondern auch aus Fällen sog. Minderverlustübernahmen, in welchen der Organträger infolge eines geringeren handelsbilanziellen Verlustes der Organgesellschaft einen geringeren Verlust ausgleichen musste, als ihm zugerechnet wurde.

Indem die so verstandenen Mehrabführungen durch § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 i.d.F. des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes als Gewinnausschüttungen fingiert werden, handelt es sich zugleich um entsprechende Leistungen i.S. von § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002, für welche die in § 38 Abs. 2 KStG 2002 angeordnete Körperschaftsteuererhöhung zu errechnen ist.

Rechtsentwicklung der maßgeblichen Vorschriften – Rechtslage vor 2004[↑]

Das Körperschaftsteuergesetz enthielt bis zu seiner Fassung durch das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz) vom 16.05.20031 –KStG 2002 a.F.– keine Regelung zur steuerlichen Behandlung vororganschaftlicher Mehrabführungen. § 27 Abs. 6 Satz 1 KStG 2002 a.F. sah in Bezug auf das steuerliche Einlagekonto bei der Organgesellschaft vor, dass Mehrabführungen dieses mindern, wenn sie ihre Ursache in organschaftlicher Zeit haben. Für vororganschaftliche Mehrabführungen hat diese Regelung keine Relevanz.

Die Finanzverwaltung2 vertrat in Übereinstimmung mit einem Teil der Literatur3 die Auffassung, vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen seien als „andere Ausschüttungen“ i.S. des § 27 Abs. 3 Satz 2 KStG 1996 zu behandeln und für diese damit die Ausschüttungsbelastung herzustellen. Danach werde § 27 KStG 1996 dann nicht durch die Regelung der Gewinnabführung in den §§ 14 ff. KStG 1996 verdrängt, wenn sich der entsprechende Geschäftsvorfall bereits in einem Zeitpunkt ereignet und ausgewirkt habe, in welchem noch kein Organschaftsverhältnis bestand.

Der Bundesfinanzhof ist dieser Verwaltungspraxis nicht gefolgt. Nach dessen Rechtsprechung4 unterfielen vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen als Gewinnabführungen vielmehr den organschaftlichen Regelungen der §§ 14 ff. KStG 1996 und waren mithin nicht als Ausschüttungen nach § 8 Abs. 3, § 27 KStG 1996 zu behandeln. Dies ergebe sich unmittelbar aus der Regelung des § 14 KStG 1996, die durch Verweis auf einen Gewinnabführungsvertrag i.S. des § 291 Abs. 1 AktG die Anknüpfung der körperschaftsteuerlichen Organschaftserfordernisse an das Zivilrecht bestimmt. Bestätigt werde diese Anknüpfung durch § 17 Satz 2 Nr. 1 KStG, wonach Gewinnabführungen den in § 301 AktG genannten Betrag nicht übersteigen dürften. Maßgeblich für den Umfang der Gewinnabführungspflicht sei damit allein der handelsbilanzielle Jahresüberschuss. Dafür, dass der Gesetzgeber in den §§ 14 ff. KStG 1996 einen von § 291 Abs. 1 und § 301 AktG abweichenden, originär steuerrechtlichen Umfang der Gewinnabführungsverpflichtung habe regeln wollen, sei nichts ersichtlich. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um vororganschaftliche Mehrabführungen dem Regelungskonzept der Ausschüttung nach §§ 27 ff. KStG 1996 unterwerfen zu können. An dieser Rechtsprechung, die seitens der Finanzverwaltung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2003 endeten, nicht angewandt wurde5 wird festgehalten.

Rechtsentwicklung der maßgeblichen Vorschriften – Rechtslage ab 2004[↑]

Mit dem Richtlinien-Umsetzungsgesetz hat der Gesetzgeber erstmals gesetzliche Grundlagen für die Berücksichtigung sog. vororganschaftlicher Mehr- und Minderabführungen geschaffen. Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, gelten danach als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger; Minderabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, sind als Einlagen durch den Organträger an die Organgesellschaft zu behandeln (§ 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 KStG 2002). Die Neuregelung ist erstmals für Mehrabführungen von Organgesellschaften anzuwenden, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31.12.2003 endet (§ 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG 2002). Die Minderabführungen werden in § 34 Abs. 9 KStG 2002 dagegen nicht erwähnt.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde am 13.08.2004 in den Deutschen Bundesrat6 und am 6.09.2004 in den Deutschen Bundestag7 eingebracht. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte mit der Neuregelung die bisherige Verwaltungsauffassung in Abschn. 59 Abs. 4 KStR 1995 gesetzlich festgeschrieben und damit die Sonderbestimmung der Organschaft klarer von den allgemeinen Bestimmungen des Halbeinkünfteverfahrens abgegrenzt werden8. Das Gesetz wurde am 28.10.2004 vom Deutschen Bundestag beschlossen; der Deutsche Bundesrat stimmte am 26.11.2004 zu9. Am 15.12.2004 wurde das Richtlinien-Umsetzungsgesetz vom 09.12.2004 im Bundesgesetzblatt verkündet10. Die gesetzlichen Änderungen sind am 16.12.2004 in Kraft getreten.

Rechtsentwicklung der maßgeblichen Vorschriften – Rechtslage ab 2008[↑]

Mit dem Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.200711 –KStG 2002 n.F.– hat der Gesetzgeber eine Neuregelung für sog. organschaftliche Mehr- und Minderabführungen geschaffen. Nach der Regelung in § 14 Abs. 4 Satz 1 KStG 2002 n.F. ist für Minder- und Mehrabführungen, die ihre Ursache in organschaftlicher Zeit haben, ein besonderer aktiver oder passiver Ausgleichsposten in Höhe des Betrags zu bilden, der dem Verhältnis der Beteiligung des Organträgers am Nennkapital der Organgesellschaft entspricht. Mehr- oder Minderabführungen i.S. von § 14 Abs. 4 Satz 1 KStG 2002 n.F. liegen nach der Legaldefinition in § 14 Abs. 4 Satz 6 KStG 2002 n.F. „insbesondere vor, wenn der an den Organträger abgeführte Gewinn von dem Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft abweicht und diese Abweichung in organschaftlicher Zeit verursacht ist“. § 14 Abs. 4 KStG 2002 n.F. ist nach § 34 Abs. 9 Nr. 5 KStG 2002 n.F. auch für Veranlagungszeiträume vor 2008 anzuwenden.

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Einfachgesetzliche Rechtslage[↑]

Nach § 38 Abs. 2 KStG 2002 erhöht sich die Körperschaftsteuer des Veranlagungszeitraums, in dem das Wirtschaftsjahr endet, in dem Leistungen erfolgt sind, um 3/7 des Betrags der Leistungen, für die ein Teilbetrag aus dem Endbetrag i.S. des § 38 Abs. l KStG 2002 als verwendet gilt. Der nach § 38 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 fortgeschriebene Teilbetrag i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 2 KStG i.d.F. des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen vom 14.07.200012 –KStG 1999– (= Alt-EK 02) gilt gemäß § 38 Abs. l Satz 4 KStG 2002 als verwendet, soweit die Summe der Leistungen, die die Gesellschaft im Wirtschaftsjahr erbracht hat, den um den Bestand nach § 38 Abs. l Satz l KStG 2002 verminderten ausschüttbaren Gewinn (§ 27 KStG 2002) übersteigt. Als Leistungen sind dabei alle Auskehrungen an die Gesellschafter, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben, anzusehen13. Dies können sowohl offene Gewinnausschüttungen als auch verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA), aber auch andere Auskehrungen aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses, wie etwa Auszahlungen aus der Kapitalrücklage oder die Rückzahlung von Nachschüssen sein. Erfasst werden dabei Leistungen, die im Wirtschaftsjahr erbracht, d.h. abgeflossen sind14. § 14 Abs. 3 Satz l KStG 2002 bestimmt –wie ausgeführt–, dass Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger gelten. Sie gelten nach § 14 Abs. 3 Satz 3 KStG 2002 in dem Zeitpunkt als erfolgt, in dem das Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft endet. Ein Teilwertansatz nach § 13 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 ist dabei nach § 14 Abs. 3 Satz 4 KStG 2002 der vororganschaftlichen Zeit zuzurechnen.

Die Abweichung zwischen der Steuerbilanz und dem handelsbilanziellen Jahresüberschuss ist dabei im Sinne eines rein rechnerischen Differenzbetrags zu begreifen. Eine Mehrabführung kann mithin nicht nur in der Höhe vorliegen, in welcher die Organgesellschaft einen höheren handelsbilanziellen Jahresüberschuss (tatsächlich) an den Organträger abgeführt hat, sondern auch dann, wenn die Organgesellschaft handelsbilanziell einen geringeren Verlust erlitten hat, als dem Organträger steuerlich zugerechnet worden ist, und dieser daher einen geringeren Verlust ausgleichen musste (sog. Minderverlustübernahmen).

Was unter einer Mehrabführung i.S. des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 zu verstehen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 verwendet den Begriff zwar, definiert ihn aber nicht. Auch die entsprechende Legaldefinition in § 14 Abs. 4 Satz 6 KStG 2002 n.F. hilft insoweit nicht weiter. Denn diese Definition gilt nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nur für „Mehrabführungen im Sinne des Satzes 1“ und damit nur für sog. organschaftliche Mehrabführungen15. Sie ist zudem auch erst nach dem Streitjahr in das Gesetz eingefügt worden.

Der Begriff der Mehrabführung i.S. des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 muss deshalb in Ermangelung klarer gesetzlicher Vorgaben durch Auslegung ermittelt werden.

Eine „Mehrabführung“ setzt keinen tatsächlichen Vermögensabfluss voraus; es genügt eine rechnerische Differenz zwischen dem handelsbilanziellen Jahresüberschuss und der Steuerbilanz. Der Begriff der „Mehrabführung“ impliziert zunächst zwei Vergleichswerte, damit ein „Mehr“ festgestellt werden kann. Da § 14 KStG 2002 für die Anerkennung eines körperschaftsteuerlichen Organschaftsverhältnisses u.a. den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages nach § 291 Abs. 1 AktG verlangt und für den Umfang der Gewinnabführungspflicht nach § 301 AktG allein der handelsbilanzielle Jahresüberschuss maßgeblich ist4, ist diese Größe –der Jahresüberschuss– der Ausgangspunkt für den vorzunehmenden Vergleich. Der Vergleichswert ist sodann in Bezug zu setzen zu den Ergebnissen der Organgesellschaft nach der Steuerbilanz16, da steuerfreie Vermögensmehrungen, wie sie in dem nach § 14 Abs. 1 KStG 2002 dem Organträger zuzurechnenden Einkommen der Organgesellschaft enthalten sind, nicht als Mehrabführung erfasst werden sollen17. Beide Werte können auch als negative Werte verstanden werden. Nach § 302 AktG besteht eine Verpflichtung zum Ausgleich eines handelsbilanziellen Jahresfehlbetrags und der Gewinn nach Steuerbilanz kann negativ sein. Dies legt nahe, unter den Begriff der „Mehrabführung“ –entgegen Thiel18– auch eine „Minderverlustübernahme“ zu fassen. Die in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 n.F. angeordnete Rechtsfolge, dass Mehrabführungen als Gewinnausschüttungen gelten, ist unabhängig davon, ob eine tatsächliche Vermögensmehrung stattgefunden hat oder nur eine fingierte Vermögensübertragung in Form einer lediglich höheren Verlustübernahme19. Im Ergebnis kann damit in den Begriff der Mehrabführung nicht das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal eines tatsächlichen Vermögensübergangs „hineingelesen“ werden20. Letztlich kann auch nur so sichergestellt werden, dass der Begriff der „Abführung“ eine einheitliche Bedeutung sowohl für Mehr- wie auch Minderabführungen erhält.

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Die Richtigkeit der Überlegung wird deutlich, stellt man auf den Sinn und Zweck der Regelung ab. Haben Bilanzierungs- oder Bewertungsdifferenzen zwischen der Handels- und der Steuerbilanz im Ergebnis zur Bildung stiller Reserven nur in der Handelsbilanz der Organgesellschaft geführt, gehen diese im Fall ihrer Realisierung nicht in das Einkommen der Organgesellschaft ein und können im Rahmen der Organschaft beim Organträger nicht besteuert werden. Die Regelung in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 soll solches verhindern und erreichen, dass die stillen Reserven nach allgemeinen körperschaftsteuerlichen Bestimmungen als Gewinnausschüttungen behandelt werden. Mit diesem Regelungszweck ließe sich aber nicht vereinbaren, blieben die stillen Reserven als Mehrabführung ganz oder teilweise unbesteuert, weil das handelsbilanzielle Ergebnis negativ ist oder weil in der Steuerbilanz ein Verlust ausgewiesen wird.

Gestützt wird diese Auslegung weiter durch die fehlende Möglichkeit einer Saldierung von vororganschaftlichen und/oder organschaftlichen Mehr- und Minderabführungen. So scheidet eine Saldierung dieser Größen bereits wegen der unterschiedlichen gesetzlichen Tatbestände und der unterschiedlichen Rechtsfolgen in § 14 Abs. 3 KStG 2002 und § 14 Abs. 4 KStG 2002 n.F. aus. Ebenfalls ausgeschlossen ist eine Saldierung von in vororganschaftlicher Zeit verursachten Mehr- und Minderabführungen, da das Gesetz ausdrücklich in den Rechtsfolgen zwischen Gewinnausschüttungen und Einlagen differenziert und zudem die Begriffe der Mehr- und Minderabführung im Plural verwendet21. Hieraus wird deutlich, dass es eine einheitliche handelsrechtliche Gewinnabführung nicht gibt. Eine Mehrabführung kann daher nicht davon abhängig sein, dass ein positiver handelsbilanzieller Jahresüberschuss vorliegt22.

Das BFH, Urteil in BFHE 201, 221, BStBl II 2005, 49 steht dieser Auslegung nicht entgegen. Dem Urteil ist zu entnehmen, dass nur ein tatsächlicher Mittelabfluss das die Herstellung der Ausschüttungsbelastung i.S. des § 27 Abs. 1 KStG 1996 auslösende Moment sein kann. Der BFH hat sich damit aber zunächst lediglich mit dem Begriff der „Ausschüttung“ und den nach allgemeinen körperschaftsteuerlichen Bestimmungen daran anknüpfenden Rechtsfolgen auseinandergesetzt. Soweit er weiter erkannt hat, dass eine organschaftliche Mehrabführung im Fall eines Verlustes der Organgesellschaft nicht notwendigerweise einen Mittelabfluss bedeutet, kann hieraus, jedenfalls nachdem die gesetzliche Regelung des § 14 Abs. 3 KStG 2002 ergangen ist, nicht abgeleitet werden, eine „Mehrabführung“ könne bei einem Verlust der Organgesellschaft nicht vorliegen. Überdies hat der Bundesfinanzhof23 darauf hingewiesen, dass nach der seinerzeitigen Verwaltungsauffassung die rechnerische Differenz zwischen dem handelsrechtlichen und dem steuerlichen Ergebnis unabhängig von einem tatsächlichen Mittelfluss als „Mehrabführung“ behandelt werde. Gerade die Verwaltungsauffassung zu den vororganschaftlichen Mehrabführungen sollte indes nach der Gesetzesbegründung24 in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 rechtsprechungsbrechend „festgeschrieben“ werden.

Die streitgegenständlichen Abweichungen in der Steuerbilanz gegenüber dem handelsbilanziellen Jahresüberschuss der Klägerin in Höhe von 771.701 € haben ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit. Die Klägerin hat in ihrer Steuerbilanz zum 31.12.1990 ihre Wohnungsbestände gemäß § 13 Abs. 2 und 3 KStG 1984 auf die deutlich höheren Teilwerte aufgestockt und diese Werte in der Anfangsbilanz zum 1.01.1991 übernommen. In der Handelsbilanz hat die Klägerin dagegen die Buchwerte fortgeführt. Infolge der daraus resultierenden höheren Abschreibungsbeträge wurde im Streitjahr in der Steuerbilanz gegenüber der Handelsbilanz ein um 771.701 € niedrigeres Ergebnis ausgewiesen. Nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 14 Abs. 3 Satz 4 KStG 2002 ist ein Teilwertansatz nach § 13 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 der vororganschaftlichen Zeit zuzurechnen. Dieser der vororganschaftlichen Zeit ausdrücklich zugeordnete Bilanzansatz hat die streitgegenständliche Mehrabführung ausgelöst, wodurch diese wiederum, wie von § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 gefordert, vororganschaftlich „verursacht“ ist.

Das BFH, Urteil in BFHE 201, 221, BStBl II 2005, 49 widerspricht dieser Auslegung wiederum nicht. Der BFH hat zwar entschieden, dass die organschaftliche Gewinnabführung ihre Veranlassung insgesamt ausschließlich in dem abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrag hat und dementsprechend Mehrabführungen nicht in vororganschaftlicher, sondern in organschaftlicher Zeit entstanden sind. Die Entscheidung ist aber noch zu der in Abschn. 59 Abs. 4 KStR 1995 niedergelegten früheren Verwaltungsauffassung ergangen. Mit § 14 Abs. 3 KStG 2002 hat der Gesetzgeber dagegen vor dem Hintergrund einer bis dahin fehlenden gesetzlichen Regelung zu den vororganschaftlichen Mehr- oder Minderabführungen eine periodenübergreifende Verknüpfung des früheren Geschäftsvorfalls, der die Ursache für die Abführungsdifferenz ist, mit der späteren Mehrabführung vorgenommen. Auch wenn die Mehrabführung erst in organschaftlicher Zeit „realisiert“ wird, ist sie vororganschaftlich veranlasst, wenn die entsprechenden Bilanzansätze in vororganschaftlicher Zeit vorgenommen worden sind25.

Die streitgegenständliche vororganschaftliche Mehrabführung in Höhe von 771.701 € gilt gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 als Gewinnausschüttung und stellt auch in dieser Höhe eine Leistung i.S. des § 38 Abs. l Satz 3 KStG 2002 mit der Folge einer entsprechenden Körperschaftsteuererhöhung nach § 38 Abs. 2 KStG 2002 dar.

Als Leistungen sind nach der Rechtsprechung des BFHs alle Auskehrungen an die Gesellschafter anzusehen, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben26. Unstrittig fallen unter diesen Begriff damit (offene wie verdeckte) Gewinnausschüttungen. Erfasst werden Leistungen aber nur, wenn sie im Wirtschaftsjahr erbracht, d.h. abgeflossen sind27.

Dass dieser Abfluss ein tatsächlicher sein müsste, kann –ebenso wie bei dem Begriff der „Mehrabführung“– dem Begriff der „Leistung“ indes nicht entnommen werden. Indem § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 vororganschaftliche Mehrabführungen als Gewinnausschüttungen fingiert, ordnet das Gesetz vielmehr zugleich an, dass es sich hierbei auch um Leistungen i.S. von § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 handelt. Die gesetzliche Fiktion schlägt insoweit durch. Dass es sich tatsächlich nicht um Gewinnausschüttungen handelt, trägt keine abweichende Wertung28.

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Für den Streitfall folgt aus alledem: Die steuerlichen Mehrabschreibungen aufgrund des höheren steuerlichen Wertansatzes der Wohngebäude der Klägerin haben zu vororganschaftlich verursachten Mehrabführungen i.S. des § 14 Abs. 3 KStG 2002 in Höhe von 771.701 € geführt, für die als Leistung i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 gemäß § 38 Abs. 2 KStG 2002 eine entsprechende Körperschaftsteuererhöhung zu errechnen ist. Gemäß § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG 2002 ist die Neuregelung von § 14 Abs. 3 KStG 2002 auf Mehrabführungen einer Organgesellschaft, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31.12.2003 endet, anzuwenden. Die steuerlichen Mehrabschreibungen aufgrund des höheren steuerlichen Wertansatzes der Wohngebäude der Klägerin zum 1.01.1991 in Höhe von 771.701 € unterfallen damit im Streitjahr der Neuregelung des § 14 Abs. 3 KStG 2002.

Verfassungsrechtliche Beurteilung[↑]

Nach Überzeugung des vorlegenden BFHs verletzt die bezogen auf das Streitjahr in § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG 2002 angeordnete rückwirkende Anwendung von § 14 Abs. 3 KStG 2002 auf Mehrabführungen einer Organgesellschaft, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31.12.2003 endet, die Grundsätze rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes (Art.20 Abs. 3 GG).

Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes29. Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte30. Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte „ins Werk gesetzt“ worden sind31.

Eine sog. unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet32, beispielsweise, wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“)33. Sie ist grundsätzlich zulässig. Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen34.

Im Steuerrecht liegt eine unechte Rückwirkung vor, wenn der Gesetzgeber Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum ändert; denn nach § 38 der Abgabenordnung i.V.m. § 36 Abs. 1, § 25 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes bzw. § 30 Nr. 3 KStG 2002 entsteht die Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, d.h. des Kalenderjahres35.

Sofern eine Steuerrechtsnorm nach diesen Grundsätzen unechte Rückwirkung entfaltet, gelten für deren Vereinbarkeit mit der Verfassung nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG im Verhältnis zu sonstigen Fällen unechter Rückwirkung gesteigerte Anforderungen36. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass rückwirkende Regelungen innerhalb eines Veranlagungszeitraums, die danach der unechten Rückwirkung zugeordnet werden, in vielerlei Hinsicht den Fällen echter Rückwirkung nahe stehen. Allerdings ist auch in diesem Fall eine unechte Rückwirkung nicht grundsätzlich unzulässig37. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht aber insbesondere nicht so weit, den Regelungsadressaten vor jeder Enttäuschung zu bewahren38. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloße allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz39.

Wenn der Gesetzgeber das Körperschaftsteuerrecht während des laufenden Veranlagungszeitraums umgestaltet und die Rechtsänderungen auf dessen Beginn bezieht, bedürfen die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens deshalb stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit. Hier muss der Normadressat eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist40.

Nach diesen Maßstäben führt die Regelung des § 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002, nach der vororganschaftliche Mehrabführungen einer Organgesellschaft, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31.12.2003 endet, als Gewinnausschüttungen gelten und damit den allgemeinen körperschaftsteuerlichen Bestimmungen unterworfen werden, zu einer unechten Rückwirkung. Denn das Richtlinien-Umsetzungsgesetz ist am 15.12.2004 verkündet worden, seine belastenden Rechtsfolgen (hier: Behandlung vororganschaftlicher Mehrabführungen als Gewinnausschüttungen) treten jedoch –unter Rückgriff auf einen bereits zuvor ins Werk gesetzten Sachverhalt (Verpflichtung zur Abführung des handelsbilanziellen Jahresüberschusses aufgrund eines Ergebnisabführungsvertrages)– erst im Zeitpunkt der Entstehung der Körperschaftsteuer für das Streitjahr, also am 31.12.2004, ein.

Der ins Werk gesetzte Sachverhalt kann dabei nicht in der Mehrabführung selbst gesehen werden. § 14 Abs. 3 Satz 2 KStG 2002 fingiert die Mehrabführung als in dem Zeitpunkt erfolgt, in dem das Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft endet. Würde man auf diesen Zeitpunkt abstellen, läge dieser nach dem Zeitpunkt der Verkündung des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes, mithin läge keine unechte Rückwirkung vor. Allerdings vermag im Rahmen der Beurteilung, ob eine unechte Rückwirkung vorliegt oder nicht, die gesetzliche Fiktion einer Gewinnausschüttung zum Ende eines Kalenderjahres nicht den einmal ins Werk gesetzten Sachverhalt zu fingieren. Die hier zu beurteilende Rechtslage unterscheidet sich in diesem Punkt vom BFH-Urteil vom 6. März 201341. Dort war über die rückwirkende Berücksichtigung von Gewinnminderungen aus Teilwertabschreibungen zu befinden. Der BFH hat dabei für die verfassungsrechtliche Beurteilung der streitigen Rechtsvorschriften nicht darauf abgestellt, wann die Umstände, die zu einer Wertminderung der Beteiligung geführt haben, erstmalig vorgelegen haben. Dies ergab sich allerdings unmittelbar aus der streitigen Rechtsnorm selbst, die auf den Zeitpunkt des Bilanzstichtages als maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung mit dem Teilwert abgestellt hat. Dadurch war allein von Relevanz, ob die den Teilwert mindernden Umstände am Bilanzstichtag vorgelegen haben oder nicht.

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Damit genießen im Grundsatz vor dem Gesetzeserlass getätigte Dispositionen der Klägerin Vertrauensschutz und eine Enttäuschung ihres Vertrauens in die alte Rechtslage ist nur hinzunehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Allerdings sind Dispositionen umso weniger schutzwürdig, je größer der zeitliche Abstand zum letztlich ins Werk gesetzten Sachverhalt ist42.

Die Verpflichtung der Klägerin als Organgesellschaft, das handelsbilanzielle Ergebnis an den Organträger abzuführen, ist jedenfalls für das Streitjahr nicht auf eine besondere Vertrauensdisposition zurückzuführen. Eine von der Organgesellschaft maßgeblich verantwortete Dispositionsentscheidung ist zwar in dem Abschluss eines Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrages im Jahr 1990 zu sehen. Der Abschluss eines entsprechenden Vertrages kann jedoch nicht dazu führen, dass jede Änderung in der steuerlichen Behandlung des zugerechneten Einkommens nach § 14 Abs. 1 KStG 2002 aufgrund der 1990 getroffenen vertraglichen Dispositionen unmöglich wird. Ob eine Dispositionsentscheidung, die Vertrauensschutz begründen könnte, darin gesehen werden kann, dass die Klägerin ihre vertraglich bestehenden Kündigungsmöglichkeiten nicht wahrgenommen hat, kann offenbleiben.

Denn die Klägerin kann sich nach der Rechtsprechung des BVerfG gleichwohl auf Vertrauensschutz berufen. Berechtigtes Vertrauen besteht für sie danach vorrangig im Hinblick auf die Gewährleistungsfunktion der Rechtsordnung42.

Bereits mit der Einbringung des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung in den Deutschen Bundesrat am 13.08.2004, spätestens jedoch mit der Einbringung in den Deutschen Bundestag am 6.09.2004 sind die geplanten Gesetzesänderungen zur vororganschaftlichen Mehrabführung öffentlich geworden. Ab diesem Zeitpunkt sind mögliche zukünftige Gesetzesänderungen in konkreten Umrissen allgemein vorhersehbar. Deshalb konnte die Klägerin ab diesem Zeitpunkt nicht mehr darauf vertrauen, das gegenwärtig geltende Recht werde auch in Zukunft, insbesondere im Folgejahr, unverändert fortbestehen43. Ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Steuerrechtslage für den davor liegenden Zeitraum wird allerdings durch diese Vorgänge im Gesetzgebungsverfahren nicht beseitigt.

Um Vertrauensschutz gegen rückwirkende Gesetzesänderungen aus der Gewährleistungsfunktion des geltenden Rechts auslösen zu können, bedarf ein Geschäftsvorgang nach der Rechtsprechung des BVerfG eines erkenn- und belegbaren gesteigerten Grades der Abgeschlossenheit44. Von einer derartigen Abgeschlossenheit des Vorgangs ist hier auszugehen. Die für die Gewinnausschüttungsfiktion nach § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 maßgeblichen Sachverhalte, nämlich die Aufstockung der Werte des Wohnungsbestands in der Steuerbilanz zum 31.12.1990 und die darauf basierende unterschiedliche Entwicklung der handelsrechtlichen und steuerlichen Wertansätze sowie Begründung und Vollzug der steuerlichen Organschaft zwischen der Klägerin und der B-AG waren für das Streitjahr „definitiv“. Für die Klägerin und die B-AG bestand keine zumutbare Möglichkeit mehr, die Wirkungen der steuerlichen Organschaft und damit die Gewinnausschüttungsfiktion des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 für das Streitjahr zu verhindern.

Eine ordentliche Kündigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages wäre gemäß dessen § 5 Abs. 1 mit einer Frist von drei Monaten zum Jahresende zulässig gewesen, hätte also die steuerlichen Wirkungen der Organschaft für das Streitjahr nicht mehr abwenden können. Eine einvernehmliche Aufhebung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages durch die Vertragsbeteiligten wäre entsprechend § 296 Abs. 1 Satz 1 AktG zum Ende des Geschäftsjahres der Klägerin, mithin ebenfalls erst zum Ende des Streitjahres möglich gewesen; eine rückwirkende Aufhebung war entsprechend § 296 Satz 3 AktG ausgeschlossen45.

Ob die Schaffung des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 die Klägerin berechtigt hätte, den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag im Verlauf des Streitjahres außerordentlich sofort –unterjährig– mit der Folge zu kündigen, dass die Kündigung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 3 KStG 2002 steuerlich auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Klägerin zurückgewirkt hätte, wäre davon abhängig gewesen, ob die Einführung der Gewinnausschüttungsfiktion als wichtiger Grund zur Kündigung i.S. von § 297 Abs. 1 Satz 1 AktG, einzustufen ist. Grundsätzlich ist es zwar denkbar, dass eine gravierende Änderung der steuerlichen Rahmenbedingungen einen wichtigen Grund zur Kündigung eines Unternehmensvertrages darstellen könnte46. Der Klägerin war es jedoch im Zeitraum zwischen der Einbringung des Gesetzesvorhabens in den Deutschen Bundesrat und den Deutschen Bundestag im August/September 2004 bzw. dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestags vom 26.10.2004 und dem Jahresende nicht zumutbar, den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag aus wichtigem Grund zu kündigen in der Hoffnung, die Finanzverwaltung und ggf. die Gerichte würden die Gesetzesänderung dereinst als hinreichend wichtigen Kündigungsgrund anerkennen. Auf diese Weise hätte für die Vertragsparteien eine geraume Zeit der Ungewissheit bestanden, während derer nicht sicher war, ob der Vertrag noch wirksam war oder nicht.

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Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin nicht auf die bestehende Rechtslage habe vertrauen können, da bereits bei Abschluss des Ergebnisabführungsvertrages im Jahr 1990 in der Literatur umstritten gewesen sei, ob vororganschaftliche Mehrabführungen als Gewinnabführungen oder als Gewinnausschüttungen zu behandeln seien. Die Vorinstanz hat insoweit unberücksichtigt gelassen, dass die Rechtslage seit dem BFH, Urteil in BFHE 201, 221, BStBl II 2005, 49 geklärt war. Keine Rolle spielt in diesem Zusammenhang, dass die Finanzverwaltung sich zu diesem Urteil zunächst –weder positiv noch negativ– geäußert hatte. Es würde der Balance im System der Gewaltenteilung, der gegenüber anderen Gewalten geschuldeten Loyalität und damit letztlich dem Rechtsstaatsprinzip widerstreiten, wenn es die Finanzverwaltung dadurch, dass sie ein ihr missliebiges Urteil nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht, in der Hand hätte, Vertrauen des Bürgers in eine ständige Rechtsprechung a priori nicht entstehen zu lassen47. Im Übrigen hat sich das Bundesministerium der Finanzen am 22. Dezember 200448 darauf eingelassen, das BFH-Urteil in BFHE 201, 221, BStBl II 2005, 49 für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1.01.2004 enden, anzuwenden; auch von daher bestand für die Klägerin also keine Veranlassung, beizeiten tätig zu werden.

Besondere Gründe, welche die nachträgliche Belastung vor dem 6.09.2004 eingegangener Verpflichtungen zur Abführung des handelsbilanziellen Jahresüberschusses aufgrund eines Ergebnisabführungsvertrages rechtfertigen könnten, sind nicht zu erkennen. Die allgemeinen Ziele der Umgestaltung des Steuerrechts und der Erhöhung des Steueraufkommens rechtfertigen die rückwirkende Steuerbelastung nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht49.

Ein spürbarer Ankündigungs- oder Mitnahmeeffekt mit Blick auf die künftige steuerliche Behandlung vororganschaftlicher Mehrabführungen als Gewinnausschüttungen ließ sich durch die (unechte) Rückwirkung nicht verhindern. Auf Dauer wären wegen der bestehenden Kündigungsmöglichkeit der Ergebnisabführungsverträge auch bei ehemals gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen vororganschaftliche Mehrabführungen nicht als Gewinnausschüttungen zu erfassen gewesen.

Darüber hinaus ist nicht zu erkennen, dass das Ziel der rückwirkenden Regelung im Abbau zweckwidrig überschießender Vergünstigungseffekte zu sehen wäre. Der Gesetzesbegründung ist hierzu jedenfalls nichts zu entnehmen. Der BFH hat Zweifel an der Dringlichkeit der Realisierung dieses Ziels, da der Gesetzgeber auf das BFH, Urteil in BFHE 201, 221, BStBl II 2005, 49 erst nach zwei Jahren und erst auf die (verwaltungsinterne) Bitte der Finanzministerkonferenz vom 18. März 2004 hin reagiert hat.

Eine verfassungskonforme Auslegung von § 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 ist nicht möglich. Zum einen ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber angesichts des klaren Wortlauts von § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG 2002 bewusst entschieden hat, die Neuregelung des § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002 zu vororganschaftlichen Mehrabführungen erstmals für Mehrabführungen von Organgesellschaften anzuwenden, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31.12.2003 endet.

Dessen ungeachtet könnte nicht festgestellt werden, in welcher Weise der Gesetzgeber –hätte er die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung erkannt– diese beseitigt hätte. Zum einen hätte er bestimmen können, dass alle bis zum Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag wirksam abgeschlossenen Gewinnabführungsverträge nicht von der Neuregelung erfasst werden sollen. Der Gesetzgeber hätte aber auch darauf abstellen können, ab welchem Zeitpunkt bei einem vertragsgemäßen Verhalten eine Kündigungsmöglichkeit des Gewinnabführungsvertrages eröffnet wäre.

Zudem könnte eine Übergangsregelung gegen den ausdrücklichen Wortlaut und gegen den erkennbaren Willen des Gesetzgebers nur dann verfassungskonform ausgelegt werden, wenn es sich dabei um eine zu weit geratene –und damit verdeckt lückenhafte– Überleitungsbestimmung handeln würde, die auch Sachverhaltskonstellationen erfasst, für die der Gesetzgeber –hätte er sie bedacht– zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung eine besondere Anwendungsregelung getroffen hätte. Eine solche verdeckte Regelungslücke wäre im Wege der ergänzenden Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die verfassungsrechtlich erforderlichen Einschränkungen dem Gesetzeswortlaut hinzuzufügen sind50. Hierfür liegen dem Bundesfinanzhof allerdings ausweislich der Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte vor.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 6. Juni 2013 – I R 38/11

  1. BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321[]
  2. Abschn. 59 Abs. 4 Satz 3 KStR 1995; BMF, Schreiben vom 24.06.1996, BStBl I 1996, 695, und vom 28.10.1997, BStBl I 1997, 939; anders aber noch BMF, Schreiben vom 10.01.1981, BStBl I 1981, 44, 47[]
  3. vgl. die Nachweise im BFH, Urteil in BFHE 201, 221, BStBl II 2005, 49[]
  4. vgl. BFH, Urteil in BFHE 201, 221, BStBl II 2005, 49[][]
  5. BMF, Schreiben vom 22.12.2004, BStBl I 2005, 65[]
  6. BR-Drs. 605/04[]
  7. BT-Drs. 15/3677[]
  8. vgl. BT-Drs. 15/3677, S. 36[]
  9. BR-Drs. 838/04[]
  10. BGBl I 2004, 3310[]
  11. BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218[]
  12. BGBl I 2000, 1034, BStBl I 2000, 1192[]
  13. zuletzt BFH, Urteil vom 30.01.2013 – I R 35/11, BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560; BMF, Schreiben vom 04.06.2003, BStBl I 2003, 366, Tz. 11[]
  14. vgl. BFH, Urteile vom 09.06.2010 – I R 43/09, BFH/NV 2010, 2117; vom 19.12.2007 – I R 52/07, BFHE 220, 180, BStBl II 2008, 431; vom 29.05.1996 – I R 118/93, BFHE 180, 405, BStBl II 1997, 92; BMF, Schreiben vom 06.11.2003, BStBl I 2003, 575, Tz. 7[]
  15. vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 Rz 749; Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 14 Rz 1205; a.A. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz 404[]
  16. Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 14 Rz 749[]
  17. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 14 KStG Rz 402; Neumann, Ubg 2010, 673, 675[]
  18. Thiel in P. Kirchhof/K. Schmidt/W. Schön/K. Vogel, Steuer- und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl, Festschrift für Arndt Raupach, S. 543, 557[]
  19. ähnlich Pache in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 320[]
  20. so aber Neumann, Ubg 2010, 673, 675[]
  21. Brink in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 14 Rz 1215 f.[]
  22. ebenso Brink in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 14 Rz 1221[]
  23. BFH, Urteil in BFHE 201, 221, BStBl II 2005, 49, Rz 25[]
  24. Begründung des Regierungsentwurfs zum Richtlinien-Umsetzungsgesetz, BT-Drs. 15/3677, S. 36[]
  25. Thiel in P. Kirchhof/K. Schmidt/W. Schön/K. Vogel, a.a.O., S. 543, 550; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 14 KStG Rz 407; Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 14 Rz 750; Brink in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 14 Rz 1225; Pache in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 321; Dötsch/Pung, Der Konzern 2005, 37, 40; a.A. Rödder, DStR 2005, 217, 220[]
  26. zuletzt BFH, Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560; BMF, Schreiben in BStBl I 2003, 366, Tz. 11[]
  27. vgl. BFH, Urteile in BFH/NV 2010, 2117; in BFHE 220, 180, BStBl II 2008, 431; in BFHE 180, 405, BStBl II 1997, 92; BMF, Schreiben in BStBl I 2003, 575, Tz. 7[]
  28. vgl. auch zu der damit insoweit gleichgelagerten Frage, ob bei Vergütungen für Fremdkapital, die nach § 8a Abs. 1 Satz 1 KStG 1999 als vGA „gelten“, Kapitalertragsteuern erhoben werden können: BFH, Urteile vom 20.08.2008 – I R 29/07, BFHE 222, 500, BStBl II 2010, 142; vom 18.03.2009 – I R 13/08, BFH/NV 2009, 1613[]
  29. vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.06.1977 – 2 BvR 499/74, 2 BvR 1042/75, BVerfGE 45, 142[]
  30. vgl. BVerfG, Urteil vom 23.11.1999 – 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239[]
  31. vgl. BVerfG, Beschlüsse in BVerfGE 45, 142; vom 22.03.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343; vom 14.05.1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200; vom 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67[]
  32. vgl. BVerfG, Urteile in BVerfGE 101, 239; vom 10.06.2009 – 1 BvR 706/08, 1 BvR 814/08, 1 BvR 819/08, 1 BvR 832/08, 1 BvR 837/08, BVerfGE 123, 186[]
  33. vgl. BVerfG, Beschlüsse in BVerfGE 63, 343; in BVerfGE 72, 200; in BVerfGE 97, 67; vom 05.02.2002 – 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17; vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1[]
  34. ständige Rechtsprechung, z.B. BVerfG, Beschluss vom 15.10.1996 – 1 BvL 44/92, 1 BvL 48/92, BVerfGE 95, 64; BVerfG, Urteil in BVerfGE 101, 239; BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 18.02.2009 – 1 BvR 3076/08, BVerfGE 122, 374[]
  35. vgl. BVerfG, Beschlüsse in BVerfGE 72, 200; in BVerfGE 97, 67[]
  36. vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, DStR 2012, 2322, m.w.N.[]
  37. vgl. BVerfG, Beschlüsse in BVerfGE 127, 1; vom 07.07.2010 – 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BVerfGE 127, 31; vom 07.07.2010 – 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61[]
  38. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 08.03.1983 – 2 BvL 27/81, BVerfGE 63, 312; vom 10.04.1984 – 2 BvL 19/82, BVerfGE 67, 1; vom 30.09.1987 – 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256; BVerfG, Urteil vom 10.12.1985 – 2 BvL 18/83, BVerfGE 71, 255[]
  39. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17.07.1974 – 1 BvR 51/69, 1 BvR 160/69, 1 BvR 285/69, 1 BvL 16/72, 1 BvL 18/72, 1 BvL 26/72, BVerfGE 38, 61; vom 31.10.1984 – 1 BvR 35/82, 1 BvR 356/82, 1 BvR 794/82, BVerfGE 68, 193; in BVerfGE 105, 17; vom 05.11.2003 – 2 BvR 1243/03, BVerfGE 109, 13; vom 08.12.2009 – 2 BvR 758/07, BVerfGE 125, 104[]
  40. vgl. BVerfG, Beschlüsse in BVerfGE 127, 1; in BVerfGE 127, 31[]
  41. BFH, Urteil vom 06.03.2013 – I R 10/11, BFH/NV 2013, 1775[]
  42. vgl. BVerfG, Beschluss in BVerfGE 127, 31[][]
  43. vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss in DStR 2012, 2322, m.w.N.[]
  44. vgl. BVerfG, Beschluss in DStR 2012, 2322[]
  45. vgl. Brink in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 14 Rz. 544[]
  46. vgl. Gosch/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 262; Brink in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 14 Rz 579[]
  47. vgl. BFH, Beschluss vom 07.12.2010 – IX R 70/07, BFHE 232, 121, BStBl II 2011, 346[]
  48. BMF, Schreiben in BStBl I 2005, 65[]
  49. vgl. BVerfG, Beschluss in DStR 2012, 2322, m.w.N.[]
  50. vgl. BFH, Urteile vom 12.12.2000 – VIII R 10/99, BFHE 194, 135, BStBl II 2001, 282; vom 25.03.2004 – IV R 2/02, BFHE 206, 21, BStBl II 2004, 728; BFH, Urteil vom 19.10.2005 – I R 34/04, BFH/NV 2006, 1099, jeweils zur echten Rückwirkung; sowie BFH, Urteile vom 14.12.2006 – III R 27/03, BFHE 215, 442, BStBl II 2007, 332; vom 23.03.2011 – X R 28/09, BFHE 233, 404, BStBl II 2011, 753; BFH, Urteil vom 27.03.2012 – I R 62/08, BFHE 236, 543, BStBl II 2012, 745, jeweils zur unechten Rückwirkung[]
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