Lohnsteuer wird auf die Einkommensteuer grundsätzlich nur angerechnet, wenn sie auf tatsächlich -zu Recht oder zu Unrecht- bei der Veranlagung erfasste Einnahmen entfällt. Ein nach der Anrechnung der Lohnsteuer auf die Einkommensteuer entstehender Erstattungsanspruch steht in aller Regel auch dann dem Arbeitnehmer und nicht dem Arbeitgeber zu, wenn die Lohnsteuer zu Unrecht einbehalten und abgeführt worden ist. Führt der Arbeitgeber (versehentlich) Lohnsteuer ab, ohne dem Arbeitnehmer (im Übrigen) Arbeitslohn gezahlt zu haben, steht der Erstattungsanspruch dem Arbeitgeber jedenfalls dann zu, wenn die (versehentlich) abgeführte Lohnsteuer bei der Veranlagung nicht ihrerseits als Einnahme erfasst worden ist.

Die Anrechnung ist nicht Teil des Steuerfestsetzungs- sondern des Steuererhebungsverfahrens und wird durch einen selbständigen (deklaratorischen) Verwaltungsakt mittels Anrechnungsverfügung oder Abrechnungsbescheid herbeigeführt1. Dies gilt auch, wenn Steuerfestsetzung und Anrechnungsverfügung in einem Bescheid (lediglich formal) zusammengefasst sind2.
Lohnsteuer wird nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG grundsätzlich nur angerechnet, wenn sie auf tatsächlich -zu Recht oder zu Unrecht- bei der Veranlagung erfasste Einnahmen entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist3.
In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist außerdem geklärt, dass ein etwaiger Erstattungsanspruch in aller Regel auch dann dem Arbeitnehmer und nicht dem Arbeitgeber zusteht, wenn die Lohnsteuer zu Unrecht einbehalten und abgeführt worden ist4. Dem entspricht § 37 Abs. 2 Satz 1 AO, wonach demjenigen ein Anspruch auf Rückzahlung eines zu Unrecht geleisteten Betrags zusteht, für dessen Rechnung die betreffende Leistung erfolgt ist. Denn auch dann, wenn der Arbeitgeber eine nicht geschuldete Lohnsteuer abführt, leistet er sowohl aus seiner eigenen Sicht als auch aus derjenigen der Finanzbehörde für Rechnung des Arbeitnehmers; die Zahlung stellt sich also in dieser Situation für den Leistenden wie für den Empfänger als Leistung des Arbeitnehmers dar5. Deshalb ist eine nicht geschuldete und mithin zu Unrecht an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer nur auf die Einkommensteuer des Arbeitnehmers anzurechnen, nicht aber dem Arbeitgeber zu erstatten.
Der Bundesfinanzhof hat ebenfalls entschieden, dass die abgeführte Lohnsteuer kein Arbeitslohn ist, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer -wie im Streitfall- kein Gehalt zahlt und den Lohnsteuerabzug dennoch durchgeführt hat. In einem solchen Fall steht, weil kein Lohn gezahlt wurde und gezahlt werden sollte, allein eine rechtsgrundlose Steuerzahlung in Rede. Deshalb ist in einem solchen Fall nicht der Arbeitnehmer sondern der Arbeitgeber steuererstattungsberechtigt6. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG kann durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer (nur) insoweit auf die Einkommensteuer angerechnet werden, als sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt. Schon nach diesem Wortlaut der Vorschrift kann nicht zweifelhaft sein, dass auf die Einkommensteuer keine Steuerbeträge angerechnet werden können, die nicht auf bei der Veranlagung erfasste Einkünfte entfallen.
Das gilt insbesondere auch, wenn vom Arbeitgeber Lohnsteuer angemeldet und abgeführt worden ist, die in Wahrheit nicht entstanden ist, weil der der Steueranmeldung zugrunde gelegte Arbeitslohn dem Arbeitnehmer -wie im Streitfall dem Arbeitnehmer- nicht zugeflossen ist und daher nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG Lohnsteuer von vornherein nicht zu erheben war. Dies ist nach der Systematik des Gesetzes eindeutig und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Meldet der Arbeitgeber in einem solchen Fall zu Unrecht Lohnsteuer an und führt sie ab, obwohl sie nicht zu erheben war, steht ihm nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO der Erstattungsanspruch zu, da die rechtsgrundlose Zahlung bei dieser Gestaltung nicht auf Rechnung des Arbeitnehmers sondern des Arbeitgebers erfolgt7. Neben diesem Anspruch ist für eine Anrechnung der abgeführten Lohnsteuer zugunsten des Arbeitnehmers und eine Erstattung überschüssiger Beträge an diesen kein Raum.
Zwar hat der Bundesfinanzhof die ursprünglich geäußerte Rechtsauffassung8 jedenfalls für den Fall, dass der Lohnsteuerabzug nicht mehr geändert werden kann (§ 41c Abs. 3 EStG), aufgegeben9. Ob daran weiterhin festzuhalten ist10, könnte im vorliegenden Fall in einem künftigen Revisionsverfahren allerdings ebenfalls nicht geklärt werden. Denn die Arbeitnehmer haben vor dem Finanzgericht nicht beantragt, den Arbeitslohn des Arbeitnehmers im Rahmen der Steuerfestsetzungen für die Streitjahre um die vom früheren Arbeitgeber des Arbeitnehmers abgeführte Lohnsteuer höher anzusetzen. Sie haben es ausweislich der Entscheidungsgründe des Finanzgericht, Urteils vielmehr ausdrücklich abgelehnt, die Berücksichtigung weiterer Einkünfte des Arbeitnehmers aus nichtselbständiger Arbeit zu beantragen.
Ohne einen solchen Antrag der Arbeitnehmer war das Finanzgericht wegen des Verbots einer verbösernden Entscheidung von vornherein daran gehindert, die Einkommensteuer für die Streitjahre höher festzusetzen und weitere Einkünfte des Arbeitnehmers aus nichtselbständiger Arbeit der Besteuerung zu unterwerfen. Über den Antrag der Arbeitnehmer konnte es nicht hinausgehen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), selbst wenn die Berücksichtigung höherer Arbeitslöhne des Arbeitnehmers und damit eine höhere Steuerfestsetzung in materiell-rechtlicher Hinsicht zutreffend und für die Anrechnung der Lohnsteuer günstiger gewesen sein sollte.
Hierdurch unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der dem BFH, Urteil in BFHE 226, 53, BStBl II 2010, 72 zugrunde lag. Denn auch nach der vom Bundesfinanzhof dort vertretenen Auffassung kommt eine Anrechnung der Lohnsteuer beim Arbeitnehmer nur in Betracht, wenn die Lohnsteuer auf tatsächlich bei der Einkommensteuerveranlagung -zu Recht oder zu Unrecht- erfasste Einnahmen entfällt11. Gerade aus diesem Grund hat der Bundesfinanzhof in seinem Urteil in BFHE 226, 53, BStBl II 2010, 72 die Klage der dortigen Arbeitnehmer, die Einkommensteuer höher festzusetzen, ausnahmsweise als zulässig angesehen. Eine solche Situation liegt im Streitfall allerdings nicht vor. Unter den im Streitfall gegebenen Umständen waren die im Zusammenhang mit der Anrechnung/Erstattung der Lohnsteuer in Zusammenhang stehenden, von den Arbeitnehmern aufgeworfenen Rechtsfragen auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung vielmehr offenkundig so zu beantworten, wie es das Finanzgericht getan hat.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25. August 2020 – VI B 1/20
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteile vom 19.07.1994 – VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362; vom 17.06.2009 – VI R 46/07, BFHE 226, 53, BStBl II 2010, 72; und vom 25.10.2011 – VII R 55/10, BFHE 235, 115, BStBl II 2012, 220, Rz 12, 13[↩]
- BFH, Beschluss vom 13.01.2005 – VII B 147/04, BFHE 208, 404, BStBl II 2005, 457[↩]
- BFH, Urteile vom 19.12.2000 – VII R 69/99, BFHE 194, 162, BStBl II 2001, 353, in BFHE 226, 53, BStBl II 2010, 72; und vom 12.11.2013 – VII R 28/12, Rz 10; BFH, Beschluss vom 03.08.2010 – VII B 70/10, Rz 7[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 226, 53, BStBl II 2010, 72, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile vom 29.11.2001 – I R 102/99, BFHE 194, 69, BStBl II 2001, 195, und in BFHE 226, 53, BStBl II 2010, 72[↩]
- BFH, Urteil vom 24.11.1961 – VI 88/61 U, BFHE 74, 246, BStBl III 1962, 93; BFH, Beschluss vom 15.11.1999- VII B 155/99, BFH/NV 2000, 547[↩]
- BFH, Beschluss in BFH/NV 2000, 547[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 74, 246, BStBl III 1962, 93[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 226, 53, BStBl II 2010, 72[↩]
- zur Kritik an dem BFH, Urteil in BFHE 226, 53, BStBl II 2010, 72 s. z.B. Schmidt/Krüger, EStG, 39. Aufl., § 19 Rz 100 „Lohnsteuer“; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 36 Rz 11[↩]
- s. dazu auch Geserich, HFR 2009, 1202[↩]