Aufhebung einer Anrufungsauskunft

Eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG kann entsprechend § 207 Abs. 2 AO mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden1. Die Aufhebung oder Änderung einer Anrufungsauskunft ist jedoch ermessensfehlerhaft, wenn das Finanzamt zu Unrecht von deren Rechtswidrigkeit ausgeht.

Aufhebung einer Anrufungsauskunft

Sowohl die Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) als auch deren Aufhebung stellen nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Verwaltungsakte i.S. des § 118 Satz 1 AO dar2.

§ 42e EStG enthält für die Aufhebung bzw. Änderung einer Anrufungsauskunft keine eigene Korrekturbestimmung. Das Fehlen einer solchen Korrekturvorschrift stellt eine Gesetzeslücke dar, die durch entsprechende Anwendung des § 207 Abs. 2 AO zu schließen ist3.

Kann danach auch eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG entsprechend § 207 Abs. 2 AO für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden, so bedeutet dies, dass die Aufhebung oder Änderung der Anrufungsauskunft in das Ermessen der Behörde („kann“) gestellt ist. Die Vorschrift macht die Entscheidung von sachgerechten Ermessenserwägungen der Behörde abhängig (§ 5 AO). Abzuwägen ist insbesondere, ob das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Einhaltung der Anrufungsauskunft größeres Gewicht hat als der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der die Durchsetzung des „richtigen Rechts“ verlangt4.

Die Aufhebung oder Änderung einer formell und materiell rechtmäßigen Anrufungsauskunft ist hiernach in der Regel unzulässig, wenn die Gründe für ihre Erteilung fortbestehen, der Steuerpflichtige sein Vertrauen bereits betätigt hat und über ein besonderes steuerliches Interesse an der Anrufungsauskunft verfügt5. Denn in einem solchen Fall kann die Durchsetzung des „richtigen Rechts“ -und damit der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung- die Aufhebung oder Änderung der Anrufungsauskunft grundsätzlich nicht verlangen. Für die Aufhebung oder Änderung einer rechtmäßigen Anrufungsauskunft muss deshalb ein besonderer, sachgerechter Anlass gegeben sein6. Ein solcher Anlass kann u.a. vorliegen, wenn sich die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung ändert. Da sich die gerichtliche Überprüfung einer Anrufungsauskunft nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs darauf beschränkt, ob die gegenwärtige rechtliche Einordnung des -zutreffend erfassten- zur Prüfung gestellten Sachverhalts in sich schlüssig und nicht evident rechtsfehlerhaft ist7, kann ein Widerruf auch dann sachgerecht sein, wenn sich die allgemeine Verwaltungsauffassung zu der die Auskunft betreffenden Rechtsfrage ändert und die -gegebenenfalls auch von der Rechtsprechung abweichende- geänderte Rechtsauffassung ihren Niederschlag in allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder die Finanzverwaltung bindenden Anwendungsschreiben (z.B. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen oder Verfügung einer Oberfinanzdirektion) findet.

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Ermessensentscheidungen der Finanzbehörden unterliegen gemäß § 102 FGO (i.V.m. § 121 FGO) nur einer eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Sie können im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat im vorliegenden Fall das Hessische Finanzgericht zu Recht angenommen8, dass der Widerruf der Anrufungsauskunft wegen fehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig ist (§ 5 AO). Zwar hat das Finanzamt entsprechend § 207 Abs. 2 AO eine Ermessensentscheidung getroffen. Zur Begründung dieser Entscheidung (§ 121 Abs. 1 AO) hat es aber ausschließlich ausgeführt, die der Arbeitgeberin erteilte Auskunft sei materiell-rechtlich unzutreffend gewesen. Die der Arbeitgeberin ursprünglich erteilte Anrufungsauskunft vom 21.04.2011 war jedoch, wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, rechtmäßig, so dass der auf der gegenteiligen Annahme beruhende Widerruf der Anrufungsauskunft auf einem Ermessensfehlgebrauch beruht.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. September 2021 – VI R 19/19

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 02.09.2010 – VI R 3/09, BFHE 230, 500, BStBl II 2011, 233[]
  2. s. BFH, Urteil vom 02.09.2010 – VI R 3/09, BFHE 230, 500, BStBl II 2011, 233, Rz 12[]
  3. s. BFH, Urteil in BFHE 230, 500, BStBl II 2011, 233, Rz 14[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 230, 500, BStBl II 2011, 233, Rz 17[]
  5. s. BFH, Urteil vom 02.09.2009 – I R 20/09, BFH/NV 2010, 391, unter II. 1.; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 207 AO Rz 22; Koenig/Intemann, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 207 Rz 17; jeweils zur verbindlichen Auskunft; Bleschick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 42e EStG Rz 26[]
  6. s. BFH, Urteil in BFH/NV 2010, 391, unter II. 1.; Schallmoser in HHSp, § 207 AO Rz 22; Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 207 Rz 6; jeweils zur verbindlichen Auskunft[]
  7. BFH, Urteil vom 07.05.2014 – VI R 28/13, Rz 10[]
  8. Hess.FG, Urteil vom 11.04.2019 – 6 K 306/18[]
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