Aufhebung einer Anrufungsauskunft

Die Aufhebung – also die Rücknahme oder der Widerruf – einer dem Arbeitgeber erteilten Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) ist ein Verwaltungsakt im Sinne von § 118 Satz 1 AO1. Die Finanzbehörde kann eine Anrufungsauskunft analog § 207 Abs. 2 AO mit Wirkung für die Zukunft aufheben oder ändern.

Aufhebung einer Anrufungsauskunft

Sowohl die Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) als auch deren Aufhebung stellen Verwaltungsakte im Sinne des § 118 Satz 1 AO dar. Zwar hat der Bundesfinanzhof in seiner früheren Rechtsprechung der Anrufungsauskunft nach § 42e EStG lediglich den Charakter einer bloßen Wissenserklärung zuerkannt. Der Bundesfinanzhof hat diese Rechtsprechung jedoch im April 2009 aufgegeben2 aufgegeben und die Anrufungsauskunft als feststellenden Verwaltungsakt qualifiziert. Dabei ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch unbeachtlich, dass das Finanzamt die Anrufungsauskunft lediglich „grundsätzlich“ erklärt hat. Angesichts des Wortlauts von § 42e EStG („hat auf Anfrage … Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind“) ist eine Beschränkung der Regelungswirkung nicht möglich.

§ 42e EStG enthält für die Aufhebung bzw. Änderung einer Anrufungsauskunft keine eigene Korrekturbestimmung. Demgegenüber eröffnet der die Außenprüfung betreffende § 207 Abs. 2 AO die Möglichkeit, eine verbindliche Zusage mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben oder zu ändern. Eine Einschränkung ergibt sich lediglich aus dem Umstand, dass die Maßnahme in das Ermessen des Finanzamts gestellt ist3. Vergleichbares gilt gemäß § 89 Abs. 2 AO in Verbindung mit § 2 Abs. 3 der Steuer-Auskunftsverordnung für nach dem 12. September 2006 erteilte verbindliche Auskünfte. Der Bundesfinanzhof sieht in dem Fehlen einer Korrekturvorschrift für die Lohnsteueranrufungsauskunft eine Gesetzeslücke, die durch entsprechende Anwendung des § 207 Abs. 2 AO zu schließen ist4.

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Der Bundesfinanzhof hat5 seine Rechtsprechung zur Rechtsnatur der Anrufungsauskunft mit der Rechtsentwicklung im Bereich der verbindlichen Zusage (und verbindlichen Auskunft) und der Vermeidung von ansonsten auftretenden Wertungswidersprüchen zwischen diesem Institut und der Anrufungsauskunft begründet. Wenn der Gesetzgeber Steuerpflichtigen aus Gründen der Planungs- und Entscheidungssicherheit Rechtsschutz in Form von Zusagen bereits vor der eigentlichen Steuerfestsetzung gewährt, so darf der Rechtsschutz im Bereich des § 42e EStG für den Arbeitgeber, der zudem Entrichtungsempfänger ist und für Lohnsteuerzwecke vom Fiskus in Anspruch genommen wird, nicht schwächer ausfallen. Die vom Senat damit angesprochene Wertungsgleichheit zwischen der Zusage und der Anrufungsauskunft ist nicht auf die Frage des Rechtsschutzes beschränkt, sondern erfordert auch einen Gleichklang im Bereich der Korrekturmöglichkeiten. Denn die Gründe, die den Gesetzgeber veranlasst haben, im Fall einer verbindlichen Zusage wegen der Vorverlagerung des Verwaltungshandelns von einer minderen Verbindlichkeit auszugehen und deshalb die Korrekturmöglichkeiten zu erleichtern, gelten auch für die Anrufungsauskunft. Da die verbindliche Zusage in die Zukunft wirkt, sind das Dispositionsinteresse des Steuerpflichtigen und die Fundamentalprinzipien der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung in angemessener Weise sachgerecht auszugleichen. Dabei hat es der Gesetzgeber für richtig erachtet, der Finanzbehörde zu ermöglichen, sich von einer eingegangenen Selbstverpflichtung ex nunc wieder lösen zu können. Dies gilt wegen des Gebots der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns insbesondere dann, wenn die verbindliche Zusage ohne Rechtsgrundlage oder unter Verstoß gegen materielles Recht erteilt wurde. Die Korrekturvorschriften des § 130 und § 131 AO werden dem Erfordernis, im Fall eines vorverlagerten Verwaltungshandelns eine erleichterte Korrekturmöglichkeit zu eröffnen, nicht gerecht.

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Das Bedürfnis nach einer eigenständigen Korrekturmöglichkeit für die Lohnsteueranrufungsauskunft gemäß § 42e EStG ist zwar erst durch die genannte Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs6 entstanden. Nach Überzeugung des Bundesfinanzhofs hätte der Gesetzgeber jedoch die dadurch offenbar gewordene Regelungslücke sachgerecht durch eine am Inhalt des § 207 Abs. 2 AO orientierte Norm geschlossen7.

Kann danach entsprechend § 207 Abs. 2 AO auch eine Anrufungsauskunft unter erleichterten Bedingungen für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden, so bedeutet dies nicht, dass die Behörde grundsätzlich ohne jede weitere Voraussetzung zur Aufhebung oder Änderung befugt ist. § 207 Abs. 2 AO stellt die Aufhebung oder Änderung der verbindlichen Zusage in das Ermessen der Behörde („kann“). Die Vorschrift stellt also die Aufhebung oder Änderung des Verwaltungsakts für die Zukunft nicht generell frei; sie macht die Entscheidung vielmehr von sachgerechten Erwägungen der Behörde abhängig. Abzuwägen ist insbesondere, ob das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Einhaltung der verbindlichen Zusage größeres Gewicht hat als der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der die Durchsetzung des „richtigen Rechts“ verlangt8.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. September 2010 – VI R 3/09

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 30.04.2009 – VI R 54/07, BFHE 225, 50[]
  2. BFH, Urteil vom 30.04.2009 – VI R 54/07, BFHE 225, 50[]
  3. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 207 AO Rz 10[]
  4. gleiche Ansicht: Schulze Grotthoff, BB 2009, 2123; a.A. Heuermann, Die steuerliche Betriebsprüfung 2009, 275[]
  5. vgl. BFH, Urteil in BFHE 225, 50[]
  6. in BFH, Urteil in BFHE 225, 50[]
  7. siehe dazu Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO Rz 351[]
  8. Schick in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 207 AO Rz 21, 26 ff.; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 207 AO Rz 10 ff.[]
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