Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts richtet sich maßgeblich nach dessen Tenor und nicht nach der (fehlerhaften) Überschrift. Bei der Auslegung können auch vom Steuerpflichtigen eingereichte Unterlagen herangezogen werden, wenn das Finanzamt klar zum Ausdruck bringt, dass es sich deren Inhalt zu eigen gemacht hat.

Ist Lohnsteuer nachzuerheben, weil sie vom Arbeitgeber nicht vorschriftsmäßig einbehalten und abgeführt worden ist, kommt eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers durch Haftungsbescheid oder durch Nachforderungs-(Pauschalierungs-)bescheid (Steuerbescheid) in Betracht.
Die pauschalierte Lohnsteuer, die der Arbeitgeber selbst schuldet, weist gegenüber einer vom Arbeitnehmer geschuldeten Lohnsteuer, für die der Arbeitgeber lediglich haftet, wesentliche Unterschiede auf. Der Steuerbescheid dient der Festsetzung einer Steuerschuld gegenüber dem Steuerschuldner (§ 155 AO). Dagegen wird durch einen Haftungsbescheid eine Person für die Steuerschuld eines anderen in Anspruch genommen (§ 191 AO). Diese Unterschiede und das Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit eines Verwaltungsakts (§ 119 Abs. 1 AO) schließen es aus, dass vom Arbeitgeber pauschalierte Lohnsteuer und Lohnsteuer, für die er haftet, mit einheitlichem Bescheid angefordert werden1. Zulässig ist es jedoch, dass das Finanzamt auf einem einheitlichen Vordruck -lediglich äußerlich zusammengefasst- einen Pauschalierungsbescheid und einen Haftungsbescheid erlässt2.
Ob ein einheitlicher (Haftungs-)Bescheid oder ein nur äußerlich zusammengefasster, kombinierter Pauschalierungs- und Haftungsbescheid vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln.
Der Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts bestimmt sich dabei nicht nach dem, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat3. Maßgebend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) verstehen konnte4. Die Auslegung des Verwaltungsakts muss dabei einen Anhalt in der bekanntgegebenen Regelung haben5.
Bei der Auslegung eines Bescheids ist zudem nicht allein auf dessen Tenor abzustellen, sondern auch auf den materiellen Regelungsgehalt einschließlich der für den Bescheid gegebenen Begründung. Zweifel gehen dabei zu Lasten der Behörde6.
Bei Heranziehung dieser Rechtsgrundsätze hat im vorliegenden Fall das Finanzgericht Berlin-Brandenburg7 erstinstanzlich zu Unrecht entschieden, dass es sich bei dem angefochtenen Bescheid nicht um einen äußerlich verbundenen Pauschalierungs- und Haftungsbescheid handelt:
Der angefochtene Bescheid ist dahingehend auslegungsfähig und -bedürftig, dass es sich nicht (nur) um einen Haftungsbescheid, sondern um einen zusammengefassten Pauschalierungs- und Haftungsbescheid handelt. Dieser ist auch hinreichend bestimmt und nicht -wie das Finanzgericht Berlin-Brandenburg gemeint hat- unklar. Etwas anderes folgt insbesondere nicht aus früheren Entscheidungen des Bundesfinanzhofs8.
Zwar ist der Bescheid ausschließlich als „Haftungsbescheid“ überschrieben. Aber auch wenn ein Verwaltungsakt die Überschrift „Haftungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer“ trägt und in dem Bescheid von einer Haftung nach § 42d EStG „für die nachstehend unter ‚H‘ aufgeführten Beträge“ gesprochen wird, kann der Verwaltungsakt dahingehend auslegungsfähig sein, dass es sich bei ihm nicht allein um einen Haftungsbescheid, sondern tatsächlich um einen zusammengefassten Haftungs- und Steuerbescheid (Pauschalierungsbescheid) handelt9. Dem steht die fehlerhafte Überschrift (Bezeichnung) eines Verwaltungsakts nicht entgegen, da für die Auslegung dessen Regelungsgehalts auf den verfügenden Teil, den Tenor, abzustellen ist.
Die Auslegungsbedürftig- und Auslegungsfähigkeit des streitgegenständlichen Bescheids ergibt sich vorliegend daher schon daraus, dass in den im Tenor aufgeführten Beträgen nach den dortigen Ausführungen des Finanzamtes nicht nur Haftungsbeträge nach § 42d EStG, sondern auch Pauschalsteuern enthalten sind. Dies folgt nicht nur aus dem ausdrücklichen Verweis des Finanzamtes auf die Pauschalierungsvorschriften in §§ 37a, 37b, 40, 40a, 40b EStG, sondern auch aus den vom Finanzamt in Bezug genommenen Schreiben der Arbeitgeberin, in denen diese nicht nur mitgeteilt hat, Lohnsteuer in Höhe von insgesamt … € nicht einbehalten und abgeführt zu haben, sondern betreffend des Sachverhalts „Y“ eine Pauschalierung nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 1a EStG in Höhe von … € vornehmen zu wollen. Die in Bezug genommenen Schreiben der Arbeitgeberin enthalten detaillierte Anlagen, in denen nicht nur die für die „Z“ angefallene Lohnsteuer samt Solidaritätszuschlag getrennt für die Jahre 2012 bis 2015, sondern auch die einzelnen Pauschalierungsbeträge mit Bemessungsgrundlage, Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer getrennt für die Jahre 2014 und 2015 sowie getrennt nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 1a EStG ausgewiesen sind.
Die Gesamtumstände des Falls machen deutlich, dass das Finanzamt vorliegend einen kombinierten Pauschalierungs- und Haftungsbescheid erlassen wollte, auch wenn dieser nur als „Haftungsbescheid“ überschrieben ist. So führt es einleitend aus, die Überprüfung der von der Arbeitgeberin mitgeteilten Sachverhalte habe ergeben, dass diese sowohl hafte als auch Steuern schulde.
Anders konnte die Arbeitgeberin den angefochtenen Bescheidauch nicht verstehen. Denn die Summe der dort festgesetzten Haftungsbeträge und Pauschalsteuern (Nachforderungsbeträge) entspricht den von ihr selbst mitgeteilten Beträgen. Dies macht auch die Begründung des Bescheids deutlich. Dort ist nicht nur von Haftung, sondern auch von Pauschalierung die Rede. So findet sich in dem Bescheid der erläuternde Hinweis, dass bei den unter „H“ aufgeführten Beträgen auch Pauschalsteuer enthalten sei. Zudem hat es zwischen den Beteiligten in der Angelegenheit ausweislich der Begründung des Bescheids ein klärendes Telefonat gegeben.
Entgegen der Ansicht des Finanzgericht können die in Bezug genommenen Schreiben der Arbeitgeberin bei der Auslegung herangezogen werden. Denn auch wenn es sich hierbei ursprünglich nicht um Unterlagen des Finanzamtes handelte, hat die Behörde vorliegend klar zum Ausdruck gebracht, dass sie sich deren Inhalt zu eigen macht.
Demgemäß ist der angefochtene Bescheid auch hinreichend bestimmt. Denn das Finanzamt nimmt die Arbeitgeberin darin lediglich für die von dieser ausweislich der Schreiben vom 02.04.2016; und vom 28.10.2016 selbst berechneten und im Einzelnen aufgeschlüsselten Steuerschulden in Anspruch. Aufgrund dessen ist für die Arbeitgeberin eindeutig ersichtlich, in welcher Höhe sie nach Auffassung des Finanzamtes für pauschale Lohnsteuerschulden einerseits und Haftungsschulden andererseits einzustehen hat.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 1. September 2021 – VI R 38/19
- z.B. BFH, Urteil vom 28.01.1983 – VI R 35/78, BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472[↩]
- s. BFH, Urteil vom 16.11.1984 – VI R 176/82, BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 22.10.2019 – VII R 24/18, BFHE 267, 90, Rz 16[↩]
- BFH, Urteile vom 18.07.1994 – X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4; und vom 30.11.1999 – IX R 57/98, BFH/NV 2000, 678, unter II. 1.a, jeweils m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile vom 27.11.1996 – X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791, unter 3., m.w.N.; und vom 19.01.2021 – VII R 38/19, Rz 31[↩]
- BFH, Urteil vom 06.11.2019 – II R 34/16, BFHE 267, 440, BStBl II 2020, 465, Rz 19[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.10.2019 – 4 K 4168/17[↩]
- BFH, Urteile vom 02.12.1983 – VI R 47/80, BFHE 140, 143, BStBl II 1984, 362; in BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472; in BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266; vom 15.03.1985 – VI R 30/81, BFHE 143, 226, BStBl II 1985, 581; Beschluss vom 01.08.1985 – VI R 28/79, BFHE 144, 244, BStBl II 1985, 664[↩]
- s. Thüringer FG, Urteil vom 21.11.2018 – 4 K 712/15, EFG 2021, 312, betreffend die Auslegung eines „Bescheids über die Festsetzung von Kapitalertragsteuer“ als Haftungsbescheid – Revision anhängig unter – I R 14/20[↩]