Die „Sensibilisierungswoche“ als Arbeitslohn

Leistungen des Arbeitgebers zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands der Arbeitnehmer und zur betrieblichen Gesundheitsförderung können zu steuerbarem Arbeitslohn führen, wenn sich die Vorteile bei objektiver Würdigung aller Umstände als Entlohnung und nicht lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen erweisen.

Die „Sensibilisierungswoche“ als Arbeitslohn

Mit der Teilnahme an einer Sensibilisierungswoche wendet der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern mithin steuerbaren Arbeitslohn zu.

Dies hat der Bundesfinanzhof aktuell zu einem einwöchigen Seminar zur Vermittlung grundlegender Erkenntnisse über einen gesunden Lebensstil entschieden. Die im Streitfall von der Arbeitgeberin ihren Arbeitnehmern angebotene „Sensibilisierungswoche“ umfasste u.a. Kurse zu gesunder Ernährung und Bewegung, Körperwahrnehmung, Stressbewältigung, Herz-Kreislauf-Training, Achtsamkeit, Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit.

Das Finanzamt und das Finanzgericht Düsseldorf1 behandelten die Aufwendungen der Arbeitgeberin für die Sensibilisierungswoche als Arbeitslohn. Auf die Revision der Arbeitgeberin bestätigte der Bundesfinanzhof nun die Entscheidung des Finanzgerichts Düsseldorf:

Maßnahmen des Arbeitgebers für die Gesundheitsvorsorge der Belegschaft, die keinen Bezug zu berufsspezifischen Gesundheitsbeeinträchtigungen aufweisen, führen zu Arbeitslohn, wenn sie sich bei objektiver Würdigung aller Umstände als Entlohnung darstellen. Dies hat der Bundesfinanzhof für die Sensibilisierungswoche bejaht, da es sich um eine allgemein gesundheitspräventive Maßnahme auf freiwilliger Basis handelte. Maßnahmen zur Vermeidung berufsspezifischer Erkrankungen können hingegen im ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegen und deshalb nicht als Arbeitslohn einzustufen sein. Zudem kommt für Leistungen des Arbeitgebers zur betrieblichen Gesundheitsförderung eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 34 EStG in Betracht.

Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG -neben Gehältern und Löhnen- auch andere Bezüge und Vorteile, die „für“ eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG). Diese Bezüge oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers also im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist2.

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Vorteile, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen erweisen, sind dagegen nicht als Arbeitslohn anzusehen. Vorteile besitzen danach keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Das ist der Fall, wenn sich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergibt, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden kann3.

Ob sich eine unentgeltlich oder verbilligt überlassene Sachzuwendung als geldwerter Vorteil oder als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung des Arbeitgebers erweist, hängt folglich von den Umständen des Einzelfalls ab. Ergibt die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, dass die Zuwendung ausschließlich oder ganz überwiegend der Entlohnung des Arbeitnehmers dient, ist der geldwerte Vorteil in voller Höhe Arbeitslohn. Ergibt die Würdigung demgegenüber, dass sich die Zuwendung nahezu ausschließlich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweist, liegt insgesamt kein steuerpflichtiger Arbeitslohn vor. Dies gilt auch, wenn die Zuwendung für den Arbeitnehmer mit angenehmen Begleitumständen verbunden ist4.

Eine Sachzuwendung kann nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch gemischt veranlasst sein, so dass eine Aufteilung in Arbeitslohn und eine Zuwendung im betrieblichen Eigeninteresse in Betracht kommt5. Lässt sich der Charakter einer Sachzuwendung dagegen nur einheitlich beurteilen, ist die Zuwendung im Rahmen einer Gesamtwürdigung einheitlich dem einen oder dem anderen Bereich zuzuordnen6.

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Nach diesen Grundsätzen ist auch zu entscheiden, ob Leistungen des Arbeitgebers zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands und der betrieblichen Gesundheitsförderung (s. dazu § 3 Nr. 34 EStG) zu Arbeitslohn führen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist z.B. in der Übernahme von Kurkosten durch den Arbeitgeber grundsätzlich Arbeitslohn zu sehen7. Dagegen können vom Arbeitgeber veranlasste unentgeltliche Vorsorgeuntersuchungen ebenso im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse liegen8 wie Maßnahmen zur Vermeidung berufsbedingter Krankheiten9.

Nach diesen Maßstäben ist die Würdigung des Finanzgericht, die Arbeitgeberin habe ihren Arbeitnehmern durch die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche steuerbaren Arbeitslohn zugewandt, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Bundesfinanzhof daher bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) handelte es sich bei der Sensibilisierungswoche um eine gesundheitspräventive Maßnahme der Arbeitgeberin für ihre Arbeitnehmer, die keinen Bezug zu berufsspezifisch bedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufwies. Nach dem Inhalt des vom Finanzgericht festgestellten Wochenplans bildete die Gesundheitsvorsorge einen Hauptgegenstand der Sensibilisierungswoche. Dem entspricht es, dass zwei gesetzliche Krankenkassen im Zusammenhang mit der Sensibilisierungswoche Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention nach §§ 20, 20a SGB V erbrachten. Die Sensibilisierungswoche vermittelte nach dem Wochenplan insbesondere Erkenntnisse über einen gesunden Lebensstil. Neben allgemeinen Gesundheitsfragen wurden im Rahmen der Sensibilisierungswoche auch Themen wie Burn-Out, Stressbewältigung und die Erkennung eigener Defizite behandelt.

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Die Arbeitgeberin gewährte ihren Arbeitnehmern durch die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche hiernach Vorteile, die mit der Gesundheitsförderung in den Bereich der Lebensführung fielen. Die Arbeitnehmer waren durch diese Zuwendungen privat bereichert.

Die Zuwendung der Vorteile war auch durch das Dienstverhältnis veranlasst.

Ob eine Zuwendung durch das Dienstverhältnis veranlasst ist, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das Finanzgericht. Denn ob der entsprechende Leistungsaustausch den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aufgrund einer Sonderrechtsbeziehung einer anderen Einkunftsart oder dem nicht einkommensteuerbaren Bereich zuzurechnen ist, kann nur aufgrund einer grundsätzlich der Tatsacheninstanz vorbehaltenen Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die persönlichen Auffassungen und Einschätzungen der an der Zuwendung Beteiligten sind insoweit unerheblich. Entscheidend sind die vorgefundenen objektiven Tatumstände, die vom Finanzgericht als Tatsacheninstanz eigenständig zu würdigen sind10.

Die tatrichterliche Würdigung des Finanzgericht, dass sich die Zuwendung der Sensibilisierungswoche im weitesten Sinne als Gegenleistung der Arbeitgeberin an die teilnehmenden Arbeitnehmer für das Zurverfügungstellen ihrer individuellen Arbeitskraft darstellte, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

Die Zuwendung stand im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis und stellte für die teilnehmenden Arbeitnehmer eine Frucht ihrer Arbeitsleistung dar. Anhaltspunkte dafür, dass die Zuwendung auf einer neben dem Arbeitsverhältnis bestehenden Sonderrechtsbeziehung zwischen der Arbeitgeberin und ihren Arbeitnehmern beruhte, hat das Finanzgericht nicht festgestellt. Das Finanzgericht hat auch ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Arbeitgeberin an der Zuwendung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Die Würdigung des Finanzgericht, aus den Begleitumständen der Zuwendung ergebe sich nicht, dass der von der Arbeitgeberin mit der Sensibilisierungswoche zweifellos auch verfolgte betriebliche Zweck ganz im Vordergrund stand und ein damit einhergehendes eigenes Interesse der Arbeitnehmer, den Vorteil zu erlangen, deshalb vernachlässigt werden konnte, ist zumindest möglich und damit revisionsrechtlich bindend.

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Die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin waren nach den Feststellungen der Vorinstanz arbeitsrechtlich nicht verpflichtet, an der Sensibilisierungswoche teilzunehmen. Die Teilnahme war vielmehr freiwillig. Die Arbeitnehmer, die sich für die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche entschieden hatten, verpflichteten sich erst aufgrund einer gesonderten mit der Arbeitgeberin getroffenen Vereinbarung, während der Sensibilisierungswoche anwesend zu sein. Das Finanzgericht konnte auch nicht feststellen, dass es der Schwerpunkt des Programms der Sensibilisierungswoche gewesen sei, ein verändertes Führungsverhalten und ein anderes Miteinander-Umgehen in den Betrieben der Arbeitgeberin anzustoßen, wie von der Arbeitgeberin behauptet. Das Programm der Sensibilisierungswoche und die daraus vom Finanzgericht in vertretbarer Weise abgeleitete Würdigung der Veranstaltung als gesundheitspräventive Maßnahme auf freiwilliger Basis steht der Annahme entgegen, die Woche als betriebliche Fortbildungsveranstaltung anzusehen.

Gegen ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Arbeitgeberin spricht -wie das Finanzgericht zu Recht betont hat- außerdem, dass die Teilnahme der Arbeitnehmer an der Sensibilisierungswoche nicht als Arbeitszeit zählte oder die Arbeitgeberin die Sensibilisierungswoche nicht zumindest auf die Arbeitszeit anrechnete. Vielmehr mussten die Arbeitnehmer für die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche Urlaub nehmen oder ihr Zeitguthaben aufwenden. Fahrtkosten mussten die teilnehmenden Arbeitnehmer ebenfalls selbst tragen.

Da die Arbeitnehmer sich mit ihrer Teilnahme an der Sensibilisierungswoche nach den Feststellungen des Finanzgericht nicht verpflichteten, an etwaigen Folgeveranstaltungen teilzunehmen, konnte es die Vorinstanz für die Beurteilung der Arbeitslohnqualität der Sensibilisierungswoche auch als unerheblich ansehen, ob die Woche nur der Einstieg in ein ganzheitliches Personalentwicklungsprogramm und ein Gesamtkonzept gewesen sei, wie die Arbeitgeberin vorgetragen hat.

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Eine gesunde, leistungsbereite und leistungsfähige Arbeitnehmerschaft liegt im Übrigen stets im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers. Daraus folgt aber nicht, dass das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Gesunderhaltung seiner Arbeitnehmer es von vornherein ausschließt, eine Zuwendung an die Arbeitnehmer zur Gesundheitsförderung als Arbeitslohn zu qualifizieren.

Das Finanzgericht hat es auch zu Recht abgelehnt, die Aufwendungen der Arbeitgeberin für die Sensibilisierungswoche in Anknüpfung an das BFH, Urteil in BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30 als gemischt veranlasst anzusehen. Denn eine Aufteilung von Sachzuwendungen an Arbeitnehmer in Arbeitslohn und Zuwendungen im betrieblichen Eigeninteresse scheidet aus, wenn die jeweiligen Veranlassungsbeiträge so ineinandergreifen, dass eine Trennung nicht möglich und daher von einer einheitlich zu beurteilenden Zuwendung auszugehen ist11. So verhält es sich im Streitfall. Die Sensibilisierungswoche kann nur einheitlich beurteilt werden. Sie kann nicht in betriebsfunktionale Bestandteile und Elemente mit Vorteilscharakter aufgeteilt werden.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. November 2018 – VI R 10/17

  1. FG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2017 – 3682/15 L[]
  2. ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteile vom 07.05.2014 – VI R 73/12, BFHE 245, 230, BStBl II 2014, 904, Rz 15; und vom 19.11.2015 – VI R 74/14, BFHE 252, 129, BStBl II 2016, 303, Rz 10[]
  3. ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteile vom 14.11.2013 – VI R 36/12, BFHE 243, 520, BStBl II 2014, 278, Rz 10; und vom 10.03.2016 – VI R 58/14, BFHE 253, 243, BStBl II 2016, 621, Rz 17[]
  4. BFH, Urteil vom 11.03.2010 – VI R 7/08, BFHE 228, 505, BStBl II 2010, 763, Rz 14[]
  5. grundlegend BFH, Urteil vom 18.08.2005 – VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30, sowie BFH, Urteil vom 30.04.2009 – VI R 55/07, BFHE 225, 58, BStBl II 2009, 726[]
  6. s. etwa BFH, Urteile vom 11.04.2006 – VI R 60/02, BFHE 212, 574, BStBl II 2006, 691; vom 05.04.2006 – IX R 109/00, BFHE 213, 337, BStBl II 2006, 541; und vom 22.06.2006 – VI R 21/05, BFHE 214, 252, BStBl II 2006, 915[]
  7. BFH, Urteile vom 05.11.1993 – VI R 56/93, BFH/NV 1994, 313; vom 31.10.1986 – VI R 73/83, BFHE 148, 61, BStBl II 1987, 142, und in BFHE 228, 505, BStBl II 2010, 763; s. aber Urteil vom 24.01.1975 – VI R 242/71, BFHE 114, 496, BStBl II 1975, 340[]
  8. BFH, Urteil vom 17.09.1982 – VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39[]
  9. BFH, Urteil vom 30.05.2001 – VI R 177/99, BFHE 195, 373, BStBl II 2001, 671; s. dazu Pust, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 1060[]
  10. BFH, Urteil vom 01.09.2016 – VI R 67/14, BFHE 255, 125, BStBl II 2017, 69, Rz 22, m.w.N.[]
  11. zur Aufteilung von Aufwendungen für eine gemischt veranlasste Reise s. BFH, Beschluss vom 21.09.2009 – GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672[]
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