Nach einer Entscheidung des Finanzgerichts Düsseldorf können sich Ehegatten nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es bei der Steuerklassen-Kombination III/V bekanntermaßen zur Steuernachzahlung komme, ein Großteil der Steuerpflichtigen dennoch keine Steuererklärung abgebe und dies von der Finanzverwaltung nicht unterbunden werde.

Das Finanzgericht Düsdseldorf wollte gleichwohl kein verfassungsrechtlich bedeutsames Vollzugsdefizit feststellen. Selbst wenn „wesentliche Erhebungsdefizite“ vorlägen, führe dies allein nicht zur Verfassungswidrigkeit. Außerdem sei den Finanzämtern eine vollständige Auswertung des Kontrollmaterials weder möglich noch sei dies aus Rechtsgründen geboten.
Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Nach dem Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. In seinem Urteil zur Zinsbesteuerung hat das Bundesverfassungsgericht diese Voraussetzung für den Fall bejaht, dass „jedenfalls die Hälfte“ der betroffenen steuerbaren Erträge nicht erfasst werde1. In seinem Urteil zu privaten Spekulationszwecken stellt das BVerfG auf „wesentliche“ Erhebungsdefizite bzw. auf „gravierende“ Erhebungsmängel ab2. Für die Prüfung, ob normative Defizite einen gleichmäßigen Belastungserfolg verhindern, ist maßgeblich auf den Regelfall des Besteuerungsverfahrens abzustellen3.
Die Frage, ob der Gesetzgeber von ihm erstrebte Ziele – im Steuerrecht die Erzielung von Einnahmen, ggf. auch Lenkung – faktisch erreicht, ist danach rechtsstaatlich allein noch nicht entscheidend. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm4. So kommt es auch nicht darauf an, ob und in welchem Umfang die Finanzbehörden von gesetzlich eingerichteten Kontrollverfahren tatsächlich Gebrauch machen und ob dieser Gebrauch fehlerlos funktioniert; erforderlich ist ein normatives Erhebungsdefizit5.
Jenseits eines normativen Erhebungsdefizits ist ein verfassungsrechtlich bedeutsames strukturelles Vollzugsdefizit ausnahmsweise nur dann denkbar, wenn die – eine effektive Erhebung ermöglichende – rechtlichen Struktur aus politischen Gründen nicht vollzogen wird oder in einer Anlaufphase erkennbare Umsetzungsprobleme nicht gelöst werden6.
Nach diesen Grundsätzen vermag der Senat hinsichtlich der Pflichtveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG kein verfassungsrechtlich bedeutsames Vollzugsdefizit festzustellen.
Die Kläger haben, so das Finanzgericht Düsseldorf, keine Erhebungsregel benannt, die der Besteuerung in den Fällen der Steuerklassenkombination III/V entgegenstehen könnte. Sie sind sogar selber der Auffassung, der Finanzverwaltung liege ausreichendes Zahlenmaterial zur Sicherstellung der Besteuerung vor. Dem Finanzgericht sind in normativer Hinsicht ebenfalls keine der Besteuerung entgegenstehenden Erhebungsregeln bekannt. Vielmehr stellt der Gesetzgeber durch § 41b EStG (elektronische Lohnsteuerkarte) gerade im Gegenteil sicher, dass der Finanzverwaltung die zur Besteuerung notwendigen Daten bekannt werden. Denn bei Beendigung eines Dienstverhältnisses oder am Ende des jeweiligen Kalenderjahres muss der Arbeitgeber die Lohnkonten seiner Arbeitnehmer abschließen und bis zum 28. Februar des Folgejahres den Betriebsstätten-Finanzämter für jeden Beschäftigten eine elektronische Lohnsteuerbescheinigungen übermitteln, aus der sich u.a. die auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Besteuerungsmerkmale (einschließlich der Lohnsteuerklasse), die Art und die Höhe des gezahlten Arbeitslohns und die darauf einbehaltene Lohnsteuer ergeben. Ein strukturelles normatives Vollzugsdefizit liegt danach nicht vor.
Dass hier ausnahmsweise ein verfassungsrechtlich bedeutsames strukturelles Erhebungsdefizits jenseits eines normativen Erhebungsdefizits vorliegt, vermag das Finanzgericht Düsseldorf ebenfalls nicht festzustellen. Ob eine große Anzahl Steuerpflichtiger von der Möglichkeit der Nichtabgabe der Steuererklärung Gebrauch macht, oder ob die Besteuerung durch das ihr zur Verfügung stehende Kontrollmaterial in ausreichendem Maße sichergestellt wird, kann für die Entscheidung dahinstehen. Abgesehen davon, dass das Finanzgericht keinen Anlass hat, anzunehmen, dass dieses Maß der Nichterklärung bereits „wesentliche“ Erhebungsdefizite bzw. „gravierende“ Erhebungsmängel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Folge hat, führt das allein nicht zur Verfassungswidrigkeit, denn die darüber hinaus gehenden Erfordernisse, etwa dass die Finanzverwaltung einen solchermaßen gravierenden Erhebungsmangel aus politischen Gründen in Kauf nehme, erscheinen dem Finanzgericht Düsseldorf fernliegend. Ebenso wie in den anderen Fällen der Pflichtveranlagung des Katalogs in § 46 Abs. 2 EStG und den allgemeinen Veranlagungsfällen i.S. des § 25 EStG hat das Finanzgericht Düsseldorf allenfalls Anlass, Vollzugsmängel zu vermuten, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen. Eine vollständige Auswertung des Kontrollmaterials – wie sie offenbar den Klägern vorschwebt – ist den Finanzämtern weder möglich, noch ist sie aus Rechtsgründen geboten7. Die Finanzämter sind jedenfalls solange berechtigt, ihre Kontrollen auf Stichproben zu beschränken, solange sie keine Hinweise auf strukturelle Erhebungsdefizite haben.
Finanzgerichts Düsseldorf, Urteil vom 17. März 2010 – 15 K 2978/08 E
- BVerfG, Urteil vom 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654[↩]
- BVerfG, Urteil vom 09.03.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56[↩]
- BVerfG, Urteile vom 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654; und vom 09.03.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56[↩]
- BVerfG, Urteil vom 09.03.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56; BFH, Beschluss vom 19.12.2007 – IX B 219/07, BFHE 219, 353, BStBl II 2008, 382; BFH, Urteil vom 12.05.2009 – IX R 45/08, BFHE 225, 299, BStBl II 2009, 891; und zum besonderen Kirchgeld: BFH, Urteil vom 19.10.2005 – I R 76/04, BFHE 211, 90, BStBl II 2006, 274[↩]
- BFH, Beschluss vom 19.12.2007 – IX B 219/07, BFHE 219, 353, BStBl II 2008, 382 zum Kontenabrufverfahren[↩]
- BFH, Urteil vom 29.11.2005 – IX R 49/04, BFHE 211, 330, BStBl II 2006, 178; BFH, Beschluss vom 19.12.2007 – IX B 219/07, BFHE 219, 353, BStBl II 2008, 382[↩]
- vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 85 AO, Rn. 21 ff., 24[↩]