Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten besonderen Tarif, der sogenannten „Fünftelregelung“ (§ 34 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 EStG), zu berechnen. Diese sogenannte „Fünftelregelung“ ist gemäß § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG auch für die Ermäßigung der Lohnsteuer zu beachten.

Als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte kommen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 1. Halbsatz EStG). Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Allerdings reicht es nicht aus, dass der Arbeitslohn in einem anderen Veranlagungszeitraum als dem zufließt, zu dem er wirtschaftlich gehört, und dort mit weiteren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zusammentrifft. Die Entlohnung muss vielmehr für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit sein, die Vergütung folglich für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden1. Diese mehrjährige Zweckbestimmung kann sich entweder aus dem Anlass der Zuwendung oder aus den übrigen Umständen ergeben. Soweit andere Hinweise auf den Verwendungszweck fehlen, kommt der Berechnung des Entgelts maßgebliche Bedeutung zu2.
Darüber hinaus muss die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in zusammengeballter Form erfolgen3.
Im hier entschiedenen Fall hat hiernach das Hessische Finanzgericht erstinstanzlich zu Recht entschieden, dass die vom Finanzamt ursprünglich erteilte Anrufungsauskunft vom 21.04.2011, nach der es sich bei den Zahlungen aufgrund des bei der Arbeitgeberin eingeführten Langzeitvergütungsmodell (Long Term Incentive Modell -LTI-Modell-) um außerordentliche und nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG begünstigt zu besteuernde Einkünfte handele, rechtmäßig war; ein solches LTI-Modell erfüllt die Voraussetzungen einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit i.S. von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, so dass die Lohnsteuer unter Anwendung der sogenannten „Fünftelregelung“ gemäß § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG berechnet werden kann. Das Hessische Finanzgericht hat zutreffend -in Übereinstimmung mit der vom Finanzamt erteilten Anrufungsauskunft- die Regelungen des LTI-Modells dahin gewürdigt, dass die betreffenden Vergütungen zweckbestimmt für die Berufstätigkeit der jeweiligen Führungskräfte in einem mehrjährigen -in der Regel vierjährigen- Zeitraum erfolgen. Dies hat das Finanzgericht ohne Rechtsfehler daraus geschlossen, dass nach dem LTI-Modell anhand bestimmter unternehmensinterner Kennzahlen der Geschäftserfolg in dem vierjährigen sogenannten Performancezeitraum ermittelt und dem durchschnittlichen Geschäftserfolg in dem die vorangegangenen Jahre umfassenden (vierjährigen) Vergleichszeitraum gegenübergestellt wird.
Soweit das Finanzamt in dem angefochtenen Aufhebungsbescheid und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung die Auffassung vertreten hat, die Voraussetzungen für eine Besteuerung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG lägen nicht vor, weil das LTI-Modell so angelegt sei, dass die Zahlungen nach Ende des jeweiligen Ermittlungszeitraums jährlich erfolgen würden und mithin nicht von einer zusammengeballten Auszahlung von Arbeitslohn ausgegangen werden könne, der für eine mehrjährige Tätigkeit erdient worden sei, steht dies offenkundig in Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, wie sie durch die -auch von der Finanzverwaltung allgemein angewendete- höchstrichterliche Rechtsprechung ausgelegt wird.
Hiernach ist bei Arbeitnehmern -anders als z.B. bei Gewerbetreibenden, Beziehern von Einkünften aus selbständiger Arbeit oder von sonstigen Einkünften4- jede Vergütung für eine Tätigkeit, die sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst, atypisch zusammengeballt und damit „außerordentlich“ i.S. des § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG. Um einmalige (Sonder-)Einkünfte, die nicht regelmäßig anfallen, muss es sich nicht handeln5. Der Anwendung des § 34 EStG steht es mithin nicht entgegen, wenn der Arbeitgeber jährlich Vergütungen auszahlt, sofern diese jeweils für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden. Ohne Bedeutung ist dementsprechend auch, ob bei der Berechnung des zweckbestimmt für eine mehrjährige Tätigkeit geleisteten Entgelts Berechnungsgrundlagen -im Streitfall bestimmte Unternehmenskennzahlen eines Jahres- gegebenenfalls mehrfach (in verschiedenen Jahren) berücksichtigt werden. Der Umstand, dass sich die Vergütung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten Einzeljahr zugerechnet werden können, hindert die Annahme einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit als solche ebenfalls nicht6.
Soweit sich das Finanzamt für seine Auffassung auf das BFH, Urteil vom 14.04.2015 – IX R 29/14 berufen hat, liegt der Entscheidung ein mit dem Streitfall offensichtlich nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Das Urteil betraf eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, die in mehreren Veranlagungszeiträumen in etwa drei gleich großen Teilbeträgen geleistet wurde, so dass eine Tarifbegünstigung nach § 34 EStG nicht in Betracht kam. Im Streitfall leistet die Arbeitgeberin die fraglichen Lohnzahlungen aufgrund des LTI-Modells jedoch nicht gestreckt in mehreren Veranlagungszeiträumen. Vielmehr fließt die Vergütung, die den Führungskräften für den jeweiligen mehrjährigen Performancezeitraum nach dem LTI-Modell zusteht, zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum zu.
Darüber hinaus hat das Finanzgericht aufgrund seiner unangefochtenen Feststellungen auch zutreffend darauf erkannt, dass für die auf dem LTI-Modell gründende Zusammenballung des Arbeitslohns für vier Jahre wirtschaftlich vernünftige Gründe vorliegen. Denn die Arbeitgeberin wollte nach ihrem -auch vom Finanzamt nicht in Abrede gestellten- Vortrag mit der Einführung des LTI-Modells u.a. den Rahmenbedingungen gerecht werden, die sich aus dem Deutschen Corporate Governance Kodex ergeben hätten. Die Arbeitgeberin habe die Vergütungsstruktur hinsichtlich der variablen Vergütungsbestandteile an eine nachhaltige Unternehmensentwicklung ausrichten wollen. An diese Würdigung des Geschehens ist der Bundesfinanzhof gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Denn sie verstößt weder gegen Denkgesetze noch Erfahrungssätze.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. September 2021 – VI R 19/19
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteile vom 31.08.2016 – VI R 53/14, BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322, Rz 12; vom 07.05.2015 – VI R 44/13, BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, Rz 16; vom 07.08.2014 – VI R 57/12, Rz 27; und vom 03.07.1987 – VI R 43/86, BFHE 150, 431, BStBl II 1987, 820[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322, Rz 12; und vom 16.12.1996 – VI R 51/96, BFHE 182, 161, BStBl II 1997, 222[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, Rz 17, m.w.N.[↩]
- s. dazu z.B. BFH, Urteile vom 20.09.2016 – X R 23/15, BFHE 255, 209, BStBl II 2017, 347; und vom 23.10.2013 – X R 3/12, BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, Rz 14 f.[↩]
- BFH, Urteile vom 14.12.2006 – IV R 57/05, BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180, unter II. 3.b; und vom 02.08.2016 – VIII R 37/14, BFHE 254, 573, BStBl II 2017, 258, Rz 10[↩]