Verzinsung eines erstatteten Lohnsteuerhaftungsbetrages

Ein Arbeitgeber hat keinen Anspruch auf Verzinsung eines erstatteten Lohnsteuerhaftungsbetrages.

Verzinsung eines erstatteten Lohnsteuerhaftungsbetrages

Wird eine „festgesetzte Steuer“ durch rechtskräftiges Urteil herabgesetzt, so ist der zu erstattende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen (§ 236 Abs. 1 Satz 1 AO). Nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO ist Absatz 1 entsprechend anzuwenden, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts erledigt. Nach § 233a Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 AO sind bei Aufhebung einer „Steuerfestsetzung“ der tatsächlich gezahlte Erstattungsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen zu verzinsen. Diese Zinsen sind nach § 236 Abs. 4 AO bei der Berechnung der Zinsen nach § 236 AO für den Zeitraum nach dem Tag der Rechtshängigkeit anzurechnen. § 233a AO wie auch § 236 AO sollen dazu dienen, Zinsvorteile und Zinsnachteile zwischen dem Fiskus und dem Steuerpflichtigen auszugleichen1.

Nach der Rechtsprechung2 und der herrschenden Ansicht in der Literatur3 ist § 233a AO wie auch § 236 AO indes auf Haftungsansprüche nicht anwendbar. Das Niedersächsische Finanzgericht schließt sich dieser Ansicht an.

Die §§ 233a und 236 AO erfassen von ihrem Wortlaut her nur Steuerfestsetzungen oder Steuervergütungsbescheide. Nicht aufgeführt sind Haftungsbescheide, so dass eine Verzinsung in letzterem Fall nicht in Betracht kommt4. Es liegt auch kein Fall einer Gesetzeslücke vor, der durch eine analoge bzw. erweiternde Anwendung geschlossen werden könnte5.

Weiterlesen:
Erbschaftsteuer auf Steuererstattungsansprüche?

Nach Ansicht des Niedersächsischen Finanzgerichts vermögen hieran auch die von der Klägerin herangezogenen Besonderheiten des Lohnsteueranmeldungsverfahrens nichts zu ändern. Die mit der Rücknahme des Haftungsbescheides inzidenter erfolgte Herabsetzung der ihr zugrundeliegenden Lohnsteuerschuld führt nicht zu einer Verzinsung. Zwar hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass mit einem Lohnsteuerhaftungsbescheid inzidenter auch die in den betreffenden Lohnsteueranmeldungen liegenden Steuerbescheide abgeändert werden (BFH, Urteil vom 15.05.1992 – VI R 106/88, BStBl. II 1993, 840, 842); jedoch führt diese Sichtweise nicht zu einer Verzinsung6.

Eine Verzinsung der Lohnsteuer kommt schon im Hinblick auf den Wortlaut des § 233a AO bzw. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht in Betracht. Es handelt sich bei der Lohnsteuer um einen Steuerabzugsbetrag, der nicht ohne weiteres von § 233a AO bzw. von § 236 AO erfasst wird. Bezüglich § 233a AO ergibt sich dies bereits aus dem Gesetz (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO)7. Im Hinblick auf § 236 AO ergibt sich dies aus dem Wortlaut des § 236 AO („festgesetzte Steuer“), der keine nicht angemeldeten Lohnsteuerabzugsbeträge erfasst8. Denn nicht angemeldete Lohnsteuerabzugsbeträge sind nicht festgesetzt worden. (Nur) Steueranmeldungen stehen einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO).

Die gegenteilige Ansicht missversteht die Kommentierung von Koenig9. Aus dem Zusammenhang mit Rz. 26 ergibt sich, dass nicht jede Hauptssacheerledigung die Zinspflicht nach § 236 Abs. 2 AO auslöst. Vielmehr muss das Verfahren zu einer Steuerherabsetzung geführt haben.

Weiterlesen:
Mahlzeitengestellung bei Auswärtstätigkeit

Zudem ergibt sich dies aus dem Grundsatz des § 233 Satz 1 AO, wonach (nur) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne des § 37 AO verzinst werden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind nach § 37 Abs. 1 AO der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche. Nicht von der abschließenden Aufzählung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 Abs. 1 AO erfasst wird indes die Entrichtungsschuld10. Im Hinblick auf die mit dem Erlass eines Lohnsteuerhaftungsbescheids zugleich inzidenter geänderten Lohnsteuer-Anmeldungen (Lohnsteuerfestsetzungen) hat das Finanzamt gegenüber dem Arbeitgeber ausschließlich einen Anspruch auf Entrichtung der einbehaltenen Lohnsteuer (Entrichtungsschuld). Zwischen dem Arbeitgeber als Entrichtungsschuldner und dem Finanzamt als Gläubiger des Lohnsteueranspruchs besteht gerade kein Steuerschuldverhältnis. Den Arbeitgeber trifft nach § 41a Abs. 1 Satz 1 EStG zwar die Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung und zur Abführung der Lohnsteuer, er ist jedoch nicht Schuldner der Lohnsteuer. Dies ist und bleibt der Arbeitnehmer, (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG).

Schließlich gibt es auch weder eine Pflicht noch einen Anspruch, Ansprüche aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis zu verzinsen. Eine solche Pflicht bzw. ein solcher Anspruch besteht vielmehr nur, soweit dies im Gesetz bestimmt ist. Insoweit ist § 233 Satz 1 AO Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens. Im öffentlichen Recht gibt es gerade keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass Geldschulden zu verzinsen sind, es bedarf vielmehr stets einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung11. Bei den Verzinsungstatbeständen der AO handelt es sich durchweg um Spezialregelungen, die der Gesetzgeber bewusst eng gefasst hat, und aus denen kein allgemeiner Rechtsgrundsatz für andere öffentlich-rechtliche Geldforderungen abgeleitet werden kann4.

Weiterlesen:
US-Fluglinie - britische Niederlassung - deutsche Lohnsteuer

Da eine solche gesetzliche Grundlage im Streitfall nicht gegeben ist – der Haftungsanspruch ist zwar ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 AO, wird aber von den Zinsvorschriften § 233a AO und § 236 AO nicht erfasst, ein Anspruch auf die inzidenter zu reduzierende Lohnsteuerentrichtungsschuld ist bereits kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, §§ 233 Satz 1, 37 Abs. 1 AO – war die Klage abzuweisen.

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 10. März 2011 – 11 K 103/10

  1. zu § 233a AO siehe: BFH, Urteil vom 19.04.2005 – VIII R 12/04, BStBl. II 2005, 683, 685; zu § 236 siehe: BFH, Urteil vom 13.07.1994 – I R 38/93, BStBl. II 1995, 37, 38[]
  2. zu § 233a AO: FG München, Urteil vom 01.02.1995 – 1 K 2252/93, EFG 1995, 601; zu § 236 AO: BFH, Urteil vom 25.07.1989 – VII R 39/86, BStBl II 1989, 821[]
  3. zu § 233a AO: Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung (Loseblatt), § 233a AO Rz. 11; Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 02. Aufl. 2009, § 233a Rz. 14; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 10. Aufl. 2010, § 233a Rz. 7; zu § 236 AO: Koenig in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 236 Rz. 11; Rüsken in Klein, a.a.O., § 236 Rz. 3; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 236 AO Rz. 4[]
  4. BFH, Urteil vom 25.07.1989 – VII R 39/86, BStBl II 1989, 821[][]
  5. BFH, Urteil vom 25.07.1989 VII – R 39/86, BStBl II 1989, 821 zu § 236 AO[]
  6. vgl. hierzu auch Nds. FG, Urteil vom 30.09.2010 11 K 279/09, StEd 2010, 810[]
  7. vgl. auch BFH, Urteil vom 17.11.2010 I R 68/10[]
  8. siehe Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 236 Rz. 10; Koenig in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 236 Rz. 14; Rüsken in Klein, a.a.O., § 236 Rz. 7[]
  9. in Pahlke/Koenig, a. a. O. § 236 Rz. 27[]
  10. BFH, Urteil vom 24.03.1998 – I R 120/97, BStBl II 1999, 3; Brockmeyer/Ratschow in Klein, a.a.O., § 37 Rz. 2; Koenig in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 37 Rz. 5 u. 6; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 37 AO Rz. 4 u. § 33 AO Rz. 8[]
  11. Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 233 AO Rz. 1[]
Weiterlesen:
Die auf einem Insolvenzanderkonto eingegangene Steuererstattung - und ihre Rückforderung