Zeitpunkt des Zuflusses von verbilligten Arbeitnehmeraktien

Dem Arbeitnehmer fließt nach dem hier vorliegenden Urteil des Bundesfinanzhofs der geldwerte Vorteil in Form verbilligter Aktien in dem Zeitpunkt zu, in dem er die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Aktien erlangt. Dagegen liegt ein solcher Zufluss nicht vor, solange dem Arbeitnehmer eine Verfügung über die Aktien rechtlich unmöglich ist.

Zeitpunkt des Zuflusses von verbilligten Arbeitnehmeraktien

Zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG auch vom Arbeitgeber für die Beschäftigung verbilligt überlassene Aktien. Dies setzt allerdings voraus, dass der Vorteil in Form von Aktien auch zugeflossen ist (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs führt allein das Innehaben von Ansprüchen oder Rechten den Zufluss von Einnahmen regelmäßig noch nicht herbei.

Der Vorteil ist mit der Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht darüber zugeflossen. Bei einem Aktienerwerb ist das der Zeitpunkt, zu dem der Anspruch auf Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Aktien erfüllt wird1.

Einem solchen Zufluss im vorgenannten Sinne steht nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer aufgrund einer Sperr- bzw. Haltefrist die Aktien für eine bestimmte Zeit nicht veräußern kann. Der Erwerber der Aktien ist rechtlich und wirtschaftlich bereits dann Inhaber der Aktie, wenn sie auf ihn übertragen oder auf seinen Namen im Depot einer Bank hinterlegt wird. Denn eine obligatorische Veräußerungssperre hindert den Erwerber von Aktien nicht, sie zu veräußern. Die Veräußerung ist rechtlich möglich, wenngleich sie auch Sanktionen auslösen kann. Aufgrund des im Aktienrecht geltenden Grundsatzes der freien Übertragbarkeit der Aktie (§ 68 des Aktiengesetzes –AktG–) ist jede Einschränkung, die über eine schuldrechtliche Wirkung hinausgeht, grundsätzlich unwirksam2.

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Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Aktien, auch Namensaktien, können durch formlose Abtretungsvereinbarung gemäß §§ 398, 413 des Bürgerlichen Gesetzbuchs übertragen werden. Rechtsprechung und Literatur zum Aktienrecht gehen insoweit einheitlich davon aus, dass die dingliche Wirksamkeit der Abtretung nicht an eine bestimmte Form gebunden werden kann, weil darin eine unzulässige Erschwerung der freien Übertragbarkeit der Aktien liege3.

Anderes gilt unter den Voraussetzungen einer möglichen Vinkulierung gemäß §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG4. Denn wenn die Übertragung der Aktien in ihrer Wirksamkeit nach § 68 Abs. 2 AktG von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig ist, sind die verfügenden Rechtsgeschäfte nur mit Zustimmung der Gesellschaft wirksam. Hat die Gesellschaft in die Übertragung eingewilligt, ist die Übertragung von Anfang an wirksam; ohne Zustimmung ist die Aktienübertragung zunächst schwebend unwirksam. Wird aber die Einwilligung verweigert, ist die Übertragung von vornherein unwirksam5.

Diese aktienrechtlichen Grundsätze zieht der Senat auch für lohnsteuerrechtliche Zwecke hinsichtlich der Frage heran, ob ein Arbeitnehmer die wirtschaftliche Verfügungsmacht über Aktien erlangt hat. Aktien sind daher nicht zugeflossen, solange dem Arbeitnehmer eine Verfügung darüber rechtlich unmöglich ist.

Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze hält die Vorentscheidung revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Ob ein Steuerpflichtiger im Einzelfall tatsächlich die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt und ausgeübt hat, ist eine grundsätzlich dem Finanzgericht obliegende Frage der Tatsachenfeststellung und -würdigung6. Dabei hat das Finazgericht allerdings alle Umstände des Einzelfalles zu prüfen und in seine Würdigung einzubeziehen. Angesichts dessen tragen die im Streitfall tatsächlich getroffenen Feststellungen nicht dessen Würdigung und Entscheidung, dass der Kläger bereits die für den Zufluss des Vorteils entscheidungserhebliche wirtschaftliche Verfügungsmacht über die „restricted shares“ im Sinne von Rule 144 des SEC Act of 1933 erlangt hatte.

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Die Feststellung und Auslegung ausländischen Rechts obliegt grundsätzlich dem FG7. Das Revisionsgericht ist an die Feststellungen über Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts wie an tatsächliche Feststellungen gebunden (§ 155 FGO i.V.m. §§ 549, 562 der Zivilprozessordnung)8. Das Finanzgericht hat festgestellt, dass der Kläger die dem amerikanischen Aktienrecht unterliegenden, sogenannten „restricted shares“ im Sinne von Rule 144 des SEC Act of 1933 in Ausübung der ihm eingeräumten Aktienoptionen erworben hatte. Es hat indessen keine Feststellungen dazu getroffen, in welcher Weise diese Aktien übertragen werden, insbesondere, ob das für diese Aktien anwendbare Recht schon eine Inhaberschaft des neuen Aktionärs in der zweigestuften Bindungsphase der „restricted shares“ annimmt. Es fehlen insbesondere Feststellungen dazu, ob der Kläger entsprechend der vom deutschen Recht getroffenen Unterscheidung gleichsam lediglich schuldrechtlich verpflichtet ist, die Aktien nicht weiter zu veräußern, oder ob es ihm auch schlechterdings rechtlich unmöglich ist, über die Aktien zu verfügen. Allein der Umstand, dass innerhalb der zweijährigen Behaltefrist die Nutzungen vom Kläger gezogen werden dürfen, begründet noch keine rechtlich gesicherte Inhaberschaft. Das zeigt etwa das Rechtsinstitut der Wertpapierleihe, wonach während der Laufzeit des Leihvertrags die Erträge aus den verliehenen Wertpapieren dem Entleiher zuzurechnen sind9.

Teilweise werden solche „restricted shares“ als geeignet angesehen, als variable Vergütungsbestandteile eingesetzt zu werden, um die Auszahlung der Vergütung zeitlich zu strecken. Dabei geht man offensichtlich davon aus, dass die „restricted shares“ erst nach mehrjähriger Wartezeit in einen Geldbetrag zum dann gültigen Aktienkurs einlösbar sind10.

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Auf Grundlage dieser Feststellungen ist die Würdigung des Finanzgerichts, dass der Kläger in den streitigen Veranlagungszeiträumen jedenfalls einen Anspruch auf die Aktien erlangt hatte, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies allein begründet allerdings noch keinen Zufluss der Aktien selbst. Denn diese Feststellungen sind jedenfalls noch keine hinreichende Grundlage für die Würdigung, dass der Kläger auch die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Aktien erlangt hatte.

Dem Finanzgericht ist darin zu folgen, dass es in Bezug auf die Verfügungsbeschränkungen grundsätzlich keinen Unterschied macht, ob diese auf Gesetz oder Vertrag, insbesondere Gesellschaftsvertrag, beruhen. Entscheidend ist allerdings, ob die Verfügungsbeschränkungen lediglich schuldrechtlicher Natur sind oder ob sie, wie etwa im deutschen Aktienrecht bei vinkulierten Namensaktien, unmittelbar die Wirksamkeit der Übertragung selbst bestimmen.

Angesichts dessen kann sich das Finanzgericht zur weiteren Begründung seiner Auffassung, dass der Kläger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Aktien erlangt habe, auch nicht darauf stützen, dass solche „restricted shares“ teilweise als vinkulierte Aktien verstanden werden. Denn zum einen besagen die Rechtsgrundsätze des deutschen Aktienrechts zur Vinkulierung von Aktien nichts zur Frage der Wirksamkeit der Übertragung amerikanischer Aktien. Zum anderen wäre selbst in Anwendung dieser dem deutschen Aktienrecht entnommenen Grundsätze die Übertragung der Aktien jedenfalls solange schwebend unwirksam, als nicht die Zustimmung der Gesellschaft vorläge. Schließlich ist auch nichts dazu festgestellt, ob und welche Erklärungen die Muttergesellschaft der Arbeitgeberin des Klägers in Bezug auf die Übertragung der Aktien abgegeben hatte, noch abgeben muss und welche Rechtswirkungen diesen zukommen.

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Das Finazgericht wird nach Maßgabe der vorstehenden Rechtsgrundsätze die erforderlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben. Dabei wird insbesondere festzustellen sein, nach welchen Rechtsgrundsätzen die streitigen Aktien übertragen werden sowie welche Rechtsstellung der Kläger in Bezug auf die Aktien mit der Optionsausübung erlangt hatte, um würdigen zu können, ob der Kläger ab dem Zeitpunkt der Optionsausübung die Verfügungsmacht über die streitigen Aktien innehatte.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 30. Juni 2011 – VI R 37/09

  1. zuletzt BFH, Urteile vom 11.02.2010 – VI R 47/08, BFH/NV 2010, 1094; vom 30.09.2008 – VI R 67/05, BFHE 223, 98, BStBl II 2009, 282; vom 05.07.2007 – VI R 47/02, BFH/NV 2007, 1876; jeweils m.w.N.[]
  2. BFH, Urteil in BFHE 223, 98, BStBl II 2009, 282[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2004 – II ZR 288/02, BGHZ 160, 253, m.w.N.[]
  4. vgl. BGH, Urteil in BGHZ 160, 253[]
  5. h.M., vgl. Lutter/Drygala in KK-AktG, 3. Aufl., § 68 Rz 93 ff.; MünchKommAktG, Bayer, 3. Aufl., § 68 Rz 96 ff.; Bezzenberger, in: K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 2. Aufl., § 68 Rz 23; Hüffer, Aktiengesetz, 9. Aufl., § 68 Rz 16[]
  6. vgl. BFH, Urteil vom 30.11.2010 – VIII R 40/08, BFH/NV 2011, 592[]
  7. vgl. BFH, Urteile vom 28.05.2009 – VI R 27/06, BFHE 225, 377, BStBl II 2009, 857; vom 15.04.1996 – VI R 98/95, BFHE 180, 509, BStBl II 1996, 478, m.w.N.[]
  8. s.a. BGH, Urteil vom 06.11.1991 – XII ZR 240/90, NJW 1992, 438[]
  9. vgl. BFH, Urteil vom 17.10.2001 – I R 97/00, BFHE 197, 63, m.w.N.[]
  10. Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, a.a.O., § 87 Rz 12[]
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