Steuerhinterziehung durch die Miterben – und die verlängerte Festsetzungsfrist

Der Erbe tritt sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein und schuldet die Einkommensteuer als Gesamtschuldner in der Höhe, in der sie durch die Einkünfteerzielung des Erblassers entstanden ist.

Steuerhinterziehung durch die Miterben – und die verlängerte Festsetzungsfrist

Die Berichtigungspflicht des Erben nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AO wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass er bereits vor dem Tod des Erblassers Kenntnis davon hatte, dass dessen Steuererklärung unrichtig ist. Die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 und 3 1. Halbsatz AO tritt auch dann ein, wenn der als Gesamtschuldner in Anspruch genommene Erbe keine Kenntnis von der Steuerhinterziehung eines Miterben hat. Jedem Erben steht die Möglichkeit zu, sich nach Maßgabe des § 169 Abs. 2 Satz 3 2. Halbsatz AO zu exkulpieren.

Die Festsetzungsfrist aufgrund einer Steuerhinterziehung verlängert sich bei einem Erbfall mithin auch dann, wenn der demenzerkrankte Erblasser ausländische Kapitaleinkünfte nicht erklärt, jedoch ein Miterbe von der Verkürzung der Einkommensteuer wusste und selbst eine Steuerhinterziehung begeht. Dabei wirkt die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre dabei auch zu Lasten des Miterben, der von der Steuerhinterziehung keine Kenntnis hat.

Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall war die Klägerin gemeinsam mit ihrer Schwester Erbin ihrer verstorbenen Mutter. Die Erblasserin hatte in den Jahren 1993 bis 1999 Kapitaleinkünfte im Ausland erzielt, die sie nicht in ihren Einkommensteuererklärungen angegeben hatte. Seit 1995 war sie aufgrund einer Demenzerkrankung nicht mehr in der Lage, wirksame Einkommensteuererklärungen abzugeben. Die Steuererklärungen der Erblasserin waren unter Beteiligung der Schwester der Klägerin (Miterbin) erstellt worden. Dieser war spätestens ab Eintritt des Erbfalls bekannt, dass die Mutter (Erblasserin) ihre Kapitaleinkünfte in den Einkommensteuererklärungen zu niedrig angegeben hatte. Das Finanzamt erließ gegenüber der Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der Erblasserin geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen es die Steuer für die nicht erklärten Zinsen nachforderte.

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Das Hessische Finanzgericht wies die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin zurück1. Der Bundesfinanzhof bestätigte dies und wies die Revision der Klägerin, soweit sie zulässig war, ebenfalls als unbegründet zurück:

Dabei hat der Bundesfinanzhof zunächst klargestellt, dass die Erben als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auch dessen Steuerschulden „erben“; denn gemäß § 1967 BGB haften die Erben für die Nachlassverbindlichkeiten. Dies gilt gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 AO auch für die Steuerschulden. Auf die Kenntnis von der objektiven Steuerverkürzung des Erblassers kommt es nicht an, sondern nur auf die Höhe der entstandenen Steuerschuld. Mehrere Erben haften als Gesamtschuldner. Dies bedeutet, dass das Finanzamt im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens jeden Erben für die gesamte Steuerschuld des Erblassers in Anspruch nehmen kann.

War der Erblasser zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung aufgrund einer Demenzerkrankung geschäftsunfähig i.S. des § 104 Nr. 2 BGB, ist seine Steuererklärung zwar unwirksam. Dies hat auf die Höhe der gesetzlich entstandenen Steuer jedoch keine Auswirkung. Erfährt ein Erbe vor oder nach dem Erbfall, dass die Steuern des Erblassers zu niedrig festgesetzt wurden, ist er auch in diesem Fall nach § 153 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet, die (unwirksame) Einkommensteuererklärung des Erblassers zu berichtigen. Unterlässt er dies, begeht er eine Steuerhinterziehung. Diese Steuerhinterziehung führt dazu, dass sich bei allen Miterben die Festsetzungsfrist für die verkürzte Steuer nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängert. Wie der Bundesfinanzhof hervorhebt, trifft dies auch den Miterben, der weder selbst eine Steuerhinterziehung begangen hat noch von dieser wusste.

Die Klägerin ist gemäß § 1922 Abs. 1 BGB als Erbin in die Steuerschuld der Erblasserin W eingetreten. Danach geht mit dem Tod einer Person (Erbfall) deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über. Gemäß § 1967 BGB haften die Erben für die Nachlassverbindlichkeiten. Das hierin für den Erbfall statuierte Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge beschränkt sich nicht auf den Bereich des Zivilrechts. Es erstreckt sich vielmehr auch auf das öffentliche Recht und damit auch auf das Steuerrecht. So ordnet § 45 Abs. 1 Satz 1 AO an, dass bei der Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger übergehen. Mehrere Erben haben gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 AO für die in der Person des Erblassers entstandene Steuerschuld wie für Nachlassverbindlichkeiten nach bürgerlichem Recht, d.h. als Gesamtschuldner (§§ 1967, 2058 BGB), einzustehen. Jeder Erbe schuldet die ganze Leistung; dem Finanzamt steht es im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens frei, an welche Gesamtschuldner es sich halten will2.

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Die Klägerin ist danach sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung der Erblasserin eingetreten3. Sie schuldet als Gesamtschuldnerin die Einkommensteuer in der Höhe, in der sie durch die Einkünfteerzielung der Erblasserin W entstanden ist. Auf ihre Kenntnis von der Steuerhinterziehung der Erblasserin W bzw. der Miterbin C kommt es diesbezüglich nicht an.

Das Finanzamt war zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 1999 durch die Änderungsbescheide vom 30.04.2007 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO befugt. Es war ihm aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle nachträglich bekannt geworden, dass die Erblasserin W in diesen Jahren höhere Kapitaleinkünfte erzielt hatte, als bislang aufgrund der Steuererklärungen festgesetzt wurden.

Zu Recht hat das Finanzgericht entschieden, dass die Bekanntgabe der Änderungsbescheide für die Jahre 1995 bis 1999 am 30.04.2007 noch innerhalb der Festsetzungsfrist erfolgte.

Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Änderung der Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO in der Regel vier Jahre und verlängert sich gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO im Fall einer Steuerhinterziehung auf zehn Jahre. Sie beginnt nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung beim Finanzamt eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.

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Die Erblasserin hat die Steuererklärung für 1995 im August 1997, für 1996 im Oktober 1997, für 1997 im November 1998, für 1998 im Januar 2000 und für 1999 im November 2000 abgegeben. Da nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Finanzgericht die Demenz der W in diesem Zeitraum bereits so weit fortgeschritten war, dass sie geschäftsunfähig i.S. des § 104 Nr. 2 BGB war, war sie nach § 79 Abs. 1 AO auch im Besteuerungsverfahren nicht zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig. Die Abgabe der von ihr unterzeichneten Steuererklärungen war somit unwirksam4. Die Festsetzungsfrist begann danach gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, zu laufen5.

Für die Streitjahre 1995 bis 1999 hat sich die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO aufgrund einer Steuerhinterziehung der C auf zehn Jahre verlängert, so dass die Änderungsbescheide vom 30.04.2007 noch innerhalb der Festsetzungsfrist ergingen.

Zu Recht ist das Finanzgericht davon ausgegangen, dass C aufgrund eines Verstoßes gegen die Berichtigungspflicht aus § 153 AO nach erkannter Unrichtigkeit der Steuererklärungen der W eine vorsätzliche Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Unterlassen begangen hat6. Nach den nicht mit einer Verfahrensrüge angefochtenen Feststellungen des Finanzgericht war C spätestens ab dem Erbfall im Jahr 2000 bewusst, dass die Erblasserin W gegenüber dem Finanzamt ihre Kapitaleinkünfte zu niedrig erklärt hatte. Sie war daher gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet, die Einkommensteuererklärungen der Erblasserin zu berichtigen und hat dies vorsätzlich unterlassen. Die Berichtigungspflicht der C war nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie bereits vor dem Tod der Erblasserin Kenntnis von dem Kapitalvermögen im Ausland und den unrichtigen Steuererklärungen hatte, da für die nachträgliche Kenntnis auf den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin abzustellen ist7.

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Der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO steht auch nicht entgegen, dass W aufgrund ihrer Demenz handlungsunfähig gemäß § 79 AO war und deshalb keine wirksamen Steuererklärungen abgeben konnte. Der Begriff „Erklärung“ i.S. von § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist weit zu verstehen und bedeutet jede Äußerung mit Einfluss auf die Festsetzung, Erhebung oder Vollstreckung einer Steuer8. Er umfasst daher auch unwirksame Steuererklärungen.

Danach war C verpflichtet, die unrichtigen Erklärungen der W gegenüber dem Finanzamt zu berichtigen, da diese zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung geführt haben.

Die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO setzt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht voraus, dass sie selbst eine Steuerhinterziehung begangen hat oder von dieser wusste. Die zehnjährige Frist gilt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz AO auch dann, wenn die Steuerhinterziehung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, derer er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient. Denn für die Anwendung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ist es unerheblich, wer die Steuer hinterzogen hat. Es kommt nur darauf an, dass es sich objektiv um hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Beträge handelt. Die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, haftet der Steuer als solcher an. Danach läuft gegen den Schuldner hinterzogener Steuern eine zehnjährige Festsetzungsfrist ohne Rücksicht darauf, ob er selbst oder ein Dritter die Steuer hinterzogen hat9.

An der objektiven Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, ändert sich auch nichts dadurch, dass der Steuerschuldner von der Steuerhinterziehung bzw. von der verlängerten Festsetzungsverjährung nichts wusste10. Denn im Rahmen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ist es unerheblich, ob und in welchem Umfang den Steuerschuldner überhaupt ein eigenes Verschulden trifft. Daher greift die verlängerte Festsetzungsverjährung auch dann, wenn der Steuerschuldner davon ausgeht, dass Festsetzungsverjährung bereits eingetreten sei und er erst später davon erfährt, dass ein Dritter zu seinen Gunsten Steuern hinterzogen hat.

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Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft von Miterben. Zwar laufen bei einer Gesamtschuldnerschaft die Verjährungsfristen gegenüber jedem Gesamtschuldner getrennt ab (§ 44 Abs. 2 Satz 3 AO). Da es nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO jedoch nicht darauf ankommt, wer die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt hat, muss jeder Gesamtschuldner die Steuerhinterziehung eines anderen Gesamtschuldners gegen sich gelten lassen11.

Zwar steht der Klägerin die Möglichkeit zu, sich nach Maßgabe des § 169 Abs. 2 Satz 3 2. Halbsatz AO zu exkulpieren. Danach tritt die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre bei einer Steuerhinterziehung, die nicht von dem Steuerschuldner, sondern von einer anderen Person begangen wurde, u.a. dann nicht ein, wenn der Steuerschuldner selbst durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da die Klägerin durch die Steuerhinterziehung der C einen Vermögensvorteil in Form einer zu niedrig festgesetzten Steuerschuld erlangt hat, die auf sie als Gesamtrechtsnachfolgerin nach § 1922 BGB übergegangen ist.

Druckversion Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. August 2017 – VIII R 32/15

  1. Hess. Finanzgericht, Urteil vom 30.07.2015 – 13 K 2871/09[]
  2. BFH, Urteil vom 28.03.1973 – I R 100/71, BFHE 109, 123, BStBl II 1973, 544[]
  3. BFH, Beschluss vom 17.12 2007 – GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608[]
  4. FG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.1971 – II 173/69 E, EFG 1971, 511; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 79 AO Rz 7[]
  5. für 1995 am 31.12 1998, für 1996 am 31.12 1999, für 1997 am 31.12 2000, für 1998 am 31.12 2001, für 1999 am 31.12 2002[]
  6. vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 153 AO Rz 18; Schindler in Beermann/Gosch, AO § 153 Rz 35; Meyer in Beermann/Gosch, AO § 370 Rz 102; Klein/Rätke, AO, 13. Aufl., § 153 Rz 21; Klein/Jäger, a.a.O., § 370 Rz 61b[]
  7. Heuermann in HHSp, § 153 AO Rz 13c; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 153 AO Rz 17; Klein/Rätke, a.a.O., § 153 Rz 7[]
  8. Heuermann in HHSp, § 153 AO Rz 7; Schindler in Beermann/Gosch, AO § 153 Rz 14; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 153 AO Rz 10[]
  9. Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO Rz 18; Banniza in HHSp, § 169 AO Rz 53; Paetsch in Beermann/Gosch, AO § 169 Rz 52; Klein/Rüsken, a.a.O., § 169 Rz 28; z.B. BFH, Urteile vom 04.03.1980 – VII R 88/77, BFHE 130, 131; vom 23.03.1982 – VII R 68/81, BFHE 135, 563; vom 31.01.1989 – VII R 77/86, BFHE 156, 30, BStBl II 1989, 442[]
  10. Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO Rz 24[]
  11. so ausdrücklich auch Boeker in HHSp, § 44 AO Rz 33; Banniza in HHSp, § 169 AO Rz 65; Paetsch in Beermann/Gosch, AO § 169 Rz 59; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 44 AO Rz 19; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO Rz 23; Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 44 Rz 19; vgl. zur Gesamtschuld bei Ehegatten BFH, Beschlüsse vom 20.08.2010 – IX B 41/10, BFH/NV 2010, 2239; vom 19.02.2008 – VIII B 49/07, BFH/NV 2008, 1158; vom 30.03.2005 – IV B 161/03[]
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